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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 96 (Januar 1912)
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Walden, Herwarth: Die guten Freunde der Kunst
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Zech, Paul: Arbeiterkolonie, [2]
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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Scheerbart, Paul: Tempel und Paläste: Babylonische Hofnovellette
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0323

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uiKi griin schiagen und ihm orangefarbene Schen-
kel „ermoglichen"? Auf daß dieses Menscii ein-
sehe, daß Natur keine Kunst, und Kunst keine
Natur ist? Ohne die geringste Ahnung vom
Wesen der Kunst überhaupt zu besitzen, wagt
dieses Mensch nicht nur, ein Phdnomen wie Hod-
fer mit seinem iib.len Bieratem anzublasen. Er
besitzt auch noch die Frechheit zu behaupten, daß
„Leute, die geflissentlich Hodler als, einen Großen
preisen, selbst Betrogene oder kulturelle Betrüger
sind.“ Er besitzt. ferner sogar c|ie Frechheit, sich
auf den Berner Bundesrichter als Zeugen zu be-
rufen, dessen blöde dilettantischp Ausführungen ich
fcereits im Sturm zurückwies. Und nun zum
Schluß wird das Mensch noch pathetisch: „W i r
protestieren gegen ihn aus unserem guten Ge-
schmack heraus, protestieren im Namen der künst-
lerischen Vernunft. W i r verzichten auf soge-
nannte kiinstlerische Befruchtungen (gleich In-
fektionen) von perversen, weil impotenten, mit
anderen Worten also kranken Geistern.“ Dieser
Herr vom Janus hat nur e in Gesicht. Man sollte
ihm Ricinus geben, was gut gegen Verstopfung ist.
Man muß endlich einmal die Vornehmheit gegen
Proleten aufgeben. Und selbst die Kleinstadt
München liegt nicht weit genug entfernt, um
Hunde nicht zu treten, wenn sie auch rnir Re-
zensenten sind.

Trust

Arbeiterkolonie

Wie eine Insel ganz an der Küste
schwimmt die kleine Kolonie.

Nahe der äußeren Peripherie
drohn dunkel die Schachtgerüste.

Schmale Straßen blinken silbermetallen
und die Häuser, kalkübergraut,
sind alle nach einem Plan gebaut
und aneinandergereiht wie Korallen.

Wie etwas Weithergeschwemmtes ruht
Der Gartenklecks vor den Fensterfronten
mit den Rosen, den blaßversonnten.

Und wie ein Reicher, der viele Vermögen vertut,

reißen die dünnen Fontänen

das arme Wasser in tausend Strähnen

Paul Zecb

Briefe naeh Norwegen

Von Else Lasker-Schüler

. Lieber Herwarth, liebes Kurtchen, ich habe
»meine beiden Ringe verschenkt; es tut mir so leid,
aber ich habe mir einen großen, braunen Käfer aus
Glas in Messing fassen lassen; er sitzt auf meinem
Mjttelfinger wie auf einem kahlen Herbstast und
sehnt sich nach Sommer und Sonne, nach Blüten
und Silberblättern und wahrscheinlich nach einem
Glühwiirmchen.

Herwarth, wir sind nur auf dem Wege, das
Leben ist nur Weg, hat keine Ankunft, dervn es
kommt nicht woher. Wohin soll man da? Immer
in sich Zuflucht nehmen! Darum sind ia die Men-
schen so arm, ihre Herzen sind Asyle, sie fühlen
sich sicher in ihren geselligen Heimstätten. Wohin
soH man da? Mein Herz ist zerfallen; o, diese
Einsamkeit zwischen gebrochenen Säulen! Kennsf
Du ein iuxuriöses Herz — und wenn es aus Mar-
a»or iat?

Meine Lieben, ich bin sehr neugierig geworden;
ich beginne mich zu fragen, ob ich intellektuell bin
oder stumpf? Manchmal denk ich was, das geht
über meine Grenzen; über Eure Horizonte habe ich
wohl lange schon gedacht. Aber wo komme ich
hin, wenn ich über meinen Mauern und Zäunen
hänge, wo sich noch nicht Land vom Meer ge-
trennt hat? Wer wird mir Schöpfer seinü Werde
ich meinen Schöpfer lieben oder ihn anbeten in
Ehrfurcht?

