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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 100 (März 1912)
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Scheerbart, Paul: Audienz beim König: assyrisches Morgenidyll
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Mombert, Alfred: Das ist die Nacht. Das ist der Tag
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0355

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wertab von Ninive lag die neue Stadt, und in dieser
hatte der König die großen Herren der von ihm be-
siegten Länder angesjedelt. Da wurden viete
Sprachen gesprochen, so daß die meisten ßewoh-
ner der neuen Stadt gar nicht oder mtr seiten jnit
einander sprachen, weil sie sich so schwer ver-
stänctigen konnten.

Dort, wo der große Zab in den Tigris fließt,
hatte der König seinen Palais erbaut —
mit vielen hohen Terrassen und mäclitigen Stein-
tnauern ringsttm; die Steine fiir die Mattern waren
aus den nördlichen Gebirgen atti Plößen herbei-
geschafft.

Die fiöfe im Innern des Palastes warett sehr
groß und alle.glatt gepflastert; an vielen Stellen
bedeckten glasierte Ziegel. den Fußboden. ßäume
itrtd Gebüsch gab's da nicht, iiur dunkelrote Rosen.
die der König sehr gern hatte, bliihten in großen,
viereckigen Holzkübeln, die mit blaiten ttnd gelben
Ouerstreifen verziert waren,

Dreißig große Herren aus dem besiegten
Chattilande hatten den König itm eine Audienz ge-
beten; uikI er erwartete sie bei Sonnenaufgang.
Nun ließen sich die Herren schon mitten in der
Nacht die Haare kräuseln und die Gewänder mit
wohlriechenden Stoffen durchräuchern. Und sie
wuschen sich die Hände ttnd die Atigen mit wohl-
riechenden Wassern und putzten i'hre Schmuck-
sachen iind ihre Ringe. datnit alles att ihnen dem
König wohlgefiele.

:Und dann gingert sie itn langen Zuge niit iliretn
großen Gefolge zum Paiaste des Königs Assurna-
sirabal; sie hatten den Palast noch nienials ge-
sehen ttnd stannten nttn an seine Pracht. betasteten
die Mauern ttnd den Fttßboden uud die großen Re-
liefs an den Wänden, wältrend die Fackelträger
ihnett den Weg wiesen, denn von der Sonne war
noch nichts zu sehen.

Viele Funnchen gingen mit langen Schritten
iiber die Höfe. daß ihnen die langen Gewälider
knatternd am Körper herumschlugen. Und Krieger
kamen in stattlichen Reigen mit blinkendem Har-
rrisch ttnd Hehn mit Schwertern und Lanzen,
Pfeil und Bogen, Arnischilden und Beinschienen.

Und das alles beint qualmenden Rattclt der
Fackeln unter dem strahlenden Sternenhimmel.

Jetzt aber wtirden die Sternc blasser. Die
Sonne kam näher. Die Fackein wurden ausge-
iöscht. ttnd die Herren aus dent Chattilande führte
man in den großen Empfangssaal des Königs.

Gleich arn Eingange neben den Saaltiiren wur-
den die großen buntbemalteri Sphinxe bewundert.

Und dann im Saale selbst die Wände!

Schalen mit Rätteherwerk brannten in den
Ecken des Saales. Die Eenster waren iioeh —
weit über tManneshöhe tmd engmaschiger Sil-
berdraJit davor.

Zwanzig Sklaven standen vor jeder SaaKvand
mit kleinen Oellampen attf drei Meter hohen
Stöcken.

Geheimnisvoll nahmen siclt hinter den Sklaven
die großen Elachreliefs aus. attf denen dargestellt
war, wie der Körug seine Feinde besiegte. Mit
vielen bunten Sternen waren die zumeist schwar-
zert Reliefs verziert.

Die Herren aus dem Chattilande bewunderten
schweigend die Wände und attch die Reiiefs auf
dent Etißboden, attf detn rote frische Rosen ver-
streut umherlagen.

