tigkeit der Erscheinungen: darin lag der Sinn,
darin lag die Notwendigkeit, darin lag die My-
stik dieser Kunst. Ihr natürliches Elemente war
die * Synthese, um die wir heute wieder ringen,
nachdem wir uns an jener Vieldeutigkeit ermü-
det haben.
Wir können uns gewiss heute nicht künst-
lich auf das Niveau des primitiven Menschen zu-
rückschrauben, aber was heute unterirdisch in
uns drängt, das ist doch schliesslich eine Reak-
tion nicht nur auf dem Impressionismus, son-
dern auf die ganze vorhergehende Entwicklung,
in der wir seit der europäischen Renaissance
stehen und deren Ausgangspunkt und Richtung
durch Burckhardts iapidares Wort von der Ent-
deckung des Individuums umfassend bezeichnet
wird. Der grosse äussere Erkenntnisreichtum der
vergangenen Epoche hat uns arm zurückgelassen
und aus diesern Armutsgefühl heraus stellen wir
heute wieder bewusst Forderungen an die Kunst,
die sich mit denen etwa decken, die der primi-
tive Mensch naiv an sie steLlt. Wir wollen!
wieder eine Suggestionskraft dcr Kunst, diestär-
ker ist als die Suggestionskraft jenes höheren
und kultivierten Illusionismus, der seit der Re-
naissance das Schicksal unserer Kunst ist. Um
das zu erreichen, versuchen wir uns zu eman-
zipieren von jenem Rationalismus des Sehens,
der dem gebildeten Europa als das n a t ü r -
I i c h e Sehen erscheint und an dem man sich
nicht versündigen darf, wenn man nicht als kom-
pletter Narr hingestellt werden will. Um das zu
erreichen, zwkigen wir uns zu jener primitiven
— durch kein Wissen und keine Erfahrung ge-
brochenen — Art des Sehens, die das schlichte
Geheimnis der mytischen Wirkung primitiver
Kunst ist. Den äusseren Symbolismus, wie er
als nationale Eigentümlichkeit gerade der deut-
schen Kunst gepriesen wird, ihn wollen wir in
das innerste Innere des Kunstwerks zurückdrän-
gen, damit er von hier mit elementarer Not-
wendigkeit ausstrahlt, befreit von jedem Dualis-
mus von Form und Inhalt. Kurz, die primi-
tive Art des Sehens, zu der wir uns zwingen,
ist nur ein Mittel, den letzten elementaren Wir-
kungsmöglichkeiten der Kunst nahe zu kommen.
So wie Faust zu den Müttern, so wagen wir
es, in das Reich der noch unartikulierten For-
derung hinabzusteigen, um mit einer neuen, mit
elementaren Wirkungskräften gesättigten Form
wieder an die Oberfläche zu kommen. Das ist
der Sinn des „willkürlichen snobistischen Archa-
ismus“, das ist der Sinn der „Primitivitäts-
und Originalitätshascherei“, die man den neuen
Kunstbestrebungen vorwirft.
Dem Entwicklungsgeschichtlich-Denkenden ist
solches Zurückgehen auf frühere elementare Ent-
wicklungsstufen, solches Kraftschöpfen aus den
konzentrierteren Kraftreservoirs der Vetrgangen-
heit nichts Neues. Es ist ihm nur die Wieder-
holung einer fast gesetzmässigen Entwicklungs-
erscheinung. Nur die Pendelweiten wechseln.
Und es ist nur das beste Zeichen für die Stärke
und die Sehnsucht unserer Zeit, dass der Pen-
delschlag nun soweit ausholt und dass er zu-
rückgeht auf das Letzte und Elementarste, von
dem uns bisher der Hochmut unserer europä-
isch-klassischen Befangenheit und die Kurzsichfig-
keit unseres europäischen Erwachsenenstandpunk-
tes trennten. Man geht auf elementarere Ent-
wicklungsstufen zurück, weil man hofft, damit
der Natur wieder näher zu kommen. Und, die
vielbelächelte und vielverhöhnte Unnatur derneu-
en Bildungen, sie ist schliesslich nichts anderes,
als das Resultat eines solchen Zurückgehens auf
die Natur, allerdings auf eine Natur, die noch
nicht durch die rationalistische Opük europäischer
Bildung durchfiltriert worden ist, und von de-
ren keuscher Unberührtheit und symbolischer
Wirkungskraft der Durchschnittseuropäer nichts
wissen kann.
