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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 63 (Mai 1911)
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Walden, Herwarth: Furchtbar dräut der Erbfeind
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0056

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Furchtbar

dräut der Erbfeind

Irrwege.

Der Nachmittaer des sechsten Mat wurde

o

der gesamteir Beriiner Presse verdorben. Die
Sonne locktc die Herren Theaterrcferentcn nach
ihrer Angabe ins Freie imd sie mußten ziir
Urauffüiirung des Dramas „lrrwcge“ von Os/ip
Dymow in das Moderne Theater gehen. Die
Sonnc trocknete den Herren das Gedächtnis aus.
Der V e r e i n f ü r K u n s t der ihnen den Nach-
mittag verdarb hat in sieben jaiiren iünfundnetmzig
Abende veranstaltet. Mit einer eiozigen Ausnahme
wußtcn die Referenien nichts von seiner Tätigkeit.
Sch hätte ihnen den guten Geschmack ailerdings
nieht zugetraut, daß sie die Feuilteions ihrer
Zeitungen und ihre cignen Arbeiten nicht eiumal
lesen. Was nun den Zvvang anbetrifft, so wird
er nur dann empfunden, wenn kein Drama der
Prcsscdichter zitr Aufführung kommt. Es ist
wirklich ein Ungluck in Deutschiand, daß der
Abonnenl mir eine Zeitung iiest. Würde er beim
Vergieiciien der Krilik diesmal in ungefälir sechzig
Zeitungen dcnselben Witz gcfunden haben, daß
„der Verein fi'ir Kunst“ sicli mit diesem Drama
auf irrwegen befand, so vväre die MögÜchkeit
nieht ausgeschlossen, daß er die Witzlosigkcit
dieses Witz.es witzig gcfunden hätte. So kann
cier Abonnent nur den Geist s e i n e s Kritikers
■vermissen. Werin das Mailiifter! weht muß der
Kritiker die Irrwege dcs Vereins fiir Kunst gehen.
Wer hat die Herreit gebeten zu erscheinenV
Xicht einer dieser Namenlosen ist cingeiadeu
worclen. Ihrc Redaktion entsandte sie, woiür sie
hoffentüeh bezalilt werden. Mann kann vcn
Niemandem veriangen, daß er uinsonst witzig ist,
tmd sieh seinen Ausflug verschlägt. Die Kunst
könnte der Sonne garnieht dankbar genug sein,
wenn sie itei diehterischen oder kiinstlerischen
Anlässen die Herren ins Freic logkte. Auch der
Winter Itat ja seine angenchmen Seiten in der
Nattir. Und da dic Koilegen docit aui jeden
Fiiil gelobt werden. wiirde einer genügen, um
alle sechzig berichtenden Zeitungen zu befriedigen.
Umsomehr. als ailen sechzig Kollegen doch stets
dasselbe einfäiit.

Herr Dr. Artur Eioesser von der Vossischen
Zeitung ist der Tietste. Kein Wunder, er darf
sogar für die Neue Rundschau dichten. Wenn
Herr Eioesser iobt sagt er von Herrn Dymow,
cr sei „ein geistreicher Feuiiletonist, der uns mit
so wenig Lyrismus angehaucht hätte.“ Eloessers
Analyse des Bcgriffs Diehter. Vont Regisseur
aber verlangt er, daß er „den Schiffbruch
aller Gemüter etwas lciser g e s t i m m t hätte.“
Bei diesem Rat des Herru Eioesser dürfte die
Musik wohl schlecht iahren. Voit Herrn Hartau
weist der Koliege zu vermcideu, daß er „seinen
Mann in zvvei theaterkräftige Fäuste genonunen
habe.“ Gegen diese Akrobatik des Kritikers
komme ich nicht auf. Wie anders Herr juiius
Keller im Lokal Anzeiger. Cr ärgert siclt iiber
dte selbstquälerisch veranlagten Menschen, über
die Unerquicklichkeit des Stoffes, über die ge-
waltsame Ausgestaltung und die zerfahrene
Zeichnung. Schacie, daß der Lokal Anzeiger
gerade den Possenkritiker für Optiinisnius ab-
ordnete. Der traurige Lothar wäre in diesem
Fall besser ain Parkettplatz gewesen. Aber Herr
Keller gibt gleich einen Satz von optimistischer
Lebensfreude, wie er sic sicli denkf von sich.“
So bleibt das einzig Interessante an diesor
„Sonder“-Vorstellung, denn vvieder die Tatsache,
einen „Verein dcr Kunst“ solche „Irrwege“

wandein zu selien. Was will der Mann? Er
hat doch seine Freude gehabt.

