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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 96 (Januar 1912)
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Walden, Herwarth: Die guten Freunde der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0322

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Die guten Freunde der
Kunst

Dte SchlDerstlitung

Man regt sich jetzt allerseits über die Schilier-
stiftung aui. Der von Fritz Engel entdeckte Dich-
ter lians Kyser hat bekanntlich mit ihm und einigen
andertn iiterarisch unmöglichen Leuten eine Kleist-
stiftung „ins Leben gerufen.“ Während die Schil-
icrstiftung solchen Schriftstellern heifen soll, die
„bereits für die Nationalliteratur verdienstlich ge-
vvirki haben“, soll die Kleiststiftung der Jngend „die
graue Farbe des Hungers auf Qesichtern, die blühen
sollten, und die Falten des Kummers auf Stirnen,
die noch nicht gefurcht sein durften“, entfernen
Herr Kyser untersuchte die Qeschichte der deut-
schen Schillerstiftung, um nachzuforschen, welche
Schriftsteller für die Nationalliteratur bereits ver,
dienstlich gewirkt hatten, und denen infolgedessen
geholfen werden konnte. Zur Ueberraschuiig des
Publikums stellte sich heraus, daß im wesentlichen
nur sehr alten Tanten männlichen Geschlechts
Stiftungsgelder bewilligt worderi waren. Herr
Oskar BlumenthaJ, Herr Julius Rodenberg und
Herr Anton Bettelheim protestierten. Sie fanden
die Tanten durchaus einer materiellen Beschen-
kung wiirdig. Was diese drei Herren fiir ver-
dienstliche Nationalliteratur halten, braucht nicht
diskutiert zu werden. Sie werden bestimmt glau-
ben, auch ein Recht auf Preise der Schillerstiftung
zu haben, wenn sie es nötig hätten. Sie hatten es
zum Glück fiir die Schillerstiftung nicht nötig. So
blieb ihr wenigstens diese Blamage erspart
Sonst aber schmiß sie vergnügt und ahnungslos
mit den Geldern herum. Ein Dichter wie P e t e r
Hi 11 e konnte noch im vorigen Jahrzehnt zu Berlin
verhungern, ein Dichter wie Paul Scheerbart
mußte in derselben Zeit die schwersten Existenz-
kämpfe führen. Von Anderen garnicht zu reden
Herr Oskar Blumenthal wird die Genannten nicht
für Dichter halten. Was nützen die Millionen, wenn
das verwaltende und beratende Komitee stets aus
ahnungslosen Dilettanten zusammengesetzt wird.
Sogar Herr Fritz Engel protestiert „gegen die
Unterstützung öder Reimer“. Mit welchem Recht?
Herr Fritz Engel wird sicher zu dem Hauptkomitee
der Kleiststiftung gehören, die der Jugend so liebe-
voll die Falten aus der sorgenvollen Srirn streichen
will. Herr Fritz Engel hält die Herren Ludwig
Fulda, Hermann Sudermann, Felix Philippi n o c h
h e u t e für Dichter. Herr Fritz Engel „begrüßt“
noch heute in Albert Traeger den „Altmeister
deutscher Reimkunst“, Herr Fritz Engel verspottet
in seiner bekannten witzlosen Weise in dem ebenso
witzlosen Ulk junge Lyriker von Begabung. Und
derselbe Herr Fritz Engel protestiert gegen öde
Reimer, veröffentlicht in dem gleichfalls unterstell-
ten Zeitgeist öde Reimereien und wird zugleich
durch die Kleiststiftung die Jugend „fördern“. Alle
Welt will sich jetzt modernisieren. Also auch
Herr Fritz Engel. Er tritt deshalb für den von ihm
entdeckten und von ihm maßlos überschätzten
Herrn Kyser ein, nicht zu sehr, man hat doch seine
traditionellen Beziehungen, und Herr Fritz Engel
findet, „daß man den bittern Kern der Wahrheit
hinter der rauhen Schale empfinden muß, mit der
Kyser s i e umkleidet.“ Da möchte ich auch dabei
gewesen sein, wie Herr Ryser die rauhe Schale
mit den bittern Kern der Wahrheit umkleidet hat.
Schließlich will’s die Sache, daß man poetisch
wird. Die Jugend, sagt Herr Fritz Engel, hat wie-
der einmal mit ungestümer Gebärde an das epheu-
umsponnene Haus der Aelteren gepocht. Das Altef
darf ihr ruhig auftun, sagt Herr Fritz Engel, ohne
sich etwäs zu vergeben. Wenn aber die pochende
Jugend, die gefördert werden soll, auch nichts
kann, so ist es wirklich höchst gleichgültig, ob die
Almosen den alten oder den jungen Dilettanten
zuerteilt werden. Was ist das für ein Quatsch.
den sich Herr Fritz Engel und seine Stiftungs-