Aus solchen Ueberlegungen heraus erwächst
uns das Bewussfsein der entwicklungsgeschicht-
lichen Notwendigkeit der neuen Bewegung, die
uns zu so entschlossener prinzipieller Parteinah-
me drängt. Der grosse Sinn dieser Bewegung
kann auch durch kleine und irritierende Erschei-
nungsformen, wie sie naturgemäss mitunterlaufen,
nicht diskreditiert werden. Und letzten Grundes
ist es das Zukünftige, um dessentwillen wir das
Gegenwärtige pflegen. Denn diese modeme Pri-
mitivität, sie soll ja kein endgiiltiges Stadium
sein. Der Pendelschlag bleibt nicht an dem äu-
ssersten Punkte stehen. Diese Primitivität soll
vielmehr nur ein grosses, langes Atemholen sein,
bevor das neue und entscheide Wort der Zu-
kunft ausgesprochen wird. Was vorläufig noch
unartikulierte Laute sind, aus ihnen wird sich
das klare Wort herausringen, und wie stark kann
diese Zukunftskunst werden, die nach der Ver-
arbeitung der elementarsten und mächtigsten For-
mensprache sich wieder zur engeren Tradition
und damit wieder zu sich selbst zurückfindet.
Um dieser Zukunftshoffnung willen lassen wir
uns gerne als verstiegene urteilsunfähige The-
oretiker und als betrogene Betrüger ansehen. Von
solchen entwicklungsgeschichtlichen Blickweiten
umfangen, entrücken wir allerdings der engen
Sphäre, in der ein Herr Vinnen über deutsche
und französische Kunst streitet und uns mit
Markstatistiken überzeugen will.
Drum nur zwei Worte zur nationalen Sei-
te der Frage. Wer um sein Deutschtum wirk-
lich Bescheid weiss, wer vor allem die Ent-
wicklungsgeschichte der deutschen Kunst kennt,
der weiss, dass es uns mit unserer angeborenen
Problematik und mit unserer angeborenen sinn-
lichen Instinktunsicherheit nicht gegeben ist, den
direkten Weg zu einer eigenen Form zu finden,
der weiss, dass wir das Stichwort immer erst
von draussen empfingen, der weiss, dass wir
uns immer erst aufgeben und verlieren mussten,
um unser eigentliches Selbst zu finden. Das
ist von Dürer bis Marees die Tragik und die
Grösse der deutschen Kunst, und es heisst un-
sere eigentliche nationale Tradition verleugnen,
wer unsere Kunst von der Auseinandersetzung
mit anderen Kunstwelten abschneiden will. Nur
für eine ganz kindliche und psychologisch un-
reife Auffassung bedeutet diese Konstatierung der
Unselbständigkeit eine Herabsetzung unserer
Kunst; Mir ist das Schauspiel dieser Auseinan-
dersetzung und dieser sehnsüchtigen Ausweitung
der eigenen Enge immer das Erhebendste an
der deutschen Kunstentwicklung gewesen, und
ich möchte diese Tragik, diese Problematik in
ihr nicht missen, denn sie gab der deutschen
Kunst ihre eigene Dynamik.
