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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 64 (Juni 1911)
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Mahler, Gustav: Wieder eine Woche
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Haman, Karl: Literarhistorik undJournalismus: Beiträge zur Kenntnis Eduard Engels
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0065

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Wovon man spricht

Natürlich voni Naturtheatcr. Denn der Mai
ist gekommen und die Kritiker schlagen aus.
Mein geliebter Keller vom Lokal Anzeiger be-
konimt Sonne und er, der literarische Kritiker,
meint gesperrt: „ D e r T e u f e 1 h o 1 e d i e
ganze Literatur.“ AIso nicht einmai
die Sonne kann ihn erleuchten, oder der Mai
bekommt ihm nicht.

Die Festspiele auf dcr Freilichtbühne wollen nicht iite-
rarisch bewertet sein, aber es geht von ihnen vielleicht
die leise Mahnung aus: Wir bringen das Theater in die
Natur, sorgt ihr andern dafür, daß in euer Theater etwas
mehr Natur kommt.

Hoffen wir das Beste. Ist die Botanisierung
des Theaters geglückt, wird sich Herr Keller
einen Ast in den Baueh Iachen.

Er bellt

Der schon mehrfach hier verpriigelte Herr
Pfemfert aus Wilmersdorf Nassauischestraße 17
bellt jetzt natürlich. Der Mann ist zu belanglos,
um eine andere Tätigkeit an ihm vorzunehmen.
Ich erkläre hier nur, daß alle sachlichen Be-
hauptungen, die er sich iiber Karl Kraus zu
schreiben erfrecht, völlig erlogen sind. Seine An-
sichten soll er ruhig verkaufen, wenn er Ab-
nehmer findet.

Via Lappland

„Er ging sthon lange mit dem Plan um, all seine Ge-
danken zu Papier zu bringen, aber die Anforderungen des
täglichen Lebens Iießen ihin keine Muße zum Dichten. So
kam er nie zur Ausführung seiner großen Pläne und wurde
von seinen Angehörigen wegen seiner unklaren Schwärmereien
verlacht, ganz wie es in zivilisierteren Gegenden auch ge-
sdiehen soll.“

So äußert sich die B. Z. am Mittag über
einen — lappländischen Dichter. Am 17. Mai.
Am 22. Mai schrieb Herr R. Sch. per Vers die
oben mitgeteilte Ansicht iiber Wedekind. Nun
verstehe ich nicht, warum dieselbe Zeitung
schreibt, wie es in zivilisierteren Gegenden auch
geschehen s o 1!. Sie braucht doch nicht bis
Lappland zu reisen, um sich hierüber zu
orientieren. Mehr Redaktion, Kollegen! Keine
unklaren Schwärmereien, sondern sie heraus-
redigieren!

Der verrenkte Fluss

Ich muß einen sinnzerstörenden Druckfehler
berichtigen. Die vorige Nummer dieser Zeit-
schrift enthält in der Giosse iiber Eduard Engel
folgende Steilc:

Ueber Else Lasker-Schüler: „Um sie ist es schade, denn
mit ihrem zitternd heissen Scelenleben, dem brennenden Durst
nach Dichtung wäre sie eine unserer starken Sängerinnen
geworden, wenn ihr das Lied nicht zu abgedroschen erschien.
Sie könnte die bezauberndsten rhythmischen Wirkungen er-
zeugen, aber absichtlich unterbricht sic den Fluss ihres
Gesanges durcli stolpernde hinkende Verrenkungen. Ach,
welch ein edler Geist ward liier zerstört!“ Herr Engel hat
sich bei dieser Gelcgenheit sogar den Fuss verrenkt.

Der offenbar nicht poetisch veranlagte Setzer
phantasiert von einer Fußverrenkung. Dem-
gegeniiber fühle ich mich verpflichtet, die Freunde
des Herrn Professor Engel zu beruhigen: er hat
sicb natürlich nur den Fluss verrenkt.

Trust

Literarhistorik und
Journalismus

Beiträge zur Kenntnis Eduard Engels
Von Dr. Karl Haman

I.

