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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 99 (Februar 1912)
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Döblin, Alfred: Der schwarze Vorhang, [2]: ein Roman
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Mürr, Günther: Hamburg, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0348

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dem Keuchen des Kameraden, spitzte sich iählings
zu einer seltsamlichen starren Lust, die d.en zu-
sammengeduckten stumm und vornübergebeugt
jeden StockschJag auf das weiche Fleisch verfol<
gen, sein Ohr jedes Schmerzächzen einfangen lie-
ßen, und Zittern kam über ihn. Dieses zerreißen-
de Qefiihl zu vergessen, konnte er lange sein Herz
nicht bezähmen.

Er wurde im Qarten einmal dabei betroffen.
wie er seinem Hunde Petersilie aufdringen wolite,
und ihn, als der sich sperrte und winselte, immer
wieder an die wiirzigen Blätter heranriß; man
nannte ihn daher Hans Petersilie.

Meist hockte er zu Hause und brütete oder,
er schloß sich in sein Zimmer ein, setzte sich in
eine Ecke und lockte seinen andern Freund, den
Hund an. Er fragte ihn heimlich dumme Dinge, sah
ihm in die großen, unverniinftigen Augen und hob
iangsam die hinterlistigen, liisternen Hände, legte
sie um den braunhaarigen Hals und driickte mit
fiackerndem Atesm fest, wenn das Tier sich sträubte
und mit den Pfoten kratzte, driickte, bis es nicht
mehr winselte, ihm die Augen aus den Höhlen tra-
ten und der schmale Körper sich bei Seite warf.
Ließ er den Hund los, der sich unter das Sofa
schleppte, so kroch er ihm nach, legte sich auf die
Erde und herchte starr entziickt, wie auf das Äch-
zen des Kameraden, auf das Winseln und hastige
Atmen des Tieres.

Etwas von der zügellosen Wildheit seines
Träumens strömte in der Überstürzung, mit der
er, stockend im Beginn, sein Werk steigerte und
vollendete. Auf dem Flur hob er das Tier mit täu-
schenden Schmeichelworten auf, wiegte es ruhig in
den Armen, während die Erwartung in ihm zitter-
te und mit ieder Sekunde stärker zitterte, schleu-
derte es plötzlich die halbe Treppe hinunter, wo-
rauf er mit halsbrecherischen Sprüngen nacheilte,
um zu sehen, ob das Tier noch lebe und seinen
Trost auf den letzten dunklen Pfad mitnehmen
könne.

Und lachte und klatschte schon oben in die Hän-
de, wenn der Hund sich mehrmals mti sich selbst
drehte, ohne den Weg zum entlaufen zu finden, und
küßte ihn mit herzlichem, dankbaren Mitleid.

Der Hund starb im Winter, als Johannes ihn
morgens, während niemand auf dem Hofe war, aus
einem Flurfenster in einen hohen Schneeberg warf.

Am Abend dieses Tages begann das Tier zu
schreien und sich mit heißer Nase zu winden; der
Herr legte es in einen warmen Korb, hüllte es in
seine eignen Decken und pflegte es mit Milch, so-
gar des Nachts, aber es nahm nichts an.

Aus der Schule lief er tags darauf, so schnell
er konnte heim, um den kranken Hund zu sehen,
ihm mit Bädern und Pillen zu helfen, und seine Qe-
«fanken waren nur bei dem Hunde. Aber am Mor-
gen des dritten Tages lag das Tier starr in seinem
Korb, selbst der Schwanz bog sich nicht.

Da nahm Johannes es auf den Arm, schaufelte
Ihm im Qarten ein Qrab unter einem Kirschbaume
und legte die Leiche hinein, unter stiilem Qebet.
Dann stampften seine Füße das Qrab zu. Und ging
an dem Tage im frohen Qefühle seiner Arbedt, zu-
gleich in Andacht und wehmütigem Gedenken um-
her.

*

Wenn der an solche Einsamkeit gewohnte ne-
ben seinen Kameraden »inherging und ihnen zuhör-
te, wie sie sich von ihren Neigungen, Freundschaf-
ten und Feindschaften unterhielten, so klagte er
sich an und erschauerte: Das ist das Leben, das
echte Leben. Aber er entsetzte sich vor der gren-
zenlosen Sicherheit, mit der sie über Menschen
nnd Dinge sprachen; er hatte Furcht vor der uner-
bittlichen Bestimmtheit der Worte, wo er stumm
den Dingen lauschte und sich ihnen hingab.

