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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 63 (Mai 1911)
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Scheerbart, Paul: Lufthafen und Schwiegermama
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0057

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Lufthafen

und Schwiegermama

Von Faul Scheerbart

„Niemais“, sagte Frau Berta Sehröder, „werde
3cb einen Schv/iegersohn haben, der nicht über
ein größeres Vermögen verfügt; wir sind in
Amerika reich geworden und haben für europäischen
Idealismus, der kein Geld besitzt, schlechterdings
nicht mehr das geringste Verständnis.“

„So muß“, versetzte Herr Moritz Mohn,
„jede vernünftige Mutter sprechen. Dem Geld-
mangel in Europa muß entschieden ein Riegei
vorgeschoben werdeo.“

Die beiden sassen auf einer Hotelterasse in
Monte Carlo, tranken ihren Morgenkaffee und
sprachen weiter über die Bedeutung des Geldes
in Europa und Amerika.

Herr Moritz Mohn hatte aber gar kein Geld,
and wollte trotzdem die Tochter von Frau Clara
Schröder — heiraten. Der Vater war gestorben,
ein alter Onkel begleitete die beiden Damen.

Nun lebte in Monte Carlo auch ein Herr
von Brand, der mit Herrn Mohn befreundet war.
Herr von Brand besaß ein Luftschiff mit Lenk-
apparat und außerdem soviel Geldl, daß er von
den Zinsen gerade leben konnte.

Zu diesem Herrn begab sich Herr Moritz
Mohn und sagte ihm folgendes:

„Heiraten möchte ich Fräulein Clara Schröder
aus Amerika. Schwiegermama ist Witwe und will
einen reichen Schwiegersohn. Möchtest du nicht
eäne Wettfahrt Monte Carlo-London arrangieren?
Wir könnten dann die Schwiegermama als Un-
parteiische mitnehmen und bei Sturm oben in
den Lüften von Liebe reden. Ich glaube, das
wird Eindruck machen. Vielieicht nimmt sies
dann nicht so genau mit dem Vermögen des
Schwiegersohnes.“

Herr von Brand lächelte und sagte:

„Kann sofort geschehen. Ein Engländer
nimmt eine Wette sofort an — und es wäre ja
nicht unmöglich, daß wir was gewinnen.“

Frau Schröder war bereit, als Unparteiische
mitzufahren; es beteiligten sich an der Wettfahrt
noch vier andere Luftschiffe. Und abends halb
sechs Uhr fuhren sechs Luftschiffe mit Lenkapparat
nach London. Jeder von den sechs Besitzern
batte eintausend Franken hinterlegt. Wer zuerst
in London anlangte, sollte das ganze Geld be-
kommen. Fräulein Clara Schröder winkte lange
c!en Abfahrenden mit einem weißseidenen Tuche
nach und seufzte, als sie nicht mehr gesehen
Werden konnten.

Ueber Marseille fing es an zu regnen und
ts wehte ein scharfer Wind von Westen her. Die
Sonne war untergegangen. Herr von Brand saß
hinten in der langgestreckten Gondel, Herr Moritz
Mohn saß vorn der Frau Schröder gegenüber und
sagte:

„Gnädige Frau, ich bewundere Ihren Mut.
Sie sind zweifellos noch niemals in einem lenk-
baren Luftschiff gefahren. Nicht wahr?“

„Ich hatte“, versetzte die Dame „in Arnerika
keine Gelegenheit. Aber ich denke doch, daß
die Fahrt nicht mit hesonderen Gefahren ver-
knüpft ist.“

„Wenn“, erwiederte Herr Mohn, „ein Unwetter
Wbricht, so ist die Fahrt nicht so ganz ohne
^efahr. Wenn wir in einem Lufthafen Unterkunft
^nden könnten, dann wäre ja ailes gut — im

andern Faüe istes ungemütlich zwisclren flackernden
Blitzen dahinzugondeln. Weiter kommt man dabej
nicht. Versuchen wir es, aufs flache Land her-
unterzugehen, so wird der Ballon derartig mit-
genommen, daß wir nicht in acht Tagen nach
London können.“