Wenn ich ernstlich krank bin, dann hole ich
keinen Arzt, Herwarth, aber einen Astronomen, je-
denfalls einen Sterndeuter oder einen Fakir, meinet-
wegen einen Gaukler. Eher stellt „der“ fest, wie
weit mein Sternbiid Corpus von dem Sternbild
Psyche entferat ist, als der anerkannteste Pro-
fessor.

Herwarth, ich habe meine medizinische Arbeit
gedichtet (nicht geschrieben), idaruin werde |ich
wohl den Doktorhut bekommen, aber ihn nur CaM
neval aufsetzen dürfen.

Lieber Herwarth, ich habe im Berliner Tage-
blatt einen Ruf nach dem Simplizissimusmaler Lud-
wig Kainer und seiner Frau, der Malerin, ergehen
lassen. Beide sind plötzlich verschwunden. Icb
hänge aber eingeschlossen einigemale in ihrer Woh-
nung. Wie es mir gehn mag, meinen verschieden
aufgefaßten Ichs?

Kurtchen, steht üefängnis auf Schweinehund?
Oder Geldstrafe? Oder verjährt nach zwei Jahren
ein Schimpfwort, wie zum Beispiel Scbweinehund?
Ich habe vor zwei Jahren mal jemand so genannt;
ich möchte endlich von der Kette los.

lch muß manchmal an die Schwärmerin denken
vom Sylvester im Cafe des Westens. Sie kniete
vor mir (eine mir höchst unsympathische StellungX
aber sie kniete im Blut, denn der Wein inselte
unseren Tisch. Ich trug mein Kriegsgewand und
alle meine Dolche, und nie war ich so vornehm
der Prinz von Theben, wie an der Grenze zwischen
Alt und Neujahr. Ich habe der Schwärmerin
versprochen, nicht mehr Platt zu sprechen in mei-
ner norwegischen Korrespondenz; liegt auch im
Grunde nur Brüderschaft in der ollen Omgangs-
sprake twischen Pitter Boom on mek.

Tempel und Paläste

Babylonische Hofnovellette
von Paul Scheerbart

ln seinem Purpursaal saß der König Nabuku-
durussur auf einem breiten Diwan und hielt nach-
denklich einen silbernen Zirkel in der rechten
Hand. Braune Bärenfelle bedeckten den Diwan.
Aus hellblau glasierten Ziegeln bestand der Fuß-
boden. Und purpurrot gefärbte LeinWand hing in
vielen Falten an den Wänden. Auf großen Holz-
tischen standen viele kleine Baumodelle mit Ter-
rassenanlagen und Türmen, Gartenhäusern und
T reppenarrangements.

An den Wänden vor den Purpurfalten standen
die Baumeister des Königs, den die Griechen Ne-
bukadnezar nannten. In seinem großen Palaste
zu Babylon wurde der schlanke Konig immer kurz-
weg Nabukudu genannt.

Nabukudu trug hellbraunen Kaftan, aber der
war mit hellblauen, breiten Streifen kreuz und
quer besetzt. Goldene Armspangen mit Smarag-
den saßen an Handgelenken und am Oberarm,
dreifache Halskette mit zierlich gearbeiteten Rin-
gen, kleinen Löwen und geflügelten Sonnen und
mit vielen schwarzen und hellroten Perlen, dle

sehr unregelmäßig geformt waren, hing auf der
Brust, — dazu Sandalen aus rotem Leder -— und
hellbraune Haut — und langen Voilbart, der spitz
zuging — mit spiralig gekräuselten Schnecken
die auch im Haupthaar waren — besonders an den
Seiten — über den Ohren.