Er beobachtete mit schielen Augen diese
fleischgewordenen Schicksale. Und doch schien es
ihm, als ob ihn etwas von weitem in ddese starre
sprechende tote Welt hineinrisse, und während sie
bingingen, verlor sich sein Ohr von ihren Gesprä-

chen ab, und er verstummte immer tiefer. Wenn
er allein saß, die raschen Tritte seiner Kameraden
an seinem Hause vorbeirannten und Unruhe in ihm
flimmerte, trieb ihn piötzlich ein Wunsch, nichts zu
hören, der mit Bitterkeit über ihn kam, hinten in
den Qarten.

Er setzte sich auf das Qrab des Hundes und
stöhnte langgezogen, wie er es vor langen Jahren
von seiner Mutter gehört hatte, die sterbend von
ihm Abschied nahm. Und der Qedanke an Achilles.
wie er seines liebsten Freundes, des Patroklus, bet
raubt am lautaufrauschenden Meere saß und mit
seinem hellen Stöhnen die silberfüßige Nereide
lockte, tibermannte ihn so, daß er immer wieder
„Molly“ seinen Hund rief: „Mollychen, verzeih
mir, wenn ich dir böses getan habe; ich habe dich
immer lieb gehabt, und oft hast du tnich auch ge-
ärgert. Warum hast du nur die Pillen nicht ge-
nornmen, — sie waren so gut. Oh, ich liebe dich
so.“

Und die braune Hundeseele stieg leise bellend
auf, umschwebte ihn und besänftigte den bebenden.

*

Weder den Schulkameraden noch Hausge»
nossen fiel mehr seine Verschlossenheit und gera-
des Vorsichhinschauen auf. Es kam aber eine Zeit,
wo er ganz zu versinken und sich zu halten schien,
als ob ihn etwas Schweres betroffen hätte. Der
sich selbst überlassene schien sich nicht mehr ein
noch aus zu kennen. Er begann erschreckt zusam-
men zu fahren, wenn die Tante ihn rief. Wenn sie
ihn fragte, schaute er auf, wehrte ihre Angst ab
seufzte und ging davon, um weiter zu brüten.

Nachdem er einige zeitlang dahingeschlichen
war, blieb er, ganz verfallen, zu Hause. Ohne daß
er über einen Schmerz klagte, kränkelte er sicht-
lich. Er lag teilnamslos auf seinem Zimmer; ein
stilles, versunkenes Feuer lockte auf dem Qrunde
seiner Augen; nur lächelte er manchmal ergeben
Eines Nachmittags legte er sich unruhiger auf sein
Sofa und schlief ein. Als er erwachte, scholl lauter
Qesang in sein Ohr; er war mit glühheißen Wangen,
heftigem Herzschlagen, unter wollüstigen Krämp-
fen erwacht. Eine furchtbare Angst lag auf seiner
Brust und Kehle. Starr vor Entsetzen blieb er eine
Minute liegen; dann lief er mit brennendem Kopfe,
zitternd, fast fiebernd, ins Freie, — durch den Qar-
ten, über das Qrab des Hundes, ohne zu wissen
auf die Straße. Er trieb in Querstraßen, Winkel-
und Sackgäßchen, über breite Gartenanlagen, auf
denen Kinder spielten und alte Männer auf Bänken
saßen; ohne von sich zu wissen, setzte er sich auf
eine Bank vor einer Kirche.

Ihn schwindelte, als er still saß; und erstaunte
schließlich über den Ort, — so erinnerte er sich
auch an seinen Qarten, seine Wohnung, — und lief.
langsamer und unsicher, ilber die Straße. Er half
auf einer Briicke einen Wagen, dcr nicht vom
Flecke konnte, weil er überschwer mit Eisenschie-
nen beladen war, fortschieben. Während er sich
an den Rädern abmühte, daß ihm der Schweiß aui
der Stirne perlte, rief er laut „hüh, hüh“ mit den
anderen, zum Versuch, weil er fühlte, daß eine AH
Stummheit auf seinem Munde lag. Er wollte seine
Nachbarn, die fremden Arbeiter, zwischendurch in
demselben Tone etwas fragen, aber er wußte nicht
was.

Weiter trabend fand er sich plötzlich dicht bei
seiner Wohnung.

