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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 71 (August 1911)
DOI Artikel:
Söderberg, Hjalmar: Aus der Vergessenheit, [2]
DOI Artikel:
Adler, Joseph: Vom Tage: der hingerissene Zahnarzt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0123

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was ausserhalb des eigenen Ideenkreises iiegt.
Gott, der die Kindlein lieb hat, wann werde ich
von hier fortkommen . . . zu Weihnachten, wie
Du vorschlägst, wird es kaum gehen, woher das
Geld nehmen? Uebrigens stehe ich mit meinem
Redakteur nicht auf dem Fusse, dass ich einen
Urlaub verlangen will . . . Ich hatte heutc Nacht
einen Traum. Ich träumte, dass der Tag ge-
kommen war, an dem ich sterben sollte; es
konnte unmöglich länger aufgeschoben werden,
und an und für sich war es ja auch ganz gleich.
Aber ich war so arm, so arm; ich hatte nicht
einmal die Mittel, mir einen Sarg zu kaufen.
Da traf ich einen kleinen alten Mann, der or-
dentlich und gefällig aussah; er behauptete, dass
oberi auf dem Dachboden des Hauses, in dem
ich wohne, ein paar alte abgelegte Särge wären,
die arme Leute gratis benutzen konnten. Ich
tappte die Bodentreppe hinauf und kam in eine
Rumpelkammer; da lagen wirklich ein paar alte
Kisten auf einem Haufen, und darunter eine, die
an einen Sarg erinnerte. Sie war schwarz an-.
gestrichen und im übrigen ganz sauber. Ich
nahm sie unter den Arm und ging — sie war
klein wie für ein Kind, aber über so etwas
Wundert man sich im Traume nie. Als ich über

die Treppe ging, stolperte ich und'fiel, und der
Sarg zerbrach. Da setzte ich mich auf die Stu-
fen und weinte. Ich brauche jetzt länger als
früher, um vom Traum zur Wirklichkeit zurück-
zukommen. Ich glaube, dass ich mehrere Mi-
nuten wach lag, starr vor Schrecken darüber,
dass ich meinen Sarg zerschlagen hatte.

. . . Warum schreibst Du so selten?

Das war sein letzter Brief. Ich habe mehr
als einmal Papier und Feder hervorgenommen,
um ihn zu beantworten: dann sind Freundege-
kommen und haben mich in Anspruch genom-
men . . . oder ich bin müde gewesen, oder ich
hatte keinen Stoff, der ihn interessieren konnte.
Der Brief blieb unbeantwortet.

Ich sass lange am Fenster mit diesen Blät-
tern in der Hand. Es war dunkel geworden;
den letzten Brief las ich bei dem Laternenschein
von der Strasse. Draussen leuchtete der März-
schnee weiss — die Strassenbahnen klingelten
— vor meinem Fenster bewegte sich ein Schat-
tenspiel eiliger Menschen, auf dem Wege Gott
weiss wohin.

Endlich kam ich zu mir selbst zurück, schnitt
die Todesanzeige aus und befestigte sie mit einer
Stecknadel an den letzten Brief; dann legte ich
alles in ein grosses Kouvert und verschloss es
in meine unterste Schreibtischlade.

Autorisierte Uebersetzung aus dem
Schwedischen von Marie Franzos

Vom Tage

Der hingerissene Zahnarzt

Plomben springen ab und Wurzeln krüm-
men sich, Kronen wackeln und Brücken stürzen
ein, sobald ein Zahnarzt — statt zur Zange —
zur Feder greift. Doch auch ein Zahnarzt be-
sitzt Phantasie. Und sie ist „blühend“, wenn er
überdies der Neffe einer Dame ist, die als Mäd-
chen so hold und so schön und so rein wie
eine Blume war. Ueber das „interessante Fak-
tum“ hat neuerdings der Dr. Georg H. Franzi-
us der New-Yorker Staatszeitung noch einige
Mitteilungen gemacht.

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