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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 68 (Juli 1911)
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Walden, Herwarth: Zeitgeschichten
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Peledan, Sar: Die höchste Tugend, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0096

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lich zu kindisch und belanglos. Dasselbe muss
ich von Max Brod sagen. Er kann Karl Kraus
nicht übersehen. Dafür kann er i h n doch nicht
verantwortlich machen. Max Brod hat einige
talentvolle Novellen geschrieben, ganz miserable
Gedichte und viele feuilletonistische Essays, die
zum Teil direkt Karl Kraus nachempfunden sind.
In diesen Fällen gab Brod das Feuilieto-
nistische dazu. Das alles berechtigt ihn aber
noch nicht, Frechheiten gegen Kraus zu schrei-
ben. Man trägt kein Verlangen nach seinen kri-
tischen Ansichten. Er sollte jedes Jahr seinen
Band Noveilen herausgeben und sich liebevoll
in Details versenken. Da hebt er plötzlich den
Kopf und stösst gegen eine chinesische Mauer.
Die Augen, die sich gewöhnt haben, im Dun-
keln zu suchen, sind vom Licht geblendet. Aber
Max Brod ist doch nicht mehr so jung, um
deshalb auf die Sonne zu schimpfen. Seine pä-
dagogische Veranlagung sollte ihn vor solchen
Kleinkindergewohnheiten eigentlich bewahren.
Die Sonne scheint und die chinesische Mauer
steht. Wer Maulwurfsaugen hat, arbeite im
Dunkeln.

Der Kenner

Herr Hofrat Paul Schlenther ist ein vorsich-
tiger Mann, er weist im Berliner Tageblatt auf
eine neue Ausgabe der Gesammelten Werke von
Björnson hin. „Von der geschmackvollst
gekleideten Björnsonausgabe liegen bis jetzt drei
Bände vor. . . . Dem alten Pangermanen bliebe
sein unerfüllter Herzenswunsch, diese deutsche
Ausgabe noch zu erieben. Er erwartete von ihr
im deutschen Geiste mit Ibsen gleichgestellt zu
werden. Der gemeinsame Enkel sollte den einen
Grossvater im Ausland nicht minder geschätzt
finden, als den andern. Wie weit das sein kann,
woilen wir erst prüfen, wenn alle fünf Bände
da sind.“ Die Rücksicht des Herrn Hofrats auf
den gemeinsamen Enkel und sein Familiensinn
in ailen Ehren: Aber der deutsche Geist kann
den Herzenswunsch nicht erfüllen, den andern
Grossvater mit Ibsen gleichzustellen. Das be-
haupte ich, auch wenn bis jetzt erst drei ge-
schmackvollst gekleidete Bände vorliegen. Soll-
ten die Leser des Sturms sich über Herrn Hof-
rat Schlenther genauer orientieren wollen, so
empfehle ich ihnen den Beitrag von Karl Kraus
in Nummer 324/25 der Fackel auf Seite 26 nach-
zulesen. Sie können dort Näheres über die so
überaus sympathische Famiiiarität des braven
Hofrats erfahren. Wohl ihm, dass er ein On-
kel ist!

Trust

Die höchste Tugend

Von Sar Peladan

Schluss

Endiich ging Merodack nach vorn, alle folg 1-
ten mit geheimem Bangen der Unterredung. Die
Beichte war lang und erregt, clie Stimme hob
sicb Augenblicke lang, Worte drangen zu den
Rittern. Die beiden Gewissen des Mönches und
des Magiers kämpften, und der Zwist schmerzte
die Versammlung tief. Welche furchtbare Frage
erregte sie, die beiden ungeheuren Seelen, die
die heitere Majestät des Sakramentes brach?
Merodack hielt mit gekreuzten Armen seinen Wil-
len aufrecht, den cler Andere ändern wollte. Ei-
nen Augenblick entfernte sich der Priester, als
weigerte er die Absolution. Merodack sagteru-
hig ein Wort, das den Mönch besiegte. Der hob

die Hand, sprach die Absolution, aber sein An-
gesicht drückte Trauer aus. Die Messe begann
mit den Klängen der Ekstase des heiligen Frei-
tag. Sie nahmen das Abendmahl mit hohem
Glauben. Nach dem Evangelium Johannis, ihrem
Evangelium bestieg Merodack die fiinf Altar-
stufen, indem Alta sie hinabschritt. Er sprach
ruhig, in sich gesammelt, erhaben:

