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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 66 (Juni 1911)
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Lux, Joseph August: Der Ingenieur
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Walden, Herwarth: Für Freunde der Poesie: Lokalanzeigerlyrik
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0083

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Steinmaterial und klinstlerisch bestimmten Formen
zu tun hat und die wirkungsvollste Anwendung
dieser Mittel von dem persönlichen künstlerischen
Takt der Architekten abhängt, gibt es in de* auf
Berechnnng gestellten Eisenarchitektur nur ein
Bauelement, den Eisenträger. Stoff und Formen
sind im Eisenbau geradezu homogen.

Von dem Wellblech und dem Glas als Flächen-
fiillungen und Eindeckungen abgesehen, kommt
es in der Eisenarchitektur nicht auf Raurnum-
schließungen, bei denen sich mit den baukünstle-
rischen Proportionsgesbtzen operieren läßt, an,
sondern auf bloße Konturenlinien, auf das fleisch-
lose Gerippe oder offene Gerüst, kurzum lediglich
auf den Träger, der die Energien fortleitet und
Kraftlinien darstellt, wie an dem Eifelturm, an
den modernen Eisenbahnbrücken ersichtlich, denen
insofern eine Schönheit zukommt, als sie den
Bedingungen der Stabilität absolut entsprechen
und darin nach den Worten Eiffels mit den Be-
dingungen der Harmonie vollständig überein-
stimmen.

Ein ganzes Nervenbündel, von diesen leben-
digen Energien durchflutet, erscheinen diese
Großkonstruktionen und ebendaselbst organisch
beherrscht, geistig diszipliniert, entmaterialisiert
bis zur äußersten Verdünnung.

Nur ein einzigesmal in der langen baukünstle-
rischen Entwickelung schien es, als ob auch in
der Steinarchitektur die Tendenz der Entmateria-
lisierung platzgreifen und Gebilde zeitigen würde,
die mit den Konstruktionen verwandt erscheinen,
die der Eisenhochbau hervorbrachte. Deshalb
wird gern die Steingotik zum Vergleich mit den
modernen Eisenkonstruktionen herangezogen und
eine geistige Verwandschaft konstatiert die weder
dem Material nach, noch überhaupt in der künst-
lerischen Absicht besteht.

Die Baukunst und folglich auch die Gotik der
mittelalterlichen Dome ist vor allem Raumkunst,
die sich in rhythmischen Raumgrößen und Flächen
ausspricht und Proportionen ausdrückt, die so-
wohl von der Natur des Materials als von dem
harmonischen Empfinden des Schönen bestimmt
sind.

Also auch die Gotik war Raumkunst, und ihr
Prinzip war die Raumumschließung, trotz der
entmaterialisierten Steinkonstruktion, die ein
fleischloses Gerippe oder Gerüst zu werden schien.

Die kunstvoll gematten Glasfenster mit ihren
Heiligen, ihren biblischen Legenden und ihren
Landschaften nahmen gewissermaßen die Stelle
der alten Gobelins ein, die mit denen in der
vorherigen Bauperiode die massiven Wände des
Innern belebt waren.

Von allen diesen Bestimmungen kann in der
Eisenarchitektur nicct die Rede sein. Es ist zwar
wöglich, aus Eisen eine Kathedrale zu bauen, wie
die fünfschiffige Halle im New-Museum tn Oxford,
aber das ist ein Fall, in dem das Eisen als Surro-
gat zur Nachahmung einer historischen Bauform
auftritt und als unangenehmes Komproiniß er-
scheint.

Um denUnterschied scharf genug zu empfinden,
tun wir gut, uns an die erwähnten klassischen
Beispiele der modernen Konstruktion, an den
Kristalpalast, an die Pariser Maschinenhalle und
an den Eifelturm zu halten. Michts berechtigt
uns, in diesen Fällen an die Gotik oder über-
haupt an Raumkunst zu denken. Es ist Linien-
und Konstruktionskunst.

