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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 65 (Juni 1911)
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Walden, Herwarth: Schalmeienklänge: Pfingsten bei Mosses
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Schalmeienklänge

Pfingsten bei Mosses

Schon seit Ostern ist das deutsche Publikum
nicht über den Nebenberuf seiner Lieblinge be-
unruhigt worden. Seine Lieblinge sind bekannt-
!ich Schauspieler und Theaterdirektoren.
Was konnten also Mosses ihren Lesern zu Pfingsten
schöneres bieten, als sie immer mal wieder mit
den Lieblingen menschlich näher zusammenzu-
bringen. Zwar schreibt Herr V. A. im Berliner
Tageblatt, dass er es nicht begreifen könne, wie
Schauspieler ausser ihrer hauptsächlichen Theater-
beschäftigungnocheinenNebenberufhabenkönnten.
„Einer spielt jeden Abend den Heldenvater und
sammelt am Tage Liebigbilder. Ein andererhat be-
ruflich des Abends in der Posse einen betrunkenen
Nachtwächter zu machen, und treibt am Tage
Religionsphilosophie. Und Gott allein mag wissen,
welcher von den beiden Berufen jeweils der richtige
sein mag.“ Die Theaterkritiker halten in den
meisten Fällen den Schauspielerberuf för den
richtigen. Ich würde in vielen Fällen mehr auf
den Liebigsammler schliessen. Also alle Schau-
spieler haben einen Nebenberuf. Zwar sagt wieder
V. A., dass die Herrschaften durch Proben, Spiel
und Mittagessen sehr angestrengt sind. Und dass
sie des Nachts den Fall Nissen erörtern müssen.
Wenn Herr Nissen in den nächsten Wochen fällt,
gewinnen sie die Nacht für den Nebenberuf.
„Und in den Ritzen dieses vollbepakten Tages
ist immer noch Platz für eine kleine Liebhaberei.
Als ob dieses Bühnenyölkchen (Bühnenvölkchen
steht wirklich da) niemals genug haben könnte
von der Welt. Sie haben ja schon so zwei
Leben: das Traumleben auf der Bühne und das
bürgerliche Leben draussen. Aber sie wollen
noch ein drittes haben : eine heimliche Absonder-
lichkeit und Narretei, jeder für sich.“ Diese Drei-
teilung ist äusserst klar und Herr V. A. kriecht
den Schauspielern nun in die Ritzen ihres voll-
bepakten Tages. Am meisten imponiert Herrn
V. A. Emanuel Reicher. „Er beschäftigt sich in
den knapp bemessenen Stunden seiner Erholung
damit, die Menschen zu bessern und zu belehren.
Er will die Welt vertiefen und veredeln.“ Das
ist ungeheuer liebenswürdig von Herrn Reicher.
Er sollte mit der Vertiefung und Veredlung bei
Herrn V. A. den Anfang machen. Herr Reicher
ist im Hauptberuf Schauspieler, im bürgerlichen
Leben Sozialpolitiker und Religionsphilosoph,
seine Narretei ist das Esperanto. Hierauf begab
sich Herr V. A. zu einem Herrn Dietzsch. „Dieser
Künstler scheint sich noch nicht klar darüber zu
sein, was in ihm Hauptberuf und was in ihm
Mebenberuf ist.“ Er betreibt nämlich Sdhau-
spielerei und Bildhauerei. V. A. hätte ihn auf-
jklären sollen, dass seine Betätigung auf diesen
beiden Gebieten in die dritte Abteilung: Narretei
gehört. Trotzdem er eine Statuette an Roda
Roda verkauft hat, trotzdem er „Meisterschüler
von Begas“ war und im Neuen Schauspielhaus
engagiert ist. Dann wandte sich Herr V. A. an
einen Herrn Impekoven „Er pflegt mehrere Künste,
die sich wohl vereinen, ja die sich gegenseitig
stützen können. Nach seiner eigenen Angabe
ist er im Traumleben Dekorationsmaler, im
bürgerlichen Leben Schauspieler und seine Narretei
ist die Schriftstellerei. Die Pflege scheint aber allen
diesen Berufen nicht gut zu bekommen. Der
Herr Impekoven tröstet sich selbst, indem er fest-
stelit, dass aller Anfang schwer ist, und er hofft,
dass er später einmal mehr Glück haben wird.
Vielleicht, wenn er sich bei V. A. in die Pflege
begiebt. „Das ailes mag hinge'nen, aber ein

