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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 27 (September 1910)
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Ehrenstein, Albert: Der Fluch des Magiers Anateiresiotidas, [2]
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Lasker-Schüler, Else: Elberfeld im dreihundertjährigen Jubiläumsschmuck
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Heymann, Walther: Teures Haupt
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Scheerbart, Paul: Der Revolutionär
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0218
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sich hoch über das Wasser schnellen. Die müssen
von ganz wem anderen sein! Was meinst du dazu,
Rosa? Diesen Fall muß ich untersuchen. Magst
du mich begleiten ?“ Sprach’s und befestigte an
der Angef eine künstlidie Fliege.

Ich würde gewiß nichts von dem Froschkönig
erzählen, wenn es nicht für den Gang dieser Ge-
schichte so unumgänglich notwendig wäre. Er saß
ganz harmlos im Teiche unter seinem Sonnenschirm
— denn gerade, daß die Frösche keinen solchen
brauchen, ist das Feine daran, und darum hatte
der Froschkönig einen und memorierte unter ihm
seine Thronrede:

„Wir Quakorax, König der Frösche, Blatt-

läuse, Malariamücken und so weiter;

kraft uralt angestammtem Recht beriefen

höchstwir alle Vasallen, die sei es

zu Lande, sei’s zu Wasser unser sind,

auf diesen hohen ReiChstag. Hört, hört! wir selbst

und Ihre Majestät, die Königin

Quaglaja, um sämtlichen Untertanen

kund zu tun, wie sie zu ehren wir

gedenken, keinem unsrer Völker nah

zu treten, keinem unsrer Achtung mehr

noch minder zu erweisen als dem andern:

ja! auf einem halbüberschwemmten Hügel,

mit einem trocknen, einem nassen Fuße,

staatsrechtlich, nicht bloß so zu sagen! über

dem Berg im übrigen auf astbefest-

igtem Schaukelthi’one uns bewegend“

hier blieb der arme Quakorax vielleicht sChon zum
zehnten Mal'e stecken, diesmal, weil derTote zu ihm
herabglitt. Quakorax dankte den Göttern, daß sie
ihm für den Fall, als er bei der Thronrede wirklich
ins Stottern geraten sollte, eine solche Entschuldi-
gung vor Quaglajen darboten. Kein Zweifel: der
junge Mann, gewiß ein Koliege, hatte den un-
erträglichen Leiden, die auch ihm eine Thronrede
verursachte, durch Selbstmord ein Ende bereitet.
Kaum daß Quakorax sich und den Aermsten schick-
lich beweint hatte. machte er Sich an den Genuß
der vermeintlichen Thronrede, die Öem Toten atts
der klammen Hand zu winden, ihm vermittels eines
Zaubers gelungen war, der so gewaltig ist, daß ich
ihn hier nicht näher schildern kann. Durch seine
Lektüre an den Rand der Verblödung gebracht,
griff er, mit seinem Lose zufriedener, nach ! dem
eigenen Manuskript. Da trieb vor seinen Augen
eine verlockende Fliege auf und nieder. Nach
hartem Kampfe mit der Pflicht beschloß er in
seinem Herzen, die Fliege nicht zu verschmähen,
Schon um nicht die Götter zu beleidigen, die ihm
den leckeren Bissen wohl zur Belohnung seines aus-
dauernden Fleißes gesendet hatten. Es empfiehlt
sich, den Geboten der Unsterblichen mit beschleu-
nigter Geschwindigkeit zu gehorchen, und so schoß
denn auch der gute fromme Quakorax alSo gleich
ohne etwas loszulassen, auf sein Opfer zu, verfing
sich, ward ans Ufer geworfen und hauChte zappelnd
seine SeelC aus, welche geziemend zum Hades ent-
eilte. „Froschschenkel sind auch gut“, meinte Bar-
tholomäus, „die den Göttern gebührenden Einge-
weide misse ich mit Vergnügen.“ Dann bemerkte
er, was er sonst erbeutet hatte_, Iöste unverzüglich
ein Billet nach Sirvermor und ein zweiteS, eine Um-
steigkarte in die Zukunft. Denn in dieser geht
der folgende Teil unserer Erzählung vor sich.
Während der Fahrt, indem sbwohl der Privatdozent
in ihm eine Beschäftigung verlangte, als auch die
Sorgen des seligen Quakorax merkwürdigerweise
auf ihn übergingen, begann Bartholomäus 1 die
Thronrede auswendig zu lernen, und selbst als er
der hold errötenden Jezaide den wenn auch un-
zureichenden Sonnenschirm anbot, rezitierte der
Zerstreute noch immer sein „Wir Quakorax, König

der Frösche_“ Diese Phrasen, für unverfälschte

Wahrheit genommen, verfehlten nicht, einen guten
Eindruck zu machen; zudem: daß Srimoverr die
Erbin des Reiches so ziemKch vor den Unbilden
der Witterung geschützt hatte, erschien den
Priestern, die pflichtigst darüber dieLage derSterne
und Butterbrotpapiere beobachtet hatten, ein dem
Lande heilweissagendes Omen und Symbol. Und
dies' ist in unserer Geschichte, gl'aube ich, das
einzig UnglaubliChe, daS man nicht glauben kann:
eine alsbald angestellte Prüfung des rechtsphilosb-
phisChen Schriftchens ergab untadelige Resultate,
kein einziges Plagiat! Worauf ohne weiteres wider
Bartholomäus die Vermählung eingeleitet wurde.

