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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 67 (Juli 1911)
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Peledan, Sar: Die höchste Tugend, [2]
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Heymann, Walter: Berliner Sezession 1911, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0090

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posion enthaltene platonische Offenbarung der
wahren Ehe der Eingeweihten.

— „Was dem Beichtiger antworten?“ fragte
Sin.

— „Dass er nicht dazu befugt ist,“ erklärte
der Mönch. Der Beichtiger kennt nur das Aeus-
sere, das heisst die Wahrheit. Das Uebrige kommt
ihm nicht zu, wofern man nicht seinen Rat ein-
holt. Von welchem Wert kann diese psychiatri-
sche Konsultation weniger Minuten sein? Von
gar keinem. Die Einzelheit und der Umstand
sind die Geissel des Beichtstuhls, alle Inquisiti-
ons-Gewohnheiten. Der Priester erhält clie Ge-
ständnisse, er darf sie weder erzwingen noch
ergraben.

„Was jene Theorie vom Rekruten-Bureau über
die Nötigung zu erzeugen, betrifft, so hat sie
in einer Eselli der Uebersetzung ihre Wurzel.
Einen bildlichen Ausdruck, der „entwickelt euch“
sagt, hat man mit „vervielfältigen“ übersetzt,
und in der Tat angewendet scheint er bei den
Verbrechen jener Völker, die zahlreich sein wol-
len, um die anderen besser zu vertilgen. Für
Katholiken wie wir sind, hat die jüdische Thora
weniger Wert als Manus Gesetze oder die gol-
denen Verse. Vergesst nicht, dass ein Kind für
ein Hirtenvolk, einen Landmann, ein Element
des Reichtums ist, Arme, daher ein Mehr; aber
es ist ein unsinniger Irrtum, im städtischen Le-
ben das gleiche anzupreisen wie für Nomaden
und Hirten.“

Jetzt kamen sie einer nach dem Anderen,
Ournah zuerst, Hon .zuletzt, um vor dem Mönch
zu knieen, der wie bei einer päpstlichen Beichte
aufrecht blieb. Schiuss fo.gt

Dem Barbaren

Ich iiege in den Nächten
Auf dednem Angesicht.

Auf deines Leibes Steppe

Pflanze ich Cedern und Mandelbäume.

Ich wühle in deiner Brust unermüdlich
Nach den goldenen Freuden Pharaos.

Aber deine Lippen sind schwer,

Meine Wunder erlösen sie nicht.

Hebe doch deine Schneehimmel
Von meiner Seele —

Deine diamantnen Träume
Schneiden meine Adern auf.

Ich bin Joseph und trage einen süssen Gürtel
Um meine bunte Haut.

Dich beglückt das erschrockene Rauschen
Meiner Muscheln.

Aber mein Herz lässt keine Meere mehr ein.

O du; !

Mein Herz heult schon über deine rauhen Ebenen
Und verscheucht meine seligen Sterne.

Else Lasker-Schüler

Berliner Sezession 1911

Von Walter Heymann

„Ich glaube an die absolute Not-
wendigkeit einer neuen Kunst der Farbe
nnd der Zeichnung, sowie des ganzen
künstlerischen Lebens."

Vincent van Gogh

III.

