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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 98 (Februar 1912)
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Döblin, Alfred: Der schwarze Vorhang, [1]: Roman
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Ehrenbaum-Degerle, Hans: Gedicht
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0339

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Aber Johannes liebte dieses Buch all zu sehr,
weil es einen braunmarmorierten Deckel und wun-
derschönes gelbes Papier hatte und über die gelbe
Ebene sich ein schwarzes Buchstabenheer wälzte,
bald in dicht geschlossenen Zügen, bald einzeln
und in Abteilungen, frech wie Jäger ausschwär-
mend. Und jetzt in dem scharfen Licht trug
jeder Buchstabe am Rande rasch aufhuschende
Purpurfarben, als ob sich der gebannte Qeist der
Worte befreien und dem Schwesterlicht anver-
trauen wollte.

Sondern der Kranrpf dehnte und zog sich ganz
auf das Zwerchfell; Johannes breitete die Arme
mit den losen Aermeln über das offene Buch und
fin/g, indem er den Kopf in das Dreieck der ver-
schränkten Arme legte, auf die hergebrachte Art
zu schluchzen an. Das war ein imjner erneutes
Qiucksen, Schnaufen und Zusammenfahren. Die
Tränen fielen auf das Buch und das Wasser floß
aus den Augen, rann durch den Tränenkanal, die
Nasengänge in den Rachen, daß Johannes schluckte
und das Salz schmeckte. Die Spannung erschöpfte
und löste sich allmählich. Er stiitzte bald den
Kopf auf die linke, leidend, wischte das Buch ab
und schob es schluchzend zuriick. Eine Kühle, eine
gedämpfte Bitterkeit überzog ihn, während die Er-
schütterungen abflossen, nachließen und ganz ver-
klangen; ihm war, als ob er einen Angriff abge-
schlagen hätte, der ihm mit Gewalt ein Unrecht
antun wollte. Lange saß er so und beruhigte sich.
Dann schneuzte er sich noch einmal, griff, noch
immer schluchzend, nach e;inem Bleistift und
schrieb, trotzig, in Holzhackerschrift:

„Ein König liebte —. den weißen Wein. Aber
es wuchs keiner in seinem Reiche, weder im Osten,
wo das Qebirge fruchtbare Abhänge bot, noch im
Westen, wo sein Land sich zu einer hügeligen
Ebene flachte, und aus den Flüssen schädliche
Dünste stiegen. Ueber seinem Kopfe ging immer
wieder die Sonne hinweg, aber seine Hoffnung
mußte erblassen wie der bleiche Liebling seines
Herzens.

Die Höflinge feierten ihre Feste; die Augen
aller träumten lieblich, und alle schauten sich mit
Neigung in die bekränzten Qesichter; zwischen
ihnen ging der stille Herrscher und gähnte, und
die Sucht bohrte und schüttelte den suchenden,
als wieder das verfluchte Sonnenrot auf seinen
Weg fiel und darüber wie ein Hohn hin-
schwebte.“ —

Als Johannes dies hinschrieb, fühlte er selbst
etwas höhnisches in sich auflachen; er starrte
vor sich hin und verbarg das Qesicht in den
Händen.

„Alle Seligkeiten liegen über meinem Reiche;
ich mag sie nicht, verachte sie. Nur dies einzige,
was ich begehren muß, dieses winzige, diesen —
lumpigen — weißen —“

Es zerrte und stieß hinterlistig an seinen Blei-
stift und wolite ihn riickwärts stoßen, um einen
queren, dicken Strich über das Papier zu ziehen,
vergleichlich dem Wege eines Pudels, dem man
die Schwanztrottel in Tinte getaucht hat, und der
nun mit Geheul fortläuft. Die Hand sank zu-
sarnmen und lag wie ein weißer Tierleichnam
flach auf dem Tisch.

Sie schrieb nicht weiter, und war alles ganz
still. Ja, es Iächelte sogar mit gesenktem Kopf,
der eben so bitterlich geweint hatte. —

*

Vielleicht fallen hier und da noch Worte,
genug, um alle Farben aufzuhelfen, welche im
Weinen und Lächeln Johannes’ sich mischten.

Ich werfe Bröckchen auf den Weg und kleine
Kiesel, wie es die Schwester im Märchen tat, dem
das Brüderchen im Wald verloren war.

