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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 34 (Oktober 1910)
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Heymann, Walter: Leonardo da Vinci und Lisa Gioconda
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Lasker-Schüler, Else: William Wauer
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Walden, Herwarth: Katzenjammer
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Walden, Herwarth: Decurtins
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mit vvelchen Mitteln — in ein kleines Reich ge-
bannt. Darin war sie Königin. Er, Leonardo, hatte
sonst die Seelte zu erkennen versuCht, hatte gelernt,
wenn er bezeichnende Züge zur Maske, zur grau-
sam übertreibenden Karikatur zusammensetzte.
Auch hatte sein BMck Gesichter in Masken ver-
ändern und zerdenken müssen, wenn er sie scharf
betrachtete. Diese Frau vor ihm aber war zu der
Pforte des Traumländes gesChritten, als wäre sie
von Anbeginn nur eine Larve gewesen. Früher eine
Phantastin, nun ganz Seeie; das Gefühl konnte
sie jeden Augenbiick überwältigen. Er sah die
Augen seiner MaCht, seines Winkes harren, sie
bliCkte ihn an wie eine stolze Bettlerin. Gerne
hätte er ihr Kraft gegeben. Schien sie ihm doch
wie von selber so verändert, da er nur Hemtnendes
beseitigt, der ieise fließcnden Natur die Bahnen
vollenden geholfen hatte. So also sah die Seele
aus. Eine Summe Von Erfahrungen und Leiden-
schaften, deren Wiederkehr die Menschen Zeich-
nete. Oder die siCh ergänzenden Gefühie in Fülle
versChwindend wie Rosenbiätter im Hauch des
Windes, weiche Mulden und Hüllen. Dort starre
Maske, hier ruhelose bewegliche. Er gab ihr Liebe;
denn dem Platoniker war schon die Erkenntnis des
angeschauten Gegenstandes Liebe, er gab ihr
Freundschaft. Und in seiner Sorgsamkeit — wis-
sentliCh hätte er nie eine Seele vernichtet — lag
Mitgefühl 1. Die Frau spürte in ail dem nur die
GemeinsChaft der Seelcn, und wartete, hoffte.

Einst gläubte Leonardo: „Die Seele steht außer-
halb der Sinne, wenn sie betrachtet“. Dann fand
er „die Sinne sind die Beamten der Seeie“. Jetzt
sah er nur das Ftutende, sah niCht mehr ein Feld
aus Samen gewachsen, zur Aussaat bestimmt. Zwei-
felte er an ihr, oder siegte die Aufgäbe. Sie erschien
ihm als der Zweifel und gerade so schön. Es war
die erste kommende Müdigkeit seines Lebensabends,
die seinem Denken die kühie Sicherheit und auf-
strebende Glut zu nehmen begann. Nur durch voll-
kommene Zwiedeutigkeit und Glciciiung und Er-
gänzung der Merkmale konnte er Lisa darstellen,
die Stirn ist das Wahrzeichen. „Alle Liebe, die
verschwenderisch über das einzelhe geht, hat den-
noCh einer in Furcht gegeben, er habe die Welt
zerdacht!“ Man kann jede Einheit zerstören, wenn
man einen Menschen zu nahe betrachtet. Lisas
Biid erkennt man erst in der Tiefe seiner Einheit-
ÜChkeit, wcnn man es aus nächster Nähe anschäut.

Dies war sein Sieg; wer seine kommende Nie-
derlage sehen will, vergleiChe mit dem Bild der
GioOonda die frühere ZeiChnung des Johannes Init
dem Rohrkreuz (Windsor) und dann das spätere
Gemälde, in dem Johannes nicht mehr der selbst-
entzweite Voriäufer des Herrn ist, sondern der zwei-
deutige des Rokoko.