„Aber“, rief nun Frau Schröder, „wir werden
doch wohl einen Lufthafen finden? In Amerika
haben wir mehrere Lufthafen.“

„Die nutzen uns nichts“, versetzte Herr Mohn,
„in Frankreich haben wir nur einen großen Luft-
hafen bei Paris. Der ist aber so unpraktisch an-
gelegt, daß wir dort bei Unwetter bestimmt keinen
Piatz finden.“

„Was machen wir dann?“ fragte Frau Schröder.

„Das beste wäre“, erwiderte Herr Mohn,
„wir suchten einen deutschen Lufthafen auf — —
in Deutschland gibts an der französischen Grenze
zwei Dutzend neuer Lufthäfen. Ich glaube,
gnädige Frau, Sie haben von diesen deutschen
Lufthäfen noch garnichts gehört, nicht wahr?“

Ein breiter Blitz ging unweit vom Baiion
zur Erde nieder; ein krachender Donner folgte.
Frau Schröder zog ihren Mantel fest um die
Schultern und sagte ruhig:

„Sie haben recht Ich weiß noch nichts von
diesen deutschen Lufthäfen. Sind sie anders als
die amerikanischen? ich komme so selten zum
Zeitunglesen.“

Da erklärte Herr Moritz Mohn die deutschen
Lufthäfen:

„Sehen Sie mal, gnädige Frau,“ sagle er
tachend, während die Blitze weiterzuckten und der
Donner donnerte, „ein Lufthafen soll in erster
Linie alien Luftfahrzeugen bei Unwetter genügenden
Schutz bieten. Nebenbei kann ja auch das Ein-
und Aussteigen erleichtert werden. Die Haupt-
sache bleibt jedenfalls der Schutz bei Unwetter.
Hierzu sind aber eigentlich nur recht hohe Wände
nötig. Das ist wohl einleuchtend, nicht wahr?“

Frau Schröder bejahte das lebhaft, und Herr
Mohn fuhr fort:

„Eigentlich nur Wände, nicht einmal Dächer,
denn der Regen von oben schadet den Ballons
nicht, höchstens ist er den balionlosen Drachen-
fliegern unbequem. Nun ist es aber natürlich
sehr wichtig, daß man diese Wände so leicht wie
möglich macht. Und da baben die Deutschen
folgendes erfunden: sie machen die Wände wie
an den Hausfenstern die grünen Rolljalousien,
deren schmale Holzbretter durch Anziehen an
einer Kette horizontal oder schräge gestellt werden
können. Solche Wände lassen sich bei Sturmwind
dadurch schonen, daß man die einzelnen Bretter
horizontal stellt. Diese Bretter sind aber garnicht
aus Holz, — sie sind aus Linoleum und haben
Meterbreite. Fängt nun der Sturm zu toben an,
so werden alle Wände aufgesperrt und nur dort
zugehalten, wo sie ein Luftschiff gegen Sturm zu
schützen haben.“

„Das ist ja sehr praktisch!“ rief Frau Berta
Schröder begeistert, während wieder in nächster
Nähe ein Blitz zur Erde niederfuhr.

„Gegen Blitze,“ sagte Herr Moritz Mohn,
sind natürlich die Häfen durch sehr viele Blitz-
ableiter geschützt und auf ganz hohen Masten
brennen viele elektrisehe Scheinwerfer, deren
Konsteliation und Zahl genau die Lage des Hafens
auf der Karte angibt. Die Wände können um
einen Mittelkreis gedreht werden, sodaß die Ein-
fahrt der Luftfahrzeuge, wenn sich diese bemerk-
bar gemacht haben, immer gleich von jeder Seite
aus stattfinden kann. Nachher lassen sich dann
die beiden Wände mit dem Luftschiff so weit
umdrehen, dass der Wind nur den geringsten

