Favorit. Das braune schlankbeinige Tier iagte
lässig hinter dem Rudel her; schon waren zwei
Runden um, die Entscheidungsstrecke kam. Miß
Usebill ließ das Silberpapier iallen, stützte das
feste Kinn aui die Hand, jauchzte flber die ge-
bundene Ruhe des Pierdes. Sie waren dicht am
Ziel: da legte sich der blauweiße Jockey
vor an das Ohr des Pferdes, flüsterte „Kal-
vello, ho, Kalvello.“ Das Tier senkte den Kopf,
flog in vier Sprüngen hin, siegte. Sie strahlte.
Der Lärm der Menge rauschte über sie. Kaum
das Hürdenspringen voriiber war, stand sie auf
und lud den schweigenden Mann zu einer Spa-
zierfahrt mit ihr ein. Während sie durch die Wäl-
der im Süden der Stadt fuhren, sagte er, daß er
der Baron Paolo di Selvi sei, daß er durch sein
Geschick hierher verschlagen sei und drüben in
der Haide wohne. Sie erzählte, sie wäre Miß
Ilsebill; er hätte auf seinem Haideschloß drei
Frauen verloren, und sie trauere über sein Ge-
schick. Worauf er einen trüben Blick auf sie
warf, den grauen Kopf senkte; der Groom aber
riß die Schimmel herum; sie fuhren die Chaussee
zurück, auf den geraden Weg zur Haide. An der
Wendung zur Schloßallee verengerte sich der Weg.
Paolo nahm dem Kutscher die Leine ab. Die
Pferde sträubten sich. Er stieg aus und riß sie
vor. Unter Peitschenhieben zogen sie an, sie
schnaubten und wollten durchgehen, aber er hielt
die Leine straff.
Prunkend stand in der Wüstenei das graue
Schloß; über dem Dach des Damenflügels ragte die
Spitze einer weißen Klippe. Paolo saß aufrecht
im weichen Hut, eingefallen waren seine brau-
nen Wangen und seine Schläfen, seine schräg
gestellten grauen Augen blickten leer, nur sein
Mund war rund und weich und sehnsüchtig wie
immer. In der Dämmerung kamen sie vor sein
Haus. Am Portal gab er ihr zum Abschied die
Hand. Miß Ilsebill stieg aber aus und bat sich
bei ihm zu Gaste auf ein paar Tage; sie wollte ihn
pflegen und mit schöner Musik erheitern. Sie be-
zog die Zimmer des Damenfliigels.
Sie ritten morgens und mittags aus; IJsebill
sang und spielte vor ihm in den Gemächern. Sie
trug bunte und nixengrüne Gewänder; in ihren
Augen war ein weiches Schimmern, wenn sie auf
den Teppichen tanzte; ihr schwarzes Haar hatte
sie in Zöpfen gebunden, die sie mit den blitzen-
den Zähnen festhielt. Paolo lag stumpf auf den
Polstern, rauchte und hüllte sich in Dampf, später
warf er sich auf den Teppich, sah ihr neugierig
aus seinen hellen Augen zu, hörte sie summen zu
der Guitarre, in die ihre Dienerin griff. Seine
Stimme wurde heller, sein Gang rascher. Und als
sie einmal auf dem Balkon standen, brach sie in
ein ungefüges Weinen aus; sie wollte wissen, was
es mit ihm sei, sie wollte ihm helfen. Er aber
nahm ihre beiden gelbweißen, heißen Hände, legte
sie auf seine Stirn, indem er die Worte eines frem-
den Gebets fliisterte; sie hing an seinem Hals,
während er entsetzt bebte und lauter sprach und
schrie, was sie nicht verstand. Schon war er
wieder still und safift, geleitete Miß Ilsebill in ihr
Zimmer. Und am Abend schlich sie sich, indessen
der Baron im Herrenflügel schlief, alleiri trotzig
und finster an die Tür des verschlossenen Zim-
mers, in das die Klippe hineinragte. Sie rüttelte an
dem Hoiz, sie stemmte sich seufzend mit der
Schulter an; das Schloß hielt fest. Da nahm sie
das goldene Kreuz vom Halse ab, flehte die Mut-
ter Gottes um Hilfe an, fand am Fuß der Tür einen
Riegel bloßliegen, schob ihn, den Finger einschla-
gend, in die Höhe, mit schwerer Mühe, so daß ihr
Arm schmerzte.