*

Was wir gesdhiChtlich von Lisa wissen: Es
ist zweifelhaft, wo sie geboren ist — für die Be-
hauptung, sie stam'me aus Neapel, fehlen Anhalts-
punkte. Ihr Großvater Naldo Gherardini lebte in
Florenz von 1401 bis 1460. Das alte Welfen-
geschlecht der Gherardini, dessen Stammbaum b:s
an 900 zurückreicht, war hier angesehen. Naldo
(Noldos) Sohn Maria Antoni heiratete 1473 Caterina
aus dem Hause des Piero Rucellai. Deren Tochter
erhieft den Namen Lisa nach der Mutter des Vaters.
Das Datum ihrer Geburt ist uns unbekannt. Es
muß zwisdhen 1474 und 1479 l'iegein, da Lisa schon
1494 heiratete.

Als Leonardo sie malte, war sie etwa dreißig
Jahre alt. Ihr Mann Francesco del Giocondo war in
erster Ebe mit LisasTante vermählt (1491), heiratete
schon 1493 die zweite Frau, und 1494 wird Lisa
die dritte. Die GioCondi waren ursprünglich Küfer,
dann trieben sie Seidenhandel. Lisas Mann besaß
ein Haus in der Via della Stufa. Der Titel „Ma-
donna“ der Ritterfrauen kommt ihr in Wirkiichkeit
niCht zu, sie ist nur eine Mona (Monna). 1496
gebar Mona Lisa einen Sohn, Piero, 1502 einen
Sohn Andrea. Ob auCh ein früh gestorbenes Töch-
terChen des Giooondo ihr Kind war, ist nicht er-
mittelt. Ihr Mann, jünger als Leonardo, hat diesen
länge überlebt. Er stiftete für siCh und die Seinen
eine Grabkapelle in der Santissima Annunziata. Das
Bild Lisas hat Leonardo später verkauft, dann für
einen hohen Pneis zurückgekauft. Von ihr selbst
hören wir nach dem großen Ereignis nichts mehr.
Sie konnte jedenfalls nichts Stärkeres mehr erleben.
Sie war dem Helden unter den Künstlern, dem
großen Ahnen unserer Zeit, eine schmcrzlehrcnde

Madonna geworden, ein Sinnbild des Erliegens
ganzer GesChleChter, die es im Geiste Baudelaires
grüßen müssen: „O Mutter der Erinnerung, Frau
der Frauen!“

William Wausr

Als das Cafe KutsChera noCh seinen adligen
Namen „Secession“ trug, hielt in dem oberen Raum
des Cafes William Wauer einen Vortrag über
Theaterkunst. Ein jünger Schauspieleleve nahm
mich mit herauf; viiele ETeven und Elevinnen
sc'hritten vor mir in den Saal der grauen Sammet-
sofas und Sessel'; ich war die einzige unter den
Zuhörern, die Wauer noch nie gesehen und doch
ihn sich genau so vorgestellt hatte mit der eigen-
artig schmerzliChen Sicherheit in den Augen und
in den Gebärden. Ein großer Geiger, der nicht
die göttliche Geige findet. Ein großer Dirigent
— ist nicht sein Vortrag ein Zusainmenspiei vieler-
hand Instrumente gewesen. Lebendige Violinen,
seine Schauspiieler; er mag nicht die erste Violine
zwisChen ihnen, die den Ton angibt, kein Genie,
das siCh äbtönt, hervortönt von den anderen Tönen.
Das Zusammenspiei seiner Leute, eine Genielei-
stung soM sie sidh heben aus der Fertigkeit seiner
Hand. AIs das künstlerische Theater aus Moskau
in Beriin gastierte, gedachte ich der Worte William
Wauers. Der Zar bis zum Onkel Wanja und die
Frauen ail, gliChen seinen Idealgeschöpfen. Wan-
delnde Töne, sChreitende Melodien, unbezahlbare
Instrumente mit tausendtiefem Ton. Aus Spielläden
und Kotillongeschäften liefert man William Wauer,
Spaßgeigen, Trompeten, Kriköhs: Dilettanten und
Tantinnen. Sie essen Ihre Rolle, um sie ganz im Leib
zu haben. Sie müß ihnein auf den Leib passen.
Aber der Schäuspieler soll den Duft seiner Rolle
einatmen, meint William Wauer, „Ueber solch
trunkene Seele zu streichen mit seinem
Bogen“. — Seine Regie steht auf Füßen, das
Milieu giejcht dem Bewohner des Schauspiels.
Erster Aufzug: Veranda, Von Säulbn umstanden.
Zweiter Aufzug: Wohnzimmer der gräfliChen Fa-
mil'ie. Man kann sich gar kein anderes Innere
Vorsteilen naCh dem WuChs der Villa. Williiajmi
Wauers Regie ist anatomisCh. Sein Blüt möchte
fließen durch die Adern seiner Schauspieler wie ein
Strom durch das Spiell Das soll keimen und auf-
gehen aus seiner Gestalt in vielen Gestalten. Kein
Asiate ist er, dem die Tragödie nur eine einzige
Kriegsgebärde wird. Er meint, zu den Wilden ge-
höre ich, und mit der eigenartig schmerzlichen
Sicherheit im Auge betrachtet er mich wie ein
fremdes Instrument aus Bambus.

