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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 102 (März 1912)
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Döblin, Alfred: Der schwarze Vorhang, [5]: Roman
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Mürr, Günther: Hamburg, [7]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0375

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.foharmes schaucrte und besami sich pfötzlich,
daß er sein Liebchen schon hatte sterben iassen
lind zur Beerdiguns? der Lebenden i?ing. Er brachte
ihr seltsame Traumgeschenke dar.

Ihren flinkfiißigen Leib auf den Arm zu nehmen
und iri die dunklen Wälder zu rennen, briillte plötz-
lich ein räuberischer, liisternbegehrender Wunsch
auf und trieb ihn gesenkten Kopfes an sie heran,
his ihn ihr fragender Blick besiegt zuriickwarf.
Beschämt konnte er nichts sprechen. Nun rächte es
sich, daß sdne Qedanken wie losgelassene tolle
Htinde auf ihr Bild gestiirzt waren.

Zuviel regte sich in ihm bei ihrem Anblick, als
daß er leicht gelassen hätte schwätzen und um
Qunst werben können. Und so suchte er sie be-
ständig und fernte sie sich dtirch iibergroßes Seh-
nen immer weiter. Er fürchtete, ihr etwas gleich-
giltiges zu sagen, um sich nicht nrit dem Nachha.II
der Wortklänge die hohen Qedanken an sie zu ver-
derben. Seine Lippen. Zunge nnd Kehle hatten
keine Bahnen mehr zu dieser verioren schweben-
den Sehnsucht, iiber die Träumereien, wie sie seine
träge selbstgeniigsame Verlassenheit liebte, hin-
schwälten.

fir sprach eininal zu ihr, wie er es gewöhnt
war, hohnvoile, deckende Worte: Da verwies sie
es ihm seiner miide. fir wurde bestürzt, verstört
>md ging. Die spöttische Ruhe.in sich hatte er sein
Nein, den alten wilden Drang das Ja genannt, —
die kiuge Schwester imd den hitzigen Kindskopf,
die sich stritten.

Jetzt schwieg die kluge Schwester stiil itnd
grämte sich. Aber emsig suchte sie bimte Decken,

J iicher und Schleier hervor, um den Lärm des to-
benden Bruders clurcli Behängen der Wände, Tii-
reii. der Fenster zu dämpfen. Wie Johannes sich
aufrichten wollfe vor deni Mädchen. Um seine
Lippen em verächtliches Lächeln. fir faßte sie am
Handgelenk. „Was woiien Sie von mir?“ fir sah
sie an. sein ganzer selbstgenügsamer Stolz tag
in dem Blicke: „Wenn es mir gefallen hat, mit
Ihnen zu scherzen, so werde ich Sie jetzt lehren.
rnir zu antworten.“ fir trat zuriick; mit scharfem
höhnischen Tone: „Wenn ich mit Ihnen rede, so
wagen Sie in Zukunft nicht, einen derartigen Ton
anzuschlagen, mein Prinzeßchen von - wo Sie
wollen. fis könnte dann sein, daß ich liinen auf die
Puppen-Fingerchen klopfe und Sie gezienrlich
sprechen lehre.“ Stolz, rnit wegwert'enden Zucken
der Lippen setzte er sich hin. —

So rumorte das Ja hinter den Vorhängen der
verschiichterten Schwester, töricht und wußte sich
keinen Rat bei allem Stolz der Orimassen.

*

Solite er verzweifelt tind hassesvoll den törich-
ten Wiilen von seiner Mutter Einsamkeit einlullen
lassen , J Sie hatte schon die Arme iiber ihn gehal-
ten. in seine Irrsal liatte ihr Ruf klar gehaucht.
Nun sann er, vor dem lichteriohen fieuer, das ihn
verzehrte. imnier tiefer erschreckend, auf Wiiste-
neien; die Totenstille sollte ihm das fieuer, eisig
wie sie war, ersticken.