Höchste Preise

Wenrt man die Zeitungfen in den letzten
Wochen iiest, hat man das Gefüh!, dass alle
Deutschen vora vollendeten sechsten Lebensjahre
an überhanpt weiter nichts tun, als in die Ge-
mäldeaussteiiung-en zu gehen und sich von den
Franzosen pervers anregen zu iassen. DasBerliner
Tageblatt, dessen Kritiker schon öfters die Güte
hatte, Manet undVan Gogh „anzuerkennen“ ver-
öffentlieht eine Zuschrift des sehr mäßigen Genre-
rnalers Professor Meyerheim. Herr Meyerheim,
der bekanntlic'n mit Erfolg gegen Tschudi in-
trigierte, regt sich auf, daß im Ausland fiir Menzel
und Böcklin nicht solche Unsunnnen gezahlt werden,
wie in Deutschland „für die flüchtigen roh
skizziertenverzeichneten Schöpfungen eines Manet“.
Hinter diesen Sätzen verbirgt sich der Aerger,
des Genreprofessors, daß die Kenner seine Bilder
nicht höher bezahlen. Meyer’neitns Bilder sind
total fertig. Nicht ein Strich, den man vermißt,
Meyerheim findet es beschämend für uns Deutsche,
daß er (er nennt sich mit dem pluralis modestiä)
unsere wirklich Großen, so wenig geschätzt wird,
unter dem Vorwand, so malt man heute nicht
mehr. Herr Meyerheim findet es sogar traurig,
daß von dem Geist und dem Fleiß des Größten
ultserer Zeit (der KoUege Menzel) gar so wenig
zu verspüren ist. Er tut den deutschen Künstern
Urtrecht. An Menzelepigonen fehlt es wahrlich
niclvt. Und daß keiner sich zu einer netten
Meyerheim-Imitation entschließt, hat schon seinen
Grund. Zur Imitation gehört immer ein Original,
und das ist Herr Meyerheim nur in seinen An-
sichten, soweit sie niclit gemalt sind.

Halt

Die ernsten Künster rufen ein energisches
Halt durch Deutschland. So geht es nicht weiter.
Selbst in der Kunststadt Düsseldorf scheinen jetzt
gelegentlich Bilder ausgestellt zu werden. Die
Stadt Köln wird ganz aufgercgt. Nur eine Stunde
entfernt steht der Feind. Der Russ’ und der
Pranzose. Und der brave Deutsche, sagt die
Kölnische Zeitung, atmet bereits den Gifthauch
der dunkelsten Lasterstätten. „Fort mit der
Gemeinheit“ brüllt die Kölnische Zeitung. Und
dichtet folgendes über die Künstlervereinigung
„Die Brücke“ (Dresden), die zur Zeit in Düsseldorf
bei Tietz eine Aussteliung veranstaltet.

„Der Ausdruck „Brücke“ soli wahrscheinlich
darauf hinweisen, daß es sich um eine Verbindung
deutscher und französicher Kunst handeit. Die
ausgestellten Bilder gehören ihrer Mehrzahl nach
jener neufranzösischen Richtung an, die im vorigen
jahre in Düsseldorf durch in München seßhafte
Russen eingeführt wurde. Einer der Künstler,
der Schv/eizer Amiet, ist schon ziemlich bekannt,
und er schafft auch halbwegs erträgliche Land-
schaften. Außerdem beteiligt sich als Gast ein
Dresdner Maler, der nächt eigentlich ganz in die
Richtung gehört, weil er in seinen weiblichen
Akten immer noch verrät, daß er Zeichenunterricht
genossen hat, aber in dem Zug des Perversen
rnit dem er die Nacktheit darstellt, doch mit den
andern verwandt ist. Weder ihn noch diese
möchten wir mit Namen nennen, denn es ist
schwer, in dem gegebenen Fall bei der Nennung
von Namen dem Vorwurf eines persönlichen An-
griffs auszuweichen. Däe Bilder sind an Nichts-
nutzigkeit der Zcichnung nicht zu übertreffen und
bedeuten nichts anderes ais grellbunte Späelereien
von irgendwelchen Kanibalen. Sie sind in dem
Sinne der Maierei als solcher das Ende aller Kunst,

