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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 80 (Oktober 1911)
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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Hiller, Kurt: Offner Brief an den Herausgeber
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Ehrenstein, Albert: Passion
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0195

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meinem treuen Absalon, meinem frommen Spiel-
gefährten, mein Rubinherz selbst um den Nacken
legen wiirdest. Ich weinte, ich weinte so wild,
ich hörte das Meer um mich aufstehn. Und
ich fürchtete Dein Finger würde erfasst werden,
der über den Platz wuchs, auf dem ich' gebettet
lag, der klare Wegweiser, der auf meine Stirn
wies. Es wurde immer auf elwas gewartet —
Zeuxis Kokoschka schlenderte hinter dem Dalai-
Lama; und Loos der Gorillaarchitekt, trug auf
seinen Händen, mein Gewölbe, wie es sich für
mich geziemt, aus weissem Libanonholz, schlicht,
aber zu reich für den eitlen Geschmack der Leu-
te. Und es brach ein Kampf um das Haus mei-
nes Leibes aus; Stuckvolants und Einsätze setz-
ten sie an meines Tempels Fassade. Aber ich
konnte nicht mehr streiten, ich hatte mich schon
aller Täglichkeit abgewandt und spielte mit der
runden Zeit. Des Dalai-Lamas Augen, blaue,
milde Myrrhen balsamierten mich ein, Zeuxis
malte mich endlich im Tode. Und Du, Her-
warth, küsstest meine Stirn, eine Orgelsymphonie
stieg zu mir empor; ich bin nie mit anderen
Menschen zu messen gewesen; ich konnte nur
immer so sein, wie man zu mir heraufblickte,
denn meine Stirne war der Nachthimmel. Du
wusstest es.

Offner Brief an den
Herausgeber

Sehr verehrter Herr Walden!

Sie wissen, dass ich den „Sturm“ respek-
tiere als eines der wenigen Blätter in Deutsch-
land, die von den Zeitungen unabhängig sind, und
als das einzige, das sich auch um die schlech-
ten Instinkte der Leser nicht kümmert. Weil Sie
diese meine Gesinnung kennen, werden Sie mir
gewiss gestatten, einmal Opposition zu machen.
Ich bin nämlich uneinverstanden mit der Be-
handlung, die eine der bösesten Institutionen
Norddeutschlands, das Feuilleton des Berliner
Tageblatts, in Ihrer Zeitschrift erfährt. Ihr gutes
Herz, verehrter Herr Walden,. Ihre Loyalität, Ur-
banität, Humanität haben bisher es für ausrei-
chend erachtet, die Missetäter mit Scherzen zu
kitzeln und sie zu streicheln mit charmanten Ver-
hohnepiepelungen. Aber eine Landplage wie die-
se erfordert Flammen und Axt. Ich wenigstens
kann nicht mehr lachen, wenn ein Unternehmen,
das sich „entschieden liberal“ nennt und ohne
Unterlass die Kulturfortschrittsphrase flattern lässt,
systematisch Bewegungen, Erscheinungen, Men-
schen, die wirklich Neues, Zukunfthaftes, Kul-
turfrohes bringen, totschweigt oder lächerlich
macht. Flachköpfe wie Haeckel, wie Ostwald,
wie Kohler, werden in dieser Zeitung buckelnd
fetiert; gegen Sigmund Freud, der auch nach
Ansicht seiner Gegner unser scharfsinnigster und
kühnster Psycholog ist, wird ein weitschweifig
meckernder, witzlos wiehernder Müller aus Zü-
rich losgelassen. Die Werke der Neusezessionisten
und jener enormen Franzosen, die uns der Kur-
fürstendamm diesmal zeigte, werden als „Per-
sönlichkeitsfexerei“ abgetan, dagegen deitsche
Süsslinge wie Thoma, christlichsoziale Kitschiers
wie Uhde, ahnungslose Sabbergreise wie Pietsch
über den (wie Stahl schreiben würde) grünen
Klee gelobt. An dem „ Iilustrator“ Pietsch, wel-
cher als Rezensent bekanntlich schon vor einem
Jahrhundert den äussersten Pol der Borniertheit

