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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 78 (September 1911)
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Dirsztay, Victor: Wahrnehmungen
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Adler, Joseph: Rückblicke
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0180

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ssung, die nicht ruht, bis sie die erlittene mate-
rielle Einbusse durch eine der gespendeten Sum-
me entsprechende moralische Ueberhebung völlig
wettgemacht hat.

Viktor v. Dirsztay

Rückblicke

Ruhe fiir einen Lyriker

Unter den deutschen „Verskünstlem“ gibt es
manchen Namen, der wie das Pseudonym einer
Musentochter klingt. Und in der Regel ist auch
das „K ö n n e n“ seines Trägers der Sterilität
der Dichterinnen kongenial. Solange die deut-
sche Sprache Worte hat, die sich reimen, wird
es, diese aneinander zu pappen, Talente geben.
Die zeitgenössischen haben es in dieser Kunst
zu einer Fertigkeit gebracht, die neben den glän-
zendsten Errungenschaften der modernen Tech-
nik bestehen kann. Doch einer ist unter ihnen,
der dichtet mit zäher Lust in Weltschmerz,
meint aber die W e 11 a m M o n t a g. Diese
gibt ihm immer gerne Raum, zu sagen, was er
leidet. So erst vob kurzem wieder, und der Dich-
ter bat:

Lass mich schlafen, 1 a s s mich schlafen,
Lass mich schlafen und vergessen
Alle Leiden, die mich trafen,

Alles Glück, das ich besessen.

In der zweiten Strophe wird die Bitte schon
an mehrere gerichtet.

„Glücklos, leidlos 1 a s s t mich schlafen,

Wie in jenem dunkeln Hafen,

Dem mein Kahn entgegenfährt.

Es geht uns alle an.

Und doch möchte man lieber Lärm schla-
gen, um eine bessere Welt zu der Erkenntnis
zu erwecken, dass uns ein nationales Uebel mehr
aus der Romantiker Unbedachtsamkeit erwuchs.
— Sie haben es versäumt, ihre Verse vor Nach-
ahmungen für alle Zeiten gesetzlich zu schützen.
Immer sind wir die Enkel. *

Nun lächle, Mona Lisa!

Die Nachricht von dem Diebstahl der M o n a
L i s a „traf“ Victor Auburtin in Marienbad
Als er vor einem Teller „hecrlkher, mitSemmel-

bröseln bestreuter, Marillenknödel“ sass. Einer
war ihm im Halse stecken gfbüeben; so sehr
hatte ihn die Nachricht erschreckt. Er bezahlte
rasch und stürzte fort. In seinem Hote'l warf
er sich an den Schreibtisch, um das Entsetzliche
nicht ausdenken zu können. Doch
als Mann, der für die Kiiche eui s c h ö n c s
Interesse an den Tag und das Tageblait legt,
und der das Thema: Die K « n s t, Spar-
gel zu essen in unverges.sli.fi bumoristischur
Weise angeschnitten hatte, wiirzte er die Qual des
Nichtausdenkbaren vorerst mit kaustischem Witz
Es sollte den Leser gleich wie eine herabfallende
„kalte Platte“ treffen.

„Man muss sich ausdenken, was aljes
• möglich ist in solchem Falle. Während wir
hier so sitzen, zerhackt vielleicht jemand das
Holz des Mona-Lisa-Bildes in kleine Stücke,
wirft es in den Ofen und brät sich seine Brat-
kartoffeln darüber. Oder wärmt sich mit den
Resten der Herrlichen das Wasser zum Fuss-
bade.“

Während wir hier so sitzen. Und uns ist
es nicht einmal, als müssten wir aufspringen
und mit den Händen zugreifen, um das Bild zu
retten. Wozu auch? Jetzt ist es doch endlich
geborgen. Im Louvre konnte es doch nur ge-
stohlen werden. Aber des Nichtausdenkbaren ist
kein Ende. Vielleicht war der Dieb ein Maler.

„Maler füllten an dem kritischen Tage
den viereckigen Saal — ein wahnwitziger Ma-
ler, der zu Hause die Farben des grössten
Meisters iiberpinselt, abkratzt und nun mit sa-
tanischem Behagen das Porträt seiner Vorstadt-
dirne darüber schmiert. Diese verdämmernden
lombardischen Farben, die köstlich waren wie
römisches Elfenbein oder wie uralter, verlo-
schener Perlmutt.“

Ein holdes Verbrechen, an der Tatsachege-
messen, dass heute Menschen vom Diebstahl
der da Vinkischen Giokonda spre-
chen, die garnicht wussten, dass es in Paris
ein Museum, Louvre genannt, gibt.

