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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 83 (Oktober 1911)
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Ssollogub, Fjodor: Der Knabe und die Birke
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Heymel, Alfred Walter: Eure Sehnsucht aus der Zeit
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0220

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Nur die kleine Birke flüstert ihr.en etwas zu,

Sie flüstert ieise, dann schweigt sie auch.

Ein warmer Ncbel zieht von den Feldern her-
aaf. So zu stehen, zu träumen, sich int Schweigen
zu verlieren.

Leise flüstert Serescha:

„Ich liebe dich, weiße Birke. Nur dich allein
liebe ich. Du bist wie der Frühüng; du lachst
nicht und neckst nicht. Du bist mir ztir Froude
gewachsen.“

„Nur zur Freude?“ beugt sie sich vor.

„Ich weiß nicht,“ antwortet Serescha.

„Du bist groß geworden, stehst und schweigst.
Ohne zu begehren begehrst du. Deine Zweige ha-
ben sich in die Breite gestreckt und mit Biättern
bedeckt. Qanz weiß — ganz still bist du. Du
wirst freundlich zu mir sein, du wirst mich kiissen.
Du bist meine Freude.“

„Freude, nicht Qual?“ beugt sie sich traurig
zu ihm.

„Und wenn auch Qual,“ flüstert Serescha. „So
werde ich mich an dich schmiegen, so werden du
und ich süß uncl zart fiihlen.“

„Süß und zart,“ haucht däe Birke, „wiüst du
das, kennst du das?“

Serescha umarmt die schlanke Birke und preßt
seinen I<opf an ihre zarte Rinde. Er bebi in süßem
Entzücken.

Schmerz und Traum liegen in seinem Begeh-
ren. Durchsichtig und zerbrechlich klingt das Wei-
nen der eifersiichtigen Nixe mit dem grünen Schaum
in den Flechten. Kalte Tränen rollen aus den
grünen Augen. Der Qarten ist von den Nebeln der
Trauer erfüllt. Kalte Seufzer der ohnmächtigen,
nächtlichen Sehnsucht erklingen. Der kalte Nebel
wogt und die Bäume des Qartens empfinden seine
Sehnsucht. Zwei Leben haben sich ineinander er-
gossen und erbeben. Sie glühen in der Flamme der
Liebe und des Entziickens — und sie empfinden
die Hoffnungslosigkeit der Liebesbewegungen.
Ebenso hoffnungslos, fern von einander, wie jede
anderen zwei Seelen in ihrem Lebensbund — da
haben. sie das Begehren und Ineinanderströmen
vereinigt, alles einander gegeben, was sie besitzen.
Ermattet liegen sie da in ohnmächtime Erbeben
zweier schianker, erkaltendsr Körper. Die Nixe,
die ihr Antlitz niemals den Menschen zeigt, tritt
nahe heran und rastet. Von ihr weht zu ihnen
fener Zauber herüber, der stärker ist, als aüe Zau-
ber des Lebens.

Sie fragt:

„Unvernünftiges Kind, was willst du denn?“

Den süßen Saft ausströmend, fiüstert die Birke:

„Nur einen Augenblick. Dunkei ist das Leben
und schwer sind die Ketten des Daseins. Gib mir
nur einen glühenden Augenblick!“

Da lief die Flamme des Entzückens durch den
schianken weißen Körper der Birke. Und mit einem
Aufschrei wahnsinnigen Qlückes fieien zwei im
Geben erkaltende Körper zu Boden.

Nach einer Übersetzung der Eugenie Chmielustzky. Von
Kurt Hess.

Eure Sehnsucht aus der

Zeit

Aus sanfter Schwermut und der Liebe Trauer
Ermann ich mich; versuch mich zu ermannen,
Und kann doch Tod und Untergang nicht bannen
Wohin ich flüchten wiil, ragt Mauer auf an Mauer.

Qrüb ich den Acker um, ein guter Bauer,

Und dient im Schweiße, wüßte ich von wannen
Dies alles kommt und wüßte nie von dannen
Ich käm aus Schmach und Schande, Scham und

Schauer.

Es fehlt uns aiien Dienst und Zie! uhd Zwang,

Die allen nottun und die keine wollen,

So schmachten wfr in Freiheit sonder Siege.

\ .. .

Im Friedensreichtum wird uns tödiich bang,

Wir kennen Müssen nicht noch Können oder Soltea
Utid seijnen uns und schreien nacii dern Kriege.