Vom Popularisieren

Journalisten, die eine schwache Erinnerung
an ihre akademischen Lehrjahre haben, schreiben

populäre Bücher. Volkstümlich, allgemeinver-
ständlich und unter andauernder Liebkosung des
Lesers. Es erfordert wenigerTalent als Zeit. Hat
doch der geliebte, gebildete Leser aus dem Volk
keine Ahnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen
die ihm durch ihre Darstellungsart unzugänglich
sind. Nun kommt der Popularisator . . . sie
verstehen, und aller Dank fällt auf sein mild ab-
wehrendes Haupt. Jede straffgesagte Banaiität,
die der ehrsame Nationslehrer aus irgend einem
Kolleg behalten, wirkt als originelle Entdeckung.
Und da die lieben Leser ihn als Born aller
ausgesprochenen Weisheit betrachten, jubeln sie
ihm in erfreulicher Begeisterung zu: ist er doch
der wahre Erzieher des Volks, der das Leben
aus den staubübersponnenen Schweinslederbänden
(ein beliebtes und volkstiimliches Symbol für die
Wissenschaft) gerettet hat. Und Journalisten
niederster Klasse, die tatsächiich ihr Deutsch, nach
vollbrachtem Achtstundentag, im düstern Kämmer-
lein erschwitzt haben, brechen in Hymnen aus
auf das „bei aller Wissenschaftlichkeit populäre
Werk“; — wobei sie nicht undeutlich durch das
Gefühl geleitet werden: Herrgott, vielleicht . .
vielleic’nt schreibst du selbst einmal etwas
ähnliches ....

Es gibt auch eine andere Art der Populari-
sierung, die lediglich das Schwerflüssige der
Terminologie in konkrete Bilder auflöst. Doch
diese setzt eine vollkommene Vertrautheit mit
der Wissenschaft voraus und erfordert außerdem
ein durchaus künstlerisches Temperament.

II.

Die Methode

Der Literarhistoriker ist in demselben Maß
Historiker, als er Aesthetiker ist. Sonst bleibt
er ein Chroniqueur, der die Ereignisse und ihren
Niederschlag in den Kunstwerken nebeneinander-
fügt, sinnlos und von nur empirischen Motiven
geleitet. Wir müssen die Iangsame Entwicklung
der Kunst als ein Geschlossenes vor uns sehen,
— oder die Literaturgeschichte ist eine Sammlung
von Feuilletons, nach einem traditionellen Schema
geordnet. Man wird solchen Historikern — zu-
mal wenn sie zu alt sind, um sie ins Seminar
zu schicken — den Rat geben, ihre Zeit mit
nützlicheren Dingen zu verbringen. E d u a r d
E n g e 1 zum Beispiel, wäre, bei der eminenten
Ausdauer ein prachtvoller Altphilologe geworden
wobei ich an jene Schulmeister erinnern möchte,
die ihr ganzes Leben an die wahrscheinlichere
Interpretation irgend eines aristotelischen Satzes
setzen.

Sprechen wir so volkstümiich und liebevoll,
wie wirs nach der Lektüre des Engelschen Werkes
gelernt haben. Also: der Literaturhistoriker muß
eine Ahnung haben, wie die Dichtungen entstehen.
Kunstwerke haben nämlich nicht die Eigentüm-
iichkeit, vom Himmel in eines Meisters Herz zu
fallen und frisch und frei wieder herauszusprudeln;
sondern sind seltsamerweise clurch die geistige
Beschaffenheit des Dichters durchaus bestimmt,
der wieder durch die geistige Atmosphäre seiner
Zeit, durch ihre ökonomische Struktur in über-
raschender Weise bedingt ist. Man verlangt von
ihm sogar soviel Psychologie, daß er das Plus,
das den Dichter über das notwendige Milieupro-
dukt erhebt, herauszulesen und in seinen Werken
wiederzufinden weiß. Eduard Engel hat zwar
hiervon keine Ahnung, schreibt aber sehr schön
Literaturgeschichte für die Gebildeten im Deutschen
Voik.