Aber die Brosamen pickten die Stieglitze und
Hänflinge, und die Kiesel verwehte der wilde
Wind in der Nacht, „Wo mag doch mein klein
Brüderchen sein, lieber Stieglitz, lieber Hänfling,
du loses Windchen?“

Ein Wurm, der an Johannes Seele fraß, war,
daß so wenig Vogelgeschrei über seinen Weg ge-
hallt hatte. Er beneidete manchmal heimlich
einen Verbrecher und spottete nicht, wenn von der
Vergangenheit einer Frau die Rede ging.

Ueber sein verschlossenes Gesicht legte sich
dann ein Schmelz von Ehrfurcht; etwas warm
schwärmerisches quoll in ihm auf, so daß, die um
ihn waren, scherzten über ihn, dessen Herz nach
Taten schmachtete, nach absonderlichen Taten.
Schon hatte in ihm die Lust zu kostbaren Qe-
fühlsmischungen dunkel präludierend angeschla-
gen, verlieh seiner Einsamkeit ein kopfhänge-
risches, schwermütiges Erhobensein und gab sei-
nem Selbstbewußtsein die komischen Flügel einer
Qans.

Nur daß Vater und Mutter fern vor ihm in der
Heimat gestorben waren, während er selbst sich
krank durch sein letztes Schuljahr wälzte, war,
was er von sich wußte: eine herrische stark-
knochige Mutter mit kiihlem Blick, ein fügsamer
gedrückter Vater, der nicht klagte, stillstilles Al-
räunchen, das langsam vertrocknete und einging.
Und er hauste bei einer fetten, glotzäugigen,
kropfhälsigen Frau aus seiner Sippe, deren Toch-
ter verdorben und deren Sohn verschollcn war;
und die nun in dem engen Bezirk weniger Stra-
ßen ihr behäbiges, dickwamstiges Dasein führte
mit leichter Atemnot.

Ueber Johannes Appetit, Schnupfen, zerrissene
Socken und schmutzige Hemden herrschte sie
junonisch und mit einer herzlichen Teilnahme, die
er oft ungeduldig und seufzend abwehrte. In
ihrem schwarzseidenen Kleide gedieh sie, als eine
Rose von übergroßer Pracht, die sich über ein
kartoffelblasses Pflänzchen beugte.

*

Wenn er hingesehen und sich erinnert hätte,
so hätte er zugegeben, daß stumme Dinge mit
vieler Seltsamkeit und Kraft über seine Wege ge-
schlüpft waren all die früheren Jahre.

Während täglich Wasser und Nahrung von
Pflanzen und Tieren durch seinen Körper strömte,
von denen Verwandtes in ihm verblieb und Blut,
Knochen, Schleim erneuerten, Tags und Nachts,
war unbemerkt schweres in Krankheiten und Qe-
sundheiten durch ihn geschlichen, wie geduckte
Eidechsen im Qrün und hatte Spuren hinterlassen.
Wenn auch das Qebrüll der Schmerzen und Ent-
zückungen bald verklang, so hallte ihr Stöhnen
und Röcheln noch lange dumpf nach.

Da riefen sie seine Qedanken ganz heimlich
an; und er lag platt auf dem Bauch über sich
selbst, beschnüffelte und warf sich unruhig. In
dem schweren Körper begann das Leben mit
Raschheit und Heftigkeit zu arbeiten. Keine Mut-
ter hatte Johannes zart sprechen gelehrt, keine
Schwester seine Sprunggelenke im Tanz ge-
lockert und seinen Sinn an siiße, feine Nichtse ge-
kettet. Wenn seine dumpfe Stimrne sprach,
starrte man auf ihn und gab ungern Antwort.

Er staunte, erriet nichts, zog sich unsicher in
sich zurück, immer mehr; er trieb ins Sinnieren
und Träumen hinein, in die Notauswege des auf-
gestauten Lebens; bald verlernten Muskeln,
Sinne und Wünsche djas unbedenkliche schnelle
Zucken und Antworten, schlossen sich zarten, in-
neren Gewalten enger an und wurden ein Spiel in
ihrer Hand. Halb gelöst von allem Wirklichen sog
der selbstfrohe oft den Rauch ein, der zu ihm wie
aus dem Nichts aufstieg, und jenes glücklfche
Lächeln $chwamm um seine Lippen, das später
wie ein Leidenszug in dem schlaffen Gesicht des
Vereinsamten erschien.