Lautlos sprang die Türe auf; Miß Ilse-
bill, die Zarte, in ein schwarzes Tuch ge-
schlagen, hob die Kerze: es war ein schmales,
freundliches Gemach, mit zärtlichem Frauentand
die Tischchen und Wände bedeckt; der rohe
zackige Felsen bildete die breite Hinterwand; er
schattete sonderbar in dem unsicheren Lichte; in
seiner Nische, über dem Boden, stand das grün-
bezogene Nachtlager, zu dem zwei Stufen führten.
Miß Ilsebill tänzelte freudig über den dicken Tep-
pich, warf ihr Tuch ab, sog den schwachen Blu-
mengeruch ein, zündete zwei Ampeln an und war
in dem heimlichsten Zimmer. Die griine, japa-
nische Seide hing von der Decke herab, Bilder
und Tapeten lächelten ruhevoll und sanft, auch die
sonderbare Klippe schimmerte wie ein spiele-
rischer, phantastischer Einfall. Sie legte leise die
Tür an, sprang auf das Lager, lag träumend stun-
denlang, schlüpfte frühmorgens wieder durch die
Korridore auf ihr Zimmer, nachdem sie das Licht
gelöscht, sorgfältig die schweren Riegel herabge-
schoben hatte. „War nichts geschehen, ist mir
nichts geschehen“ sagte sie glücklich vor sich hin;
glitt nun Nacht für Nacht hinüber in das Felsen-
zimmer, dort zu schlafen. Des Tags aber fand Miß
Ilsebill kein Ende des Piauderns, Singens und
Lockens vor dem versunkenen Manne. Aus ihren
tiefschwarzen, schlüpfenden Augen schlug öfter ein
greller Blick zu ihm, und ais sie einmal unter den
fünf raschelnden Schleiern vor ihm getanzt hatte
und er lachend iiber ihre tolien Sprünge ihre Hand-
gelenke hielt, warf sie ihre Schönheit vor ihm hin
und bettelte an seinem Hals: „Ich bin Ihr Eigen
Paolo.“ „Sind Sie das, Miß Ilsebill? Sind Säe
das?“ Und sein Biick war nicht grell und heiß,
sondern derart schwermutsvoll, fragend und ohne
Trost, daß sie von ihm abwich, die Schieier um
sich warf und aus dem Zimmer schlich. Er um-
gab sie aber mit so viel stiller Ehrfurcht, daß er
die blaßwangige Ilsebill ganz in staunendes Glück
versenkte.
Auf ihren Streifzügen durch die Wälder
trug der schwarze Ritter sie oft auf den Ar-
men und betete, manchmal in die starken Kniee
sinkend, in fremder zarter Sprache. Sie hob nie
die Lippen zu seinem Munde, nur selten nahm er
ihre gelbweißen Hände und preßte sie an seine
Stirn. Welche Kleider trug Ilsebill mit den feinen
Knöcheln? wieviel Zöpfe hingen aus ihrem blei-
schwarzen Haar? Grüne Kleider, wie die Seide
in dem Felsenzimmer trug Miß Ilsebill; griine Blät-
ter lagen auf ihrem Haare und waren eingeflochten
in drei dichten Zöpfen. Miß Ilsebii! und Paolo
spielten und jagten zusammen, sie saßen oft am
Meere, sie träumten zu zweit. Paolos Augen
sprühten.
Eines Mittags sagte sie ihm, daß sie ihn um
etwas bitten möchte. Und als Paolo freundlich
fragte, biß sie sich auf die Unterlippe und meinte,
daß fie ihm etwas sagen müsse. Ob es nicht zweck-
mäßig wäre, wenn sie einen Arzt kommen ließen
aus der Stadt; sie glaube, sie sei etwas krank.