Es gibt in unserer Zeit Luxusmenschen, die
an den Literarhistoriker das unerhörte Verlangen
stellen, daß er auch etwas von Literatur verstehen

müsse. Nun, diese Unverschämten sind durch
Herrn Eduard Engel schlagend widerlegt. Nichts
muß er verstehen: aber gesund muß er sein!
Wie darf man von ihm verlangen, daß er ein
Kunstwerk über seinen gleichsam bedingten
Gehalt auf seine persönliche Bedeutung unter-
suche! Dazu gehört nämlich, daß man philosophischä
Bildung besitzt, um die Einheitlichkeit des ästhe-
tischen Urteils zu verbürgen. Man muß sich über
seinen künstlerischen Instinkt, über seine Urteils-
prinzipien klar geworden sein; muß sie, aus dero
Nebeleinernur gefühlten Geltung, zurintellektuelien
Anschauung bringen, um im historischen Sinn
Kritiker zu sein. Anderseits muß die künstlerische
Kultur die Seele so fein organisiert haben, daß
sie diese Maßstäbe nicht zu absoluten prägt und
in jedem Einzelfall noch soviei frei bewegliches
Gefühi übrig hat, um das ganz Besondere,
psychologisch Vereinzelte in einem Kunstwerk zu
erkennen. Aber: Eduard Engel sdireibt ja nur
für „Gebildte“. Da begnügt er sich mit Referaten
und sogenannten Analysen, die lebhaft an Se-
kundaneraufsätze erinnern.

Es gibt nämlich eine literarhistorische Methode.
Sie hat ihre höchst persönlicnen Eigenschaften.
Mit bewundernswertem Freimut pfeift Engel auf
die unverständliche Wissenschaft — und sehafft
sich eine eigne Methode, die sich behaglich in dem
wirren Schwall nichtssagender Werturteile wältzt
Es wäre unangemessen, zu sagen, daß Eduard
Engel etn schlechter Journalist sei: man kann
sogar behaupten, daß sein Talent für die ge-
wisse gerührte Reportage nur von Böswilligen
verkannt werden kann.

III.

Die Darsteliung’

Von unserm Objekt angeregt, bleiben wir
geistreich und variieren: Kritik ist Kunst, gesehen
durch ein Temperament. Kunstgeschichte ist
Kritik, mit Ausschaltung der aktuellen Beziehung
und Einordnung unter einem Begriff. Eduard
Engel schaltet nicht den aktuellen, aber den
künstlerischen Moment aus. Daher ist seinfe
Darstellung überhäuft mit aktuellen Anspielungen
— eine Art, die wahrscheinlich die Beziehung zum
Leben markieren soll, und die noch jeder unfähige
Journalist zur Rettung seines „historischen Stand-
punktes“ ausgenutzt hat. Wertlos wie sein Urteil
ist seine Anordnung: jeder kulturell bedeutsame
Menschistauch literarisch selbstverständlich ein ganz
Großer und wert eines Porträts. Das ist die
natüriiche Folge dieser flachen Art, sich über
Literaturgeschichte zu äußern; indem man vor-
gibt, den Leser in das Gebiet einführen zu wollen,
verleiht man sich diktatorische Gev/alt und fröhnt
seinen besondern Liebhabereien, die den Lesera
als notwendig aufgeschwatzt werden, da das Buch
ja erziehen wili. Indem der sogenannte Literar-
historiker (in besondrer Beziehung auf Eduard
Engel) seinen Gegenstand mit dem der Kultur-
geschichte identifiziert, verliert er die individueüe
Empfindung desStoffs: — und dieFoIge sind solche
wertlosen und wässrigen Schmöker, die die Lite-
rutur zum Mittelpunkt machen und dann aus
einer Empfindung der Vollständigkeit und aus
der eben geschilderten Vermischung der Stoff-
gefühle eine Charakteristik der wissenschaftlichen
Literatur anhängen, die nur den Unwert einer
belangiosen Namensaufzählung besitzt und in
keiner organischen Beziehung zur schönen Literatur
gebracht ist. Betrübend ist nur die Selbstver-
blendung dieser Autoren, die sich völlig unklar
über ihr charakterloses Gewäsch — nicht etwa
im moralischen Sinn — sind. Und so spreizt sich
Eduard Engel als Causeur, plauscht über al!e

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