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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 72 (August 1911)
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Aram, Kurt: Einsichten
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Scheerbart, Paul: Der brennende Harem: Ninivitische Bibliotheks-Novellette
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Nr. 75 (August 1911)
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Walden, Herwarth: Die Vinnen gegen den Erbfeind
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0129

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sandt. Nach dem Berliner Tageblatt lautet der
Schlusssatz:

„In seinen Schülern, deren Wirken mir zum
grössten Teil bekannt geworden ist, wird seine
Kunst fortleben. Ich nehme an der Trauer der
Familie herzlichen Anteil.“

Hingegen im Berliner Lokal Anzeiger:

„. . . wird seine Kunst fortleben u n d n e h-
m e i c h an der Trauer der Familie herzlichen
Anteil.“

An einem Kaiserwort soll man nicht drehn,
meine Herren. Namentlich, wenn dadurch eine
Inversion entsteht.

Die B. Z. am Mittag hat natürlich sofort
die Erinnerungen des Altmeisters zur Verfü-
gung. Wer übermittelt ihr so unmittelbar nach
dem Tode die unglaublichen Geschmackslosig-
keiten, die sie zu veröffentlichen „in der Lage“
ist. Man lese folgendes:

„Bei Fürstenbesuchen im Begasschen Atelier
war die Gattin des Künstlers, die ihm um fast
zehn Jahre im Tode vorausgegangen ist, stets
dabei. Noch auf ihrem T otenbett bedauerte
sie es, nicht hinab zu können in die Werkstatt,
wo der Kaiser den Sarkophag seiner Mutter
besichtigte. Eben hatte der Herrscher das Ate-
lier verlassen, da klangen aus dem geöffneten
Krankenfenster glockenhell, voll Liebe und Sorg-
lichkeit, die fragenden Worte in den Garten her-
ab: „Kinder, war alles gut?“

Die Herren Schriftsteller dieser Zeitung bla-
mieren sich wenigstens nur innerhalb ihrerBran-
che. Aus Rache veranlassen sie Maler, Musiker,
Schauspieler und Bildhauer fortgesetzt zu glei-
cher Tätigkeit in „fremder Kunst“.

Ueber Begas steht im Nachruf:

„Für abstrakte Probleme nicht geschaffen,
mochte er nicht vorzeitig den Schleier der Zu-
kunft lüften. Aber als g e i s t v o 11 e r , zuwei-
len auch boshafter Epigrammatiker hat
er sein „Glaubensbekenntnis“ in den Versen aus-
gesprochen:

„Wer weiss es denn, ob einst in lichten Höhen
Wir alle unsre Lieben wiedersehen?

Wer weiss, was einst geschieht mit unsren
Aschen?

Ich weiss es nicht — ich lass mich überraschen! “
Man bekommt wirklich das Sterben über.

Trust

Der brennende Harem

Ninivitische Bibliotheks-Novellette
Von Paul Scheerbart

In Ninive war’s — in der grossen Biblio-
thek des Könige Assurbanipal — auf einerhoch-
gelegenen Terrasse dicht am Tigris.

Unten auf dem Tigris fuhren gerade fünf
Barken des Königs Assurbanipal vorüber; die
Griechen nannten diesen König Sardanapal. Er
war schon recht alt und lag in der einen Barke
ganz still da und sah in den grossen Strom, in
dem grosse schwarze Schwäne herumschwam-
men

Im Westen ging die Sonne unter und machte
die Wellen des Tigris ganz bunt.

Das sah auch oben auf der Bibliothekster-
rasse ein alter Priester, der Piru hiess und aus
Babylon stammte. Piru sass in einem beque-
men Fellstuhl, und neben ihm sass sein Neffe
Gimilla, der feuchten Ton vor sich hatte und da-
rauf in Keilschrift mit Elfenbeinstift einritzte,
was ihm der Onkel diktierte.