Und blitzende, pechschwarze Augen hatte der
König und eine ganz feine, schmale Nase — ieicht
gekrümmt. Die Nasenfliigel bebten sehr oft, denn
der Könäg war sehr leicht erregbar — und voll
hastiger, rascher Bewegungen, so daß der Kaftan
oft hin- und herflog. Dazu blitzten die Augen
immer wieder nach andrer Seite und setzten jetzt
auch die Baumeister in Erregung.

Auf sprang plötzlich der König und rannte zum
größten Holztisch und zeigte mit dem filbernen Zir-
kel auf Terrassenanlagen und sagte dazu liastig:

„Hier am Ufer des Euphrat will ich, daß das
Terrain in Terrassen heruntersteigt. Auf den Ter-
rassen spiegelglatte glasierte Ziegel — farbige.
ln der Mitte, wo die Terrassen höher sind, heli-
griine Ziegel — so wie Chrysolith miissen sie aus-
sehen — ich will Proben sehen. Geflügelte
Sphynxe in Hellbraun und Weiß an den Seiten.
Kein Baum und kein Strauch und auch keine Blu-
men — nur Architektur. Mein Palast soll vom
Wasser aus prächtig wirken. Alabasterstufen na-
tiirlich iiberall. Auf den dicht am Wasser liegen-
den Terrassen will ich ganz bunte Muster habeu
— bunt glasierte Ziegel auch da. Schafft Zeich-
nungen dazu auf Papyrus. Die Balustraden der
Terrassen ganz niedrig, damit von jeder Barke
aus mehrere Terrassen zu überschauen sind. Hier
auf diesem Hügel will ich ein kieines Gartenhaus
haben aus Miskau- und Tapranholz. Nach außen
zu Iauter Fenster mit geschnitzten Schlangen —
dahinter dichtes Drahtgitter. Auf dem Dach die
gefliigelte Sonne groß und breit in Gold. Die
Flügel roter und grüner Glasschmelz. Modell an-
fertigen. Unten am Hügel neben der Treppe alt-
babylonische Flügelsphinxe in Lapislazuli. Dieser
kann in Stiicken verwandt werden — über einern
Eisengestell — oder auch über einem Tonmodeli.
Genau nach den Vorlagen, die wir von dem Pa-
laste des Königs Assuruasirabal haben — mit fünf
Fiißen, damit Vorder- und Seitenansicht da ist.
Auf dem Hügel zwischen geschorenem Rasen
Streifen von roten Tulpen, die oben schmaler, wie
Stralilen nach oben gehen. Ihr habt mich wohl
verstanden? Jetzt geht und bringt mir bald die
Modelle. Ich bin sehr ungeduldig. Ich will jetzt
ins Freie.“

Er winkte init der Hand und rief ganz laut:

„Sänfte!“

Die Baumeister in schwarzem Kaftan, auf dem
hellgrüne Tuchstreifen aufgenäht waren, warfen
sich auf den Boden und berührten mit der Stirn
die hellblau glasierten Fliesen.

Zehn Eunuchen kamen mit der Sänfte, der
König warf seinen silbernen Zirkel auf seinen
Bärenpelz-Diwan und sprang in die Sänfte. Und
die Eunuchen trugen die Sämfte mit raschen
Schritten hinaus. Und draußen ging’s treppauf
und treppab über viele Terrassen und Dachgärten
hinweg — dem großen Strome zu.

Und als der Euphrat breit und groß sichtbar
wurde, rief der König:

„Ah! Ah! Halt!“

Und er sprang aus der Sänfte raus und sprang
mit hastigen Schritten einem Säulengange zu, der
ganz hoch in einer Ebene grade zum Strome hin-
führte.

Am Ende des Säulenganges war eine breite
Balustrade, vor der warf sich der König nieder
und berührte dreimal mit der Stirn den Alabaster-
boden. Dann hob er die Hände hoch empor,
blickte lange in das große, breite, blaue Wasser,
in dem sich der blaue Himmel spiegelte, und
flüsterte dann:

„Marduk, Gewaltiger! Ninip, Lichtgott! Ich
danke Euch, daß Ihr mir die Kraft gabt, Euch
Tempel zu bauen. Damit hat doch mein Leben
 
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