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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 103 (März 1912)
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Walden, Herwarth: Abfuhr
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Lasker-Schüler, Else: Esther
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Döblin, Alfred: Der schwarze Vorhang, [6]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0383

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größten Hotels tmd Restaurants von einem
Spezialphotographen unter meiner
L e i t u n g gemacht worden, und wer erfahren
wül, was an Arbeit und Miihe gerade in diesen Bil-
dern steckt, der lasse sich von diesem Herrn unsere
Aventuren erzähien.“ Her init der Adresse. Der
Spezialphotograph soll sich melden. Ich bin für
Aventuren. Ich hoffe jedoch, daß der Ritter Urban
den modernen Köchinnen nicht seine Musikkritiken
vorgelesen und ihnen darnit den Magen verdorben
hat. Ein Mensch, der diese Qeleitworte schreibt,
wagt Beethoven gut zu finden. Wagt, die Fiametta
scheußlich zti finden. Wie richtig müssen die
Herren Ullstein ihre Leser einschätzen, daß s i e es
wagen, ihnen diesen Kochkünstler als Musikkritiker
vorzusetzen.

Berichtigung

Ich will den Lesern diescr Zeitschrift nicht vor-
enthalten, daß es in Berlin seit vierunddreißig
Jahren ein Blatt gibt. das Kleine Journal. Früher
leitete es Herr Leo Leipziger, Verfasser blöder
Reimereien, jetzt Herr Lehmann. Ueber Herrn
Lehmann bin ich leider nicht orientiert. Jedenfalls
ist Herr Lehmann nicht aktuell. Er teilt seinen
Lesern, der Frau (iertrud Werthe.im, dem Herrrt
Leo Leipziger, dern Herrn A. O. Weber und dem
Herrn Edmund Edel mit, daß Herr Herbert
Wa-lden, eine Zierde des Cafes des Westens sei,.
und die Zeitschrift Der Sturm nur von den Qästen
dieses Cafes gelesen werde. Der Herr Lehmann
ist ein schlechter, unaktueller Journalist: Herr
Herwarth Walden verkehrt seit mehreren Monaten
nicht mehr im Cafc des Westens und ist auch
nie so größenwahnsinnig gewesen, sich dort neben
den Herren Lothar, Edel, Turszinsky, Saudek als
ZierJe zu fiihlen. ln diesem Cafe wird auch der
Sttirm nicht geiesen. Denn er ist dort garnicht
vorhanden, und die Stammgäste könnten auch ihre
Angst nicht so lange zuriickhalten. Ueber die
Kunst, die der Sturm vertritt, kann Herr Lehmann
ruhig in seinem gutbiirgerlichen Qlauben gelassen
werden.

Kunstpöbeiei

Herr Felix Lorenz, ein Cabaretdichter, hat
jahrelang im Berliner Tageblatt die höhere Lite-
ratur „redigiert“. Man entsinnt sich vielleicht, daß
Herr Mehring, Vert'asser eines Reimlexikons, also
eine Autorität, ihn als klaren Flötensänger pries.
Die Literatur wurde ihm durch einen rnossischen
Zufall los. Und der Herr Lorenz stiirzte sich nun
mit Eifer auf „die bildende Kunst der (iegenwart“.
Er schuf sich sogar ein neues Organ, daß er natür-
lich Die Kunstw e 11 nannte. In diesem Organ fiir
die bildende Kunst der Qegenwart verhöhnt der
Herr Felix Lorenz Kiinstler wie Kandinsky, Hanns
Bolz, Wilhelm Morgner, E. L. Kirchner und die
gesamten Mitglieder der Neuen Sezession. Nicht,
ohne vorher heimtiickisch die Herren um Erlaub-
nis zur Reproduktion ihrer Bilder und Zeichnungen
gebeteri zu haben. Das Dolose dieser Handlung ist
die einzige originelle Leistung des Herrn Lorenz.
Sein Artikel enthält nicht den geringsten Ansatz
zur Kritik, er begnügt sich damit, die ältesten
Witze der Fliegenden Blätter in schlechtem
Deutsch nachzuschreiben. Ich Iioffe. daß nach
Kenntnis dieser Affaire kein Künstler diesem
Blättchen eine Reproduktion seiner Bilder mehi; ge-
stattet. Man hiite sich vor Hunden.