Ferdinand Hodler schlägt mit einer
Wand voller Bilder alK Gemälde der Sezession.
Wir erleben das nicht zum ersten Male. Umso-
mehr ist es Zeit, nach dem Warum zu fragen,
da die Ausstellung in Frankfurt a. M. bevor-
steht, in der die Summe seines Schaffens gezeigt
werden soll. Das Resultat ist dazu angetan,
nachdenklich zu stimmen. Hodler ähnelt den Be-
sten seiner Zeit in dem Bemühen, in dem oft
mit Pedanterie und manchmal auf Kosten künst-
lerisch-sinnlichen Genusses augenfälligen Bemü-
hen, kein Mittel ohne Zweck, kein Mittel als Be-
standteil ungeprüft zu verwenden. Im übrigen
steht er für sich als Aussenseiter. Bei jedem an-
dern, der auf den Ehrentitel eines Malers An-
spruch hat, ist schliesslich wie anfänglich ein
Eriebnis in malerischen Werten das, was den
Willen bestimmt, sein im Was und Wie farbig-
s i n n 1 i c h e s Ziel. HocIIer malt wie Tolstoi
Romane schrieb — ohne im übrigen vergleichen
zu wollen — mit einer Tendenz, die dem Sin-
nenwesen, der Kunst zunächst feindselig gegen-
übersteht, ihm nur eine d i e n e n d e Rolle zu-
erkennen will. Seine sinnlichen Ausdrucksmittel
sind überwiegend linearer Natur, seine Linie ist
wieder beherrscht von der Abstraktion. Er ist
sozusagen zwiefach Künstler: einmal, weil in
seiner Gedanklichkeit das triebhaft starke Wollen
als ordnender Wille siegt — zum Zweck der
Offenbarung seiner Weltanschauung. Zweitens,
weil sein gedankliches Mittel, die Linie, völlig
zum Ausdruck dient. Wir müssen hier über das
Wesen der Linie nachdenken. Von Anbeginn ist
sie eine Fiktion, wie die Punkte, die sie durch-
läuft Ihrer einfachen Natur entsprechend muss
sie sich gefallen lassen, als Mittel ohne charak-
terishsche Eigentümlichkeit zu dienen, der Ma-
ler lässt sie im Bild untergehen, soweit sie nicht
sein gedankliches Element ist. In der K o m p o-
s i t i o n etwa — die in Flächen lebt — denkt
er sie nur indirekt mit. Wichtiger ist sie bei
Gemälden von grosser und sich stark verteilen-
der Richtungseinheit, wo wir von Struktur re-
den. Gedankliches Element kann aber die Linie
vor allem als umrissgebende sein, als Kontu r.
Wir glauben ja im Leben an Menschen und
Dingen Konturen zu sehen, so prägen jene sich
uns erst recht ein, vor allem in der Kontur des
Scbattenrisses — etwa wenn ein Haus sich ge-
gen den „Himmel“ oder das Nachbarhaus ab-
hebt. Man muss erst sehen gelernt haben, um
zu wissen, dass es keine Konturen gibt, und
dass der Maler ihrer entraten kann in seiner
Welt einancler treffender farbiger Wirkungsele-
mente. Die Linie führt aber — sehr anständig
für eine Fiktion — noeh eine Art Eigenexistenz.
Sie betrachtet sich — sie soll auch betrachtet
werden —, nachdem sie ihre Scheinehe mit der
Wirklichkeit, die sie zu unsern Gunsten einging,
gelöst hat, als frei. sie hat noch Erinnerungen
an die Verbindung behalten, entfernt sich aber
systematisch von der Wirklichkeit. Selbst ihre
Beziehungen zum Raum — Perspektive — und
zur Fläche — gewisse mathematische Raum-
Schneidungen, die Pechstein sehr und Corinth
garnicht liebt — sind ihr nur mehr wie Lieb-
schaften werf, obwohl verwandte Seiten ihrer An-