Paolos Lippen wurden schneeweiß, er atmete
schwer mit geschlossenen Augen: was ihr denn
fehle. Sie höre immer, fast immer ein leises
Scharren. Es sei ein Geräusch, ganz weit ent-
fernt, ein gleichmäßiges Streifen, Rieseln und
Scharren, gleich als liefe ein Tier über Sand und
bliebe immer wieder schnaufend stehen. Es sei
so fein, daß es ihr oft wie ein Pfeifen klinge. Er
stand am Fenster und blies gegen die Scheibe, fuhr
mit rauher Stimme heraus, es sei kein Arzt Not,
bei solcher Krankheit; sie müsse sich zerstreuen;
sie müsse jagen, reisen; am besten, sie ginge fort
von hier. Da lachte Miß Ilsebill aus vollem Halse
und sagte, ihre beiden Pferde seien nur schwer
den Weg hierher gelaufen und jetzt, wo fände sie
Pferde, die sie zuriicktragen würden ohne ihn.
Der untersetzte Mann hatte sich umgedreht, seine
Stirn lag in Falten, sein mageres Gesicht glühte,
er klagte heiser: sie solle gehen, sie solle gehen,
sie solle gehen, er wolle sie doch nicht; er wolle
kein Weib und keinen Menschen und nichts; er
hasse sie alle, die höhnischen, sinnlosen Wesen;
sie solle gehen, o, sie solle gehen. Ein Messer
wolle er ihr gleich geben, damit solle sie sich ihre
Krankheit aus dem Herzen schälen. Wie Miß
IlsebiH mit schaukelnden Hüften auf ihn zuging,
kam er auf sie gewankt, taumelnd wie eih Kind,
sah sie an derart schwermutsvoll urtd ohne Trost,
daß sie sein Haar streichelte und in fesselloses
Schluchzen ausbrach, als er an ihrer Brust zit-
terte. Sie stellte keitie Frage an ihn; sie nahrri
heimlich einen Dolch von der Wand, versteckte ihn
unter ihrem Kleid.
Miß Ilsebill ging nun in ihrem dünnen
Kleid oft allein aus, sie streifte bis an die
Stadtmauer, brachte Paolo seltene Muscheln,
blaue Steine mit, aucn streng duftende Narzissen,
die er liebte. Und auf einem Wege sprach sie in
der Vorstadt einen aiten Bauern an, der erzählte,
der Baron habe sic.h mit Leib und Seele einem
bösen Untier verkauft. Das iäge aus Urzeiten auf
dem alten Meeresgruride, dort auf der Haide; in der
Klippe hause es und brauche alle paar Jahre einen
Menschen. Es klänge wie ein Märchen und sei
doch war. Wäre nicht bei den Frauen jetzt die
Unzucht und Gottlosigkeit so groß, so wäre der
arme Ritter längst befreit von dem Tier. —• Sie
hörte es mit Giück, denn sie wußte es schon lange.
Sie spieite auf ihrem Zimmer mit Eidechsen,
die sie fing. Als Paolo sie einmal unter Lächehi
klagen hörte, sie suche im Grunde nur nach dern
Tier, das so laut scharre und murre und raschelte,
raeinte er, er wolle einen Dichter einladen, den er
kenne in der Stadt, der solle sie mit Märchen und
seltsamen Geschiohten unterhalten. Es sei ein
seelenkundiger Mann.
Am nächsten Mittag spazierte über den brei-
ten Hauptweg der Dichter auf das Schloß; sie
saßen zudritt bei Tisch. Dann iud Paolo ihn ein,
den Arzt zu spielen bei Miß Ilsebill und ihre
Schwermut zu beheben; der.n es scheine ihm eine
Art Schwermut zu sein, was in ihr scharre und
raschele und sie zu verschlingen drohe. Der Dich-
ter sprach mit ihr auf ihrem Balkonzimmer; es
war ein schlanker, junger Mann mit Iangen Armeti
und mit freien Bewegungen. Er fuhr über sie mit
herrscherischen Blicken, sie lachten zusammen,
über ihre Bilder gebückt. Er bat sie, sie möchte
tanzen, als schon die Lust dazu in der Wilden
erwacht war; sie tanzten zusammen unter
einem Schleier, und Miß Ilsebill sprang mit ihm
auf den Balkon und lachte mit eirmal über das
Schloß und den Sumpf und die scharrenden Tiere.