Wir empfinden sie auch gar nlcht wie die
Architektur als ein erweitertes Kleid, zu Wohn-
lichkeit bestimmt, sondern wir empfinden diese
Hallen als ein Stück freien Raumes mit neuen
Grenzlinien, an dem der eigentümliche Reiz in

der Kraft und Schönheit dieser Linien besteht,
die wir nicht nur wegen ihrer Leichtigkeit und
Kühnheit bewundern, sondern auch deshalb, weil
wir in der Kühnheit und Kraft das Menschenwerk
verehren.

Die raumabschließenden Füllungen in diesern
Netzwerk, das durchsichtige helle Blankglas
empfinden wir gar nicht als ein raumabschließendes
Element.

Kein Versuch scheint gemacht, das Licht
irgendwie künstlerisch zu modifizieren, eine
Rauinstimmung hervorzubringen, sei es durch
Regelung und Begrenzung des Lichteinfalles,
durch farbige Brechung oder durch künstlerisch
bestimmte Unterbrechungen mitSchattenwirkungen.
Nichts ist getan, um nur im entferntesten an
die Raumkunst zu streifen, die unter anderem
auch in der Gotik einen ihrer künstlerischen
Höhenpunkte erreicht hat.

Die Baukunst ist die eine Welt, die Eisen-
architektur die andere. Um die Aesthetik der
Eisenarchitektur zu begreifen, und ihre Wirkungen
künstierisch zu genießen, hüte man sich, begriff-
liche Anleihen bei der Steinarchitektur zu machen.
Die Schönheit der Großkonstruktionen will aus
ihrem eigenen Wesen heraus verstanden und er-
kläjt sein, aus ihrem Element, dem Profileisen,
aus den Kraftlinien, aus deuen sich die lebendigen
Energien fortpflanzen, und eine formale Energie
erzeugen, die aus den Bedingungen der Stabilität
und aus den Bestimmungen der Konstruktion zu
begreifen sind.

Soviel steht aber für alle Zukunft fest, daß
die Großkonstruktion ihre charakteristische Schön-
heit nur dann bewahren wird, wenn sie den Be-
dingungen ihres klar erkannten statischen, kon-
struktiven und stofflichen Wesens treu bleiben
und jedes Kompromiß mit den formalen An-
schauungen, die von der Baukunst geborgt werden,
ablehnen.

Selbst die Vermählung von Stein und Eisen,
wie sie sich in dem Betoneisen vorstellt, ist, trotz-
dem sie eine solche Aera des Steinbaues herbei-
zuführen scheint, an Gesetze gebunden, die in
ihrer Natur liegen und nicht durch einfache
Uebertragung historischer Ueberlieterungen ent-
stehen. Sogar auch im Betoneisenbau, der nicht
nur den Nutzbau beherrscht, ist die ästhetische
Vollendung nur möglich, wenn das Kompromiß
mit den Ueberlieferungen der älteren Steinbau-
kunst unterbleibt, was noch zu beweisen sein
wird.

Wir können nicht mehr als schön empfinden,
was nicht zugleich wahrhaftig ist, und auch in
dieser Wahrhaftigkeit der technischen Werke, der
Instrumente und Maschinen erkennen wir Werke
dieser Art ais eine Schönheit, die unserer Zeit
ihre neue stilistische Marke gibt. War die große
Stilepoche, die Renaissance, einschließlich ihrer
Abwandlungen im Barock und ihrer Ausklänge
im Empire ornamental gerichtet, so ist die mo-
derne Zeit ausgesprochen konstruktiv und sach-
lich bestimmt.

Welche sind die ktinstlerischen Möglichkeiten
im Betoneisen?

Auch hier findet das uralte Baugesetz seine
Anwendung: daß alle Formen, die das Material
statisch erlaubt, künstlerisch berechtigt sind.

