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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 102 (März 1912)
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Kunowski, Lothar: Der Aether der Schönheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0373

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Umfang acht Seiten

WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE

Redaktion und Verlag: Berlin W. 9 / Potsdamerstrasse 18
Fernsprecher Amt Lützow 4443 / Anzeigen- Annahme

durch den Verlag und sämtliche Annoncenbureaus


Herausgeber und Schriftieiter:

HERWARTH WALDEN


,

Vierteljahrsbezug 1,50 Mark / Halbjahresbezug 3,— Mark |
Jahresbezug 6,-- Mark / bei freier Zustellung / Insertions-
preis für die fünfgespaltene Nonpareillezeile 60 Pfennig

JAHRGANG 1912


BERLIN MÄRZ 1912


NUMMER 102

Inhsilt* LOTHAR VON KUNOWSKL. Der Aether der Schönheit / PAUL ZECH; Streikbrecher / ALFRED DÖBLIN: Der schwarze Vorhang /
** GÜNTHER MÜRR; Hamburg / BIM: Der Lebenslauf eines deutschen Malers / JOSEPH ADLER; Wintersaison: Faschingszauber / Aus-
stellung der Zeitschrift der Sturm / MORIZ MELZER: Originalholzschnitt

Der Aether der Schönheit

Von Lothar von Kunowski

Was da wächst. muß den üesetzen des Lichtcs
Rechnunjf tragen, es muß so wachsen, daß es die
Lichtstrählen fiir das Auge in geordneten Biindeln
zurtickwirit, hindurch oder darüber hinwegfahren
läßt, es rnuß so wachsen, daß es durch Verniittlung
c'er Strahlen ein sichtbares und verständJiches
üarize darbietet, wenn es seines Lebens froh wer-
den will. Alles, was ein rechtes Verhältnis zurn
Licht gewonnen hat, sei es Baum, sei es Blume,
sei es Tier, kann als schön gelten, als strahlend.
beglückend fiir andere Wesen, als sonnig von Aus-
seben.

Es ist ein Zauber iiber den üegenständen der
Natur, den man Schönheit genannt hat zu allen
Zeiten, der aber nicht geschätzt wurde von allen
Zeiten und auch nicht von jedermann. Wer von
tliesem Zauber weiß und Kunde hat, der kann ein
guter Kiinstler wetden, denn was an guter Kunst
jemals begliickte, das war nichts anderes, als was
uns erregend scheint im Sonnenfieck aur deni
Moose des Waldbodens, im Rieseln des Lichts
durch üezweig und Blätter, in Zittern über Wie-
senhängen zur Mittagsstunde, in Zucken und Per-
len des Abendlichts auf dunklern Seespiegel, iiber
den ein Wind streicht. Es war nichts anderes, als
was uns hindert, Bhimen anzufassen. eine Wirkung
in die Ferne, die von den Dingen ansgeht und in
ihrer Nähe einer heifigen Sphäre gleicht, welche
die Rose umhiilit, den Lindenbaum im Juli herr-
schen rnacht über Plan und Raum, daratif und
darin er steht, eine Sphäre des Ausstrahlens, des
Olanzes, der Wiirde, des Atmens, eine Lebens-
sphäre, die iiber den Leib des Rehs, des Pfauen-
auges, des Tigers, iiber diesen königlichen Leib
von bestrickender Schönheit der Streifen der wei-
ßen, schwarzen, goldenen hinausreicht, dem Hofe
des Mondes vergleichbar.

Es ist mehr als Luft, was du atmest, wenn
der Wind vom Snitzengewand der Schneeberge zu
Tale kommt, Wipfel, Oras, Welle und Halm be-
wegt an jenen Flimmertagen voll vom Oolde der
Morgenscbönheit, voll vom Silber der Dünste, Tau-
perlen und unaufbörlichem Summen, Schwirren,
Zirpen in jenen Tälern weißer Hiitten, grauer
Schindeldächer, Felsblöcke und Platanen. Es ist
der Oeist der Liebe, den alle deitte Sinne als Würze
der Liifte empfinden, es ist der Üeist der Schön-
heit. der das einförmige Sonnenlicht durch
tausend Kreaturen fangen, zerlegen, ordnen, bin-
den läßt zu farbigen Oriißen, die der Ahorn dem
Ahorn, die Aehre der Aehre, der Apfelbatnn dem

deren Blüten zmverfen, alle zusammen dir, deni
Auge des Künstlers, um dessen Willen sie wurden,
wie und was sie sind. Denn höchste Schönheit
kojnnte nur werden um höchsten Verständnisses
willen, wie höchste Verständnis undenkbar ist
ohne Oegenstände, die verstanden und geliebt seiti
wollen und zu diesem Zwecke Form, Farbe,
Wiuchs itnd Weise in Linie und Bewegung an-
nahmen, indein sie sich allesamt e i n e m Qesetz
untertan machte'n, dem Gesetz des Lichts. dessen
Strahlen nur redend sind und dein Auge Qeistiges
mitteilen, wenn sie vori geistig gebildeten Körpern
ausgehen, während das geistlose Oeschöpf von sei-
nem Lerbe das Licht sinnlos, gesetzlos, chaotisch
zum Auge gelangen läßt.