„Die vor uns in Jesu* Namen sich versam-
melten, damit sein Reich komme, fanden um sich
her Vorbilcler und zauderten auf den Wegen kei-
neswegs: Beschauung, Biissung, Predigt, Erzie-
hung. Aus diesem vier-einigen Kreise der from-
men Ur-Werke traten die Männer Gottes, die
strenge Kloster-, Prediger- und Pädagogen-Mön-
che waren, nicht hervor. Sie entsprechen dem
menschlichen Bedürfnis.

„Es beclarf einer Anzahl, die sich der Be-
trachtung des Schöpfers widmen, damit die wirk-
same Beziehung des Himmels zur Erde erhalten
und die Jakobsleifer entrollt werde, auf der die
Gebete im unaussprechlichen „Kommen und Ge-
hen“ sich aufschwingen und hinaussteigen, und
die Gnaden herabsteigen und ürleuchten.“

„Es bedarf einer Anzahl, die freiwilligem
Unglück eingewilligtem Leiden sich hingeben,
damit durch sie das Mysterium des Schmerzes
fortdaure, in dem alle anderen selbst das der Er-
Iösung eingehüllt sind, die Reinigungen eines
ganzen befleckten Volkes durch eine einzige Hei-
ligkeit, damit Herzen, die vor Barmherzigkeit
brennen, die glühenden Feuerherde seien, die die
Rassen vor der Pest der Leidenschaften erretten.

„Es bedarf einer Anzahl, die reden, singen
und erklären, weil Wort, Zauber und Vernunft
in die Seelen den reinen Weizen des Glaubens
säen, das Saafkorn für die Garbe der Tugen-
den und die Aehren des Werkes, oft einen ein-
zigen Eindruck, der die Seele entschied, sie vom
Weg des Jahrhunderts abkehrte und auf den der
Ewigkeit führte.

„Es bedarf einer Anzahl, die reden, singen
bilden, sie zum Ideal aufrichten. Erzieher fehl-
ten uns allen, wir mussten unsre eignen Meister
werden, zugleich den der lehrt und den Andren
der hört, in einem werden, Schüler der eignen
Denk-Anstrengung, Meister des persönlichen Jün-
gertums aus Mangel an wertvollen Pädagogen.

„Wer sind wir? Männer des Gebets, der
Entsagung und Bekehrung oder der Lehre? Nein,
denn unser Gebet ist ein geistiger Wille, unsere
bedingte Entsagung hat ein Ziel, wir suchen nur
unsre Selbigen, wir können Niemanden beleh-
ren, weil uns keiner lehren könnte.

„Gleichwohl, wir lieben Gott, wir glauben
an das Heil, wir leisten dem Lichte Zeugnis,
wir wechsein in der Sorge um den Nächsten ab
mit clem Kult des Abstrakten.

„Wer also ist dieser Glaube mit seinen dunk-
len, unschlüssigen Werken, wo die Glut der Em-
pörung gleicht, die Frömmigkeit der Ketzerei?
Welche also ist jene Hoffnung, die von der der
Herde so verschieden ist, die so lebhaft, so un-
geduldig ist, dass ihre Kraft wie Ketzerei er-
scheint? Welche also ist diese Barmherzigkeit,
die ihren Nächsten erwählt, die in beschränkten
Fällen liebt und auf unangebautem Grund sich
opfert? Endlich, welches also ist dies Wort, in-
spiriert durch das der Kirche, das ihm zu wi-
dersprechen scheint, das Gemeinsamkeiten ver-
wirfc und verhindert, um sioh solche stärker und
schwerer aufzuerlegen, das sich allgemeinen Pflich-
ten verweigert, und seine Aufgabe anhebt unter
den Wundern des Mystizismus bis in jene Zwi-
schenwelt hinauf zu suchen, wo die dem Men-
Bchen nachbarlichen, jedoch von ihm getrennten
Engel sich bewegen?