Else Lasker-Schüler

Katzenjammer

Der Verein zur Erhaltung alter Burgen und
der Verein zur Verwertung gebrauchter Offiziers-
reitpferde haben einen neuen Zuwachs erhal'ten:
den Verein zur Erhaltung alter Universitäten (oder
so lähnlich). Die Finanzierung des neuen Unter-
nehmens übernahm die höchst überfllüssige RiChard
Wagner-Gesellschaft für Kunst und Kultur. Durch
eine FestvorsteMung im FriedriCh Wilhelmstädti-
schen Schauspielhaus. Ein hohles und langweiliges
Theaterstück (des Herrn Otto Borngräber im Ver-
kitschten — Wildenbruchstil wurde aufgeführt. Dar-
über wäre nichts zu sagen, auch wenn Professor
Ernst Haeckel in einer Vorrede der Buchausgabe
den Phrasenschleim eine „große, ganz auf der Höhe
unserer Zeit stehende Tragödie“ nennt. Es beweist
nur, üaß man angeblich das Welträtsel lösen kann,
und einem die Kunst doCh ein Buch mit sieben
Siegelh bleibt. Ueber die Aufführung ist noch zu
bemerken, daß das Spannendste „der Tod auf dem
Scheiterhaufen“, fortfiel. Was zu bedauern bleibt.
(Nur der Referent des Berliner Tageblatts hat diese
Szene auf der Bühne gesehen.) Für den Edehnen-
schen hatte d> e Direktion sich von dem sonst in
dieser Zeitschrift nicht zu erwähnenden König-
lichen Schauspielhaus Iden Herrn Walter Staege-
mann ausgeliehen, den talentlosesten und hohlsten
Schreier, über den Deutschlands Bühnen verfügen.
Man versiCherte mir im Theater, daß Herr Staege-
mann sein Referendarexamen gemaCht hat. Warum

ergreift cr nicht den chancenrejchen Beruf eines
Bürovorstehers. Außer Herrn Staegemann brüllten
und heulten verschiedene Dilettanten auf der Bühne,
besonders eine gewisse Baronin Virginia. Nur zwei
SChauspieler 'waren zu entdeCken: Ernst Nessler
und Armin Wassermann. Regie und Inszenierung
veranlassen miCh jmmerhin, das Theater als sol-
ches weiter zu beachten. Man brauchte diese ganze
SchreCkensaffaire inicht zu notieren, wenn Herr
Borngraeber (nicht langeblich über eine Gemeinde
Verfügt. Es gibt tatsäChlich Leute, welche sich für
sol'che StüCke im Sonnentrottelstil interessieren.
DennoCh entspricht die Höhe des Stücks der Vor-
stellung, d> e sich Universitätsprofessoren von der
Kunst imaChen. Hoffentlich liegt diie Zeit nicht
mehr fern, in der die Universitäten ihren Kunst-
und WeltansChauungsdünkel ablegen und sich als
das ausgeben, (was sie heute jn Wjirktchkeit nur
noCh sind: FachSchufen für Juristen, Mediziner,
Theoiogen und Oberlehrer.