Man möchte empört aufspringen, aber nun
ist es Auburtins Ewersphantasie, die uns nie-
derdrückt.

„Sadismus? Daran denkt man zuerst,
wenn man von einer so wahnwitzigen Tat
hört.“

Und doch hat er zuerst an Bratkartoffeln
gedacht. Und dann an ein Fussbad. Aber:

Wir sind in Paris, in Pariser Kunstwelt und
da sind Baudelairestimmungen um uns. Ein
Verkannter, ein aus dem Gleis geworfener, ein
Genie vielleicht, das sich nicht durchzusetzen
vermochte, verhöhnt, übersehen, verhungernd . .
und fasst nun mit herostratischer Attitude nach
dem Glänzendsten, um an ihm zu Hausesei-
nen Hass zu sättigen. Ein verkannter Lump,
der in seinem Zimmer das grösste Kunstwerk
zerschneidet und zersticht . . . ich möchte
diese Szene von Oskar Wilde geschildert le-
sen. Ja, ich möchte sie auf der Bühne sehen,
in einem nächtlich phantastischen Sketch von
einem grossen Mimen gespielt; mit einer recht
guten Kopie, damit wir jeden Messerstich wie
im eigenen Fleisch wühlend spüren.

Aber wer der Dieb nun auch war, ein
Wahnsinniger, ein Zeitungsreporter, ein ent-
lassener, rachsüchtiger Beamter . . . einen
eisernen Mut muss der Mann haben, der sich
die Gattin des Francesco Giocondo heimlich
in sein Haus mitnahm. Ich wenigstens wage
zu sagen: ich stehle lieber eine Leiche und
trage sie in mein Kämmerchen, als dass ich
eine Nacht mit dieser Frau allein zusammen
verbrächte, so im dunklen Zimmer, so unter
vier Augen.“

Es war eine Tat, „die Gattin des Francesco
Giocondo“ zu rauben. Sie steht hoch iiber den
Auburtinschen Versuchen, die alte Jungfer Feuille-
tonismus ehrlich und—hegehrenswerter zu ma-
chen

Zweifel

,,Wie die Blätter melden, sind Passanante
und Acuirito, dje am 23. April 1897 ein At-
tentat auf König Humbert verübten, in dem Ir-
renhaus bei Castel Lorent schwer erkrankt. Pas-
sanante ist grössenwahnsinnig geworden und
hält sich für den Sohn Humberts I. und der
Königin Marghareta. Acuirito ist nahe daran,
zu erbiinden. Täglich hält er Reden gegen die
Frauenbewegung, denen zahlreiche andere Ge-
fangene und Gefängniswärter zuhören müssen.“
Der Mann wird doch nicht verrückt sein?

J. A.

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

L

Verlag „Der Sturm“


Herwarth Walden
DAFNISLIEDER

FürGesangu.Klavier/52Seiten

DREI MARK

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kalienhandlungen oder direkt
durch den Verlag DER STURM
Halensee/Katharinenstrasse5

L’Effort

Halbmonatsschrift

für moderne Kultur u. fran-
zöaiache Sezession in den
Künsten und in der Literatur

Herausgeber und
:: Schriftleiter ::

JEAN RICHARD

Jahresbezug für das
Ausland: Mark 4.50

Zweiter Jahrgang

Verlag und Redaktion:
POITIERS (Vienne)
Prankreich

Les Hnrges

5 rue Chaptal / Paris

Diese literarische Zeitschrift
veröffentlichte das franzö-
sische Original der Tage-
bücher Flauberts, deren
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Die Hefte, die die Tage-
bücher Flauberts enthalten,
sowie die übrigen seitdem
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Les Marges gegen Einsen-
dung von sechs Francs direkt
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LesCahiers duCeulre

MonatSschrift für Soziologie
Geschichte, Kunst
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Gegründet von Paul Cornu

Herausgeber u. Schriftleiter

HENRY BURIOT

■ in den Cahiers du Centre

g erschienen Werke von Jules
B Renard, Charles-Louis Phi-
lippe, Marguerite Audoux,
Emile Guillaumin, Romain
Rolland, Andre Spire, Henri
Bachelin, Valery Larbaud,
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| Jahresbezug fiirs Ausland:

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Probeheft gegen Ein-
sendung von 50 Pfg.

VERLAG u. REDAKTfON:
16, Boulevard Chambonnet,
MOULINS (Allier) Frankreich

Die Fachel

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Erscheint in zwangloser
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