Viele Eunuchen gingen und kamen — aber
alles ging lautlos zu. selbst die Krieger. die Iterein.
traten durcli die hinteren Türen aus Zedern-, Ta-
pran- und Miskanholz, klirrten nicht mit den
Waffen.

Urtd dann ging die Sonne auf.

Und gleich trat herein der König Assurna-
sirabal init raschem Schritt, und er bestieg seinen
Thron — dicht unter detn Hauptfenster. Uttd seine
Augen leuchteten wie heller Bernstein.

Der K.önig setzte sich. Und dann eilten die
dreißig Herrett aus dern Chattilande in die Mitte
des Saales. warfen sich attf den Fußboden tittd be-

riihrten dreimal roit der Stirn die bunten Mittel-
fliesen.

Der König gab ein Zeichen, daß sie sich er-
heben könnten.

Und der Aelteste von ihnen spraclt mit zit-
vernder, zaghafter Greisenstimme:

„Großmächtigster Herr und König! Augapfel
der Götter Bel und Ninip, Verehrer der Götter
Ann und Dagan, mächtiger Herr der Heerscharen,
Statthalter des Gottes Assur! Mein großer König
Assurnasirabal, wir sind gekommen, um dich anzu-
flehen, ttns eine Gnade zu gewähren.“

Jetzt wurde e.s heller. Aber die vierzig Oei-
lainpen in den Händen der Sklaven brannten
immer iioch, sahen aber wie kleine, winzige
Flämmchen aus. Der König mit seinent schwar-
zen. gekräuselten Bart und seinen hellen. leuchten-
den Augen, in denen das Weiße fast gespenster-
haft wirkte, saß immer noch gartz ruhig da. Seine
braune Hautfarbe glänzte im Lichte der kleinen
Oellämpchen.

Plötzlich war in .einetti Nebensaal ein großes
Geschrei zu hören. Unwillig wandte sich der
König um und flüsterte einent Eunuchen zischend
ztt:

„Bringe die Schreier vor meinen Thron —
sofort.“

Und es geschah.

Man schleppte einen sehr starken Krieger her-
ein, dem man hnmerzu die Arme verdrehen wollte,
wogegen er sich wehrte, daß ihm die gekräuselten
Kopfhaare nur so ums Gesicht flogen.

„Was hat der Mann getan?“ fragte der König.

„Er hat,“ rief nun erhitzter Eunuch. „den Feld-
herrn Nisirpai mit dem Doich verwundet.“

„Wie!“ schrie der König, heftig aufspringend,
„hier in meinein Palaste? Wo ist der Feldherr?“

Er kain, während er sich deu Arm verband
niit einem weißen Tuche.

„Es hat,“ sagte er mit gerunzelter Stirn,
„nichts zu bedeuten. Ich fing den Streich mit dem
Arm auf. Aber es hätte mir in die Brust gehen
können. Laß den Kerl laufen, denn ich fiirchte
meine Eeinde nicht - tind verstehe es, mich zu
wehren.“

Da briillte der König:

„Behalte deine Meinung fiir dich. Ich dulde
es nicht, daß man in meinem Palaste den Dolch
zieht. Henker! Tue deine Pflicht. Der freche
Hund hat’s verdient. daß du ihm den Kopf vom
Rurnpfe schlägst.“

„Dieser Nisirbal,“ schrie nun der Attentäter.
„hat mir meine Sklavin mit List geraubt. Ich wil!
ihm zeigen, wer der Mächtigere ist.“

„Du Schuft!“ schrie da der König, „weißt du
nicht. wo du dich befindest? Du bist iin Palaste
des Königs Assurnasirabal. Und ich werde dir den
Kopf abschlagen lassen, wei! du das vergessen
hast.“

„Du Prahlhans!“ schrie nun der Attentäter.
„du bist ni.cht mächtiger als ich. Wären meine
Hände frei, so wiirde ich dir den Beweis bringen,
was ein assyrischer Krieger vermag. Ich wiirde
dir ins Gesicht schlagen, du Hund!“

Der König erbleichte.