Eine kurze Bemerkung noch zu dem äusse-
ren Anlass der ganzen Diskussion: zur Stel-
lungnahme unserer Museumsleiter zu der neuen
Bewegung. Das Problem für sie ist kurz for-
muliert, folgendes: sollen sie nur gute Bilder
kaufen, das heisst gute im Sinne des herrschen-
den Durchschnittsgeschmacks,- oder sollen sie hier
und da diese relative Güte opfern zugunsten des
Entwicklungsgeschichtlich-Bedeutsamen, aber noch
nicht durch den Mehrheitsgeschmack Sanktionier-
ten? Die Frage wird für unsere Museen jetzt
erst akut, weil sie selbst vor eine Entwicklungs-
krise gekommen sind tmd sich über den Weg
entscheiden müssen. Entstanden sind sie als Lu-
xusinstitute fürstliche Höfe: Wagelust und Pro-
paganda lag ihnen naturgemäss fern. Sollen sie
diesen reifen, kulturgesättigten, rückwärtsgewand-
ten Luxuscharakter behalten oder wollen sie sich
den Rhythmus der Zeit anpassen und aus ei-
nem toten Herbarium zu einer Sammlung des
Lebendigen werden? Sollen sie nur Geschichte
registrieren oder sollen sie selbst Geschichte
machen
Ich denke, die Generationen nach uns wer-
den von unseren Museen nicht nur wissen wol-
len, welches die Durchschnittsphysiognomie un-
serer Zeit war, sie werden vielmehr die Ent-
wicklungsgänge kennen lernen wollen, die sich
jenseits dieser Durchschnittsphysiognomie abspiel-
ten und die vielleicht gerade die feinsten und
entscheidensten waren. Und die werden sie nur
kennen lernen, wenn ihnen jene Experimente zur
Gewinnung einer neuen elementaren Formen-
sprache erhalten werden, von denen hier die Re-
de ist. Mögen diese Experimente zu einem po-
sitiven Ziele führen oder mögen sie sich als ein
nufzloser Kraftaufwand herausstellen in ihnen hat
ein wertvolles Stück des eigentlichen inneren
Lebens unserer Zeit gelebt, und darum gehört
ihnen auch ein Platz in unseren Museen: ein
Platz nicht vor, wohl aber neben den unproble-
matischen Kunsterzeugnisse'n, die, wie gesagt,
nur die Durchschnittsphysiognomie unserer Epo-
che wiederspiegeln können und darum manches
Feine und Beste verschweigen müssen. Auch
verfehlte Experimente haben ihren Lebenswert
und ihre entwicklungsgeschichtliche Bedeutung.
Dieser Beitrag ist der Broschüre ,,Die Antwort auf den Protest deut-
scher Künstler“, verlegt boi R. Piper & Co., München, entnommen.
Romantik und
Stimmung
Von Samuel Lublinski
I
Dass die Dame Romantik ein sehr bizarres,
grillenhaftes und launisches Geschöpf ist, erfährt
keiner gründlicher, als so ein armer Aesthetiker,
der sie auf eine wissenschaftliche Formel bringen
möchte. Wenn sie ihm einmal Rede und Ant-
wort steht und scheinbar ihr innerstes Wesen
offenbart, dann stösst er auf so schillernde rät-
selhafte Widersprüche, dass er an einer recht-
schaffenen Definition verzweifeln könnte.
Und doch gebrauchte der Volksmund diesen
Ausdruck „romantisch“ immer in einem sehr
klaren Sinn, der auch heute seine Geltung nicht
verloren hat. Das Romantische ist das ausserge-
wöhnliche, etwas, das in sehr grellem Wider-
spruch zu unserer alltäglichen Umgebung steht:
das Phantastische, Extravagante und Erhabene
im -Gegensatz zur bürgerlichen Welt. Und diese
Phantastik wird vom Volk nicht nur eben
als romantisch empfunden, sondem vor allem
auch als „poetisch“ — Romantik und Poesie
sind gleichbedeutende Begriffe für diese ArtBe-
trachtung. Das Dichterische wird nicht in der
reinen und gesteigerten Form der Dinge selbst
erkannt, sondem es ist ein Darüber und Ausser-
halb, der schroffste Gegenpol zur realen Welt.
Ein Zigeuner ist romantisch oder ein Räuber,
und es erscheint als ein Sakrilegium, wenn man
einen biederen Mitbürger poetisch zu gestalten
wagt.