Sie krümmte sich über das Eisengitter, schrie ihr
Gelächter über die dämmerige Haide hin. Wahn-
sinnig, ja wahnsinnig w'äre sie, eine Leiche bei
iebendigem Leibe. Mögen alle vorsintflutlichen
Drachen ausbrechen und Paoios Glück morden:
sie kenne nur ein Tier, das ausbrechen wolle, und
das sei sie selber. Sie streckte ihre runden Arme
über sich, rief das Meer an, sie wolle wieder fort,
sie wolle reisen und wandern und wolle immer
lieben und immer küssen. Und eh die Dunkelheit
einbrach, ging der Dichter fort; trällernd riß sie
ein grünes Blatt aus ihrem Haar und steckte es
zwischen seine Lippen.
Kaum war es finster im Schloß geworden, da
warf sich Miß Ilsebill ihr schwarzes Tuch um,
nahm noch mit glühenden Wangen eine Kerze in
die Hand und belud ihren linken Arm mit zwei
Scheiten Holz: sie wollte zum Schluß die Felsen-
kammer in Brand stecken und dann in Nacht und
Nebel verschwinden. Auf dem Meer wartetc
schon die Yacht, die der Dichter zur Flucht be-
sorgt hatte. Den dunklen Gang keuchte sie hin;
aus dem Dunklen, ihr entgegen, kamen Schritte.
Die Scheite ließ sie über die Kniee leise zu Boden
gleiten, es w'ar Paolo, der sie nicht fragte, ihre
Kerze sachte an den Boden stellte und sie zärtlich.
ohne zu sprechen, streichelte über Haar und Hände.
Die schwarzen Augen Miß Ilsebills schlüpften nicht
fort von seinen, die voll Teilnahme blickten und
einen erschreckenden Trost spendeten, schlüpften
nicht ab von der ruhigen Aufgeschlossenheit seines
heiteren Gesichts. Seine schräggestellten Augen
strahlten über sie gar eine Dankbarkeit, sein Mund
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lässig hinter dem Rudel her; schon waren zwei
Runden um, die Entscheidungsstrecke kam. Miß
Usebill ließ das Silberpapier iallen, stützte das
feste Kinn aui die Hand, jauchzte flber die ge-
bundene Ruhe des Pierdes. Sie waren dicht am
Ziel: da legte sich der blauweiße Jockey
vor an das Ohr des Pferdes, flüsterte „Kal-
vello, ho, Kalvello.“ Das Tier senkte den Kopf,
flog in vier Sprüngen hin, siegte. Sie strahlte.
Der Lärm der Menge rauschte über sie. Kaum
das Hürdenspringen voriiber war, stand sie auf
und lud den schweigenden Mann zu einer Spa-
zierfahrt mit ihr ein. Während sie durch die Wäl-
der im Süden der Stadt fuhren, sagte er, daß er
der Baron Paolo di Selvi sei, daß er durch sein
Geschick hierher verschlagen sei und drüben in
der Haide wohne. Sie erzählte, sie wäre Miß
Ilsebill; er hätte auf seinem Haideschloß drei
Frauen verloren, und sie trauere über sein Ge-
schick. Worauf er einen trüben Blick auf sie
warf, den grauen Kopf senkte; der Groom aber
riß die Schimmel herum; sie fuhren die Chaussee
zurück, auf den geraden Weg zur Haide. An der
Wendung zur Schloßallee verengerte sich der Weg.
Paolo nahm dem Kutscher die Leine ab. Die
Pferde sträubten sich. Er stieg aus und riß sie
vor. Unter Peitschenhieben zogen sie an, sie
schnaubten und wollten durchgehen, aber er hielt
die Leine straff.