Zwanzig Stunden später wurde man im Ber-
liner Theater durch ein verkitschtes — Bernstein-
stück endgültig epschlagen.

Rauch ist alles irdische Leben

Es bleibt ein Glück, daß der wirkliChe Künst-
ler keinen Ehrgeiz für Zeit und Ewigkeit besitzt.
Die Ewigkeit wird durCh unsinnige Behauptungen
der Konversationslexika und der professoralen
Literaturgeschichte dargestellt und d,ie Zeit durch
VerherrliChung von Librettisten und Roman-
sühmierern entstellt. Man hofft niChts mehr, kann
also niCht enttäuscht werden. Die ProVinzler, die
Berlin unter Literatur setzen, legen Wert darauf,
in ihrer .Heimatsstadt biesondere Anerkennung zu
finden. Es fällt ihlnen niCht schwer. Denn das
Niveau in Ider Prov.inz ist rriehr als unerhebliCh.
Im sogenannten bergisühen Land absolpt Flach-
ebene. Da gibt es zum Beispiiel eine literarisChC
Gesellsohaft, jdie die Herren Paul Bliss und Roda
Roda zu Vorlesungen einladen. Der Bemühüng
dieses trauten Vercins verdankte die Stadt Elber-
felld offenbar däs Unglück, sich 1 ihre Dreijahr-
hundertfeier durch ein Festspiel des Herrn Walter
Bloem zu (Verekeln. Dagegen wjäre niChts einzu-
wenden. Jede Stadt hat das ReCht, ihre Ein-
geborenen gegen Bezahlung zur Beiustig'ung heran-
zuziehen. iCh persönliCh wäre jti solchen Fällen
immer mehr für Somalineger. Alsio djeser Herr
Bloem, der in Berlin alle mögliChen „literarischen“
Ehrenposten bekfeidet, dieser Herr Bloem Verfaßte
ein Festspiel „Der Väter Not“. Wozu glaubt
man, eignet siüh dieser Titel noüh außer zu schlech-
ten Sdhauerspielen im verkitsdhten Schillerstil. Ge-
waltige Inserate in Elberfelder Zeitungen wissen
dävon zu sagen: Zur Zigarrenmarke. Ein lökaler
Fabrikant konnte nicht umhin, Herrn Doktor Blbem
zu bitten, ihtm dies'en Titel für eine Spezialsorte zur
Verfügung zu stellen. Der Diühter Bloem gab gern
seine gütige Erläubnis. Freudig erregt wird das
Faksimife Öer holden Gewährung VeröffentliCht. Der
Väter Segen bäuet den Kindern Häuser, der Väter
Not.... läßt pie in RauCh aufgehen. Hoffenltich
ist die Marke bekömmlicher als ihr Name. Das
Gute bridht sidh Bahn. Das hät mit seinem Singen
der Didhter iBlbem getan. T r u s t

KfflFSfW" ... —■

Decurtins

Man 'beschwert sich über unsere Unzufrieden-
heit. Man beklagt sich, daß, wir zu viel tadeln.
Man beklagt sich, daß wir alles angrejfen. Es ist
niCht unsere Schuld. Wenn man gegen IndolenZ,
Dummheit, Frechheit und Gemeinheit ankämpft,
erregt man selbstverständlich Anstoß.

Die ZeitsChrift März glaubt zu der Behauptung
bCreChtigt xu sein, daß Herr Professor Dedurtins
den Lehrstuhl an der Universität zu Freibürg in
der Schweiz seiner Gutgläubigkeit zu verdanken
habe. Wir wollen der Redaktion vOrläufig selbst
Gutglläubigkeit zuerkennen, und bemerken ihr, daß
Professor DeCurtins vieHeicht der bedeutendste und
tiefste Geist der Anhänger der katholischen Welt-
anschauung ist. Für seine gründliche Wissenschaft-
lichkeit zeugt seine vieibändige Chrestomätie der
rhätoromanischen Literatur. Ejn Mann wie 1 DeCur-
tins kann isehr wohl die moderne Literatur ver-
stehen und die „Modernisten“ abfehnen. Wie wir.

H. W.

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