*

Aber der schmale Theaterraum, in dem sel-
tenes vorging, die Fülle der fremden weltmänni-
schen Qesichter, Seideflirren und flüchtiger Duft,
Lächeln, Winken, Verbindlichkeit, darüber die
Wucht des blitzenden Kronleuchters und warmes

Licht an allen Enden: das bewegte, berauschte
ihn leise.

Wenn das Tamtam erdröhnte und das Wispern
in dem Halbdunkel hinsank, dann waren sie sein,
diese Menschen alle — da erwachte er; seine
Mienen verzerrten sich, — die Nachbarn zur rech-
ten und linken merkten nichts —, und er flüsterte
ihnen seine Qrüße, seine Qrüße und Zukunftshoff-
nungen zu, über ihre Köpfe hinweg. „Ihr süßen,
wie ich euch liebe.“ Oben auf der Bühne moch-
ten sie auch in dem hellen Lichte zwischen papa-
geibunten Säulen und gemalten Altarfeuern zu ein-
ander sprechen und scheinbar alle Seelen bezwin-
gen: er beherrschte sie doch wahrhaftig und be-
sprach sie; er hielt die Zügel ihrer Seelen in der
Hand und spannte seinen ganzen Willen an, um
sie zu lenken. Mit vollen Armen schüttete er Blü-
ten, Narzissen, Nelken, Thymian, goß er seinen
Wein über sie ins Dunkel aus, sang alles- entfes-
selt in ihm: „Seht ihr, seht ihr —!“ Jetzt hatte
er sie.

Im Dunkel der gesunkenen Augen stieg tiefrot
seine Königskerze auf, genoß er alle Seligkeiten.
Und wenn sie tränenschwer in den Pausen hinab-
stiegen und sich zwischen Palmenwedeln und
ruhigen Springbrunnen ergingen, so war ihr Fieber
sein Werk, wenm sie ihn auch nicht sahen /und be-
achteten, den braunhaarigen mit der bäurisch gro-
ben Qestalt und den starken Backenknochen, der
jetzt seine Lorbeeren still und scheu einsammeln
ging. Was Bescheidenheit sei, fühlte er; er ging
bei Seite und hielt den Kopf fast tief bis auf die
Brust, damit ja niemand ihm ;in die verzückten Au-
gen sähe und sein Qeheimnis erriete. Nur sein Herz
bebte vor Glück.

Ja, es wäre ihm nicht staunenswert erschienen
bei dieser so sichtbaren Offenbarung seiner Macht,
wenn die Säulen des Theaters sich auf seinen Wink
bewegt und die Decke sich gesenkt hätte. — Und
manchmal zuckte er mit dem kleinen Finger leise
versuchend und den Blick auf die Säule gerichtet;
aber dann fuhr er lachend zusammen und drohte
sich schalkhaft wegen seiner unergründlichen Bos-
heit uitd ließ es sein.

Sein Mitleid siegte; er wollte doch Iieber kein
Unheil anrichten und den Eltern, die ihre Kinder
im Theater wußten, ihr ein und alles in einer Laune
rauben. Und die schlanke blonde Dame da sollte
noch mit einem blauen Auge davonkommen. Aber
sie wußte nicht, welch edler Mensch so unfern von
ihr saß. Und er wollte auch keinen Dank, denn er
selbst mußte sich vor der Macht beugen, die zu-
fällig eine blinde Natur gerade ihm verliehen hatte.

Fortsetzung folgt

Qedicht

Wie ein Wald, der sich ins Dämmern webt,
War iich zwischen Tag und Traum gefangen
Und von Silbernebel matt belebt.

Immer aber trieb mich ein Verlangen
Und ein Durst nach Licht und Kostbarkeit.
Auf der Straße Sehnsucht bin ich weit
Von Qespiel und Heimat fortgegangen.

Bannte mich ein Wunder in die Welt:

Sonne küßte alle meine Stunden,

Rosen wurden alle meine Wunden
Und dem Flüsterspiel des Winds gesellt.
Will sich Abend auf die Weite senken,
Wird mein Herz ein süßes Blütenfeld,
Allen Sternen Träumerei zu schenken.

Hans Ehrenbaum Degele

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