Literaturpöbelei

Der Doktor Artur Eloesser. Mitarbeiter der
Neuen Rundschau und Theaterkritiker der Vossi-
schen Zeitung, müßte tmn wirklich endlich letal ab-
gehen. Seine Senilität hat den von mir so gelieb-
ten Höhepunkt bereits iiberschritten. Dieser Mann
schreibt von Przybyszewsky, sein literarisches
Verdienst bestände darin, „im Gefolge Strindbergs
den schwedischen Punsch in die deutsche Literatur
eingeführt zu haben“. Solange sich der deutsche
Doktor seinen Magen rait Schweinsohren, Weißbier

und Pfannkuchen vollschlägt, braucht sich Polen
njcht verloren zu geben.

Der Conförencier

Emilie Verhaeren las in Berlin aus seinen
Dichtungen. Diese Qelegenheit ließ sich Herr Julius
Bab nicht nehmen, um den Dichter schnell einmal
einzufiihren. Er redete quelques mots sur Ver-
haeren et son oeuvre. Er machte es ausgezeichnet,
etwa wie der Manager des Riesen Machnow im
Passage Panoptikum: „Meine verehrten Damen und
Herren! Sie werden gleich den berühmten Dichter
Verhaeren sehen. Sie haben sich hier versammelt.
Sie müssen aber etwas warten, weil ich Ihnen erst
einiges über den Mann erzählen muß. Dieser
Dichter ist ein wahrhaft großer Dichter. Er schuf
bis jetzt in drei Perioden. Die mittlerc Periode . . .
Verhaeren kriüpft an den letzten großen Harmo-
niker Qoethe an. Was wir besonders an Verhaeren
lieben, er ist m e h r als poetisch. Er hat die
L e b e n s k r a f t in sich. Er bejaht das Leben.“
Wörtlich sind die Zitate nicht. Nur der letzte
Harmoniker und das Mehr als poetisch ist unver-
fälschter Bab. Die übrigen Bemerkungen sind
daftir desto echter.

Gemässigte Lyrik

Herr Norbert Falk hat Stunden, wo er sich
durchaus als moderner Mensch fiihlt. Dann tritt er
für gute Lyrik ein und entdeckt Marie Miadeleine.
Friiher sei sie versgewandt und klangreich ge-
wesen, sagt Herr Norbert Falk, „jetzt aber ist der
Kiang abgedämpft, der Rhytmus hat nicht mehr
den fiebrigen Puls, die hektische Röte ist in gesun-
dere Farbe gewandelt. Die Verse des neuen
Buches verhalten sich zu denen des Erstlings wie
die zur vollen Bliite entwickelte Frau zum Mäd-
chen. Wie die heiter Wissende zu der phantastisch
Ähnenden“. Poesie steckt an. Herr Falk gibt auch
eine Probe eines zur vollen Blüte entwickelten
Qedichtes:

„AIs erste Jugend nüt Trauni und Tand
Mich gefesselt hielt in Bann und in Haft,

Da pflückte ich schon mit zitternder Hand
Die rote Rose Leidenschaft.

Nun weiß ich gar wohl, zu dieser Frist;

K e i n e R o s e b 1 ii h t, w e n n d e r

F r ü h i i n g k o m m t,

Wenn die Welt voll Keimen und Knospen ist —

Der Sommer ist's, der den Rosen frommt!“

Nun weiß sie es, daß keine Rose bliiht, wenn der
Friihling kommt. Wenigstens nicht in der von
Dichtern so geliebten Natur. Aber sie und Herr
Falk wissen, daß der Sommer ’s ist, der den Rosen
„frommt“. Ja, sagt Herr Falk. „von des Lebens
heißen Mittag, vom Sommer der Lust erzählen die
Qedichte, von bewußtem Begehren und üewähren,
von Erfüllungen und Stillungen.“ Die Stillungen
scheinen auf die Erfiillung des Erstlings hinzudeu-
ten. Die Qlut der roten Rose Leidenschaft, sagt
Herr Norbert Falk, ist mit einer feinen Kunst zu
einer schönen schlanken Flamme gebändigt. Näm-
lich so:

Die Sterne schimmern wie Opale,

Und diese Nacht so stumm und wild,

Ist eine schwarze Marmorschale,

Die ganz von Bliiten überquillt.