Diese sehr primitive Auffassung von der Poe-
sie bestimmte ursprünglich ganz allein den Be-
griff Romantik, der in dem Sinn von weltfremd-
598
darin lag die Notwendigkeit, darin lag die My-
stik dieser Kunst. Ihr natürliches Elemente war
die * Synthese, um die wir heute wieder ringen,
nachdem wir uns an jener Vieldeutigkeit ermü-
det haben.
Wir können uns gewiss heute nicht künst-
lich auf das Niveau des primitiven Menschen zu-
rückschrauben, aber was heute unterirdisch in
uns drängt, das ist doch schliesslich eine Reak-
tion nicht nur auf dem Impressionismus, son-
dern auf die ganze vorhergehende Entwicklung,
in der wir seit der europäischen Renaissance
stehen und deren Ausgangspunkt und Richtung
durch Burckhardts iapidares Wort von der Ent-
deckung des Individuums umfassend bezeichnet
wird. Der grosse äussere Erkenntnisreichtum der
vergangenen Epoche hat uns arm zurückgelassen
und aus diesern Armutsgefühl heraus stellen wir
heute wieder bewusst Forderungen an die Kunst,
die sich mit denen etwa decken, die der primi-
tive Mensch naiv an sie steLlt. Wir wollen!
wieder eine Suggestionskraft dcr Kunst, diestär-
ker ist als die Suggestionskraft jenes höheren
und kultivierten Illusionismus, der seit der Re-
naissance das Schicksal unserer Kunst ist. Um
das zu erreichen, versuchen wir uns zu eman-
zipieren von jenem Rationalismus des Sehens,
der dem gebildeten Europa als das n a t ü r -
I i c h e Sehen erscheint und an dem man sich
nicht versündigen darf, wenn man nicht als kom-
pletter Narr hingestellt werden will. Um das zu
erreichen, zwkigen wir uns zu jener primitiven
— durch kein Wissen und keine Erfahrung ge-
brochenen — Art des Sehens, die das schlichte
Geheimnis der mytischen Wirkung primitiver
Kunst ist. Den äusseren Symbolismus, wie er
als nationale Eigentümlichkeit gerade der deut-
schen Kunst gepriesen wird, ihn wollen wir in
das innerste Innere des Kunstwerks zurückdrän-
gen, damit er von hier mit elementarer Not-
wendigkeit ausstrahlt, befreit von jedem Dualis-
mus von Form und Inhalt. Kurz, die primi-
tive Art des Sehens, zu der wir uns zwingen,
ist nur ein Mittel, den letzten elementaren Wir-
kungsmöglichkeiten der Kunst nahe zu kommen.
So wie Faust zu den Müttern, so wagen wir
es, in das Reich der noch unartikulierten For-
derung hinabzusteigen, um mit einer neuen, mit
elementaren Wirkungskräften gesättigten Form
wieder an die Oberfläche zu kommen. Das ist
der Sinn des „willkürlichen snobistischen Archa-
ismus“, das ist der Sinn der „Primitivitäts-
und Originalitätshascherei“, die man den neuen
Kunstbestrebungen vorwirft.
Dem Entwicklungsgeschichtlich-Denkenden ist
solches Zurückgehen auf frühere elementare Ent-
wicklungsstufen, solches Kraftschöpfen aus den
konzentrierteren Kraftreservoirs der Vetrgangen-
heit nichts Neues. Es ist ihm nur die Wieder-
holung einer fast gesetzmässigen Entwicklungs-
erscheinung. Nur die Pendelweiten wechseln.
Und es ist nur das beste Zeichen für die Stärke
und die Sehnsucht unserer Zeit, dass der Pen-
delschlag nun soweit ausholt und dass er zu-
rückgeht auf das Letzte und Elementarste, von
dem uns bisher der Hochmut unserer europä-
isch-klassischen Befangenheit und die Kurzsichfig-
keit unseres europäischen Erwachsenenstandpunk-
tes trennten. Man geht auf elementarere Ent-
wicklungsstufen zurück, weil man hofft, damit
der Natur wieder näher zu kommen. Und, die
vielbelächelte und vielverhöhnte Unnatur derneu-
en Bildungen, sie ist schliesslich nichts anderes,
als das Resultat eines solchen Zurückgehens auf
die Natur, allerdings auf eine Natur, die noch
nicht durch die rationalistische Opük europäischer
Bildung durchfiltriert worden ist, und von de-
ren keuscher Unberührtheit und symbolischer
Wirkungskraft der Durchschnittseuropäer nichts
wissen kann.