„Lassen Sie uns in Gedanken das lange,
wunderbare Leben des heiligen Johannis aus-
streichen, und nur sein Evangelium und seine
Apokalypse von ihm nehmen, siehe da, das ist
er vollkommen.

Die kaiserlichen, die päpstlichen Zwistigkei-
ten sind tot, und den Dante machten nicht seine
Rolle oder sein Schicksal zu unsrem Meister,
sondern die Divina Comedia. Sokrates hätte um-
sonst Schierling getrunken, wenn nicht Plato
göttlich seinen Gedanken formuliert hätte. Nicht
das Martyrium des heiligen Paulus, sondern
sein Genius errichteten das Christentum. Als
Johann Huss angesichts des Scheiterhaufens
sagte: „beweist, dass ich unrecht habe“, sprach
er gewfss ein starkes Wort. Es blieb nur eine
historische Szene, das Buch fehlt, das sie zur
Wirkung gebracht hätte, uncl clann verliert sich
der Sprecher in der Menge der Erzketzer.

„Das Wort borgt alles von der Begeben-
heit. Das ist beinahe das Pathetische des The-
aters. Was erhaben war, wird ausserhalb des
Umstandes ungültig.

„Dagegen die Schrift verlängert die Rede
unendlich, das Abstraktum zieht Zukunft wie Ge-
genwart gleichsam in einen Globus zusammen;
das Evangelium, der absolute Urtypus des sinn-
lichen Lichtes, kann und muss von jedem Men-
schen, von welcher Rasse er auch sei, gepredigt
uncl verstanden werden, wenn man nicht das
zarte, überwirksame Wesen des göttlichen Her-
zens clurch örtlichen Kirchen-Gebrauch und eth-
nischen Formelkram verfinstert. Wir sind die
geistigen Söhne unserer Betrachtungen, sie hän-
gen von unserer Lektüre ab.

„Diese unmögliche Definition nur hätte uns
uncl unser dämonisches Werk bezeichnet, das
heisst Vermittler zwischen dieser und der ande-
ren Welt zu sein. Was wir jemals taten, ward
fehlgeboren; und weil der Zweifel nur an der
Gelegenheit liegen kann, schliessen wir, dass die
Stunde noch nicht kam, damit unsere Ideen von
der Kraft zur Tat gelangten.

„Saugen wir unsere Tätigkeit auf, ziehen
wir sie in Macht zusammen, das heisst bereiten
wir die Ereignisse, die wir nicht verkörpern
werden, vor. Wir glaubten Reformatoren zu sein,
wir sind nur Vorläufer, bereiten wir denen, die
kommen werden, die Wege, leisten wir ihnen
Zeugnis, damit man an sie glaube. Offenbaren
wir geistig das gleiche Ideal, das wir verwirk-
lichen wollten. Ich bin der am wenigsten Be-
reitete auf solche neue Anstellung. Wenn ich
sie zeige, so geschieht es, damit ich mich zwin-
ge, damit ich mir selbst gehorche.

„Ich glaubte, dass wir als die verborgeneu
Persönlichkeiten einer Renaissance Geschichte
schüfen, ich irrte mich, ich zog euch in meinen
Irrtum nach mir. Heut weise ich die neue
Aufgabe, verführerischer als die andere, denn
sie lässt Ehren-Lohn zu, Unsterblichkeit im An-
gedenken der Menschen.

„Wer von uns würde ein Schemen seiner
selbst sein, ohne Buch, Denkmal, Statue und
Gemälde? Gleich tiefen Spiegeln behielten wir
die Ausstrahlungen des Meisterwerkes zurück,
aber aus ihm kam uns das Licht. Werden wir
lichtvoll. Arbeiten wir, dann möge unser Wil-
le nicht das Ereignis zusammenpressen. Unser
Geist erleuchte die Erwählten, die nächsten Wil-
len. Mit seinen Dichtern machte sich Israel die
Welt zinspflichtig, und kein Heiliger begriff trotz
clieses Beispiels künstlerischer Macht die Idee
eines Ordens von Genies.

„Bei den geheimen Methoden, der wechsel-
seitigen Hegung, die wir gegeneinander ausüben,

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