AJfred Walter Heyjaei

Briefe nach Norwegen

Vou Else Lasker-Schüler

Heute ist St. Peter Hiües Namenstag. Mich
fragte ein Fremder, wie St. Peter Hiüe ausgesehn
iiabe? Der Frager war ein Astronorn und machte
sich den wahren, strahlenden Begriff von ihrii.
Vv'arum ich riicht an seinen Feiertagen zu seinem
Grabe pilgere — wenn ich Maria oder Magdaiene
wäre — aber zwischen uns war seibst nicht die
Intimität der Träne. Ich warte ehrfürchtig bis der
Prophet mir erscheint. Ebenso, rneinte der Astro-
nom, wie ich dieser Himmeiserscheinung harre,, er-
warten sie den Kometen.

Aber daß St. Peter flille eininal ein Engel be-
gegnete auf dem Felde, das weißt Du wohi nächt,
Herwarth? Wie er tnir das sagte, waren seitte
braunen Augen himrneibiau und ein Biinder, der un-
serm Qespräch iauschte, vertraute mär später ver-
zückt, er habe s e h e n können, währettd der Pro-
phet die Geschichte des Engeis erzählte.

Ich möchte etwas darum geben, wenn er die
Melodie, die du zu seinen Gedichten geschrieben
hast, vernehmen würde; er konnte sich freuen; und
meine Bibel, das Peter Hille-Buch, hätte er immer
in seiner großen Manteltasche getragen ttnd immer
nachgeschlagen, wenn er etwas über sich verges-
sen konnte. Manchrnai vergaß er wahrhaftig, daß
er ein Prophet war. Wir müssen St. Peter Hilie
eitten Tempel bauert, wer hätte so ein rnächtiges
Herz, ihn darin ganz zu gedenken. Deine Tetn-
pelerbauerin. Qriiße Kurtchen.

Der Sezessionsntaler Hernsteän glaubt wahr-
haftig, er ist der Bischof, Ich habe seibst schuld,
nannte ich ihn doch stets den feinetr, jüdischen Kar-
dinai. Er findet außerdem, meine Korrespondenz
schwäche ab, ich schreibe gar nichts mehr zum
Lachen. Nun weiß ich aber wieder was zum La-
chen. Der „wirkiiche Bischof“ fragte mich, ob er
mir seine Freundin vorstellen diirfe? Als meine
Erkundigungen nach ihren Vermögensverhältnissen
ungünstig ausfieien, antwortete ich tneinem Bischof,
daß ich mir diesen Luxus nicht eriauben körinte.
Ich bringe direkt ein Opfer, meine Freunde, denn
seine blonde Lacherin diinkt raich eine Sche!-
min, aber ich kann doch nicht a !! e Menschen iti
meiner bösen, finanziellen Lage umsonst kennen
lemen. Ist das nicht zum Lachen?

Rudolf Kurtz schrieb mir heute morgeri einen
Brief im Zeitsti! Kleists. Aber ich las deutlich eine
Unzufriedenheit aus seinen Zeiien deswegen auf
Umwegen meiner Depesche, die ich Euch sandte
des Bündnisses Hiller Hoddis Kurtz etc., etc. wegen.
Und dabei war sie doch kurz gehalten, ganz in
seiner enganliegenden Schreibweise. Sein letzter
Aufsatz (ich glaube in der Qegenwart) war direkt
inhaltlich ein geistvolles Buch von zw'ei Seiten.
Aber destomehr hat die Versöhnungs-Depesche Max
Fröhlich gefailen, verehrte Pelzvermummte. Er
malt wie ich dichte. Ich liebe ihn dafür unaus-
sprechlich, meine Liebe überträgt sich auch auf
seine Frau, die ist Biidhauerin, das wißt Ihr doch?
O, seine mannigfaitigen Buntheiten an den hellen
Wänden! Wer denkt da an LLnie; ebensowenig.

wie nian der Sonnenftecke Umrisse nachspürt. Al!e
die spielenden Farben wirft dfe strahiende Phan-
tasie seiner Knost. Die Kete Parsenow, die Vetms
von Siam, liegt auf seideuem Grund, ein Kostbar-
keit itn goidenert Etui des Rahmens!