Und glühend hast du mich umfangen.

Wie klopft dein heißes Herz so laut.

Es rang dein gieriges Verlangen

Mich nieder tief in Q r a s u n d K r a u t.

*

Wenn das Kraut trotz der reifenden Kunst nur
nicht Feuer fängt. Es wäre schade um das Gras.

Der politische Musikkritiker

Herr Doktor Leopold Schmidt lökt fortgesetzt
gegen den Doppelstrich. der ihn von der Politik

trennt. Er scheint mit heißem Bemühen, aber ohne
Verständnis, den politischen Teil des Beriiner
Tageblatts zu iesen. Hier ein Niederschlag:

Draeseke war in seiner Jugend einer der ent-
schlossensten Mitglieder der musikalischen Fort-
schrittsparte-i, ein überzeugter Anhänger Liszts
und Wagners; die spätere Entwickelung mitzu-
machen, hat er abgelehnt, und so ist er allmählich
in die Reihen der Konservativen gekommen.

Das ist furchtbar nett von Herrn Draeseke, daß
er die Entwicklung mitzumachen ablehnt. E i n -
m a 1 nmß der Mensch doch mit der Eiitwicklung
aufhören.

Trust

Esther

Esther ist schlank wie die Feldpalme
Nach ihren Lippen duften die Weizenhalme
Und die Feiertage, die in Juda fallen.

Nachts ruht ihr Herz auf einem Psalme
Die Qötzen lauschen in den Hallen.

Der König lächelt ihrem Nahen entgegen —-
Denn iiberall blickt Qott auf Esther.

Die jungen Juden dichten Lieder an die Schwester
Die sie in Säulen ihres Vorraums prägen.

Else Lasker-Schiiier

Der schwarze Vorhang

Roman

Von Alfred Döblin

Fortsetzung

Tagelang ging er still und kalt umher, bis das
Blut wieder wärmer und voller aufrauschte, ihm
Brust, Wangen schwellte, weiche Schultern und
die schweren Arrne hob. die Hände ineinander-
legte. - Wer schichtet nhr den Scheiterhaufen,
von Weihrauch. Tannen. Myrrhen, Spezereien, den
Scheiterhaufen, nach dem ich mich sehnen niuß,
wo suche ich den Blitz, der mich zerschmettert?

Mein Löser, mein starkes flainmendes, sarda-
napalisches Qliick. 0, Tod, wie süß bist du? O,
ich bin so verdorrt, von allem verlassen, leer und
herabgesunken, ich möchte nur einäschern und
schluchzen, ich sehne mich so zu schluchzen und
zu lodern. Wie wenig will mir das Leben halten,
was es mir versprach. ach, und weinend muß
ich gestehen: wie wenig habe ich dem Leben
gehalten. So wegessicher, so stark, ohnegleichen
sollte mein Leben sein; was wißt ihr von meinen
Hoffnungen und W’ünschen?

Johannes, dein Leben —

*

Ein immer waches Mißtrauen hielt ihn jetzi
gefangen, wo er sich weiter von jenern Erlebnis in
steigender Kiihle und Besinnung entfernte. Er sah,
daß er in jenen Tagen in heller Bewußtlosigkeit
umher gegangen war, daß er nicht das Pfauchen
der Dampframmen, das, Lärmen der Wagen und
Arbeiter, das ruhige, stärkende Schauspiel des
Häuserbaus vor seinem Fenster bemerkt hatte
Blind und taub war er gewesen. Wie iest hatte
ihn das flüsternde (iedränge in seiner Seele gehak
ten. — Er staunte und schäinte sich seines Hin-
gerissenseins. Erkaltend fand er sein Ohr ge-
schärft fiir zirpende Obertöne in den Stimmen, die
er nie gehört hatte.

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