grober Unfug. Aber sie zeigen einc noeh viel
schlimmere Seite. Die moderne Redensart, daß
der Gegenstand der Kunst gleichgültig sei, wird
hier in ganz bösartiger Weäse misbraucht. Schon
voriges jahr haben wir angesichts jener Russers
bemerkt, daß diese das Weib in ihren Bildem
gemein auffassen. Das trifft aber auf die deutschen
Künstler in einem weit stärkern Maße zu. Was
uns da vorgeführt wird, das atmet don Gifthauch
der dunkelsten Lasterstätten irgend einer Großstadfc
und zeigt eine Geisteslage dieser Künstler, die
eigentlich nur pathologisch zu 'oegreifen ist. Voriges
Jahr haben einige Kunsikritiker, die sich unentwegt
modisch gebärden wollten, den Mut gefunden, zu
sagen, die Bilder jener Russen bedeuteten eine
Auffrischung, eine Anregung der Düsseldorfer
Kunst. Wer das vor diesen Bildern wiederholt,
begeht ein Verbrechen an unserer kiinstlerischers
Jugend und an unserer Kunstkuitur. Es war
höchste Zeit, wie man da sieht, daß ernste Künstler,
endlich ein energisches „Halt!“ durch Deutschland
riefen. Da ist mit Redensarten, wie das Recht
des Experiments, Entwickiungsprobleme usw. nicht
mehr zu arbeiten, da heäßt es klipp und klar:
ecrasez l’infäme! „Fort mit der Gemeinheit

Herr Meyerheim sollte der Redaktäon der
Kölnischen Zettung, der Kampfgsnossän einen
echten Meyerheim schenken. Die Originalilät
muß aber notariell beglaubigi werden, sonst merkt
man es nicht

Die Namen der ausstellenden Kanibalen
lauten: Kuno Amiet, E. ’rleckel, E. L. Kärchner,
Max Pechstein.

Halt! Halt!

Süddeutschland greift tapfer ein. Die Rhd-
nisch-Wesifälische Zeitung hat einen geünden Tob-
suchtsanfail bekommen. Richard Strauß will stch
von D’Anunzio cin Libreito schreiben lassen.
„Der Stoff w rci noch geheim gehaiten. Strau
wird dem Orchester Aulgaben von ungeahnter
Kühnheit stellen.“ Die lüsterne Phantasie der
Rheinisch-Westfälischen Zeitung ahnt bösestes.
Nach Salome und Elefetra, diesen erotisch per-
versen Damen, kann man auf ein sanatistisches
Weibsbild gcfaßt sein. Herr D’Anunzio wird
unsern guten Strauß total verderben.

Im Ernst: ist es nicht ein Jammer, daß ein
deutscher Tondichter, der einmal nach Wagner
zu unseren größten Hoffnungen rechnete, so weit
gekommen ist, daß nur noch das Zügellose Mach-
werk eines ausländischen, spezifisch-romanisch-deka-
denten Schriftstelters ihm als Grundlage für seire
Tondichtungen zu genügen vermag? Wo sind die
Zeiten, da ein Weber uns die keusche Eir.samke
der deutschen Wälder zum Klingen brachte, da
Marschner den Sagen-Spuk der Kobolde in Töneu
beschwor, da Wagner den gev/altigen Mythos der
Nibelungen zu prachtvoller Orchestersymbolik
zusammenbal'te?!

Entartet Geschlecht, unwert der Ahnen, dem
die Künste eines Musikers Eretgnis werden, dessen
Liebe die lüsternen Gebilde kranker Fremdlinge
ailzu „verstehend“ sucht!“

Mit dem Ausschalten der Botanik dürfte die
deutsche Oper endgültig auf das tote Geieis ge-
kommen sein. Wie pervers Strauß ist, geht schon
darauS hervor, daß er im Orchester Ruthen an-
wendet- Bisher ließ er alierdings dainit nur
Notenpulte auspeitschen. Aber die Ruthen sind
nun einmal da. Man weiß nicht, was noch werden
mag. Aber ich wiil vermitteln: Wenn Herr
Strauß sich verpflichtet, seine totlangweälige
Komponiererei aufzugeben, soll er sich mit den
Ruthen durchpeitschen können, so oft und so lange
es ihm beliebt. Dagegen wird doch die Rheänisch-
Westfälische Zeitung nichs einzuwenden haben.

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