brüder unter „moderner“ Kunst vorstefle*? Es
gibt Kunst oder keine. Der DrecR von hente isf
nicht besser ais der von vorgestern. Vielleicht
riecht er mehr, sodaß ihn selbst ältere geruchs-
geschwächte Personen empfinden. Soiange Leute
kritisieren, redigieren und verwalten, die zur
Kunst nicht das geringste innere Verhältnis haben,
können die älten und jungen Tanteu beruhigt sein
Die Schäfchen werden sich schon ins Trockene
bringen. Dichter und Künstier werden weiter
schaffen und unter Umständen sachlich verhungern,
ohne Schiller und mit Kleist. Nur die Nekrologe
und den Dank des deutschen Voikes, insbesondere
die Anerkennung des Herrn Fritz Engel, verbitten
sie sich entschieden, auch wenn sie schon vor
hundert Jahren den Zeitgeist nicht gesegnet hätten.

Dle Kunststadt München

München hat durch seine Biere bei allen Al-
koholikern einen Weltruf erlangt. Die Stadt be-
sitzt außerdem fünf Automobile, viele Straßen ohne
Menschen und eine größere Anzahl Tauben, wo-
durch sich die Miinchner ohne große Anstrengung
nach Venedig versetzt glauben können. Außer-
dem gibt es in München noch einige Kunst-
sammluntgen, die Hugo von Tschudi zum Ruhm der
Kunst zu beseitigen begann. Die Zeitungen sind
im Generalanzeigerstil gehalten, und die Jugend
wird durch Herrn Georg Hirth repräsentiert. Max
Halbe, auch ein Dichter der Jugend, schiebt Ke-
geln, Franz Ritter von Stuck wohnt in einem
Palars, und. der Simplizissimus freut 'sich von
Nummer zu Nummer sanfter über alle diese guten
Dinge. In neuester Zeit werden auch Zeitschrif-
ten in München herausgegeben, die teils in Edel-
anarchismus, teils in Literatur, Kultur und Kritik
machen. Ein derartiges Blatt nennt man in Mün-
chen zum Beispiel Janus. Dä werden „Verse un-
serer Jungen“ abgedruckt. Womit nicht die Kin-
der der Kegelschieber, sondern die Primanerge-
dichte münchener Studenten gemeint sind. Da
wird jemand von dem Herausgeber der Zeitschrift
gefeiert, „der schlicht und einfach redet. Und er
findet für das, was er erlebt hat, seinen persön-
lichen Ausdruck. Hier ist einer, der riicht nur
eigen ist, sondern auch durch und durch gesund.“
So schreibt man in Miinchen Kunstkritik. Eine
Probe der durch und durch gesunden Verse mit
Erlebnis und persönlichem Ausdruck:

So jung und stark zu sein und niemals müd —

Hei! wie das Blut mir in den Adern glüht-

Wie mir die Brust sich spannt und

hat nicht Raum — —

Ich bin wie im Wald ein junger saft-
strotzender Baum

Hei! wie gesund. Aber der Dichter kann noch
viel mehr.

„Auch dunklen Stimmungen vermäg er Aus-
druck zu geben. Stunden, wo ihm sein ganzes
Schaffen vergebens dünkt und ihn eine
große Sehnsucht nach dem All erfaßt, sodaß er in
einer Blume auferstehen möchte.“ Also nicht ein-
mal mit dem saftstrotzenden Baum begnügt sich
sein Allgefühl. Wenn er dunklen Stimmungen
Ausdruck gibt, wird er wie eine Blume, so hold,
so schön, so rein. „Wagner ist lyrisches Voll-
blut“, vergailopiert sich der Herausgeber des
Janus:

„Da wirst du weiter wandern mit Schrit-

ten leicht und frei,

Als ob deiner Seele eine schwere Last

genommen sei.“

Z u gesund. Der Herr vom Janus findet,
die beiden (auch hier) angeführten Gedichte zei-
gen, wie gut der Dichter die Form beherrscht.
„Bewahrt er sich seine gefühlstiefe Schlichtheit
und geht er dem Artistentum aus dem Weg, dann

werden wir m wenigen Jahren ihn zu unsereo
besten Lyrikern zählen können.“ Schon heute!
Ich ernenne ihn zum Neumoister der edlen Reim-
kunst. Mdge ihm selne Gesundheft erhaiten blei-
ben. Dann lobt der Herr vom Janus noch eineo
„feinen Formkünstler“ und gibt „als Probe für
seine eigentliche Lyrik“ ein Gedicht. Hier vier
Zeilen:

Fern am Strand der Vergessenheit

Liegen die Boote eng gereiht.

