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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 64 (Juni 1911)
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Friedlaender, Salomo: Fabelhaftes
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Lasker-Schüler, Else: Dem Barbaren
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Mahler, Gustav: Wieder eine Woche
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0064

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Mensch den Leidenden in eine solche Distanz.
daß er Lehren und Heiterkeit aus ihm ziehen
könne. Freut euch des Sterbens! Lernt lachen
über das Leiden!

* *

*

Ein junger Militär wurde standrechtlich er-
schossen. Die Leiche zuckte noch eine Weile,
bevor sie sich in den guten Leichenbrauch fügfte.
Aber Major von Bullraüch kommandierte ihr: „Tot
iiegen; keine Allotria.“ War das nun nötig? —
Was zu viel ist, ist zu viel! Wo es obendrein
pure Reflexbcwegungen waren. Trotzdem ist die
Geste einer Befehlshaberei auch dem leibhaften
Tode gegenüber imponierend. So könnte man
sich auch militäriscbe Geburtshelfer sehr wohl
Geburten kommandierend vorstellen. So!l doch
däe gesamte Schöpfung auf ein Generalkommando
jn einer Woche entstanden sein. Alle spätere
Kommandiererei ist also nur eine Nachwirkung,
so daß immerhin auch Leichen einen geringen
Rest Gehorsam in ihren Gliedern zu verspüren
haben.

« *

*

Es fiel einmal von ohngefähr ein Salm ins
Weihwasser. Der Prälat Ohmke suchte seiner
Gemeinde das als einen göttlichen Wink aus-
zulegen. So sagte er, rege sich im Tiere, im
Fischlein der Wunsch nach Einweihung in die
Mysterien des Glaubens. Däe armen Seelen alle
seien solche Salme, und nic’nt jeder werde wie
Tdiesem das Glück bescheert, des Segens teilhaft
zu werden. „Ich hab’n ja ’neig’worfe“, sagte
der Schüler Peter Meckerle. „Du warst, ohne
es zu wissen — ja vielleicht in frevler Absicht
ein wiüiges Werkzeug der göttlichen Lenkung“,
erwiderte der Prälat. — Solange Gott solche
Advokaten hat, existiert er zweifellos.

* #

*

Ein Fräulein von schmächtigem Liebreiz hatte
das Unglück, einem Manne zu gefallen, den die
Natur mit allem Möglichem begabt hatte, bloß
nicht mit dem Einen, was hier so besonders not
tat. „Großer Gott“ sagte die Aermste, als ihr
endüch der triste Tatbestand nicht länger ver-
heimlicht werden konnte, „wie liaben Sie sich das
eigentlich gedacht? Schließlich ist doch das
Gründen einer Familie an gewisse .... Vorbe-
dingungen geknüpft .... “ „Nun — was d a s
anlangt“, versetzte der Brave und verdrehte ein
wenig die Augen — „was d a s anlangt, so
glaube ich, daß wir Beide das reine hohe
Menschsein, die bedingungslos ideale Zusammen-
gehörigkeit, das sternartige Einsamkeitsgelüst
• .... hier fiel die Dame in Ohnmacht.

* *

In eirser Waldschenke schlug der Bütz als
kalter Schlag. Alle Bauern ernüchterten sich und
ließen das Trinken. Nur auf Einen, der ge-
wöhnlich nüchtern und mürrischer Sorte war,
wirkte der Schiag animierend. Er sagte später,
er habe es als eine wahre Aufforderung empfunden,
von der Traurigkeit zu lassen —• so als ob der
ganze liebe Himmel „juchhe!“ gerufen hätte. —
Das artigste Beispiel für aüe Ausleger der Natur-
ereignisse! Nicht bloß ist des Einen Eule des
Andern Nachtigall — sondern dies ist das Aller-
merkwürdigte: Des Einen Nachtigall sagt plötzlich
„uhuhu“; während des Anderen Eule auf ein mal
„tiotiatiotinx“ und „tandaradei“ machtü

<: *

Es fand ein Einbruch bei einer alten Dame
statt. Sie raubten ihr alles und wollten ihr
schließlich noch das Leben nehmen. Vergebens
flehte und wimmerte das greise Weib, sie rückten
ihr so lange zu Leibe, bis sie tot umfiel. Die
Einbrecher zerhackten den Körper und warfen
die Stücke ins Feuer. — In der folgenden Nacht
hatte jeder von der Bande den gleichen Traum:
DasWeiblein wurde vom Feuer wieder ausgespien,
die Stücke setzten sich zusammen, sie lebte auf
und, anstatt sich zu rächen, küßte sie jedem Mörder
demütig die Hand und bestätigte ihn ausdrücklich
ira rechtmäßigen Besitz des Raubes. — Die
Räuber erwachten windelweich, in Tränen ge-
badet und stellten sich der PoÜzei: Daraus folgt:
Ohne die Fähigkeit zu traumlosem Sdilaf ist
Mord und Raub der sentimentalsten Gefühlsduselei
gleichzuachten.

* *

*

DergewandteEhebrecherBertholdNelkemachte
sich anheischig, binnen vierundzwanzig Stunden
jedesFamilienidyllzu verheeren. EinEheherr beging
die Kühnheit, sich in eine Wette mit ihm ein-
zulassen, er machte ihn selbst mit seiner Gattin
bekannt und überließ beide ihrem Schicksal.
Nelke, nicht faul, eroberte sofort das gesamte
Terrain und begab sich feierlich mit allen nötigen
Garantien seines Sieges zu seinem Wetthalter.
Der blidcte ihn lange verwundert an, darauf sprach
er: „Sie haben die Wette verloren, Sie haben
kein Idyll zerstört, Sie haben eine längst ge*
plante Ehescheidung herbeiführen helfen.“ —
Leichte Siege sind stets verdächtig, schmecken
eher nach Niederlagen. Was nennt sich nicht
aller mit so stolzem Namen „Ehebredier“!