Schönheit ist die Aeußerung des Dranges nach
Sichtbarkeit, sie ist die Sichtbarkeit des Aethers
von dcin die Wissenschaft sagt, er durchdringe die
Weiten der Welt wie den dichtesten Körper,
Schönheit ist niehr ais Linie, Form und Farbe. sie
ist lebendige Schwingung in und um iedes Oe-
schöpf. Zerschneide das Oevvand der Wesen,
spalte es zum Zweck des Wissetis in Form, Licht,
Farbe und Bewegung, in Stunden des Genusses
itnd der Liebe binde die Schönheit wieder, was
der Verstand trennte, umhiiiit niit keuschen Schlei-
ern die Anatomie der Dinge und Frscheinungen.

So vie! du auch weißt und nüchtern benemien
kannst, so genau du dir das Einzelne anschaust,
die Kelche, Stempel, Staubgefäße der Liiie. Aster,
Distel aufzähist, Botanik und Zooiogie, dein Tag
bleibt leer, die Stunde tot, die Welt öde und kalt,
wenn das Wissen dich hindert. am Aether der
Schönheit teilzunehmen, den Panther, Palmbaum
imd Farrenkraut ausströmen, am Qeistigen der
Kräfte und Stoffe ini Drange sich darzustellen iiir
das Auge als iebendige Persönlichkeiten, als
zweckanstrebender Wille. W'age doch einmal nur
den Klang der Worte zu vergessen, rnit deren
Staub man dir die Welt zu früh verdeckte, öffne
das Fenster den Geistern der Natur.

Weise hülit Natur die Mehrzahl von Milliarden
Einzelheiten, die in nüchternen Zeiten dich er-
schreckend an Zahl umgeben. in Dünste, in bläu-
liche, graue. Schaust du die Unzahl der Knospen
im Netzwerk der Zweige gegen den Himmel, so
wirst du es deutlich sehen, daß ein schattiger und
zugleich farbiger Ton zwischen Knospen und Zwei-
gen den Himmel dunkler stimmt als rings imi das
Netzwerk, es zusammenfassend eben durch den
schwebenden Ton zum Gesamtbiid einer Persön-
lichkeit, die du ohne den Drang ihrer Teile nach
Verbindung nicht ais solche erkennen und benen-
nen würdest. Der Ast schließt sich mit Knospen
und Zweigen zusammen, der Baum die Aeste zum

Schillerfalter und viele Blumen der Biene, diese an-
Oanzen, das sich vom Himmel hebt a!s ein Qe-
samtton, der die Siihouette des Baums gegen den
Durchbruch der Lichter schützt und in der großen
Fassung eines typischen Umrisses. zur rnhigen
Folie wird fiir so viel Einzelheiten, als du ohne
Anstrengung iibersehen kannst. D;e schwebende
Tonfläche zwischen Aesten und Zweigen siehst du
nie, so wenig wie den umfassenden Umriß, wenn
du nur neugierig das besondere an Rinde oder
einzelnen Reisern betrachtest, auch nicht, wenn du
fiüchtig den ganzen Baitm iiberfliegst: du mußt
empfindend mit ihin ieben in seiner Aetherwelt.
So faßt sich vor deinen Augen ailes von selbst
zusammen, das Roß aus seinen Teilen. Einzel-
lieiten. Farben, der Hnnd. die Katze. und erst da-
nach hat ihr Qattungsname einen Sinn. Denn Be-
griffe sollen zusammen fassen, daß du an vielen
einzelnen Qeschöpfen dasselbe erlebtest, ehe du
sie als Qanzes schautest. als Vorstellung, die am
Oegenstand zu haften, über ihm zu schweben,
von ihm iösbar scheint wie ein mehrfach befes-
tigter Schleier. Der Aether der Schönheit ist das,
was Pappel, Haselnußstrauch, Essigbeere und Rot-
dorn fähig macht, Teil unseres Oeistes zu werden,
als Erinnerungsbild in ihni zu haften. Wie eine
Seidenraupe umspinnt die Natur die wildesten For-
men und lautesten Farben nicht etwa durch Dünste
der Luft allein, sondern durch ein geistiges Band;
Oestriipp und bunt plätscherndde Weilen am Ufer
farbiger Steine umwebt sie mit Seide, mit einem
Vorstelhingsnebei, den wir selbst schaffen und
ausgestaiten in Tagen der Qesundheit und Liebe.

Dieser Aether der Schönheit ist der Boden
geistiger Fruchtbarkeit des Menschen. Wessen
Jugend sich aus ihm nährte, dessen Reife trägt
einen Ueberschuß des Qeistigen in sich, der ihn
drängt fiir mehr als für sich selbst zu schaffen,
andere zu beglücken, teilnehmen zu lassen am
Aether der Schönheit durch das Mittel des Kunst-
werks.

Und dieser Zustand der Reife kündet sich
dadurch ari, daß die Natur dem Jüngling zuweilen
verblaßt vor der Fiille des gaukelnden Aethers
seiner Sinne. Wo er geht, schaut er etwas an-
deres, als was um ihn ist, ob Farben oder
Schwärme von Lichtern, Oestalten oder nur Kräfte.
die Qestalten werden wollen. Es sind jene Seiden-
gespinste der Natur, die er seinem eigenen Qeiste
als Oewand zu weben beginnt, schwebende Ton-
flächen, modellierbare Massen, er kann es mit
Worten nicht ausdrücken, selbst mit Qedichten
nicht, er möchte es mit Händen greifen, diesen
köstlichen Schleier vor seinen Augen festnageln
auf eine Fläche. Und nun bedauert er, daß er nicht

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