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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 99 (Februar 1912)
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Von der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0345

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Umfang acht Seiten

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE


Redaktion und Verlag: Berlin W. 9 / Potsdamerstrasse 18
Fernsprecher Amt Lützow 4443 / Anzeigen-Annahme
:-: durch den Verlag und sämtliche Annoncenbureaus


Herausgeber und Schriftleiter:

HERWARTH WALDEN


Vierteljahrsbezug 1,50 Mark / Halbjahresbezug 3,— Mark /
Jahresbezug 6,— Mark / bei freier Zustellung / Insertions-
preis für die fiinfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig

JAHRGANG 1912


BERLIN FEBRUAR 1912


NUMMER 99

iDhäll* TRUST: Von der Kunst: Der Wert des Unmodernen / Die kranke dcutsche Kunst / ELSE LASKER-SCHÜLER: Briefe nach Norwegen /
A.LFRED DÖBLIN: Der schwarze Vorhang / Roman / Fortsetzung / GÜNTHER MÜRR: Hamburg / PETER ALTENBERG: Replik f
ERNST BLASS: Gedichte / HERRMANN KOCH: Todesdelier / RICHTER-BERLIN: Die Briistung / Originalholzschnitt

Von der Kunst

Der Wert des Unmodernen

Dem Doktor Leopold Schmidt wird es inanch-
mal in seinem Kritikeraint ängstlich zu Mute. Er
hat es zwar von Rudolf Mosse hekommen und er
besitzt infolgedessen auch den Verstand. Manch-
mal scheint er doch zu glauben, daß der Verstand
der Verständigen zur Kunstwertung nicht aus-
reicht. Er greift dann in die Saiten seiner Seele,
die dann recht verstimmt klingt. Soll der Mensch
nun für oder gegen die Moderne sein. Diese Frage
wird am besten philosophisch beantwortet. Herr
Doktor Schmidt meint, daß das Neue in der Musik
sich nicht mehr beklagen kann, daß es nicht ge-
nügend gehört und beachtet wird. Eher könnte
man sogar von einer kritiklosen Ueberschätzung
sprechen. Herr Doktor Schmidt meint ferner, daß
die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte u n s vor-
sichtiger und weitherziger haben werden lassen.
„Wie anders war das vor zwanzig, dreißig Jahren.
Trotzdem glaubt Herr Schmidt, der das gute Neue
nie erkannt und auf das schlechte Neue stets hin-
eingefallen ist, die Zeit gekommen, um vor der
Moderne zu warnen, und den Anschluß nacli Rechts
zu suchen. Er wünscht die „Fühlung“, uin die ohne-
hin so oft bedrohten reinen ungetrübten Freuden
aus unseren Konzertsälen nicht gänzlich auszu-
schalten. „Nachdem durch die rühmenswerte
Energie von Theodor Wolff das Berliner Tage-
blatt endlich den Anschluß nach Links gefunden
hat, drängt Herr Schmidt mit national-liberaler
Angst nach Rechts. Es ist schlimm, wenn die
Musikkritiker zu politisieren anfangen. Noch
schlimmer, wenn sie ihr politisches Miitchen an
der Musik kiihlen. Und am schlimmsten, wenn
sie sich „am Abglanz längst vergangener Tage
sonnen. Herr Schmidt fiihlte sich nämlich im letz-
ten Mikischkonzert sehr heimisch, weil dort eine
Symphonie von Robert Volkmann erklang. Qerade
solche Werke, die keinen Gipfelpunkt bezeichnem
und doch vornehmste und meisterlichste Kunst
sind, verfalien nur zu leicht ungerechter Verges-
senheit. Auf sie sollte man viel öfter zurück-
greifen, und dafür lieber soviel anderes, Minder-
wertiges, das wir mit anhören müssen, beiseite
lassen.“

Ebenso heimisch fühlte sich Herr Schmidt,
„als Joachims Konzert in ungarischer Weise an
unser Ohr schlug und die Erinnerung an unver-
geßliche Eindrücke erweckte. Wie oft habe ich
das Werk von dem Meister selber gehört, dessen
schöpferische Potenz sich hier so glücklich offen-

bart.“ Die schöpferische Potenz von Joachim
muß man sich schon um die Ohren schlagen lassen,
damit sie sich so giücklich offenbart. Und die
meisteriichste Kunst des Herrn Volkmann kann
zwar als Abglanz iängst vergangener Tage iiber-
haupt nicht. erklingen, aber auch nicht gesehen
werden. Was verbleichen kann, hat nie Farbe
gehabt. Was verkiingen kann, hat nie Klang ge-
habt. Kunst ist. Ob Herr Schmidt den Anschluß
nach Rechts sucht, oder nach Links mitgeht, die
Kunst wird ihn stets stehen lassen. Sie inter-
essiert sich weder fiir schüchterne Liebhaber,
noch für verständige Lehrer.