Wißt Ihr, wer piötzlich in den Saal trat, ais
Gertrude Barrison tanzte, Minn! Aber er versteht
die Tänze des Abendiandes nicht, wie ich, nur bei
Qertrude mache ich eine Ausnahme, Die letzte
Schöne der Täuzerinnen Barrison bewegt sich in-
teressant und anmutig, und ihre Qewänder sind
seidene Geheimrtisse weäßer Marquisperiickenzei-
fen. Aiie Schauenden waren entzückt.

Heute traf ich den Bischof aui der Spreebriicke.
Ich war von seinem plötziichen Erscheinen sehr
begiückt, ich hatte den ganzen Tag wieder die un-
begreifliche Angst, und rnein fierz zuckte kaunr
rnehr. Und ich sah schon Farben, die nicht vor-
handen waren. Freute mich, daß der Bischof keine
lehrreiche Methode anwandte, rnich zu beruhigen
oder zu beunruhigen. Er besitz einen sanften Wil-
len, den er ähniich wie Du, Herwarth, auf mich zu
iibertragen verrnag. Zwar begreift er nicht, daß
zwischen vorsintflutiiches. Mammuth eine flatternde
Taube bangen kann. Wäe koniint wirklich tneine
Seeie zu der rührenden Hiiflosigkeit. Ich habe
nämiicii bemerkt, daß selbst der roheste Mensc'h
bewegt wird von meiner Angst. Nun spiel ich oft
die Angst, wenn ich tnir zu schwer werde. Ich muS
doch etwas von den Stunden meiner Pein haben.
Und wir stäegen herauf in des Bischofs Einsiedier-
klause. An den Wänden hängen diistere Qedan-
ken, schwenniitige Qebilde. Ich setzte tnich in
einen großen Stuhl und versuchte. noch nicht gattz
beruhigt zu sein, und betrachtete meinen Retter
zwischen halbgeschlossenen Augen. Der Bischof
hat Züge aus warmgetöntem Stein, seine Augeu
sind hartblau und manchmal stähiern sich seate
Brauen. Er begann meine Hand zu streicheln, er
weis, ich liebe Zärtiichkeit, beantwortete ich sie
auch mit veriegenen Rauhheiten. „Wo sind Sie
jetzt augenbiich?“ fragte ntich der Bischof. Ich
saß nämiich gerade arn Ende einer rissigen StraSe
in Cairo — vier Jahre zähl ich — im zerrissenen
Kittel auf dem unfrisierten, geschorenen Kopf trage
ich einen verschossenen Fez und meine Augen siad
verkiebt von tausendabertausend winzigen Insek-
ten. Diese kieinen geplagten Kinder habe ich sa
oft gesehen am Qraben der Straßen sitzen und bet-
teln; süßer Bischof, seitdem bin ich auch oft so ei«
verwahriostes Eselstreibers-Kind. Er schenkte mir
einen Piaster, es war in Wirklichkeit ein goldener
Pfennig, einen Qliickspfennig, ich lies ihn tanzen
auf der Innenfläche seiner Hand; da wurde er eine
kieine giühende Erdkugel, bis sie zie zur Erde fie).
Da haben wir uns geküßt, Herwarth; findst Du das
schlimm? Ich war dabei schrecklich traurig, dachte
an die vielen pochenden Heimate, die ich schon im
Leben verlassen hatte, die alle die Farbe meiner
Ltebe trugen. Ueberall ruft mich ein Tropfen mei-
nes BJjits zurück. Nun aber hier in der kleinen
Einsiedelei, im höchsten Stockwerk, komm ich wie-
der zu mir, ich strahle zusarnmen unbeengt. Der
Bischof meint zwar, (er vergißt manchmal seine
neue Wiirde), er sei strafbar, daß er mich küßt. Du
könntest ihn anzeigen und es stände Gefängnis dar-
auf, betonte er energiscb, da er wahrscheiniich
meine Offenheit ftirchtet. Ich antwortete? Und
wenn —! Und dachte dabei, Herwarth, diese ab-
kühiende Antwort habe ich von dir.

Ob ich mir das nur einbilde — Dein Doktor
möchte mir eine Falle iegen. Dabei kann ich
doeh nicht offenherziger sein, als in den Briefen
an. Dich und Kurt. Aber schon einige Male
setzte sich ein Bekannter des Doktors in die
nächste Nähe meines Tisches. Das wäre ja
noch kein Beweis meiner Vermutung, aber der
Bekannte sieht aus wie ein Hase und einer seiner
Löffel ist schon abgenutzt vom Lauschen. Wie my-

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