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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 77 (September 1911)
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0172

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ne. Ich liebc ihn ganz anders wie den Musel-
mann, sein Kuss sitzt noch, ein Goldopasschmet-
teriing, auf meiner Wange. Den Slawen aber
möchte ich nur immer anschaun, wie ein Ge-
mäide auf Altmeistergrund. Eine Feuerfarbe hat
sein Gesicht, ich verbrenne im Anschaun und
muss immer wieder hin. Du brauchst gar kei-
ne Angst zu haben, Herwarth, er hat mir auf
meinen Liebesbrief gar nicht geantwortet. Ich
schrieb ihm: Süsser Slawe, würdest Du in Pa-
ris im Louvre gehangen haben, hätte ich Dich
statt der Mona Lisa gestohlen. Ich möchte Dich
immer anschauen, ich würde gar nicht müde
werden; ich würde mir einen Turm bauen las-
sen, ohne Tiire. Ich möchte am liebsten zu Dir
kommen, wenn Du schläfst, damit Deine Wim-
per nicht zuckt im Rahmen. Ich denke garnicht
mehr, als Dich und nur Dich und nie anders,
a!s ob Du in einem Rahmen ständest. So schön
wie Du gestern Abend warst, Du warst so
schön, man müsste Dich zweimal steh'en, einmal
der Welt und einmal Dir selbst; Du weisst am
6chlechtesten mit dir umzugehen, du hängst Dich
immer ins falsche Licht. Ich versichere Dirnoch-
ma!s, lieber Herwarth, Du brauchst Dir darum
keine Sorgen machen, er reichte mir gestern
Abend nicht einmäl die Hand. Es verriet mir
Jemand im Vertrauen, er will sich mit D i r
nicht entzwein, er ist Literat. Was sagst Du so
solch einer Feigheit? Du hättest mir in seiner
Lage wiedergeschrieben, nicht? Ihr braucht al-
so noch lange nicht kommen; vorgestern Nacht
träumte ich sogar, ein Eisbär sei Euch beiden
Nordpolfahrern begegnet, und hätte Euch gefragt,
ob Ihr Euch bei ihm photographieren lassen
wolltet.

Was ich ein ausgesuchtes Unglück in der
Liebe habe, Ihr auch? Habt Ihr schon Ibsen
gesehn und die Hedda Gabler? Und habt Ihr
Euch schon eine andere Landschaft betrachtet,
wie ein Cafe? Es giebt wohl da oben nur
Schneefelder und weisse Berge und was weiss
was noch. Die Lappen halten wohl nicht, schick
mir aber ein paar Krönländer.

Ihr könnt lachen, ich hab aber die ganze
Nacht nicht geschlafen, einmal war es kalt, ein-
mal heiss, dann stürmte es Herbst, und dazwi-
schen glühte Eure Mitternachtssonne. Als ob
der September mir alles nachäffe. Ich weiss

■■■iiiiiii ii Biiiiiihiihiiii■ iiinii —aH——

nämlich gar nicht genau, wen ich liebe: den
Slawen oder den Bischof? Oder sollte ich mich
noch immer nicht von Minn trennen können? Der
Bischof ist seit gestern von mir zum Erzbischof
ernannt worden. Aber der Slawe wird wohl-
weislich bald seinen Abschied einreichen, seine
diplomatischen Experimente mit mir sind demo-
kratisch. Ich bat ihn meinen Liebesbrief mir
wiederzugeben, zum Donnerwetter. Ich hab doch
zutn Donnerwetter Ehre im Leib. Er hat ihn
mir noch nicht zurückgesandt — ob er mir ein
paar Worte dazu schreiben wird! Aber was
hilft das nur, der Erzbischof spricht wie ich
träume, ganz genau so, auch versteht er un-
ausgesprochen meine Wünsche zu erfiillen. Er
wandelt mit mir durch schwermiitige Wälder
iiber Rosenpfade, oder wir suchen mitten in der
Gespensterstunde rissige Strassen auf, die auf die
Spree blicken, finster wie das Auge des Arbei-
ters. Und jeden Tag bekomme ich vom Bischof
einen Brief, es sind die schönsten Briefe, die
ich je gelesen habe, ich lese sie laut mit der
Stimme des Slawen. Und wie geht es Euch?
Ihr seid wohl schon am Wenclekreis des Schnee-
huhns angelangt? Erkälte Dich nur ja nicht,
Herwarth. Vor allen Dingen bekomme keinen
Schnupfen, ich werde wahnsinnig vom Rau-
schen der Nase. Kommt Ihr bald nach Hause?
Der Erzbischof und der Bischof sind heute vor
elf Uhr schon aufgestanden und verliessen das
Cafe. Ich wäre gern so sans facon mit ihnen
fortgegangen, aber Ihr kennt die Leute noch
nicht im Cafe. Wenn sich nun der Erz-
bischof und der Slawe alles sagen! Der
dicke Cajus-Majus blieb bei mir am Tisch sit-
zen, Cajus-Majus, Cäsar von Rom; wenn er
nur nicht immer von Literatur redete. So lan-
ge es von meinen Versen handelt, geht es ja
noch, aber fängt er von Dante und Aristopha-
nes an zu quatschen, soll ihn Dantes Hölle ho-
len. Er vertraute mir an, er liebe Lucrezia Bor-
gia. Als ich ihn fragte wer das Frauenzimmer

