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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 86 (November 1911)
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Hiller, Kurt: Gegen die Kleist-Stiftung
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Döblin, Alfred: Der Ritter Blaubart
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0241

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WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

JAHRGANG 1911 BERLIN NOVEMBER 1911 NUMMER 86

Inhalt* KURT HILLER: Gegen die Kleist-Stiftung / ALFRED DÖBLIN: Ritter Blaubart / ELSE LASKER-SCHULER: Briefe nach Norwegen /
tuuail. HANS GAUSE: Gedichte / OTTO RUNG: Der Vagabund / LOTHAR VON KUNOWSKI: Doktrinäre und Lehrmeister der Kunst /
TRUST: Malerei: Neue Sezession / E1 Greco / FERDINAND KISS: Der Pariser Korrespondent / FERDINAND HODLER: Männerfigur / Zeichnung

Gegen die Kleist-Stiftung

Schaffende haben es selten in sich, Geschäfte
zu niachen; dazu fehit ihnen die Muße; und das
Volk hinkt nach, läßt der Kunst erst Konsumenten
entstehn nach dern Ableben des Schöpfers, oder
doch nach seiner Kraftzeit. Darum wird in der
sozialen Aristokratie, die wir fordern, (der Schaf-
fende gilt ihr als höchster, als hegenswertester
Typns) „K.nlturpolitik" in der Art getricben, daß
Künstlern, denen es schlecht geht, der Staat Unter-
stützungen gewährt. (In der christlich-demokra-
tischen Sozietät von heute gewährt der Staat —
Kitschern Unterstützungen.) Auf der Insel Utopia
rnuß ein geniaies Statut Vorkehrungen enthalten,
die verhiiten, daß Unwürdigen solche Hilfe er-
wachse. Das Komitee, bei dem die Entscheidung
ruht, muß möglichst aus den Besten des Landes
zusainmengesetzt sein und auf eine komplizierte,
A^erknöcherung und Verkitschung annähernd aus-
schließende Weise sich erneuern.

ßis die soziale Aristokratie eingerichtet ist,
fällt die Aufgabe, das wenig gliickliche Verhältnis
zwischen Kunst und Brot zu bessern, privaten
Mäzenen zu. Gerad um die Wortkunst hat sich
das Gönnertum bisher kaum gekiimmert. Falls
daher die hundertste Wiederkehr des Todestages
Heinrichs von Kleist einige Edelmenschen zu einer
„Stiftung“ veranlassen würde, die „ringende poe-
tische Talente durch rechtzeitige Hilfe davor be-
wahren soll, im Lebenskampf unterzugehen,“ so
müßte man sicherlich dankbar frohlocken, ver-
gessend, daß ein T a 1 e n t nicht zu r i n g e n pflegt
und daß die Möglichkeit, jemanden davor zu be-
wahren, im Todeskampf unterzugehen, freilich
m i n i in a 1 ist. Was schadet am Ende ein schlech-
ter Aufruf, wenn er gut gemeint ist und w renn er
verheißt, durch Finanzierung der famosesten Ju-
gend die unheilvolle Macht der Mittelmäßigen zu
brechen! Gilt es einen Krieg zugunsten junger
Könner, mithin zum Tort der alten Schmieranten,
dann sieht ein Unsnob iiber die Formalitäten gern
hinweg. Aber was soll man äußern, wenn die
alten Schmieranten selber es sind, die zum Kampf
fiir Jugend und Genius blasen? Welche Attitüde
ist die richtige, wenn vor unsern Augen sich das
Schauspiei abspieit, daß — außer fünf, sechs litte-
rarisch honetten Leuten, deren Namen vielleicht
auf eine recht mühselige Methodc herbeigeschafft
worden sind das Kitschigste, Kindischste, Blö-