Ach, die I'otenstiile! daß ihn die verfluchte Qewalt
aus seiner Ruhe gerissen hatte tind jedern Lächer-
lichen preisgab. fir kotmte nur zischen. wie sie ihn
iiberrumpelte und ihn an seiner Ohnniacht v/ürgen
ließ: „firiß dies; Du hälst uns so stolz fiir Kotfres-
ser. Wir sind gnädig zn dir und lassen dich tanzen,
du Rauchtrinkerlein.“ Oh, hinterlistig war es auf-
gewachsen. hinter seinem Riicken, seine Träume
hatten es mit samtnen Händen gepfiegt und be-
gossen, und jetzt mußte er sich wehren und vor
Scham vergehen vor einer Macht, die er verach-
tete, vor den Kotfressern, — ja, denn das waren dip
Begierden zu den Menschen. — Totenstille! —

Sie schien ihm einzige Rettung zu bieten, zu
vereisen, auszuhungern, was so glühte, so frech
mit Panterlippen lechzte, das Lieben. Nicht wei-
nen, nicht weinen, sondern töten und Rache üben,
uitd dariiber verderben. Rache nehmen am eignen

fileisch fiir cfiese Nieöerlage. Wemi es schon hieß:
erliegen, so soJlten seine Feinde nicht über ihre
Beute frohiocken; er woilte sich auf den Bauch
hinwerfen, nun soilten sie ihre Beute suchen.

Aus seinern Innersten aufgescheucht, konnte er
nicht mehr kiihl und mit Lächeln auf sich herab-
sehen und es gehen iassen, wohin es wollte; er
mußte sich, wie er es konnte, zur Wehr setzen.
Der bittere Haß straffte ihn, zuckte durch seinen
Arm, verschärfte den Hohn seiner Maske. Er litt
aber, heiiios verbrannt und von der gellen, unge-
wohni wilden Rastlosigkeit gequäit so, daß es ihn
oft seine Feinde um Barmherzigkeit anzuflehen
verlangte. oder daß er eine bemalte Wand, eine
Holzfigur anging um einen nicht redenden, frag-
iosen, ganz durchsichtig hellen, weißen Trost, der
keinen kleinen Finger erhob, nicht aufblickte und
keine Ktisse spendete, — ein starres weißes Lieberi
ohne Sehne;

Fortsetzung folgt.

Hamburg

Von Günther Mürr

T rocadero

Sctaluß.

Klare Veriiunft öffnet viele Türen.

Hier ist der Zugang ihr versagt.

Tiefes Nnachdenken und weiches Weinen
herrscbt iiber weite Länder.

Hier wird nicht geklagt,

nicht überklug und iiberweise nachgefragt.

Bunte, törichte, tolie Bänder

haiten das Tor geschlossen, wenn Kiugheit

und l'rauer es wagt,

in das Lachen zu greinen.

Ueber dem Raum giänzt Licht,

dessen Hellen dunkelrotsamtene Logen ver-

schlingen.

Keinen Augenblick stockt der fröhliche Takt

der Tanzrnusik.

Manchnral Weiberlachen von scharfem Klingen.
Eine kleine Soubrette nrit gequetschtem Singen.
Das Licht erlischt tind Tänzerinnen erscheinen.
Leise Kellner mit regungslosem Qesicht
spähen und fiiilen die leeren Qläser.

Die jungen und alteri Mädchen. die großen

und kleinen,

dehnen die nackten, gepuderten Brüste.

Alie Männeraugen verzehren die Linien.
die atis den parfümschweren,
knappfassenden Seidenstoffen dringen.

Feiner Weinduft ist durch die Luft gestreut.

An ailen Tischen gedämpftes Lachen,
als ob jeder die tiefsten Dinge wüßte
und wollte sich darüber nur lustig machen,
wenn er einem Mädel die btmtesten Sachen

schenkte

und gierig ihr die schönen Arnie und Lippen

küßte.

Die Mädehen rühren alle Qlieder im Tanz,
bieten sich allen Blicken,
wecken die schlafende Begierde.

