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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 88 (Dezember 1911)
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Ehrenstein, Albert: Ritter Johann des Todes
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Döblin, Alfred: Mariä Empfängnis
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Rung, Otto: Der Vagabund, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0258

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Ritter Johann des Todes aß Schlangen und
gute Steine.

Ritter Johann des Todes, aui seinen Fahrten,
tnußte heim, da die Erde zu rund war. Sprach zu
ihm sein schwangeres Weib, diese Loudtnilla Gatn-
perl, einen jungen Ritter Johanti des Todes an der
Hand haltend diese Worte: „Heute gibts Eichel-
sttppe und Geselchtes mit Spinat! Was hab ich
gcsagt!“

Ritter Johann des Todes. ich muß es schon
sagcn, zu ihtn kam nicht der Tod und er war ihn
ehriicher suchen gegatrgen, als sein Urgroßvater,
der ewige Jude.

Der Ritter Johann des Todes, auf seinen Fahr-
ten, freute sich an seinem Tode, dem Neuen: Ritter
Johann des Todes, attf seirten Fahrten, hängte sich
attf.

Aus dem SkFzeiibande „Tubutsch . der mit zwöif iliu-
strationen von Oskar Kokoschka soeben bei Jahoda
und Siege!, Wi n und Leipzig erschietien ist

Mariä Empfängnis

Von Alfred Döblin

Maria ging bleich und stilläugig durch die
feuchten niedrigen Gräser.

Hing das Laub hoch und dicht, so schaute Ma-
ria nach einem breitästigen Baume aus, der allein
hinter einem maschigverwachsenen Gebüsch stand,
in einem Wäldchen stand, den die Männer mieden.
Das Grün der Blätter verschmolz mit den seidenen
Dämmerfarben der Luft; dann blühten bronze-
/ dunkle, rosenzarte, gelbgetönte oder auch schneeige
Mädchenleiber unter ihm, die sich liebten. Das
Laub hing dicht und fiel tief hernieder.

Wenn wilder Regen strömte, saß Maria unter
den Gespielinnen am Fenster ihrer Halle, mit ihretn
weißen, ins Bläuliche schattenden Gewande, einen
Mandelzweig im Haar; sangen aller Lippen zum
Regengotte ein Beschwörungslied. Aber sie schrie
auf vor Glück, wenn sie ein Kindchen sah. Mit lang-
samen Schritten ging sie auf das Kindchen zu, hob
es auf und hielt es, sich setzend, leicht mit den
Knieen wiegend, im Schoß. Manchmal hielt fie im
Wiegen inne, blickte lange auf die weißen Sonnen-
stäubchen und den schwerbiauen Himmel, schau-
erte plötzlich zusammen mit den fröstelnden SchuJ-
tern und wiegete weiter.

Ein treuer Freund warb um sie; aber die
Jungfräuliche konnte den ieise Flehenden nicht er-
hören.

Ats die Mädchen einmal in sanftem Glück unter
jenem breitästigen Baum ihre Jugend mit Küssen
und Urriarmen genossen, sahen sie durch eine Blät-
terlücke am Himmel eine schwarze, unermeßlich
breit und riesig greifende Wolkenhand, unentrinn-
bar Willens gleichsam wie eine Gotteshand. Sie
sangen unruhig auf, sänftigten sich, flohen schließ-
lich durch das Lau'o geduckt auseinander, die wei-
ßen und buntgewandigen, als ein graublaues Licht
ganz hinten am Hügel äugte und immer heller und
heller und häufiger vor. der Himmelsschwärze her-
blickte. Zwischen schwarzen und steifen Baum-
reihen, die sich zu krümmen und winden beganr.en,
flatterten die Gewande vor dem Wind. Dem
Freunde, der Maria entgegengelaüfen war, nach-
dem er lange wartend um ihr einsames Haus ge-
streift hatte, klammerte sich die Aengstliche, Zer-
zauste an und ließ seinen Arm nicht. Inimer klagten
und zitterten ihre biassen, verwirrten Blicke zu den
weitgespannten Wolkenfingern und dem grellen
Licht hin. Sie fiel ihm, a!s die Erde zu beben be-
gann und eine Donnerstimme mit lohendem Purpur
und Schwefelgelb aufbrüllte, tötbleichen Gesichts in
die Arme. !n dem dichten Dunkei fuhren Hände
ihr über Gesicht und Haare, sie hörte nach dem
herrisch befehlenden Donnerschlage heiße Flüster-

worte. Er nahm sie hin, die wte ein leichter Ast an
seiner Schulter hing, mit ganz entspannten Giiedern
und Zittern.