Langsam sprach der alte Priester Piru,
während sein Neffe Gimilla die Keile in den
nassen Ton ritzte:

„Es sind schon zwanzig Jahre her. Es war
damals gerade das zwanzigste Jahr in der Re-
gierung unseres grossen Königs Assurbanipal,
den die Götter beschützen mögen. Des Königs
Vater Asarhaddon hatte sein Reich kurz vor
seinem Tode geteilt und den Norden mit Assy-
rien und Ninive dem König Assurbanipal gege-
ben — den Süden aber mit Babylon und Baby-
lonien dem Halbbruder des Assurbanipal, dem
König Saosduchin. Zwanzig Jahre hatten die
beiden Brüder friedlich nebeneinander regiert
— Saosduchin in Babylon und Assurbanipal in
Ninive. Da zettelte Saosduchin, der König von
Babylon, eine Empörung an — und zwischen
Ninive und Babylon gab’s einen jahrelangen
furchtbaren Krieg. Und ich war in Babylon und
sah, dass die Babylonier immer schwächer wur-
den. Ich war Bibliothekar im Palast des Kö-
nigs Saosduchin — auch Bibliothekar in vielen
Tempeln. Und grosse Unruhe ergriff mich.
Aufgehäuft in den Bibliotheken lagen unzählige
Tontafeln mit Keilschrifttext; die ganze babylo-
nische Literatur lag da. Aber ich war in Un-
ruhe. Wenn die assyrischen Krieger die Stadt
Babylon eroberten, so würde, das sah ich vor-
aus, die Brandfackel überall alles zerstören —
und die Tontafeln würden mit zerstört werden.
Das machte mich so unruhig, dass ich beschloss,
soviel wie möglich von den Tontafeln bei Seite
zu schaffen und in Sicherheit zu bringen. Das
war eine schwere Arbeit. Und sie konnte nur
teilweise gelingen. Nur das beste konnte ich
heimlich fortschaffen. Und ich lief Gefahr, da-
bei ertappt zu werden und den Kopf zu verlie-
ren. In den Tempeln ging’s noch an, da konnte
man andere Priester überreden, die Tontafeln
rechtzeitig an einen sichern Ort zu bringen. Und
wo man in den Tempeln nachlässig war, da
konnte man leicht eigenhändig das Beste fort-
schaffen, da ja in vernachlässigten Tempeln auf-
merksame Aufsicht zu mangeln pflegt.“

Piru hielt inne, und der kleine Gimilla, der
noch keinen Bart hatte, ritzte eifrig die letzten
Keile in den feuchten Ton und blickte dann em-
por.

Es war die Sonne schon untergegangen.
Und es wurde dunkel. Alle Sterne funkelten
bald am hohen tiefschwarzen HimmelsgewÖlbe.

„Hole,“ sagte Piru, „die Lampen. Wir
werden noch lange zu schreiben haben. Die
Nacht ist milde. Unten plätschert der Tigris.
Und kein Wind weht. Es ist noch schwül. Aber
es wird sich schon abkühlen.“

Gimilla ging ab und holte zwei kleine Oel-
lampen und stellte sie neben seine Tontafeln auf
den sehr niedrigen Tisch, der vor ihm stand.

Und Niru diktierte wieder:

„Anders lag die Sache in der Bibliothek
des königlichen Palastes. Saosduchin, der König,
war sehr heftig. Und wer ihm vom Fortschaf-
fen der Tontafeln etwas gesagt hätte, der hätte
gleich das Henkerschwert im Genick gefühlt —
und dann garnichts mehr gefühlt. Ich hatteein
kleines Zimmer in der Bibliothek für mich allein.
Das lag auch dicht am Wasser — am Euphrat.
Das Wasser war aber dort ganz dicht vor dem
Fenster. Die Bibliothek lag ein wenig tiefer als
der Spiegel des Euphrat. Ich wollte nun so
gern einen unterirdischen Gang bauen, um die
besten Tontafeln heimlich fortschaffen zu kön-
nen. Die Nähe des Wassers jedoch liess mir
den Plan unsinnig vorkommen. Hier waren alle
unterirdischen Gänge scheinbar unmöglich. Aber
gerade, sagte ich mir lächelnd, weil sie hier un-

möglich erscheinen, deshalb könnte man wohl
schon früher darauf gekommen sein, von hier
aus — gerade von hier aus dicht am Euphrat
— unterirdische Gänge anzulegen. Und ich un-
tersuchte das Terrain.“

Er hielt abermals inne.