Für den Verstand von Leuten, die in diesen
anspruchslbsen Seiten eine tiefsinnige Allegorie er-

blicken wollen, etwa in Jezaide die Tochter eines
Hofrates oder Sektionschefs zu sehen vermeinen, die
einem simplen Dozenten zum Throne, id est zu
einer ordentlichen Professur verhalf, auch die an-
deren, wahrlich nicht wenig verschlungenen Be-
gebenheiten auf kraß realistische Weise ausdeuten
möchten — für den Verstand dieser Sorte von
Leuten übernimmt der Verfasser keine wie immer
geartete Garantie, wenn sie nicht solch ruinösen
VersuChen entsagen. Genannten Individuen aber
trotzdem gebührend entgegenzutreten, gesteht der
Autor offen und ehrlich, daß der Zweck seiner
scheinbar nichts weniger als tugendhaften Historie^
soweit ein solcher überhaupt vorhanden, ein hoch-
moralischer ist und hofft damit einer aufmerksamen
Leserin nichts neues zu sagen. Er hält dafür, nach-
träglich genug vor jenem verderblichen Geist ge-
warnt zu haben, der ZizipeS sonst makeflose Herr-
schergestalt verunzierte. Wolle doch ein jeglicher
seinem guten Rat gehorsamen und zur Taufe von
Erstlingen erscheinenden dreizehnten Zauberern
keine silbernen Stiefelknechte und beileibe keine
schlechten Zigarren anbieten, noch auf künstliche
Fliegen mit zu übereiltem Zuschnappen bereitem
RaChen antworten. Denen, so mir nachfolgen wollen,
steht nicht bl'oß das Himmelreich offen, sondern
ihnen und nur ihnen wird mitgeteilt, wie Sich
das Schicksal derer von Sirvermor-Srimoverr des
weiteren gestaltete. Es läßt sich nicht leugnen, der
Prozentsatz an kleinen Mohren und Chinesen, den
die Prinzessinnen dieses Hauses auch nach jener
Sühnhochzeit herbeiführen halfen, er war und blieb
ein größerer, als er in den übrigen Königsfamilien
Usus ist. Doch 1 wer wird der Bösewicht sein, zu
fordorn, eine künstl'iChe, zauberische Einrichtung,
durch die Länge der Zeit geradezu zur natürlichen
Anläge geworden, möge wie mit einem Glocken-
schlage zu bestehen aufhören?

Was die speziellen Schicksale Jezaidens und
ihres Gatten anlangt, so beteuern manche Skribenten,
beklägte Mohren und Chinesen, in dem unzureichen-
den Sonnenschirm bereits zart angedeutet, seien
durch die Unterschiebung der Preisschrift Verschul-
det, und sei dieser Frevel nur darurn nicht post-
wendend ans Tagesiicht gekommen, weil Jezaide
keine Kinder hätte, was weniger der abgetöteten
Liebe als dem gelehrten Charakter ihres Gatten zu-
zuschreiben sei. Sonstige Erlebnisse des Ehepaares ?
Zur Beruhigung: und wenn sie nicht geboren sind,
so sind sie auch 1 licute nicht gestorben!

Tenres Haupt

Von Walthep Heymann

Du lläCheltest. Die Träne sah ich doch,

Bist Du betrübt? Du sChweigst, geschlossner Augen.
So leidest Du? Seit wann? Im WaChen hast Du
wieder so viel'er Fremder Mut bewegt!

Wo gehn die nun — bleibst Du allein?

Rückst Du auCh noch im Ruhm den vollen Arm,
Jahrzeichenspur vertiefend mit den Brauen;
die Lippe spottet stillen Atemwehns,
voiier, gestützter Wange, sChwerer Lider.

Wach nicht mehr, Du geduldge Stirn!

Wo Kraft ist, da ist Sch'were auch. So tief
kannst Du nicht seufzen, ate Dein Leid Dich gut
und Einsämkeit Dich stark maCht. Menschenarbeit
drückt, liebe Frau. Sehnsucht wird dann ein Flaum
von Müdigkeit, ’Mühe maCht lieb.

Rollt um uns Arbeit ringä dahin — Dein) Haar
kaum zitterts, ährenreif, Feldstaub im Wind,
nicht schwer noch leicht. — Ich weck den Willen

nicht.