Die kranke deutsche Kunst

Ich habe das ßuch noch nicht geleseu, das
Buch von der kranken deutschen Kunst, geschrie-
ben „auch von einem Deutschen“. Es kostet zwar
nur eine Mark, ist vorzüglich ausgestattet, acht-
undsechzig Seiten broschiert stark und im Verlag
von H. A. Ludwig Degener, Leipzig, erschienen.
Zur Empfehlung des Buches versendet der Verlag
ein offizielles Schreiben der Königlichen akade-
mischen Hochsehule der bildenden Kiinste zu Ber-
lin. Journalnummer 1388. Also eine amtliche
Kundgebung. Dieses interessante Buch erleich-
tert der gesamten königlichen akademischen Hoch-
schule fiir die bildenden Kiinste zu Berlin das Herz.

Die unterzeichneten Mitglieder des Lehrer-
Kollegiums der Königlichen akademischen
Hochschule fiir die bildenden Kiinste z,u Berlin
haben mit lebhaftem Interesse von dem In-
halt des in lhrem Verlage erschienenen
Buches:

„Die kranke deutsche Kunst“

Kenntnis genommen.

Wir, Unterzeichnete, möchten es uns als
Kiinstler nicht versagen, Sie zu ersuchen, detn
anonymen Autor den Ausdruck unserer Zu-
stimmung freundlichst zu iibermitteln. Es ist
mit großer Befriedigung zu begriißen. daß so
treffende, wohlüberlegte und wahre Aeußerun-
gen iiber die lebende Kunst an die Oeifentlich-
keit treten und allen Zweiflern, die heute nicht
mehr zu wissen scheinen, was im künstle-
rischen Schaffen gut oder böse ist, das Herz
erleichtern.

, Ist es doch leider nur zu wahr. daß auch
unser für die Kunst interessiertes Publikum
in seiner von Natur ganz gesunden Empfindung
durch kenntnislose Herren der Feder sich oft
in seiner Meinung irre machen läßt.

Man sollte es kaum für möglich halten,
daß die deutsche Kunst, die das Glück hatte
in Adolph Menzel einen Kunstheros zu be-
sitzen, durch fremde fragwürdige Einflüsse in
ihrer gesunden Entwicklung gehemmt und
durch gewisse Ausartungen des heutigen
Kunsthandels in abschüssige Bahnen gedrängt
werden konnte.

An

Herrn M. A. Ludwig Degener,
Verlagsbuchandlung.

Der trefflichen Schrift können wir, auch um
der darin bekundeten nationalen Gesinnung des
Autors, nur eine großmöglichste Verbreitung
wünschen.

Die Unterzeichner. die sich in ihrer Entwick-
lung durch fremde fragwürdige Einflüsse gehemmt
fiihten und in Adolf Menzel gleich einen Kunst-
heros besitzen, heißen: Professor Anton von Wer-
ner. Direktor, Paul Meyerheim, Oswald Kuhn,
M. Schaefer, Georg Ludwig Meyn, Böse, Hans
Meyer, Peter Breuer, Rrnst Herter und das ge-
samte iibrige Lehrerkollegium. Nun weiß man
endlich, warum alle diese Herren kein Talent
haben und nichts können. Sie sind durch frag-
würdige Einflüsse eben gehemmt worden. Sie
konnten sich nicht genug entwickeln. Sie wurden
skrofulös. Und sie machen die deutsche Kunst für
lhr Kranksein veraritwortlich. Die treffliche
Schrift des Autors mit der bekundeten nationalen
Gesinnung soll ihre Erkenntnis großmöglichst ver-
breiten. Endlich werden alle Zweifler erfahren,
was im kiinstlerischen Schaffen gut oder böse ist.
Endlich wird die deutsche Kunst wieder tnoralisch
untersucht. Das für die Kunst interessierte Publi-
kum init seiner von Natur ganz gesunden Emp-
findung wird durch kenntnislose Herren der Feder
nicht mehr in seiner Meinung irregemacht. Die
Herren des Pinsels lassen sich von dem nationalen
Pinsel der Feder lakieren. Für ewige Zeiten.
Journalniimmer 1388. So kommt endlich einmal
Farbe auf ihre Bilder. Ich freue mich unglaublich
auf das Buch. Man denke: Die ganze königliche
akademische Hochschule für die bildenden Künste
zu Berlin schart sich um die achtundsechzig Sei-
ten. Ihr Eintreten wird in einem richtigen Jour-
nal festgelegt. Endlich haben sie sich einmal fest-
gelegt. Man wird das Buch lesen. von dem der
Verleger so schön sagt: „Der Verfasser richtet
eine wohlmeinende Mahnung zur Umkehr vom fal-
schen Weg an die moderne Kiinstlerschaft. Er
verkennt nicht. daß sicherlich die neue Richtung

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