Prunkend stand in der Wüstenei das graue
Schloß; über dem Dach des Damenflügels ragte die
Spitze einer weißen Klippe. Paolo saß aufrecht
im weichen Hut, eingefallen waren seine brau-
nen Wangen und seine Schläfen, seine schräg
gestellten grauen Augen blickten leer, nur sein
Mund war rund und weich und sehnsüchtig wie
immer. In der Dämmerung kamen sie vor sein
Haus. Am Portal gab er ihr zum Abschied die
Hand. Miß Ilsebill stieg aber aus und bat sich
bei ihm zu Gaste auf ein paar Tage; sie wollte ihn
pflegen und mit schöner Musik erheitern. Sie be-
zog die Zimmer des Damenfliigels.
Sie ritten morgens und mittags aus; IJsebill
sang und spielte vor ihm in den Gemächern. Sie
trug bunte und nixengrüne Gewänder; in ihren
Augen war ein weiches Schimmern, wenn sie auf
den Teppichen tanzte; ihr schwarzes Haar hatte
sie in Zöpfen gebunden, die sie mit den blitzen-
den Zähnen festhielt. Paolo lag stumpf auf den
Polstern, rauchte und hüllte sich in Dampf, später
warf er sich auf den Teppich, sah ihr neugierig
aus seinen hellen Augen zu, hörte sie summen zu
der Guitarre, in die ihre Dienerin griff. Seine
Stimme wurde heller, sein Gang rascher. Und als
sie einmal auf dem Balkon standen, brach sie in
ein ungefüges Weinen aus; sie wollte wissen, was
es mit ihm sei, sie wollte ihm helfen. Er aber
nahm ihre beiden gelbweißen, heißen Hände, legte
sie auf seine Stirn, indem er die Worte eines frem-
den Gebets fliisterte; sie hing an seinem Hals,
während er entsetzt bebte und lauter sprach und
schrie, was sie nicht verstand. Schon war er
wieder still und safift, geleitete Miß Ilsebill in ihr
Zimmer. Und am Abend schlich sie sich, indessen
der Baron im Herrenflügel schlief, alleiri trotzig
und finster an die Tür des verschlossenen Zim-
mers, in das die Klippe hineinragte. Sie rüttelte an
dem Hoiz, sie stemmte sich seufzend mit der
Schulter an; das Schloß hielt fest. Da nahm sie
das goldene Kreuz vom Halse ab, flehte die Mut-
ter Gottes um Hilfe an, fand am Fuß der Tür einen
Riegel bloßliegen, schob ihn, den Finger einschla-
gend, in die Höhe, mit schwerer Mühe, so daß ihr
Arm schmerzte.
Lautlos sprang die Türe auf; Miß Ilse-
bill, die Zarte, in ein schwarzes Tuch ge-
schlagen, hob die Kerze: es war ein schmales,
freundliches Gemach, mit zärtlichem Frauentand
die Tischchen und Wände bedeckt; der rohe
zackige Felsen bildete die breite Hinterwand; er
schattete sonderbar in dem unsicheren Lichte; in
seiner Nische, über dem Boden, stand das grün-
bezogene Nachtlager, zu dem zwei Stufen führten.
Miß Ilsebill tänzelte freudig über den dicken Tep-
pich, warf ihr Tuch ab, sog den schwachen Blu-
mengeruch ein, zündete zwei Ampeln an und war
in dem heimlichsten Zimmer. Die griine, japa-
nische Seide hing von der Decke herab, Bilder
und Tapeten lächelten ruhevoll und sanft, auch die
sonderbare Klippe schimmerte wie ein spiele-
rischer, phantastischer Einfall. Sie legte leise die
Tür an, sprang auf das Lager, lag träumend stun-
denlang, schlüpfte frühmorgens wieder durch die
Korridore auf ihr Zimmer, nachdem sie das Licht
gelöscht, sorgfältig die schweren Riegel herabge-
schoben hatte. „War nichts geschehen, ist mir
nichts geschehen“ sagte sie glücklich vor sich hin;
glitt nun Nacht für Nacht hinüber in das Felsen-
zimmer, dort zu schlafen. Des Tags aber fand Miß
Ilsebill kein Ende des Piauderns, Singens und
Lockens vor dem versunkenen Manne. Aus ihren
tiefschwarzen, schlüpfenden Augen schlug öfter ein
greller Blick zu ihm, und ais sie einmal unter den
fünf raschelnden Schleiern vor ihm getanzt hatte
und er lachend iiber ihre tolien Sprünge ihre Hand-
gelenke hielt, warf sie ihre Schönheit vor ihm hin
und bettelte an seinem Hals: „Ich bin Ihr Eigen
Paolo.“ „Sind Sie das, Miß Ilsebill? Sind Säe
das?“ Und sein Biick war nicht grell und heiß,
sondern derart schwermutsvoll, fragend und ohne
Trost, daß sie von ihm abwich, die Schieier um
sich warf und aus dem Zimmer schlich. Er um-
gab sie aber mit so viel stiller Ehrfurcht, daß er
die blaßwangige Ilsebill ganz in staunendes Glück
versenkte.