Die Gespielinnen fanden sie am Morgen nach
dern Gewitter starr mit offenen Lippen auf dem
Lager. Ihre schimmenrden Augen suchten, als die
Füße der Mädchen auf der Diele klangen, irr etwas
in ihrem Zimmer und aui' der. Gesichtern der Freun-
dinnen; sie woflte sprechen, aber mit einem rauhen
Laut stopfte sie sich ihr Tuch in deu Mund uud biß
hart darauf. Oder sie schrie auf und stöhnte lang-
gezogen, regeimäßig und warf sich hin urid her. Nie-
mand wußte, was in der Nacht geschehen v.ar, aber
man riet bald, daß der Schrecken des Gewitters
ihre Seele verstört hatte.

Und sie pflegten sie, bis sie still wurde, und
auch den Freutid, der itnmer wieder eindringen
wollte, ließen sie nicht zu der Kranken. Als sich
die Zerwühlte langsam gesammeit hatte und ruhig
lag. sagte sie endlich heitnlich, indem sie den Kopf
noch tiefer in das Kissen drückte, wie um sich zu
besinncn, mit einen. unsicher fragenden Ton in der
Stnnme: es sei etwas über ihrem Haus bei Nacht
gewesen. Und sann dann wieder ar.gesnengt in
den Kissen nach, sah auffahrend auf die Gefähr-
tinnen und die stummen Gegenstände iin Zimmer.

Nach einiger Zeit ging sie nun wie eh mit den
Freundinnen durch die feuchten niedrigen Gräser.
Aber' wenn schon sonst ein weicher Ernst über ihr
lag, so verlangsamten sich jetzt ihre Bewegungen
immer mehr, fast feierüch . Ihr Gesicht ktärte sich
morgenlich, täuschnngslos auf, Als sie dem Freier
zuerst begegnete und die Freundinnen auf ihren er-
staunten Blick ihr sagten, wer er sei, sah sie ihm
noch lange in das flehende Gesicht und wandte sich
dann ruhig von ihm ab, anscheinend im Grün der
hängenden Blätter und am glatten Himmel etwas
suchend.

Oefter blieb Maria jetzt vor ihrer Halle sitzen
in der blauen Luft. Ihre Augen wurden gütiger,
versonnener, und wenn der treue Freund neben ihr
stand, so streichelte sie seine Hand, die Vieben
ihrem Kopf herabhing, und ihre Lippen nannten ihn
wie früher leise: Freund.

Sie gedieh und wandeite sich allmählich in eine
reife Blüte. AIs sie mit dem schwachen Kindchen
auf den wiegenden Knieen wieder vor der Halle
saß, sah Josef sprachlos auf sie, deren Augen von
innen erleuchtet schienen.

Maria hob ihr zartes Gesicht lächelnd zum tlef-
blauen Himme! auf, von dem die düstere Gottes-
hand nach der jungfräulichen herabgegriffen hatte,
öffnete leicht die Linpen gegen das Licht zum Kuß.
blieb lange so.

Und so scnkte sie dann den friedensstillen Kopf
und die Brust haib über das unschuldige Kindchen,
das von ihren duftenden Händen gehalten, auf
ihrem Schoße lag, auf ihrem weiten, weißen Ge-
wande, dessen Faiten matthlau schatteten:

..Ich liebe dich, ich Iiebe dich, du Gottespfand.“

Der Vagabund

Von Otto Rung

Fortsetzung

Es dauerte vier Tage, bis der Polizeileutnant
Zeit fand, zu Herrn Klerker zu gehen und mit ihm
zu sprechen. Während dieser vier Tage hatte Jait
Eriksen sich überhaupt nicht außerhalb der Villa
sehen lassen. Seine Anwesenheit störte Klerker
nur wenig, denn Jan hielt sich meistens in der klei-
nen Kammer auf. Klerker hörte, wie er draußen
.in Küche und Speisekammer für sich sorgte,
und zwar stets zu Zeiten, wenn Therese nicht da
war. Bei Klerkers Besuchen im Haus des Sciiwa-
gers wurde die Angeiegenheit mit keinem Wort er-
wähnt; so oft Klerker jedoch aufhörte, zu reden,
schwiegen alle ein paar Minuten lang und betrach-

teten ihn mit ängstiichen, unstcheren Augen. The-
rese und die drei kleineren Kinder gingen nicht vors
Haus, um zu spielen, sondern blieben unbeweglich
auf ihren Stühlen sitzen. Sie genossen das tin-
heimliche Kribbeln. das sich in den Anwesenden
regte, sobald Kierker einen der lehrreichen Vor-
träge beschloß über die vielen Dinge die er in sei-
nen Büchern geiesen hatte.