Aus solchen Ueberlegungen heraus erwächst
uns das Bewussfsein der entwicklungsgeschicht-
lichen Notwendigkeit der neuen Bewegung, die
uns zu so entschlossener prinzipieller Parteinah-
me drängt. Der grosse Sinn dieser Bewegung
kann auch durch kleine und irritierende Erschei-
nungsformen, wie sie naturgemäss mitunterlaufen,
nicht diskreditiert werden. Und letzten Grundes
ist es das Zukünftige, um dessentwillen wir das
Gegenwärtige pflegen. Denn diese modeme Pri-
mitivität, sie soll ja kein endgiiltiges Stadium
sein. Der Pendelschlag bleibt nicht an dem äu-
ssersten Punkte stehen. Diese Primitivität soll
vielmehr nur ein grosses, langes Atemholen sein,
bevor das neue und entscheide Wort der Zu-
kunft ausgesprochen wird. Was vorläufig noch
unartikulierte Laute sind, aus ihnen wird sich
das klare Wort herausringen, und wie stark kann
diese Zukunftskunst werden, die nach der Ver-
arbeitung der elementarsten und mächtigsten For-
mensprache sich wieder zur engeren Tradition
und damit wieder zu sich selbst zurückfindet.
Um dieser Zukunftshoffnung willen lassen wir
uns gerne als verstiegene urteilsunfähige The-
oretiker und als betrogene Betrüger ansehen. Von
solchen entwicklungsgeschichtlichen Blickweiten
umfangen, entrücken wir allerdings der engen
Sphäre, in der ein Herr Vinnen über deutsche
und französische Kunst streitet und uns mit
Markstatistiken überzeugen will.
Drum nur zwei Worte zur nationalen Sei-
te der Frage. Wer um sein Deutschtum wirk-
lich Bescheid weiss, wer vor allem die Ent-
wicklungsgeschichte der deutschen Kunst kennt,
der weiss, dass es uns mit unserer angeborenen
Problematik und mit unserer angeborenen sinn-
lichen Instinktunsicherheit nicht gegeben ist, den
direkten Weg zu einer eigenen Form zu finden,
der weiss, dass wir das Stichwort immer erst
von draussen empfingen, der weiss, dass wir
uns immer erst aufgeben und verlieren mussten,
um unser eigentliches Selbst zu finden. Das
ist von Dürer bis Marees die Tragik und die
Grösse der deutschen Kunst, und es heisst un-
sere eigentliche nationale Tradition verleugnen,
wer unsere Kunst von der Auseinandersetzung
mit anderen Kunstwelten abschneiden will. Nur
für eine ganz kindliche und psychologisch un-
reife Auffassung bedeutet diese Konstatierung der
Unselbständigkeit eine Herabsetzung unserer
Kunst; Mir ist das Schauspiel dieser Auseinan-
dersetzung und dieser sehnsüchtigen Ausweitung
der eigenen Enge immer das Erhebendste an
der deutschen Kunstentwicklung gewesen, und
ich möchte diese Tragik, diese Problematik in
ihr nicht missen, denn sie gab der deutschen
Kunst ihre eigene Dynamik.