wahrer Tausendsassa der Vielseitigkeit scheint
der rührige Direktor des Neuen Theater Dr. Alfred
Schmieden zu sein.“ V. A. rührt ihn an und Herr
Schmieden kann „stolz“ mitteilen: Bereits damals,
als ich noch Oberregisseur am Lustspielhaus war
—historisches Datum — habeich meinen Neigungen
auf dem Gebiet wissenschaftlicher Forschungen
gehuldigt.“ Wie gut, dass er das gleich selbst
besorgt hat. „Später als Direktor machte ich das
Doktorexamen.“ Also endlich einmal ein Mensch,
der sich auf den Doktortitel was einbildet und
sogar auf den Doktortitel in Rostock. „Dann
beschäftigte ich mich und beschäftige mich heute
noch mit der wissenschaftlichen Schillerforschung.“
AUe Talentlosen fliegen auf Schiller. Dass er von
Schmieden, von Herrn Dr. Schmieden verwissen-
schaftlicht wird, bleibt unter seinem Verdienst.
Herr Dr. Schmieden hat sogar als „Niederschlag
seiner Forschung“ zwei Broschüren geschrieben.
Und damit noch nicht genug. Auch ein richtiges
Theaterstück hat er verfasst, das sogar in seinem
eigenen Theater aufgeführt wurde. Aber das alles
füllt den Doktor noch nicht aus. Denn seine
Lieblingsbesdiäftigung ist die Astronomie. „lch
betreibe sie mit Hülfe eines sehr schönen In-
strumentes zu Hause.“ Leider belästigt er mit
seinen übrigen Tätigkeiten die Öffentlichkeit. Also:
Traumleben: Direktor, Regisseur, Doktor, Doktor.
Bürgerliches Leben: Schillerforscher, Bühnenschrift-
steller: Narretei: Astronomie. Ein rühriger
Tausendsassa sagt V. A. Aber V. A. hat von allen
diesen Übelkeiten noch nicht genug. Er rennt
zu Richard Alexander. Der ist im Traumleben
Schauspieler, im bürgerlichen Leben Photograph,
seine Narretei besteht in der Rosenzüchterei. V.
A. verliert die Fassung: „Drei sehr disparate
Berufe, die sich sehr schwer mit einander vereinigen
lassen. Kein Wunder, wenn Alexander einmal
seine Rosen photographiert und den Monolog
rezitiert: Es gibtim MenschenlebenAugenblicke...“
Wo man Herrn V. A. das Berliner Tageblatt um
die Ohren schlagen möchte. Aber Frau Durieux
empfing ihn. Und erzählte ihm, dass sie eine
verwegene Aeronautin sei, die auf Abstürze kcinen
Wert lege. Sie ist gegen Flugmaschinen und für
die Luftballons. „Da sich aber viel Unfälle bei
Flugmaschinen gerade ereignet haben, halte ich
dieses Luftfahrzeug für zu gefährlich:“ Wir wolien
sammeln, um Herrn V. A. ein Luftfahrzeug zu
schenken, denn wenn einer behauptet, daß Herr
Otto Sommersdorf, der im Hauptberuf ein schlechter
Schauspieler ist, im Nebenberuf „ein Dichter, und
sogar ein guter sei“, daß Herr Max Grube „auch
ein Dichter sei“, und dass Pagay durch seine
Beschäftigung mit der Uhrmacherei eine über-
raschende Ähnlichkeit mit Kaiser Karl dem Fünften
besitze,“ so kann man nur noch seine Hoffnung
auf die Natur setzen, die ja schön öfters mit
ihrem lebhaften Temperament rettend eingegriffen
hat. Wer so auf den Kopf gefallen ist, wie
V. A. dem kann ein solider Absturz nur soviel
sdiaden, dass er die gcschätzte Feder einige
Wochen liegen lässt. Den Herren Schauspielern
und Theaterdirektoren gebe ich aber den guten
Rat, sich mit ihrem bügerlichen Beruf als Schau-
spieler oder Direktor zu begnügen, das Traum-
leben ganz auszuschalten, und höchstens noch
Liebigbilder zu sammeln.

