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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 94 (Januar 1912)
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Pechstein, Max: Hugo von Tschudi
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Döblin, Alfred: Tubutsch
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Hiller, Kurt: Gertrud Eysoldt
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0309

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Schreiben der Anerkennung aus Cannstatt. Trübe
durch das kleinliche Leben verkümmerte Tage sind
mir verschwunden, es gibt mir Kraft, weiter meinen
Weg zu verfolgen, durch alles, was mich in den
Schmutz ziehen will.

Was Tschudi getan hat, ist schon an vielen
Stellen gerühmt worden, nur das nicht, daß er auch
uns Jungen eine kräftige Stütze war. War? nein!
er wird es bleiben, denn gerade die Kürze der Zeit
verpflichtet uns, ihm über das Qrab hinaus
Dankbarkeit zu beweisen, durch harte Arbeit um
die Kunst.

In sechzig Jahren werden wir es bewiesen
haben. Kampf macht kräftig, kräftige genug, auf-
getürmte Nichtigkeiten, zu verlachen. Mir war
anfangs Hugo v. Tschudi Hoffnung auf Erleichte-
rung des materiellen Lebens: geworden ist er mir
ein Talismann gegen alles Hindernde in mir selbst
und gegen mich.

Max Pechstein

Tubutseh

Ich berichte über das Buch Albert Ehrensteins
nicht eigentlich kritisch, sondern ich lese
sein Buch entre nous. Seine Erzählungen sind
lese sein Buch entre nous. Seine Erzählungen sind
voll einer drückenden Trauer; eine gelähmte Passi-
vität spricht aus ihnen. Es sind die Erlebnisse eines
Menschen, der nichts erlebt; der horror vacui bnicht
aus jeder Zeile; ich erwartete öfter einen Angst-
zustand, ein faseliges Irrewerden. Otium divos
sieht, das erkenn ich, in Wien so aus wie Herr Karl
Tubutsch. Herr Tubutsch ist der Lumpensammler
kleiner Zufälligkeiten, der kleinsten Zufälligkeiten
undi Abfälligkeiten; Langeweile, Sehnsucht ohne
Kraft zu einem Ziel, Aufschrecken und Wiederzu-
sammensinken bezeichnen den psychischen Tenor.
Aber Ehrenstein hat sein Thema gut und reich be-
handelt. Reich: denn bei diesem Spiel auf einer
Saite hört er nicht auf zu interessieren; immer wie-
der wandelt sein trauervolles Thema neu ab, das
Thema des Gefangenen in der Bleikammer, resig-
niert, lächelnd, verzweifelt, gleichgiitig, entschlos-
sen, angeekelt, scheu. Er behandelt es in einem
immer runden ruhigen Ton; seine Sprache ist ge-
bunden und einfach; öfter frappierte mich die

Sicherheit der Bilder, Adjektiva. Er ist vöilig
einer Gefabr entronnen: dns uferlos Lyrische zu
geraten. Bei allem Abdrängen des Lyrischen
geht die Erzählung auf der Erde, dem
weichen Wiener Boden. Und die vorangestellte
Erzählung „Ritter Johann des Todes“ zeigt, daß
Ehrenstein sich gut über sein Weiteres auskennt.
Diese Erzählung hat das Gefühlsmäßig noch mehr
ins Dunkel zurückgestellt; drängt auf umreißende
Plastik. Vielleicht berichte ich später einiges Ein-
drucksmäßiges über die beigefügten Zedchnungen
von Oskar Kokoschka.

Alfred Döblin

Gertrud Eysoldt

welche die Ehre hatte, als erSte die Lulu ver-
sinnlichen zu dürfen, legt vielleicht auf das Urteil
der Urteilsfähigen noch ebensoviel Wert wie auf
das Urteil jenes Pöbels, dem Whitman, Rilke,
Kahane koordinable Größen sind. Dann aber lasse
sie künftig in Inseraten von Vortragsabenden das
Programm nicht wieder mit diesen drei Namen
beginnen. Sie könnte sich sonst leicht die Sym-
pathien derer verscherzen, die das Recht haben,
ihre Schauspielkunst zu bewundern . . . Das
Ende der Liste bildet „Goethe", doch sie trennt
ihn von den andern gedankenvoll durch einen
Strich. Dieser Strich ist kein Umstand, der mil-
dert; im Gegenteil! Denn er läßt erkennen, daß
sie die Distanz zwischen Whitman und Kahane
oder zwischen Rilke und Kahane für kleiner hält
als die zwischen Kahane und Goethe. Traurig.
einer ernsten Schauspielerin mitteilen zu müssen:
Whitman, Rilke und Goethe sind Künstler, und als
Künstler von der absoluten Antikunst, vom
Schund, vom süßen Gewäsch, vom Joumalismus
(selbst von einem, der Hexameter flötet), kurzum
von Kahane — alle u n e n d 1 i c h weit, also jeder
einzelne g 1 e i c h weit, entfernt. Mit dem Ein-
wand, die Sprechkunst sei ein Midas und sogar
der Dreck werde unter ihrer Berührung zu Golde,
verschone uns Frau Eysoldt; denn zugegeben
selbst, Simmel hätte recht und der S c h a n -
s p i e 1 e r wäfe tatsächlich kein reproduktiver,
sondern ein souveräner Künstler, so bleibt tür den
Rezitator doch die indiskutable Pflicht be-
stehen, Diener am Wort zu sein. Der Rezitator
macht sich mit dem Rezitierten identisch, und er
wird sich, vor dem imaginären Gerichtshof der
Kultur, wegen der Sünden derer, denen er dient,
verantworten müssen. Der Rezitator dst Propa-
gator; oder „Pionier“, wie Blondere sagen. Tritt
er für nichts als das Elende ein, so schadet er
dem Edlen weniger, als wenn er beides zugleich
vertritt; denn immerhin verhindert er dann, daß,
infolge der Zusammenstellung, von dem Elenden
aufs Edle ein Schatten fällt oder — was viel ver-
derblicher ist — vom Edlen auf das Elende ein
Licht. B1 o ß aus Kahanes Oeuvre lesen —
Schwamm drüber! Aber „Whitman, Rilke, Ka-
hane“ — das laß ich mir nicht gefallen.

Kurt Hiller

Briefe naeh Norwegen

Von Else Lasker-Schüler

Lieber Herwarth, Paulchen will endgültig
nicht mehr in den Kino gehen, er hätt die Nacht
nicht schlafen können, ein Mensch sei irrsinnig im

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