Dem Barbaren

Deine rauhen Biutstropfen
Süßen auf meiner Haut.

Nenne meine Augen nicht Verräterinnen
Da sie deine Himmel umschweben;

Ich lehne lächelnd an deiner Nacht
Und lehre deine Sterne spielen.

Und trete singend durch das rostige Tor
Deiner Seligkeit.

Ich liebe dich und nahe weiß
Und verklärt auf Wallfahrtzehen.

Trage dein huchmütiges Herz,

Den reinen Kelch den Engeln entgegen.

lch liebe dich wie nach dem Tode

Und meine Seele liegt über dich gebreitet—

Meine Seele fing aüe Leiden auf,

Dic’n erschüttern ihre schmerzlichen Bilder.

Aber so viele Rosen blühen
Die ich dir schenken will;

O, ich möchte dir alle Gärten bringen
In einem Kranz.

Immer denke ich an dich
Bis die Wolken sinken;

Wir wollen uns kiissen —

Nicht?

Eise Lasker - Schüler

Wieder eine Woche

Gustav Mahler

Der größte Tondichter unsercr Zeit ist ge-
storben. Ich brauche nicht eine Gelegenheit, um
mich iiber bedeutendc zeitgenössische Erscheinun-
gen zu „äussern“. Denn mein ganzes Streben
geht darauf, die Zeitgenossen vernehmlich auf
die zu weisen, die ewig sind Die Tagespresse
braucht diese Gelegenheiten zu Aeusserungen.
Sie ist den Grossen gegenüber „kritisch“ und
braucht ihrcn Raurii für die Verherrlichung der
Kollegen. Das ist ebenso recht wie billig. Und
ich würde der Presse aus diesem Verhalten gar
keinen Vorwurf machen, wenn sie nicht die Nei-
gung zur ernsthaften Kritik der wenigen wirk-
lichen Kiinstler besässe. Die B. Z. arn Mittag
war vom Tode Mahlers besonders ergriffen. Und
sie fragte schleunigst „hervorragende Künstler-
persönlichkeiten“ an, was sie von Mahler ge-
halten hätten. Unter ihnen versteht sie Opern-
sänger und Theaterdirektoren. Mahler war ja
von Beruf Theaterdirektor, was liegt näher, als
seine Kollegen über ihn zu befragen. Diese her-
vorragenden Persönlichkeiten können nur. leider
alle nicht schreiben, wozu sie auch keine Ver-
pflichtungen haben. Denn Schreiben ist eine
Kunst fiir sich, was die B. Z. am Mittag sicher
nicht glauben wird. Man könnte fast vermuten,
daß die Presse besonders gern Schauspieler und
Sänger als Objekt ihrer Tücke benutzt. Die
Herrschaften, ü b e r die man so ungebührlich vie!
schreiht, sollen nun auch einmal merken, daß
das Schreiben gar keine Kunst ist. Aber die
B Z. ist iiber Mahlers Tod besonders geriihrt:
„Denn sein kiinslerisches Leben war trotz aller
äußeren Erfoige hauptsächlich doch Kampf.“
Gegen die Presse, die ihn bei seinen Lebzeiten

verhöhnte. „Es ist bekännt, daß Mahler als
Komponist auch in der Ietzten Zeit noch nicht
jene volle Würdigung erfahren hat, die ihm eine
spätere Zeit vielleich rückhaltlos zuerkennen
wird.“ Vielleicht rückhaltlos. Jedenfalls hat die
Berliner Presse bei seinetn Tod den ersten Anfang
gemacht. Es bleibt das Unbegreifliche, warum
die Herren erst bei einem Todesfalf unehrlich
werden.

Die Hoffnung in der Büchse

Herr R. Sch. ist mit der Büchse dcr Pandora
von Frank Wedekind nicht zufrieden. Er meint:

Wenn der Ein.druck trotzdem — abgesehen von der in
demStoffe liegenden Anliäufung von Gemeinheiten, Verbrechen
und Perversitäten mit ihrer magenumdrehenden Wirkung
— nur ein gerirger war, so liegt es eben daran, daß die
diditerische Kraft Wedekinds in allen sieben Akten seinen
beiden Lulu - Dramen bei weitem nicht an sein dichterisches
Wollen hevanreicht, mit dem er im „Erdgeist“ und in der
„Büchse der Pandora“ Leben und Sterben seiner vernichtung-
säenden Urdirne in eine symbolische Form gießen wollte, die
ihm unter seinen unbekümmerten Händen zerbrach.

Herr R. Sch. ist der Mann, der jeden Tag
die schönen Gedichte für die B. Z. am Mittag
schreibt, die heitere Lyrik. Auch bei Wedekind
verschanzt er sich vorsichtigerweise wieder hinter
seine Kniippelreime. Er findet, „daß sich der
fnhalt besser per Vers als per Prosa sagen läßt.“
Wedekind sollte diese dichterische Kraft per
ultimo in die Büchse der Pandora einschließen,
damit wenigstens seine symbolische Form für
die Nachwelt konserviert bleibt. Wer auf gute
Verdauung etwas gibt, sollte sich aber nicht an
die Büchse heranmachen. So wäre R. Sch. aber gut
aufgehoben und die Mitwelt um eine Hoffnung
ärmer. Denn die läßt Pandora bekanntlich nicht
heraus.

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