Pfingsten bei Scherls

Zur Feier des bewährten lieblichen Festes
verhielt sich der gute Onkel Scherl durchaus
familiär.Auf der ersten Seite predigte einer seiner
vielen Garnisonpfarrer den Geist, den er selbst
vermissen läßt. In den Beilagen gab es reichlich
Kunstzeichnungen und Literatur. Diesem gräßlichen

Herrn Eugen Stangen „glockt und klingt und
pocht und sirrt und singt Pfingsten nur so in den
Pulsen.“ Von der Liebe behauptet er „sie führe
betörend mit Duft und Schein heimliche Wege
ins Glück hinein“. Möge die Liebe den heimlichen
Wegen gut bekommen. Per Vers, wie man nach
R. Sch. jetzt sagt, macht sich der Stangen so:

Die Vögel singen im grünen Nest,

Pfingsten — ist ja Verlobunjjsfest . . .

Die Augen blitzen so hell, so heiß, — —

Blüten, — Blüten — brautschleierweiß

Säumen die Höhen und füllen das Tal,

Und wie ein güldener Krönungssaal

Lacht die Aue im Sommerprunk . . .

Fort, fort, du verweinte Erinnerung!

Geh du ins Du.ikel — ich gehe ins Licht,

Weil Pfingsten glanzleuchtend die Welt umflicht.

Das Blühen in deutschen Landen will zwar
bei Scherl seit einem Jahr nicht enden, aber zu
Pfingsten ist der brave Fedor von Zobeltitz eigens
nach Hildesheim gefahren, um es zu entdecken.
Die Kaliindustrie entwickelt sich dort erfreulich in
der Umgegend, sagt Herr von Zobeltitz. Auch
kunstsinnig war Hildesheim immer, was man
wieder von Herrn von Zobeltitz nicht behaupten
kann. In dieser entzückenden Stadt haben ihn
nicht einmal die modernen Denkmäler geStört.
Was man wiederum begreift, wenn mau weiß, daß
die kunstsinnigen Hildesheimer ihr Bedürfnis nach
Plastik durch Prellsche Entwürfe und Lessing be-
friedigen lassen. Ganz besonders spricht aber
für Hildesheim, daß es keiner ohne den Wunsch
verlassen wird „so wie ich es getan habe“, ohne
den Wunsch des Herrn von Zobeltitz: „Auf
Wiedersehen.“ Die Unterhaltungsbeilage ist
gleichfalls „zum Feste des Geistes“ illuminiert.
F. Helmold verbittet sich den Nachdruck seines
Gedichtes, aber zwei Zeilen müssen hier stehen,
kosten sie was sie wollen.

„Licht und Liebe sollen walten zu des ewigen Gottes Ruhm
Und die Seg’enshände halten über allem Mcnscientum.“

Amen.

Differenzierung

Der Herr. Wovon man spricht, aus dem
Loksdanzeiger liest offenbar mit gutem Erfolg
Den Sturm. Wenn er jetzt falsche oder un-
mögliche Bilder gebraudit, bemerkt er, soweit er
sie bemerkt: „Um ein kühnns Bild zu gebrauchen.“
Im Uebrigen macht es ihn nervös, daß ihm der
Spielplan der Berliner Bühnen vertauscht scheint.

Gerade dieses Vertauschen aller Rollen, diese Aus-
wechslung von Ernst und SAerz, von Ton und Wort ist
eine ganz hübsche Komödie und bietet dem ahnungslosen
Besucher fast mehr Vergnügen als das Stück selbst. Ist ea
nicht reizend, wenn man, auf „Richard III.“ präpariert, zu
seinem Erstaunen dafür plötzlich die Klänge der „Lustigen
Witwe“ vernimmt, oder die „Bummelstudenten“ mit der
„Keuschen Susanne“ vertauschen kann?

Aber natürlich ist es unerhört reizend auf
die Bummelstudenten präpariert zu sein und eine
keusche Susanne vorzufinden. Jedenfalls viel
pikanter, als bei Richard dem Dritten die lustige
Witwe vorzufinden. Denn man meiß ja seit
Shakespeare, mindestens seit Shakespeare, daß
dieser König auf solche Damen präpariert war.

Halt! Haltl Halt!

Die Köllnische Zeitung kann sidi noch immer
nicht über die Westdeutsche Sonderbund-Aus-
stellung beruhigen.

„Ueber Fragen des Takts und guten Geschmacks wollen
wir hier keine längeren Erörterungen anstellen. Im ge-
bildeten Publikum hat man aber über diese Gegenüber-
stellung einer solchen rheinisch-französischen Ausstellung und
der deutschnationalen bereits eine sehr deutliche Meinung.
Dieser Sonderbund ist gegründet von einer ganz kleinen
Zahl teils in Düsseldorf wohnender, teils von der Düssel-
dorfer Sctiule herstammender ,gegenwärtig in Paris lebender

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