erreicht hatte, wird (am 2. Oktober) bei Gott
„die grosse Treue“, „die geschmeidige Hand“,
„das feine Gemütsverhältnis“ gerühmt; und das
Land und die Leute hat er mit einer so „ehr-
lichen und zurückhaltenden Wärme“ abgeschil-
dert, dass Fritze sich nicht enthalten kann, in
den Jubelruf auszubrechen: „So sah es, so
sahen sie wirklich aus!“ In einem'
Blatt, das fortgesetzi über Rückständigkeit schimpft
und an der Spitze der Zivilisation zu marschie-
ren vorgibt, Aehnlichkeit als Vorzug
von Bildern vermerkt: Herr Walden, das
ist Schweinerei; glattweg! . . Und sehen Sie
sich an, wie man mit den Schauspielern umgeht.
Herrn Christians billigt Fritz Engel zu, dass er
ein „oft imposanter“ Othello sei; dem Fräulein
Wachner: „eine Desdemona von ecllem Format“;
aber über Rudolf Blümer, diesen Echten und
Geistigen, den man nur ungern in der Gesell-
schaft jener königlichen Kinstler sieht, weiss er
nichts zu berichten als „Armer Jago!“. Doch
in derselben Nummer versichert dann ein Ano-
nymus emphatisch, „dass es die verfluchte Pflicht
und Schuldigkeit der Kritik ist, zum Schutz der
guten Kunst die schlechte schlecht zu behandeln“.
Herr Walden, da muss man zu scherzen auf-
hören: diese Heuchelei stinkt. . . Und in der
Literatur? Kein Presber, kein Bartsch, kein
Landsberger bleibt hier ohne Lorbeer: dem Hein-
rich Mann wirft man „Impotenz“ vor. Der wi-
derwärtige Spiessbürger Eduard Engel darf sich
kraft seines durch Stenographie und Stumpfsinn
erworbenen Professortitels, alle Nase lang aus-
laichen: ein Vertreter der Jugend kam nie zum
Wort. Das jämmerlichste lyrische Geklingel füllt
allwöchentlich die Lücken des Zeitgeistes: und
Ernst Blass pöbelt der Ulk an. Wenn zugun-
sten des schwerkranken Peter Altenberg Gertru-
de Barrison aus dessen Dichtungen liest, schweigt
dieses Blatt auf eine entschieden liberale Weise:
aber dass Frau Edison in Hamburg über den
vielen Schmutz klagte, wird voll Behagen mitge-
teilt. Die Auburtins und die Schlenther, die
Poritzkys und Kappsteine, die Wendriner und
Lorenze regieren; und wenn es hoch kommt,
krähf mal der karge Lissauer. Alles in der Li-
teratur, was unfähig, blicklos, missgünstig ist,
versammelt sich hier zu schleimigen Bacchanalen.
Man tanzt um die Bildsäule des bürgerlichen
Kretinismus und nimmt schmatzencl Rache an
den überlegenen Geistern. Der Chef, Herr The-
odor Wolff, ein besserer Mensch, scheint sich
utn den „Kultur“-Teil seiner Zeitung nicht zu
kümmern; folglich muss die Hilfe von aussen
kommen. Dieses unsaübre Nest, dessen Düfte in
clie Nasen Hunderttausender steigen, muss er-
barmungslos ausgeräuchert werden. — Eine
F a c k e 1, Herr Walden, muss angezündet wer-
den. Ich halte den Gestank nicht mehr aus. Sie
auch nicht; kein anständiger Mensch in dieser
Gegend. — Flammen, Herr Walden, und eine
Axt! Kurt Hiller

Passion

Von Albert Ehrenstein

Ich habe es bis jetzt nicht geglaubt, nicht
geahnt, es für eine betrügerische Fiktion der
Herren Poeten gehalten — jetzt aber weiss ich
es gründlich. Es ist doch kein sonderliches Ver-
gnügen, ich wenigstens möchte es nicht unter
die Freuden des Paradieses rechnen: jenes pein-

volle Stehen hinter dem bekannten Pfeiler, dieses
Harren und Warten auf ein Wunder, das noch
im letzten Augenblick mein Leben wende, mich
rette.