Druek auf die Wände ausübt. Stellen Sie sich
einen geraden Regenschirm vor, — wie ihn die
Chinesen benutzen: wird er mit der beim Regen
oben befindlichen Seite auf die Erde gestellt, so
dass der Kreis unten bei der Drehung des Stockes
sich dreht — so sind die Fischbeinstangen an
Steile der Wände zu denken. Die Geschichte
dreht sich natürlich auf Rädern, up.d diese Räder
laufen auf Schienen, die konzentrische Kreise
sind. Natürlich lassen sich auch alle Wände zu-
sammenschieben. In der Mitte befindet sich ein
hohes Turmgebäude, von dem aus die Drehfahrt
der Wände elektrisch geleitet wird. Dächer lassen
sich, wenn es nötig ist, auch immer vom Mittel-
turm aus auf die Wände hinaufrollen.“

„Solchen Hafen“, rief nun Frau Schröder,
„möchte ich in der Tat aufsuchen!“

„Ich wili sehen“, erwiderte. Herr Mohn, „diesen
Herrn von Brand zu bestimmen. Aber er wird
die Wette nicht aufgeben wollen.“

Er ging sofort zu Herrn von Brand, und
dieser zuckte mit den Achseln, doch da sagte
der Herr Mohn ihm leise ins Ohr:

„Wie modern wir heute sind! Friiher ent-
führte man beim Sturm die Tochter heute die
Schwiegermutter. Ich denke die Geschichte wird
gut werden. Sag nür immer, daß du nach London
wiüst.“

Herr von Brand pfiff leise vor sich hin, uncl
Herr Mohn ging vrieder zu der alten Dame
zurück.

„Er wil! nicht,“ sagte er melancholisch, „er
wili nur seine Wette gewinnen. Und ich möchte
auch so gern einen Hafen aufsuchen — am liebsten
gieidi den Hafen der Ehe. Sie verstehen mich
wohl, gnädige Frau!“

Frau Schröder lächelte verständnisinnig und
sagte leise:

„Aiso, Sie wollen meine Clara heiraten,
nicht wahr?“

„Ja,“ erwiderte Herr Mohn.

„Da muß ich aber erst über lhre pekuniären
Verhältnisse im Klaren sein !“ sagte die aite Dame-
Nun wurden aber der Sturm, der Hagel und
das Gewitter so heftig, daß die beiden sich nieht
weiter unterhalten konnten.

A!s es ein wenig ruhiger in der Luft wurde,
schrie Herr Mohn: „Gnädige Frau, bei dem Sturm
werden wir ganz bestimmt in die Nordsee ge-
worfen!“

„Aber," rief nun die alte Dame, „auf der
See sind doch die deutschen Lufthäfen noch leichter
anzubringen als auf dem Lande — auf der See
braucht man ja keine konzentrische Kreisschienen —
Schaufelräder genügen ja, und die Wände können
auf Flößen ruhen.“

„Glänzende Idee!“ schrie Herr Moritz, während
der Hagel oben auf dem Ballon einen Trommel-
wtrbel erzeugte, „die Idee müßte gleich patentiert
werden. lch will’s besorgen, wenn Sie, gnädige
Frau, mir Gewissenfrage von vorhin erlassen.“
„Meinetwegen!“ schrie Frau Berta, „aber Sie
müssen Herrn von Brand zwingen, in einen
deutschen Lufthafen hineinzufahren!“

,.Ja!“ schrie Herr Moritz, „geben Sie mirlhr
Jawort schriftlich?“

„Mein Herr“, schrie die alte Dame, „das
sieht wie eine Erpressung aus.“

„Das ist,“ schrie nun Herr Moritz wieder,
„nur dazu da, um Ihnen zu beweisen, daß auch
ein idealistischer Europäer so praktiscli und
energisch wie ein Amerikaner sein kann.“

Da zog Frau Schröder bei dem großen Sturm
eine Visitenkarte hervor und schrieb darauf:

„Sie sollen mein Schwiegersohn sein.“

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