Auf ihren Streifzügen durch die Wälder
trug der schwarze Ritter sie oft auf den Ar-
men und betete, manchmal in die starken Kniee
sinkend, in fremder zarter Sprache. Sie hob nie
die Lippen zu seinem Munde, nur selten nahm er
ihre gelbweißen Hände und preßte sie an seine
Stirn. Welche Kleider trug Ilsebill mit den feinen
Knöcheln? wieviel Zöpfe hingen aus ihrem blei-
schwarzen Haar? Grüne Kleider, wie die Seide
in dem Felsenzimmer trug Miß Ilsebill; griine Blät-
ter lagen auf ihrem Haare und waren eingeflochten
in drei dichten Zöpfen. Miß Ilsebii! und Paolo
spielten und jagten zusammen, sie saßen oft am
Meere, sie träumten zu zweit. Paolos Augen
sprühten.
Eines Mittags sagte sie ihm, daß sie ihn um
etwas bitten möchte. Und als Paolo freundlich
fragte, biß sie sich auf die Unterlippe und meinte,
daß fie ihm etwas sagen müsse. Ob es nicht zweck-
mäßig wäre, wenn sie einen Arzt kommen ließen
aus der Stadt; sie glaube, sie sei etwas krank.
Paolos Lippen wurden schneeweiß, er atmete
schwer mit geschlossenen Augen: was ihr denn
fehle. Sie höre immer, fast immer ein leises
Scharren. Es sei ein Geräusch, ganz weit ent-
fernt, ein gleichmäßiges Streifen, Rieseln und
Scharren, gleich als liefe ein Tier über Sand und
bliebe immer wieder schnaufend stehen. Es sei
so fein, daß es ihr oft wie ein Pfeifen klinge. Er
stand am Fenster und blies gegen die Scheibe, fuhr
mit rauher Stimme heraus, es sei kein Arzt Not,
bei solcher Krankheit; sie müsse sich zerstreuen;
sie müsse jagen, reisen; am besten, sie ginge fort
von hier. Da lachte Miß Ilsebill aus vollem Halse
und sagte, ihre beiden Pferde seien nur schwer
den Weg hierher gelaufen und jetzt, wo fände sie
Pferde, die sie zuriicktragen würden ohne ihn.
Der untersetzte Mann hatte sich umgedreht, seine
Stirn lag in Falten, sein mageres Gesicht glühte,
er klagte heiser: sie solle gehen, sie solle gehen,
sie solle gehen, er wolle sie doch nicht; er wolle
kein Weib und keinen Menschen und nichts; er
hasse sie alle, die höhnischen, sinnlosen Wesen;
sie solle gehen, o, sie solle gehen. Ein Messer
wolle er ihr gleich geben, damit solle sie sich ihre
Krankheit aus dem Herzen schälen. Wie Miß
IlsebiH mit schaukelnden Hüften auf ihn zuging,
kam er auf sie gewankt, taumelnd wie eih Kind,
sah sie an derart schwermutsvoll urtd ohne Trost,
daß sie sein Haar streichelte und in fesselloses
Schluchzen ausbrach, als er an ihrer Brust zit-
terte. Sie stellte keitie Frage an ihn; sie nahrri
heimlich einen Dolch von der Wand, versteckte ihn
unter ihrem Kleid.