Es ist geschehen, nichts ist dazwischen ge-
treten, ich habe es gesehen, mit eigenen Augen
gesehen, wie das Mädchen, das ich liebte, liebe!
einem fremden Manne zu Eigen gegeben ward.

Ich habe es über mich gebracht und bin
hingegangen. Nicht etwa, um mich an meinem
Ungliick zu weiden, unter den Sturzbächen des
Leids zu erschauern, keineswegs! Ich war eitel
genug, anzunehmen, zu träumen, zu wähnen, zu
hoffen, irgend etwas würde sich ereignen, es
würde all dem Fürchterlichen ein für mich se-
liges Ende bereitet werden. Nein! Nichts kam,
nichts geschah. Nach einer von rhetorischen
Schönheiten gewiss strotzenden Rede ging die
Dame meines Herzens in den Besitz eines Spen-
nadelfabrikanten über . . .

Und ich war unter den Gratulierenden.
Aber den schäumenden Rossen, die sie davon-
trugen, dürfte sie mehr Gefühl entgegengebracht
haben, als mir, dem sie die Hand drückte.

Wann und wie ich nach Hause fand, das
weiss ich nicht. Vielleicht war der junge Mann,
der, als die Strassenbahn plötzlich stehen blieb,
geclankenlos ausstieg und, seine Glacehandschuhe
nicht achtend, Seite an Seite mit einem Konduk-
teur und einem Schusterbuben durch kräftiges
Anstemmen den Wagen in Bewegung zu setzen
versuchte, vielleicht war das ich. Weiss Gott,
über welche Hemmung ich mir damit hinweg-
helfen wollte . . . Vielleicht — ach was! viel-
leicht? Wahrhaftig: ich möchte nicht „ich“ blei-
ben

Es scheinen einige Tage vorübergegangen
zu sein. Wenigstens entsinne ich mich, wieder-
holt mich aus dem Bette erhoben zu haben,
Kleider wurden von mir angelegt, die Haus-
meisterin hat mir auf der Stiege des öfteren „Gu-
ten Morgen“ gesagt, etwas später werden die
Käffeehauskellner denselben Wunsch geäussert
haben . . . Auch sonst dürfte meine Zeit pro-
grammgemäss verlaufen sein — ich meine da-
mit nicht mein Programm, sondern die ehernen
Aufstellungen unbegreiflicher Mächte, die da über
meinem Haupte die Sonne steigen und fallen
lassen, wie die Kinder einen Drachen . . . Ich
selbst habe kein Programm, keine Zukunft und
will keine, im Gegenteil: ich möchte mich zur
Wehr setzen gegen dieses grauenvolle Weiter-
hasten, wenn ich nur wüsste wo? ich legte Pro-
test ein gegen das empörende Vorwärtsschreiten
der Zeit und beantragte meine Rückversetzung
in die Tage der Kindheit . . .

Und doch, selbst wenn dies höhernorts ver-
anlasst würde, ich weiss, es wäre nicht anders
gekommen.

Wie oft habe ich sie gesehen? Das erste-
mal, als ich in dem Haus, wo sie wohnte, bei
Freunden Domino spielte und sie errötend und
mit einem ldeinen Knicks zu uns ins Zimmer
trat und fragte, ob wir nicht wüssten, wo ihr
kleiner Bruder sei. Ich war damals im Unter-
gymnasium, sie in der Bürgerschule — wir
standen im gleichen Alter, das war das Tra-
gische.

Seit jenem ersten Male konnte ich sie nie
sehen, ohne zu erröten. Darüber wieder är-
gerte ich mich stets in diesen tiefen Knaben-
trofz, ich grüsste sie nicht, obwohl sich unsere
Eltern kannten, ja ich konnte ihr nicht begeg-
nen, ohne den Versuch zu machen, ihr irgend
etwas anzutun. Holte ich die Freunde zur
Schule ab — mein Herz klopfte vor freudiger
Furchi, das Mädchen zu sehen, traf ich sie

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