lage dadurch bestärkt wurden. Nun, jetzt
lebt sie ganz sich, spielt bestenfalls mit ihren
Erinnerungen, parodiert sie, um schliesslich ihrem
rein geschlechtlichen Selbst, einer spielerisehen
Art fiktiver Natürlichkeit zu verfallen, was man.
mit ornamental bezeichnet. Das einzelne Orna-
ment geht noch sehr ernsthaft auf das Wichtig-
ste einer Erscheinung; es verliert aber gewöhn-
lich unter gleichartigen, in regelmässigen Inter-
vallen auftretenden seine Wucht. Die ornamenta-
le Linie als Linie ist demnach bloss spielerisch.
Ornamental also ist dies einsame Weibchen:
Zickzack und Parallele, Spirale und Kreislinie —
sie begibt sich in Vereine, schliesst sich Bewe-
gungen an, wird das Gefühl, Bewegung zu sein,
selbst in starrem Ruhezustand hingestreckter lang-
weiliger Bewegung nicht mehr los. Sie hat wirk-
lich eine enorme Teilnahmefähigkeit, es zeigt sich,
wieviel in ihr geschlummert hat. Und auf ein-
mal kam ein Mensch, der sie verstand, der ihr
Ungeahntes in einem menschlich malerischen
System — denn ohne Pedanterie konnte eine so la-
biale Erscheinung weder menschlich noch male-
risch wertvoll werden — sah, rettete, erhöhte,
der aus der Linie, einer kleinen Fiktion, das
grosse, clurch Liebe des Schöpfers verklärte Ele-
menf einer neuen annoch namenlosen Kunst-
gattung machte. Das war FerdinandHod-
1 e r. Er wollte die Linie unter möglichster
Wahrung ihres eigentümlichen Wesens wieder
für die Wirklichkeit gewinnen, freilich für die
Wirklichkeit, die ihm einleuchtete. Er liess also
wohl der Linie die Beweglichkeit und auch ihren
schematischen, sich in gewissen Intervallen äus-
sernden ornamentalen Hang. Ja, er hatte sogar
eine höchst eigentümliche Auffassung, er empfand
im Schema schon die Ancleutung eines Systems
— weil ihm die Linie eben so sehr viel bedeute-

fe. Sie schien ihm a!s Kontur neben der Beweg-
lichkeit vor allem die Ausdrucksfähigkeit zu be-
sitzen. Was sich im Naturvorbild als typische
charakteristische Anlage und Erscheinung, Sin-
nesmerkmal, mimische Bewegung äussert, zeich-
net sich dort gleichsam konturiert gegen die Um-
gebung ab. Er verklärt es, gab es konzentrier-
ter, gedanklich abgezogen in seinen farbigen Li-
nien, die sich gegen die Luft — und sei es nur
eine unbefreiende, künstlich getönte — abzeich-
neten, wie die Umrisse von Statuen gegen Hin-
fergründe. In dieser Art der Raumwirkung hatte
er noch Vorbilder, nicht aber in weiteren. Hod-
ler empfand iiberhaupt das Gleichartige in der
Erscheinungswelt als das wahrhaft Grossartige.
Nicht die Verschiedenheit der Blätter eines Bau-
mes, sondern höchstens die neben der Gleichar-
tigkeit uncl durch diese erst zur Hervorhebung
gebrachte Verschiedenheit zog ihn an — in je-
dem Fall, mochte es sich um Blätter, Bäume,
Berge oder Menschen handeln. Bei der Betrach-
tung des Menschen zerlegte er ihn geradezu nach
der Symmetrie. Und* er baute Gruppen oder
häufiger Ketten, Reihen von Formen und Ge-
staiten auf, die er nicht nur im äussern einander
ähnlich, nicht nur auch in der ähnlichen Aeusse-
rung einer verwandten Empfindung zeigte —
(den Ausdruck solcher linearen Gleichartigkeit
nannte er Parallelismus) —, sondern er brachte
clie Liniengestaltungen, die in sich wohlpropor-
tioniert und von einheitlicher Richtung waren,
noch in Eurythmie, das ist in Geschlossenheit der
Ordnung nach der Mitte hin, Abgeschlossenheit
nach aussen. (Vergleiche Ferdinand Hodler von
Arthur Weese, Verlag A. Francke Bern.) Im-
mer wird das Abweichende einer Bewegungskur-
ve von der Geraden verdeutlicht, manchmal sind
in den Gemälden Spuren eines Netzes, eines „Fi-

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