Modeni im Sande ieck und lecr,

Keines fährt zurück übers Meer.

Ein feiner Formkünstler. Ja, in München
bat man die Sache mit der Kunst raus. Und des-
halb veröffentlicht der Herr vom Jamis einen
Weckruf: Der Fall Hodler. „Ein Weck-
ruf an den künstlerischen Geschmack unserer
Zeit.“ Der künstlerische Geschmack unserer Zeit
braucht nicht erst gegen FerdinarKi Hodler „ge-
weckt“ zu werden. Daß der Pöbel über Hodler
lacht, ist ebenso setbstverständlich, wie die Tat-
sache, daß eine münchener Halbmonatsschrift für
Literatur, Kunst und Kritik von der Kunst Hod-
lers in Anführungszeichen spricht. Der Herr vom
Janus vernichtet nun Hodler „analytisch“. In deo
Erühwerken Hodlers vermißt er die Seele, die
Fertigkeit in der Materialbehandlung und die
Fähigkeit zur Perspektive und zur tieferen Psy-
chologie. Im Jahre 1884 „hat Hodler Fortschritte
gemacht in der Psychologie. Er schwelgt in be-
wußter Perspektivelosigkeit und bekommt seine
ersten grotesken Ausbrüche.“ „Die neunziger
Jahre gestalten d e n Hodler, den die Welt vor
allem kennt, den wenige bejubeln und viele be-
lächeln.“ Der Weinbauer aus dem Jahre 1890,
sagt der Herr vom Janus, zeigt Psychologie,
wenn auch keine Perspektive. Ein Glück, daß
Hodler im Jahre 1890 wenigstens die Psychologie
erfaßt hatte. Perspektive kann man ia noch ia
Miinchen lernen. Aber e.s ist zu spät. Im Jahre
1897 bekommt Hodler den Knax. „Bis 1897, wo
der Tell entsteht, ist diese Neigung fürs Dekora-
tive bereits ins Pathologische und Perverse hinein
entwickelt. Bezeichnend dafür ist das Gesicht des
Tell und die Gummiknoten auf der Stirn. Oder
hat ihn auf dem See eine Fliege gestochen?“
Man sollte den Herrn vom Janus in ein Faß Hof-
bräu stecken und iiin dort ersaufen lasseu. Nicht
etwa, weil er Hodler nicht versteht, und Malerei
unter der Perspektive der Psychologie sieht, son-
dern weil ein solches Mensch die Frechheit be-
sitzt, iiber Malerei zu schreiben. Und nicht nur
zu schreiben, einen solchen Blödsinn zu schreiben,
den ihm die Münchner Neuesten Nachrichten gern
gegen sehr angemessenes Honorar abdrucken.
Nein, er muß eigens nocb eine Zeitschrift heraus-
geben. Den Miinchnern ist es doch schon so wie
so viehisch wohl zu Mute, wenn mit Maßkriigen
gegen die Kunst gebockt wird. Der Herr vom
Janus sollte doch wenigstens sein ehrliches Bier-
iungentum bekennen und sich nicht jesuitisch als
Kunstredaktöhr maskieren. „Hat Herr Hodler
schon jemals in seinem Leben einen hilflosen Kör-
per schleppen sehen?“ Wenn Hodler es noch
nicht gesehen hat, sollte er nach München zu dem
Herrn vom Janus gehen, denn efwas Geistloseres
ist nicht wieder aufzutreiben. Und nun resumiert
das Mlensch: Hodler leide am künstlerischen Irr-
sinn. „Schauderhafte Körper mit eckigen Beinen
und sechszehigen Füßen. Es ist möglich, daß
Hodler durch die verschnürten, fast rippenlosen
Oberkörper gegen das enge Tragen der Korsetts
protestieren will . . . Und dann die Farben. Aus
welchen Mißtönen der Palette dies alles geschaf-
fen wird, ist erstaunlich. Die Körper werden rot
und grün gegeben, was dann die patina- uni
orangefarbenen Brüste und Schenkel ermöglicht“
Soll man sich mit solch einer Bierseele ernsthaft
einlassen? Sotlte man ihm den Körper nicht rot

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