deste, Fadeste, Gefähriichste, Miserabelstc, Gehäs-
sigste und Kommunste, was Deutschlands Schrifttum
gegenwärtig aufzuweisen hat, durchaus die Pa-
rasitei der Literatur, sich zusammenfindet, utn,
als „Persönlichkeiten von iiteranschem Urteil, Le-
benserfahrung und vorurteilsloser Empfänglich-
keit,“ dariiber zu wachen, daß „nie wieder“ ein
„Genie unseres Voikes“ durch „Mitschuld einer
stumpfen Umgebung" „ein gleiches Schicksal“ er-
leide, wie es Kleist, „den Unvergleichlichen“, „mit
ungehemmter Rauheit erfaßt hat“? Fritz Fngel,
Otto Frnst, Ludwig Fulda, Rudolf Herzog. Alfred
Klaar, Hans Landsberg, John Lehmann, Paul Lin-
dau, Felix Lorenz, Rudolf Presber, Gabriele Reuter,
Paul Schlenther, Fritz Stahl, Hermann Sudermann,
F’edor von Zobeltitz - : ja, sind s i e es denn nicht
gewesen, die vor hundert Jahren Kleist in den
Tod getrieben haben? Sind sie es denn nicht,
die, durch ihre Fabrikate, die sie als Kunst aus-
schrein, durch il.re kritische Ahnungslosigkeit,
durch perfide Totschweigetaktik, durch ihr ein-
faches Vorhandensein, die Siegeszüge heraufstei-
gender Heroen wieder und wieder gräßlich hem-
men? Welch eine Heuchelei, wenn die Uebelsten
der Ueblen, wenn die Schädlingc, die jedem Guten,
Ehrlichen, Starken Platz, Liclit, Nahrung rauben,
jetzt sich geniebeschirmerisch in die Brust werfen!
Welch eine ohrfeigenwiirdige Jahrhundertsheuche-
ieiü Die Blattlaus will das Grünen schützen, und
das gefräßige Krokodil markiert die besorgte
Großmama.

Von den Repräsentanten der litterarischen Kul-
tur, jenen einzigen, denen man die Entscheidung
dariiber, ob ein Junger „die Bürgschaft eines be-
deutenden Könnens in sich trägt.“ allenfails anver-
trauen könnte, hat fast niemand den Aufruf unter-
schrieben. Also kennzeichnet sich die Sache als
ein Institut zur Förderung der Seichtheit, Behäbig-
keit, Süßlichkeit; der Spießerei und Plauderei und
talentierten Unursprünglichkeit; des Veriognen,
Mediokren, Inferioren; der Epigonie jener Unter-
zeichner; kurzum: des Kitschs. Herr Fritz Engei,
Prälude der Stiftung, ist folglich keineswegs auf
dem Holzweg, wenn er „unser werktätiges Bür-
gertum“, das an der „Dichtkunst in allen ihren
Arten“ sich „in erwünschten Feierstunden“ „er-
holt“ (— „erholt“!), zur Beteiligung an der Stif-
tung auffordert. Aber, daß dieses, der wirklichen

Kunst feindliche, Unternehmen seine- Niedrigkeit
und Widrigkeit mit dem Namen Kleist zu verdecken
sucht, ist eine Schweinerei, der unter allen Schwin-
deln die Krone gebiihrt, und aut die in einem Kul-
turstaat Zuchthaus stiinde.

Kurt Hiller

Der Ritter Blaubart

Von Alfred Döblln

Schluss

Frühmorgens rüstete man das Gespann; der
Groom stieg auf den Bock; auf dem Poister schau-
kelte Miß Ilsebill.

Die schnurgraden Alleen herunter sausten die
Wagen, die Automobile; sie ienkten in weitem
Bogen vor das Portal der Rennbahn. Der Himmel
war stahlblau, es wehte eine sommerliche Luft.
Die Menschen drängten auf die Rennbahn, sie fiill-
ten die Tribüne vor dem weiten, griinen Rasen;
der Lärm der Stimmen und Gefährte brauste,
ein Riesenvogei, iiber die leere Fläche.

Die Miß fuhr zuietzt, kurz vor dem Start, am
Sattelplatz vor. Zwei sanfte Schitnmel zogen den
offenen, blauausgeschlagenen Wagen durch den
knirschenden Sand. Sie stieg aus, im blauen wal-
lenden Samtkieide, eine weiße Feder wehte in den
bloßen Nacken; sie glitt durch die hölzerne Sperre
auf ihren Platz. Sie hatte eine gelb-weiße Haut,
ebenmäßige Züge. Ihre tiefschwarzen Augen
schlüpften zögernd über die Menschen und Gegen-
stände, wie ein schleitniger Schneckenleib, ließ eine
Spur. Sie saß iächelnd da und kaute Schokolade.

Baron Paolo lehnte an der Stange; er sah niit
Vergnügen die weißen Pferde antraben, hielt seinen
weichen Filzhut zum Schutz über die Augen. Als
die weiße Straußenfeder steii in dem Winde sich
aufstellte, ging er die vier Stufen der Treppe hin-
unter, schob sich seitiich durch die Menge und
trat vor Miß Ilsebill. Er hob die hohlen Hände wie
ein Araber auf; beugte seinen Nacken vor ihr.
Sie erschrak und lachte dann. Kalvello hieß der
 
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