Miß Ilsebill ging nun in ihrem dünnen
Kleid oft allein aus, sie streifte bis an die
Stadtmauer, brachte Paolo seltene Muscheln,
blaue Steine mit, aucn streng duftende Narzissen,
die er liebte. Und auf einem Wege sprach sie in
der Vorstadt einen aiten Bauern an, der erzählte,
der Baron habe sic.h mit Leib und Seele einem
bösen Untier verkauft. Das iäge aus Urzeiten auf
dem alten Meeresgruride, dort auf der Haide; in der
Klippe hause es und brauche alle paar Jahre einen
Menschen. Es klänge wie ein Märchen und sei
doch war. Wäre nicht bei den Frauen jetzt die
Unzucht und Gottlosigkeit so groß, so wäre der
arme Ritter längst befreit von dem Tier. —• Sie
hörte es mit Giück, denn sie wußte es schon lange.
Sie spieite auf ihrem Zimmer mit Eidechsen,
die sie fing. Als Paolo sie einmal unter Lächehi
klagen hörte, sie suche im Grunde nur nach dern
Tier, das so laut scharre und murre und raschelte,
raeinte er, er wolle einen Dichter einladen, den er
kenne in der Stadt, der solle sie mit Märchen und
seltsamen Geschiohten unterhalten. Es sei ein
seelenkundiger Mann.
Am nächsten Mittag spazierte über den brei-
ten Hauptweg der Dichter auf das Schloß; sie
saßen zudritt bei Tisch. Dann iud Paolo ihn ein,
den Arzt zu spielen bei Miß Ilsebill und ihre
Schwermut zu beheben; der.n es scheine ihm eine
Art Schwermut zu sein, was in ihr scharre und
raschele und sie zu verschlingen drohe. Der Dich-
ter sprach mit ihr auf ihrem Balkonzimmer; es
war ein schlanker, junger Mann mit Iangen Armeti
und mit freien Bewegungen. Er fuhr über sie mit
herrscherischen Blicken, sie lachten zusammen,
über ihre Bilder gebückt. Er bat sie, sie möchte
tanzen, als schon die Lust dazu in der Wilden
erwacht war; sie tanzten zusammen unter
einem Schleier, und Miß Ilsebill sprang mit ihm
auf den Balkon und lachte mit eirmal über das
Schloß und den Sumpf und die scharrenden Tiere.
Sie krümmte sich über das Eisengitter, schrie ihr
Gelächter über die dämmerige Haide hin. Wahn-
sinnig, ja wahnsinnig w'äre sie, eine Leiche bei
iebendigem Leibe. Mögen alle vorsintflutlichen
Drachen ausbrechen und Paoios Glück morden:
sie kenne nur ein Tier, das ausbrechen wolle, und
das sei sie selber. Sie streckte ihre runden Arme
über sich, rief das Meer an, sie wolle wieder fort,
sie wolle reisen und wandern und wolle immer
lieben und immer küssen. Und eh die Dunkelheit
einbrach, ging der Dichter fort; trällernd riß sie
ein grünes Blatt aus ihrem Haar und steckte es
zwischen seine Lippen.
Kaum war es finster im Schloß geworden, da
warf sich Miß Ilsebill ihr schwarzes Tuch um,
nahm noch mit glühenden Wangen eine Kerze in
die Hand und belud ihren linken Arm mit zwei
Scheiten Holz: sie wollte zum Schluß die Felsen-
kammer in Brand stecken und dann in Nacht und
Nebel verschwinden. Auf dem Meer wartetc
schon die Yacht, die der Dichter zur Flucht be-
sorgt hatte. Den dunklen Gang keuchte sie hin;
aus dem Dunklen, ihr entgegen, kamen Schritte.
Die Scheite ließ sie über die Kniee leise zu Boden
gleiten, es w'ar Paolo, der sie nicht fragte, ihre
Kerze sachte an den Boden stellte und sie zärtlich.
ohne zu sprechen, streichelte über Haar und Hände.
Die schwarzen Augen Miß Ilsebills schlüpften nicht
fort von seinen, die voll Teilnahme blickten und
einen erschreckenden Trost spendeten, schlüpften
nicht ab von der ruhigen Aufgeschlossenheit seines
heiteren Gesichts. Seine schräggestellten Augen
strahlten über sie gar eine Dankbarkeit, sein Mund
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