Die stilistische Unsicherheit bezweckt in der
Tat, daß dieses Material noch mehr wie das
Eisen keine Schwächen hat, die dem Künstler
eine sichere Bahn, und die Einhaltung gewisser
scharf umzogener normaler Grenzen auferlegen,
sondern, daü es fast nur Vorzüge besitzt, die die
formalen Möglichkeiten ins Fessellose steigern.
Das sind Tugenden, die vom Standpunkt der

architektonischen Proportionallehre als ein Kar-
dinalfehler erscheinen können.

Architektonisch betrachtet, ist jede Zweckform,
wenn sie die Materialsprache zum vollen Aus-
klingen bringt, an und für sich schon ein künst-
lerisches Ereignis. Wir tun gut dabei, von allem
abzustrahieren, was die Baukunst vorher unter
anderen Verhältnissen und unter anderen Mitteln
ais unumstößliches heiliges Gesetz erkennen und
gegen die neuen Baustoffe und die neuen Bau-
organisinen der Technik behaupten wolite.

Die neuen Schönheitsbegriffe, eine neue
Aesthetik, muß bei der Technik einsetzen, und
die Begriffe der Sachlichkeit und der Zweck-
vollendung zu den obersten Grundsätzen erheben.
In München ist ein technisches Museum, das
interessante Aufschlüsse über ein künstlerisch
noch viel zu wenig gewürdigtes Gebiet eröffnet,
über die technischen Erfindungen und Instrumente
der vergangenen Zeit. Sie enthalten die Vorge-
schichte des Maschinen-Zeitalters und beweisen,
daß der neue ästhetische Gedanke im Keim
immer dagewesen ist. Vom historischen Stil-
zwang befreit, zögern wir keinen Augenblick, in
diesen Erscheinungen Kunstformen zu entdecken,
die sich fast mit biologischer Notwendigkeit ent-
wickelt haben. Am sinnfälligsten wird der Sach-
lichkeitsstil in den modernen Fahrzeugen, an
denen sich ebensogut wie an den neuen Groß-
konstruktionen die neue Maschinenästhetik er-
weisen läßt.

Das mächtige Uebergewicht, das vor allem
die Ingenieurskunst und die Verkehrstechnik in
dem öffentlichen Interesse erlangt hat, erklärt
sich zum großen Teil daraus, daß auf diesen
Gebieten fortwährend geistig gearbeitet und um
den Fortschritt gerungen wurde. Die Stellmacher
oder Wagenbauer, die Fahrradtechniker, die Boot-
bauer, die Maschineningenieure, die Automobil-
fabrikanten, die Schiffskonstrukteure, sie haben
alle geistig gearbeitet.

Die Technik hat nicht nur unsere Erkennt-
nisse, sondern auch unsere Fähigkeiten, kurz den
menschlichen Machtbezirk erweitert und uns
Kräfte gegeben, die noch vor fünfzig Jahren
Märchenträume waren.

Für Freunde der
Poesie

Lokalanzeigerlyrik

Die Literarische Rundschau des „BerlinerTage-
blatt“ steht, wie ich bereits mitteilte, hinter den
Rubriken Hypothekenmarkt und Rasensport. Die
Literarische Umschau des „Lokal-Anzeiger“ hinter
ganzseitigen Warenhaus-Inseraten. Dort werden
allerlei schöne Sachen zum Verkauf empfohlen.
Herr Doktor Bi. empfiehlt Peter Roseggers Ge-
dichte.

Ein unscheinbares dünnes Bändchen ist es,
das vor uns liegt, und dodi die Sammlung
von Liedern aus dem ganzen Lebenswege
eines Dichters. ,Mein Lied‘ von PeterRosegger.
Wieviel Poesie erwarten wir nicht schon beim
Lesen dieses Titels in Verbindung mit diesem
Namen. Und wir werden nicht enttäuscht.
Der ganze Rosegger, der Poet, wie wir ihn
lieben, tritt uns aus diesen wenigen Seiten
entgegen.

Rosegger, der bekanntlich nicht dichten kann,
wird infolgedessen ein ausgesprochener Heimats-

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