Aber da hatten die, die den Attentäter bän-
digten, ihm einen Arm verdreht. Der Mann sank
brüllend vor Schmerz attf beide Knie. Mit einem
Satz sprang der Henker hinzu und schlug ihm mit
einem Beil den Kopf ab.

Das Blut spritzte wie eine Fontäne aus dem
Rumpf.

Aber mit Blitzeseile kamen zwanzig Sklaven
init einetn großen Sack, steckten Rutnpf und Kopt
hinein — und verschwanden damit durch eine
kleine Tür aus Pistazien- ttnd Tamarkskenholz.
Andere Sklaven säuberten in ein paar Sekitnden
den Fußboden.

Der Nisirpal zog sich mit den Seinen wieder
zurück in die Seitengemächer.

Es wurde wieder ganz still im Saale. Jetzt
schien hell die Sonne durch das Drahtgitter der

Fenster. Die Sklaven an den Wändert löschten
die Oellämpchen. Der König setzte sich wieder.

Dann sagte er mit harter Stimme:

„Ich habe gehört, daß ihr in eurer Heimat
bleiben wollt. Daratts wird nichts. Ihr bleibt
hier. Spart die Worte.“

Die dreißig Herren aus dem Chattilande war-
fen sich wieder auf den Fußboden hin und berühr-
ten dreima! wieder die bunten Fliesen der Saal-
mitte.

Dann gingen sie langsam rückwärtstretend,
bei den Türsphinxen vorbei, aus dem Saale hjnaus.

Der König fltisterte einem Eunttchen zu:

„Die Sänfte.“

Und gleich darauf wurde er in der Sänfte da-
vongetragen von zehn’ Sklaven — zur Erüh-
stücksterrasse, von wo man auf den breiten Zab
und auf den noch breiteren Tigris blicken konnte.

Die Eunuchen, Krieger und Sklaven verließen
auch den Empfangssaal — Iangsam — schweigend.

Ein Blutstropfen leuchtete auf einer dunkel-
roten Rose. die halb zertreten auf dett buntgla-
sierten Fliesen lag.

Das ist die Naeht
Das ist der Tag

Das ist nicht Zeit, die in mein Ohr dringt.

Da ist ein Glänzender, der machtvoll singt.
Ueber meine Augen Wolken ziehn,
o Luft und weite Wolken!

Das nitnmt mich ganz in die Heimat hin.
Einen Adler hör ich rauschend folgen;
und Höhn und Tiefen sind voll Melodien.

Ich schau ein Haupt, schau in ein Auge.

In diesem Auge flannnt eine rteue Eackel.

Ich greife nach der Fackel —

-— „Vielleicht gliickt es: du verirrst dich

im Feuer,

— „und gelangst in die Urschlucht des

Daseins“ . . .

*

Mein Herz zerstiirzt in schwarze Asche;
erfüllt die Höhn, füllt aus das Tiefe.

*

Auf einem Lager lieg ich starr, auf weißen

Decken.

Aus der Höhe sinkt die schwarze Asche nieder.
Das ist die Nacht. Die ewige Nacht.

Ich lieg in einern weit - und dunklen Dome.

Neben inir steigt Einer,

ein Giühender,

eine Wendeltreppe auf.

Und intmer liegt sein Blick auf mir

in tiefen Gedanken.

und sieht mein weißes Haar,

mein verzehrt Gebein,

ttnd alles, was mit mir geschehen ist.

Und iiber niir hält ein Schritt;
oftmals-

ais wär’s mein eigner Geist . . .

*

Ich kaure vor .einem Vorhangu
Verzehrte Höhenluft ist unter mir.

Da bin ich. —

Ich sehe. Hinter dem Vorhang,

jenseits in den Gründen, -

beginnt ein blaues Licht zu spiegein.

Und meine toten Attgen öffnen sich.

Und alle meine Artne öffnen sich.

Und die Eingev\'eide öffnen sich.

vn
 
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