Eine kurze Bemerkung noch zu dem äusse-
ren Anlass der ganzen Diskussion: zur Stel-
lungnahme unserer Museumsleiter zu der neuen
Bewegung. Das Problem für sie ist kurz for-
muliert, folgendes: sollen sie nur gute Bilder
kaufen, das heisst gute im Sinne des herrschen-
den Durchschnittsgeschmacks,- oder sollen sie hier
und da diese relative Güte opfern zugunsten des
Entwicklungsgeschichtlich-Bedeutsamen, aber noch
nicht durch den Mehrheitsgeschmack Sanktionier-
ten? Die Frage wird für unsere Museen jetzt
erst akut, weil sie selbst vor eine Entwicklungs-
krise gekommen sind tmd sich über den Weg
entscheiden müssen. Entstanden sind sie als Lu-
xusinstitute fürstliche Höfe: Wagelust und Pro-
paganda lag ihnen naturgemäss fern. Sollen sie
diesen reifen, kulturgesättigten, rückwärtsgewand-
ten Luxuscharakter behalten oder wollen sie sich
den Rhythmus der Zeit anpassen und aus ei-
nem toten Herbarium zu einer Sammlung des
Lebendigen werden? Sollen sie nur Geschichte
registrieren oder sollen sie selbst Geschichte
machen
Ich denke, die Generationen nach uns wer-
den von unseren Museen nicht nur wissen wol-
len, welches die Durchschnittsphysiognomie un-
serer Zeit war, sie werden vielmehr die Ent-
wicklungsgänge kennen lernen wollen, die sich
jenseits dieser Durchschnittsphysiognomie abspiel-
ten und die vielleicht gerade die feinsten und
entscheidensten waren. Und die werden sie nur
kennen lernen, wenn ihnen jene Experimente zur
Gewinnung einer neuen elementaren Formen-
sprache erhalten werden, von denen hier die Re-
de ist. Mögen diese Experimente zu einem po-
sitiven Ziele führen oder mögen sie sich als ein
nufzloser Kraftaufwand herausstellen in ihnen hat
ein wertvolles Stück des eigentlichen inneren
Lebens unserer Zeit gelebt, und darum gehört
ihnen auch ein Platz in unseren Museen: ein
Platz nicht vor, wohl aber neben den unproble-
matischen Kunsterzeugnisse'n, die, wie gesagt,
nur die Durchschnittsphysiognomie unserer Epo-
che wiederspiegeln können und darum manches
Feine und Beste verschweigen müssen. Auch
verfehlte Experimente haben ihren Lebenswert
und ihre entwicklungsgeschichtliche Bedeutung.
Dieser Beitrag ist der Broschüre ,,Die Antwort auf den Protest deut-
scher Künstler“, verlegt boi R. Piper & Co., München, entnommen.
Romantik und
Stimmung
Von Samuel Lublinski
I
Dass die Dame Romantik ein sehr bizarres,
grillenhaftes und launisches Geschöpf ist, erfährt
keiner gründlicher, als so ein armer Aesthetiker,
der sie auf eine wissenschaftliche Formel bringen
möchte. Wenn sie ihm einmal Rede und Ant-
wort steht und scheinbar ihr innerstes Wesen
offenbart, dann stösst er auf so schillernde rät-
selhafte Widersprüche, dass er an einer recht-
schaffenen Definition verzweifeln könnte.
Und doch gebrauchte der Volksmund diesen
Ausdruck „romantisch“ immer in einem sehr
klaren Sinn, der auch heute seine Geltung nicht
verloren hat. Das Romantische ist das ausserge-
wöhnliche, etwas, das in sehr grellem Wider-
spruch zu unserer alltäglichen Umgebung steht:
das Phantastische, Extravagante und Erhabene
im -Gegensatz zur bürgerlichen Welt. Und diese
Phantastik wird vom Volk nicht nur eben
als romantisch empfunden, sondem vor allem
auch als „poetisch“ — Romantik und Poesie
sind gleichbedeutende Begriffe für diese ArtBe-
trachtung. Das Dichterische wird nicht in der
reinen und gesteigerten Form der Dinge selbst
erkannt, sondem es ist ein Darüber und Ausser-
halb, der schroffste Gegenpol zur realen Welt.
Ein Zigeuner ist romantisch oder ein Räuber,
und es erscheint als ein Sakrilegium, wenn man
einen biederen Mitbürger poetisch zu gestalten
wagt.
Diese sehr primitive Auffassung von der Poe-
sie bestimmte ursprünglich ganz allein den Be-
griff Romantik, der in dem Sinn von weltfremd-
598