Was ihm geschehen war: um diese Frage
haschten und spielten seine Gedanken, wenn sie
sich nicht verlören in dem heißdumpfigen
Qeftihl, das immer noch über Kopf und Ohren,
von den Därmen und den Brusteingeweiden her-
aufschwälte und seine Kehle rasch berührte.

Er wußte nicht, was über ihn hereingebrochen
war, und wen er fragen und um Hilfe bitten sollte.
Er wünschte sehnlichst sprechen zu dürfen und ei-
ne Stimme zu hören. Sich selbst erzählte er in sei-
mem Zimmer halblaut sein dunkles Erlebnis; aber
geduldlos legte er sich hin und winselte.

Tage und Wochen vergingen, bis der aufge-
regte Schrecken sich gelegt hatte, während dessen
die BekJemmnis ihn so umfaß.te, daß die Häuser an
ihm vorbei schwankten und er glaubte, irrsinnig
zu werden. Dunkle Worte aus der Bibel und dem
Munde des Religionslehrers fielen ihm ein: über
heimliche Versuchungen, denen der Mensch, der
sich selbst der böscste Feind sei, nicht erliegen
diirfe, und über ebenso heimliche Strafen Qottes.

Er suchte sich zu retten, sein Erlebnis irgend-
wo einzureihen; das verschwiegene Schuldgefühl,
das oft unter seinen wilden Träumereien und sei-
nen einsamen Spielen murmelte, tauchte auf und
redete vernehmlicher in der verschüchterten See-
le; die wilden süßen Erschütterungen hatten seinen
wehrlosen Leib wie strafende Krallenhände ge-
packt und gebogen. Er sann darüber nach, was
er verbrochen Iiätte und fand genug, wohin er nur
faßte.

Da gHtt er nicht um seine Schuld herum, son-
dern sammelte alles einzeln und stieß sich iq
schneidende Anklagen hinein, schleppte sich an sie
wie selnen Hund heran.

Als er aber eines Abends die Kleider ablegte.
überfiel ihn die sonderbare Frage, warum wohl alle
Menschen Hosen trugen, zum Teil sogar lange
Kleidef von den Hüften herab bis zu den Knöcheln;
und er blieb sinnend und getröstet auf dem Bett-
rand sitzen. Qewiß, das war es, sie hatten alle das-
seibe erlebt, wie er und verdeckten sich nur so,
weil die Bibel von der Sündenschuld redet und
ketner den andern von seiner Schuld wissen lassen
wollte.

Besser wäre es auch, offen zu leiden, als die
Feigheit des Vergessens. Aber das Schämen war
nur ein Vogelstraußspiel. Er merkte es doch, wenn
er sich auch hüten wollte, es zu sagen. — Es wur-
de ihm nun bald ein vergnüglicher Qedanke, sich
die Menschen, denen er auf der Straße begegnete,
hinter den Kleiderwänden zu denken, gleichsam
als eirte unsichtbare Welt, die hier einher wandelte,
wie die Welt der Qedanken hinter den starren
Worten.

Er hätte den Menschen, auch seinem Lehrer,
schmunzelnd auf cfie Schulter klopfen können:
„Nicht wahr, wir kennen uns?“ Und er sonnte
sich an seiner Überlegenheit, wenn er so in den
Straßen herum abenteuerte.

Fortsetzung folgt

Hamburg

Von Günther Mürr
Dämmerung in Harvestehude

Fortsetzong

Die Allee dehnt sich ganz lang und grade,
wie ein straffgespannter Eaden.

In gleichen Abständen durchschneidet sie andre

Alleen.

Das Qrau des Himmels so farblos fade.

Qradlinig ziehn sich herbstbelaubte Linden
am Rand des farblos stumpfen Fußsteigs hin.
Nur wo die matte Sonne versinkt,
liegt ein schwaches Scheingerinn.

Die Häuser, die in einer Reihe nebeneinander

stehn,

bhcken eintönig stumpf. Und sind doch Wetten

drin

voll Sonne und Mond. Ein Leben Sän
und Leben Ernten, Qenießen und Schmerz

verwinden.

Einzdne Fenster färben sich gelb, aber keines

blinkt.

Sie wagen nicht, Glanz in das Stumpf zu

entsenden.

Die hohen, schwarzen Laternen tragen schon

Ihre Elammen.

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