Der Polizeileutnant trai Klerker zwischen sei-
nen Rosen. „Guteu Tag, Herr Klerker. Was hören
wir denn von Ihnen? Jan Eriksen hat bei Ihnen
Unterkunft gesucht?“

„Gewiß,“ erwiderte Klerker.

„In Ihren eigenen Interesse, Herr Klerker, sott-
ten Sie ihn möglichst schneli herausiassen! Schutz-
mann Jessen wartet dort driiben an der Ecke und
ist hier, sobald ich winke.“

„Ihn herauslassen?“ Klerker rieb sich die Nase.
„Warum sollte ich ihn aus dein Hause weisen? Daß
alie andern es getan haben, ist kein Grund, daß auch
ich es tun müßte. Von den Motiven anderer läßt
sich nicht auf die meinen schließen. Das ist keine
gute Logik. Dieser Mann hat in seinem Leben
nichts anderes kennen gelernt, a!s daß man ihn aus-
schloß, oder vielmehr einschloß. Sie, Herr Leut-
nant werden das vieileicht für richtig tind gerectit
halten, aber Sie schulden mir dann eine Begrün-
dung dafür, warum gerade er aus- oder vielmehr
eingesperrt werden soll und nicht ich oder rneine
Nachbarn oder Sie selber, der Sie ihn jetzt ein-
sperren wollen?“

Der Polizeileutnant ging ein paar Schritte atif
dem Gartenweg vorwärts, blieb dann stehen und
gab sich den Anschein, als ob er zornig würde: „Ich
hätte nicht geglaubt, Herr Klerker, daß Sie, ein seß-
hafter Bürger, der zu der besitzenden und in ge-
ordneten Verhältnissen lebenden Geselischafts-
klasse gehört, gegen die Autoritäten auftreten und
gemeinsame Sache mit eiriem Herumstreicher,
einem mehrfach bestraften Vagabunden mache«
wiirden!“

„Ailerdings gehöre ich zu den Seßhaften und
Besitzenden,“ meinte Klerker und bot dem Leut-
nant eine Zigarre aus seinem Etui an, „aber das
ist der reine Zufall und hat nicht die geringste
Bedeutung als Motiv für meine Handlungen. Daf
ich der geordnetlebenden Kiasse angehöre, ist rich-
tig, insofern ich in meine Begriffe Ordnung z«
bringen suche und sorgfältig meine Motive prüfe,
bevor ich sie anwende Jan Eriksen ist weder be-
sitzend noch seßhaft, aber ich sehe keinen zwi*-
genden Grund dafür, daß er es nicht ist.“

Der Polizeileutnant lächelte sehr sarkastisch.

„Wollen Sie ihm etwa keine Hindernisse i«
den Weg legen, wenri er Lust bekommen sollte,
sich in Ihrer ViHa seßhaft zu machen und sich i«
den Besitz Ihres beweglichen Eigentums zu setzen?
Wie, Herr Klerker?“

Klerker schüttelte den Kopf. „Ich hoffe nicht,
daß es so weit kommen wird. Das ist eine der
schwierigsten Entscheidungen, vor die man einen
Mann stellen kann: ob er oder ein anderer ein
Recht auf die Dinge hat, die zufällig in seinem
Besitz sitrd.“

„Der Staat hat das doch sehr gut geordnet,
bester Herr Klerker, iudem er die Wege anweist,
wie Besitz und die anderen Rechte begründet
werden.“

Klerker lächelte verständnisvoll. „Im Gegen-
teil. Viele der größten Geister sind der Ansicht,
daß der Staat diese Dinge niederträchtig schlecht
geordnet hat.“

„Sie sind also geradezu Komtnuaist?“ fragte
der Leutnant mit munterem Augenblinzeln.

„Durchaus nicht, Herr Polizeileutnant, —
jedenfalls nicht im Hinblick auf Ihr Eigentum und
das anderer Leute. Und Sie müssen rnir jedenfalls
zugestehen, daß ich in eine Situation geraten bin,
die tiefes Nachdenken und gründiiche Ueberlegung
erfordert.“

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