sei, bekam er einen Lachkrampf. Ohne Dich,
Herwarth, geht es hier doch nicht. Du hilfst
mir immer in der Geschichte, auch genier lch
mich Jemand zu bitten, mir die Kommas zu
machen. Auf einmal kam gestern Dein Freund,
der Doktor, wieder ins Cafe mit der Marie Bor-
chardt und ihrer Freundin der Margret König.
Die ist auch Schauspielerin, wusstest Du das?
Du, sie ist reizend. Ich schickte ihr im ausge-
rauchten Zigarrenschächtelchen des Slawen einen
Chokoladencaces und eine Zigarette. Sie ist ei-
ne süsse Silhouette. Immer steht sie, ein gol-
denes Nymphchen, zwischen meinen bunten, plät-
schernden Gedanken. Darum ging ich auch

heute Abend in clen Vortrag der Marie Bor-
chardt, nicht um meine Gedichte zu hören, der
Margret wegen. Aber ich war sehr iiberrascht
von der Vorlesung der Marie, die ist eine ita-
lienische Sprecherin, in ihrer Stimme tönen ve-
nezianische Glasblumen, und echte Spitzen aus
den Palästen knistern unter ihren Worten. Aus
gesehn hat sie in ihrem Terrakottakleid und in
ihrem Turban mit der Goldfranse wie eine klei-
ne Dogenprinzessin. Wenn ich einen Dogen
wüsste, ich liess sie entführen in einer Gondel.
Es kann doch nicht alle Tage dasselbe ausser
mir passieren. Du sagst zwar immer, ich soli
mich nicht um andere Menschen bekümmem,
aber mich ärgern ebenso sehr die unkünstleri-
schen, wie die künstlerischen Vorgänge mich im
Leben erfreuen. Ich glaube, es ist schon zwölf
Uhr, ich bin tatsächlich zu bange heute den
Flur meiner Wohnung alleine zu betreten. Ich
bin nervös. Ich werde Dir mein Wort nicht
haiten können und vor Morgen schon in mei-
nem Bett liegen. Ich werde bei dem Billetfräu-
lein am Halenseeer Bahnhof schlafen auf ihrem
blutlosen, alten Kanape. Sie erzählt mir den

Rest der Dunkelheit von ihren Liebhabern. Gu-

te Nacht Herwarth, liebes Kurtchen.

Ich bin nun zwei Abende nicht im Cae
gewesen, ich fühlte mich etwas unwohl am Her-
zen. Dr. Döblin vom Urban kam mit sei-
ner lieblichen Braut, um eine Diagnose zu stel-
Ien. Er meint, ich leide an der Schilddrüse,

abcr in Wirkiichkeit hatte ich Sehnsucht nach
dem Cafe. Er bestand aber darauf, mir die

Schilddrüse zu entfernen, die aufs Herz indirekt
drücke; ein klein wenig Cretin könnte ich da-
von werden, aber wo ich so aufgeweckt wäre,
käm ich nur wieder ins Gleichgewicht. Ich hab
ihm nämlich gebeichtet, dass ich mir ausserdem
das Leben meiner beiden Freunde wegen hätte
nehmen wollen am Gashahn, der aber abgestellt

worden sei; der ganze Gasometer ist geholt

worden. Ich konnte die Gasrechnung nicht be-
zahlen, auch in der Milch kann ich mich nicht
ersäufen, Bolle bringt keine mehr. Wie soll ich
nun, ohne zu erröten, wieder ins Cafe kommen?
Ein Mensch wie ich müsste sein Wort halten.
Ich werde den beiden, dem Bischof und dem
Slawen, vorschwindeln, du wirst Dich zu sehr
erschrecken. Fortsetz«ng toigt

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Verantwortlich für die Schriftleitung in Oesterreich-
Ungarn / I. V.: Oskar Kokoschka

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Verlag „Der Sturm“

Herwarth Walden
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FiirGesangu.Klavier/52Seiten

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L’ Effort

Halbmonatsschrift

für moderne Kultur u. fran-
zösische Sezession in den
Künsten und in der Literatur

Herausgeber und
:: Schriftleiter ::

JEAN RICHARD

Jahresbezug für das
Ausland: Mark 4.50

Zweiter Jahrgang

Verlag und Redaktion:
POITIERS (Vienne)
Frankreich

Lcs Mnrges

5 rue Chaptal / Paris

Diese literarische Zeitschrift
veröffentlichte das franzö-
sische Original der Tage-
bücher Flauberts, deren
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Die Hefte, die die Tage-
bücher Flauberts enthalten,
sowie die übrigen seitdem
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Les Marges gegen Einsen-
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Les Cahiers du Centre

Monatsschrift für Soziologie
Geschichte, Kunst
und Literatur

Gegründet von Paul Cornu

Herausgeber u. Schriftleiter

HENRY BURIOT

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ln den Cahlers du Centre

erschienen Werke von Jules
Renard, Charles - Louis Phi-
lippe, Marguerite Audoux,
Emile GuilTaumin, Romain
Rolland, Andre Spire, Henri
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VERLAG u. REDAKTION:
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