Treibt durCh den Schlaf Dein Blut, gehütet seis!
— Nun siehst Du auf — groß, still-

Und als wir rasch hiinaufgestiegen sind
zur Straßenbrücke, die von Arbeit bebt,
wo sich das Eisen wälzt, Dampf schhngt, und wo

so scharf

und grell Metall durch Stimmen kreisCht, da hörst

und blickst

Du vietem Fremden stumm vertraut vorbei.

Der Bevolutionär

Von Paul Scheerbart

Der Getneindetehrer Lehmann war ein Men-
schenfreund; er beklägte täglich — beinahe stünd-
lich' — das große Unglück, das durch den Krieg
in die Welt kam.

Und Lehmann beschloß, alle Gemeindelehrer zu
Gegnern des Krieges zu machen; in einem Rund-
schreiben, das er für sein eigenes Geld drucken ließ,
bat er alle seine Kollegen inständigst, der ihnen
anvertrauten Jugend Selbst von den Kriegstaten der
eigenen Nation fürderhin nicht mehr mit Begeiste-
rung, sondern nur noch mit dem Ausdrucke herz-
lichen Bedauerns zu erzählen.

Dieses Rundschreiben kam den Vorgesetzten
des Menschenfreundes zu Gesicht, und eS entstand
im Volkäschulratsgebäude eine peinliche Stille; die
Leiter der Volksschulangelegenheiten befürChteten
sämtlich, daß derartig revolutionäre Rundschreiben
auch in den Kreisen, die der Regierung nahe stehen,
gelesen werden könnten.

Und man beSChloß im Volksschulratsgebäude,
gl'eich ganz energisCh Vorzugehen.

Und der Gemeindetehrer Lehmann ward seines
Amtes entsetzt, und Pensionsgelder wurden ihm
nicht auägezahtt.

Lehmann war schwächlich gebaut und fand
keine andere Stellung; es ging ihm immer schleChter,
und seine Frau wurde täglich beinahe stündlich
— immer erregter.

Und Lehmanns Frau stürzte sich eines Nachts
zum Fenster hinaus und btieb tot auf der Straße
liegen.

Lehtnann ging wie ein Träumender mit gläsigen
Augen umher und konnte gar nicht mehr ordentlich
denken.

Auf einem großen Plätze der Großstadt, mitten
unter unsäglich' vielen geschäftig dahineilenden
Menschen, fing Lehmann, der Menschenfreund,
plötzlich ganz furchtbar laut an zu lachen.

„Nein!“ rief er dann immer noch lachend, „es
kommt doch eigentlich auf ein Menschenleben mehr
oder weniger nicht an. Der Krieg ist eine ganz
vortreffliche Einrichtung.“

Und er ging lächelnd in die Destillation, die
dicht neben dem Hause lag, in dem sich seine
Wohnung befand — und in der Destillation lächelte
er immerfort, daß es den G.ästen des Lokal's un-
angenehm auffiel.

Ate die Leiche seiner Frau vorbeigetragen
wurde, läChelte er immer noch.

Der Wirt der Destillation forderte den Men-
sChenfreund auf, das Lokal zu verlassen.

Elberfeldim dreihundertjährigen
Jubiläumsschmuck

Von Else Lasker-Schülep

„Lott es doot, Lott es doot, Liesken teegt om
Sterwen, dat eS god, dat es god, gäwt et wat tu
erwen!“ Ich' bin verliebt in meine buntgeschmückte
Jubiläumsstadt; das rosenblühende Willkomm gilt
mir, denn iCh' bin ihr Kind, die fl'atternden Fahnep
auf den Dächern, aus den Fenstern winken mir zu,
l'ange RotsChwarzWeißarme, die mich umfangen
wollen. Ich soll überall hereinkommen. Ich bin
in Elberfeld an der Wupper in der Stadt der Schiefer-
dächer. Hohe Ziegetechornsteine steigen, rote
Schlangen herrisch zur Höhe, ihr Hauch vergiftet
die Luft. Den Atem mußten wir einhälten, kamen
wir an den chemischen Fabriken vorbei, allerlei
schärfe Arzeneien und Farbstoffe färben die Wasser,
eine SauCe für den Teufel. Aber nach' Newiges zu,
wo die Maschinen ruhen, wie frische Drillingsbäche
fließt die Wupper zwischen Wiesen und Wald-
alleen. Aber ich’ bin verliebt in meine zahnbröckelnde
Stadt, wo brüchige Treppen so hoch aufsteigen,
unvermutet in einen süßen Garten, oder geheimnis-
voll in ein dunkleres Viertel der Stadt. ICh inag
die neuen Bauten nicht — wer aber war die Uipatri-
zierin des' Rokokohauses aus der Friederizianischen
Zeit? ES tebt noCh 1 einbalsamiert zwischen jüngst
zur Welt gekommenen Fabrikanten- und Doktor-
häusern. Denn jeder etwas wohlhabende Bürger
der Stadt besitzt ein Wohnhaus, worüber er Herr
ist, Portiersleute gibt es in Elberfeld nicht, frech-

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