Dem kleinen Gimilla hingen die Haare ins
Gesicht, die Oellampen erhellten die Haare, dass
sie glänzten — und auch der feuchte Ton glänz-
te. Die Steme am Himmel glänzten natürlich
auch. Der kleine Gimilla ritzte die Keile in den
Ton und sah dann seinen Onkel lange an und
sagte:

„Onkel, du machst ja so lange Pausen. Ich
kanu sehr schnell schreiben. Und ich verschreibe
micli nicht. Wenn ich erst mitten drin bin, so
kann’s viel schneller gehen. Sprich nur, so-schnell
du willst, ich komme schon mit.“

Piru lächelte und meinte:

„Du weisst, dass ich alt bin. Und deswe-
gen hast du nicht Angst, ich könnte zu schnell
sprechen. Aber schreibe nur weiter.“

Der alte Priester sass einige Zeit ganz un-
beweglich. Seine Züge wurden starr, dann dik-
tierte er wieder:

„Eigentlich lag mein Zimmer vor einer Bucht
des Euphrat. Rechts und links waren ganz ho-
he Festungswälle und starke Mauern mit hohen
Türmen. Mein Zimmer und der dazu gehörige
Teil des Palastes lag also sehr geschützt. Und
so nahm ich an, dass hier trotz der tiefen Lage
der Bibliothek unterirdische Räume sein könn-
ten. Und ich suchte nach ihnen auch im oberen
Teile der Wände — mit einer kleinen Leiter aus
Pistazienholz. Wir brauchten die Leiter, die mit
Achat und Lapis lazuli verziert war, um die
oberen Stockwerke der Gestelle zu erreichen, auf
denen die Tontafeln lagen. Da oben neben ei-
nem sehr grossen Gestell gab die Wand nach,
und ich kam in einen langen, sehr langen dun-
keln Gang. Wohl drei Stunden ging ich mit
Oellampe, Hacke und Spaten in dem Gange, und
da fand ich keinen Ausgang. Der Ausgangwar
zugemauert. Ich arbeitete zwei Monate, um die
Zumauerung zu durchbrechen. Es war eine sehr
schwere Arbeit. Und dann kam ich in ein zer-
fallenes Haus, das in abgelegener Gegend lag.
Alle Tontafeln des Palastes brachte ich dorthin,
legte an ihre Stelle wertlose Tafeln, auf denen
Uebungsstücke standen. Und dann kam die Be-
lagerung des Palastes. Und ich holte die letzten
Stücke. Und da brach Feuer im Palaste aus —
im Harem des Königs brannte es lichterloh. Und
die Haremsfrauen und Eunuchen schrien wie die
Wahnsinnigen. Niemals werde ich dieses furcht-
bare Gekreisch vergessen — niemals — bis an
mein Lebensende nicht. Und aus dem Palaste
heraus konnte niemand, denn draussen stand der
Assyrer, der alles niederschlug. Nun wollte ich
den Bedrängten zu Hilfe kommen — ihnen von
dem geheimen Gang erzählen. Und — ich wagte
es nicht. Ich fürchtete das Geschrei der wahn-
sinnigen Frauen. Die wahnsinnigen Frauen konn-
ten so leicht meinen Gang verraten — und da-
durch all die Tontafeln in Gefahr bringen. Auch
fürchtete ich, dass man den Fliehenden nachset-
zen könnte. Denn es müsste den Belagerern
auffalten, wenn plötzlich das Geschrei aufhören
sollte. Man würde, dachte ich, schon vermuten,
dass sie sich durch geheime Gänge ins Freie ret-
teten. Und ich bekam’s nicht fertig, die Ster-
benden zu rufen. Sie kreischten wie die Wahn-
sinnigen. Und ich stand in meinem finstern
Gange und roch den Brandgeruch. Und ich ver-
mochte nicht, mich zu bewegen. Ich gab den
ganzen brennenden Harem dem Feuertode hin.
Und ich rettete mefine Tontafeln. Aber Hunderte

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