Der Tanz ist aus. . Sie fliehen rnit trippeinden

Tritten.

Das Licht glänzt wieder.

Die Qeigen fiihren bunte Paare.

Ihr Singen hat sie gepackt,
daß sie in wildem Tanze gleiten.

Durcli den elektrischen I'ag ist die Nacht

geschritten.

Seltsaine Schatten sind von ihren hehren,
ruheberingten Händen geglitten.

Alle werden hier Verschwender.

Ein junges Ding verkauft Blumen und Bänder.
Der kleine Platz zum Tanzen ist eng umfaßt
von damastbedeckten Tischen. Zigaretten-

rauchwoiken schweben
von den Trinkenden zu den tanzenden Paaren,

tangen sich in den dichten Haareu,
scbmeicheln um die Qesichter,
die Hände,

die grauen. klaren Augen.

Cin Biegen nach der Musik.

Alle Sinne werden gepackt.

Ailes vergessen, man spürt nur das Sein
und wie das Blut zur Qlut entfacht wird.
Weiber und Zigaretten und Wein
und fließendes Geld.

Sorglosigkeit.

Vorstadtnacht

Klare, mondgewaschne Luft

fließt kauin fühibar in den dunkeln Straßen.

Feine Lichtkegel um die Laternen.

Schwankes Sternstrahlglitzern und Erblassen.
Schwarze Zweige ohne Blätterflitter
ziehen durch die Nacht ein feines Qitter.

Heiser und ein Dampfer ruft.

Licht der Mond in dunkelhellen Pernen.

Alle Hüllen, die er hat sinken lassen,
unter ihm als filzigweißer Duft.

Haien

Da dehnt der Hafen sich unübersehbar aus,
em Netz, ein Qeästel von Adern,
in denen das Wasser strömt.

Laßt die Nörgler tadeln und hadern.

Wir, wir lieben das Leben.

Rastlos und stetig sehafft es
Leben und Sterben.

Wer ist gewiilt,

das Leben zuu fliehen, das doch am höchsten

gilt?

fieiner dicliter Nebel hält die weite filäche

in Haft.

Mit den großen. runden Wellen steigt er

und fällt.

In der Mitte rollt laut der starke Strom. Der

Schleier hält

die scharfen Schiffsiinien wie rnit Zatiber

. umfaßt,

Stille und ratischertde Arme dehnen

nach allen Seiten sich ab, iiberspritzt init Qe-

schwadern

von großen und kleinen Schiffen.

Scharfer Wind rafft den Nebel weg.

Er qnillt in den Himmel ztirück.

Ein grauer Qlast rundet sich stählern iiber

der Arbeitswelt.

Hell tind schriilend gellt rnanchrnal ein Pfiff.
Hier spielen nicht süßliche Qeigen.

Arbeit von Händen und Hirnen.

Klatschend bätimen die W'eilen sich an den

Quadern,

in deren reglosen Armen die Qezeiten sinken
und steigeri.

Kleine Barkassen preschen in Hast

durch die griingrauen Wellen. Die erdriicken

die stampfenden, tanzenden fast,

wenn sie sich unablässig heben und biicken.

Breitbugige Fahrdampfer graben sich in das

Wasser.

Leise schwankende Schwimmbäurne.

Wild klatscht das Wasser dagegen. Gewal-

tiges Rauschen,

ein großer, zischender, platschender Klang
gischt und wascht in starkem Entzücken,
streichelt mit starker Hand das Lauschen.
Schmutzigweißer, girrender Schaurn entlang
den iibergleitenden Wellenstücken.

Ein hochliegender Ewer geht mit rostbraunem

Segelbauschen

vorm Wind flnßab seinen gleitenden Qang.
Zwischen zwei Speicherreichen klafft ein

breites Maul.

Mit ailer Kraft preßt der Wind die Wellen flach
und hetzt dariiber, keuchend.
wie gejagtes Wild.

Graue Schlepper mit schmutzigschwarzen,

feuchten Schuten,

813.
 
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