Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

DOI Heft:
Nr. 70 (Juli 1911)
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Schönheit! Schönheit!: der Fall Adolf Loos
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0112

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Schönheit! Schönheit!

Der Fall Adolf Loos

Die Schönheit ist ein Lebensbedürfnis des
deutschsprechenden Bürgers. Ihm schmeckt so-
gar das Essen schön. Er zieht sich schön an,
er richtet sich seine Stuben schön eiri, verkehrt
in schönen Bierpalästen, kauft seine Stecknadeln
in Warenhäusern, die wie Kirchen aussehen
miissen, und bringt von der Reise seinen Lieben
schöne Ansichten mit. Das Schönheitsgefühl des
Bürgers ist noch durch keinen Satz so klar de-
finiert worden, wie durch eine Beantwortung
im Briefkasten der Berliner Hausfrauenzeitung,
Thomas Theodor Heine hat diese Antwort vor
einigen Jahren im Simplizissimus mit einer Zeich-
nung versehen. Der Satz hiess: „Gegenstände,
die an und für sich schön sind, werden durch
Bronzieren geradezu niediich.“ Er ist nicht zu
überbieten, dieser Satz. Namentlich, wenn man
sich der Zeichnung entsinnt: eine ganze Fa-
milie bronziert sämtliche Gegenstände und sich
gegenseitig. Die Weihe der Schönheit wird über
alles durchaus sinnfällig gelegt. Das wäre das
Niedliche. Die Gegenstände müssen nun aber
auch an und für sich schön sein. Um einer
letzten Oelung wert zu scheinen. Ein Gegen-
stand ist an und für sich schön, wenn er ge-
schmückt ist. Das Schmücken kann auf verschie-
dene Weise geschehen. Gothik, Romanik, Re-
naissance, Rokoko, Empire, Neurenaissance, alie
diese Möglichkeiten und noch einige andere sind
vorhanden um das Leben zu verschönen. Be-
gnügt man sich mit einer Möglichkeit, nennt
man es Stil. Das wirkt aber für 'die meisten
zu einfach. Alle diese Stile in einem Zimmer
vereinigt oder auf ein Haus angepappt, ergeben
den Begriff Schönheit. Nach diesem System sind
zum Beispiel die Häuser des Kurfürstendamms
erbaut. Was jemals ein Architekt seit Erschaf-
fung der Welt empfunden und gestaltet hat, ist
in dieser Prachtstrasse missverstanden worden.
Die Häuser sind nach Vorlagen der bewährten
Ankersteinbaukasten gebaut und mit Buchschmuck
versehen worden. Kein Komfort der Neuzeit
ohnc Kariatyden, ohne schulmässige botanische
und zoologische Symbole (die Rosen und die
Rosse sind besonders beliebt) und ohne Säulen.
Auf dem Dach treiben sich gewöhnlich noch
verschiedene Weiber herum, die je nach Ermes-
sen den Handel, die Industrie, die Schiffahrt
oder die Schönheit markieren. Der Architekt
scheint keine anderen Sorgen zu haben, als das
Heim zu schmücken. Und zum guten Ende wird
alles, was Farbe annimmt, bronziert. Ist ein
Bauherr in der Lage, über ein grösseres Ge-
lände zu verfügen, so baut er natürlich Stil. Im
Westen Berlins erheben sich plötzlich die Städte
Nürnberg und München, an der Kaiser Wilhelm
Gedächtniskirche kehrt man reuig in romani-
sche Zeiten zurück, auch die T-träger werden
davon betroffen, am Ludwigskirchplatz werden
die Bedürfnisanstalten in Schweizer Hütten ver-
wandelt und die Uraniasäulen sind seit zwei
Monaten endlich auch bronziert. Die Berliner
Hausfrauenzeitung siegt.

Nun gibt es in Wien einen Architekten. Er
heisst A d o 1 f L o o s. Er ist der e i n z i g e
Architekt unserer Zeit. Eine schwere Erkrankung
warf diesen stahlharten Menschen nieder. Und
das geschah so. Der Künstler wurde beauftragt,
ein Haus auf dem Michaelerplatz zu Wien zu
bauen. Sein Auftraggeber liess ihm volle Frei-
heit. Loos, für den das Ornament ein Verbre-

chen bedeutet, Loos, der erste, der vor zwanzig
Jahren schon die Sinnlosigkeit des übernomme-
nen oder unarchitektonisch gedachten Ornamen-
tes erkannte Loos baute ein Haus, ohne auf
das Schönheitsbedürfnis seiner Zeitgenossen Rück-
sicht zu nehmen. Otto Stoessl beschreibt es al-
so in der Fackel:

Dreifrontig beherrscht das Haus den Ein-
gang des Kohlmarktes, der Herrengasse und
durch eine ebenso sinnreiche, wie einfache Ab-
schrägung den Michaelerplatz, welche verhält-
nismässig schmale Seite gleichwohl die domi-
nierende bleibt, indem das umlaufende, zwei-
teilige, hohe Untergeschoss — es nimmt nahe-
zu die Hälfte der ganzen Mauerhöhe ein —
mit grauem, bunt durchzogenem hellenischem
Marmor umkleidet, gerade hier von vier mäch-
tigen, freien, tragenden Säulen gewichtig ver-
stärkt, geschmückt, belebt wird, während es
an clen anderen Strassenfronten zu ebener Erde
den glatten, edeln Steinbelag nur durch die
grossen Fensteröffnungen mit ihrem blitzenden
Messing-, Glas- und Holzzubehör unterbrechen
lässt. Der obere Teil dieses Untergeschosses
ist gegen den unteren merklich, doch einfach
dadurch abgegrenzt, dass sich je zwei halb
eingelassene, schmälere Säulenpaare, breite
Schaufenster flankierend, auch an den Seiten-
fronten einfinden und so die Schrägung nach
dem Michaelerplatz vorbereiten und betonen.
Dadurch wird das Schwergewicht des Baues
aufs natürlichste an seine Stirnseite gebracht.
Ueber dem Untergeschoss, das mit scharfem
Profil doch nicht weit ausspringt, steigen ohne
äussere Gliederung vier Stockwerke in glattem
weissem Mauerputz mit eingeschnittenen, ge-
simslosen Fenstern mit roten Rahmen auf. Ein
mässiges, steiles, kupfergedecktes Mansarden-
dach schliesst den Bau ab, an dem jeder Teil,
jede Wand, jedes Fenster, jede Fläche und
Ecke scharf und genau mit der wohltuenden
Knappheit und Klarheit eines geraden Sinnes
sich aneinanderfügen, nicht anders, als bei
einem guten Schrank.

Das Haus war noch lange nicht fertig, als
sicri der bekannte Sturm der Entrüstung erhob.
Die Neurenaissance war gefährdet. Das Haus
passte nicht in den Stil. Von diesem „Stil“ darf
in den nächsten hunderttausend Jahren nicht ab-
gewichen werden. Die Zeitungen waren ausser
sich, ein Kunstkritiker sah sogar „viereckige
Fenster“. Da griff das Stadtbauamt ein. Es hat
in Wien die Aufgabe, dariiber zu wachen, dass
der Stadt die Neurenaissance erhalten bleibe, und
dass ihre Einwohner nicht in der Entwicklung
ihres Schönheitssinns durch Fehlen von Orna-
mentik aufgehalten werden. Es kam allerdings
doch zu erheblichen Verkehrsstörungen, denn
ganz Wien starrte sich monatelang clie fehlenden
Ornamente an. Während einer Abwesenheit des
Künstlers eiliess der Besitzer des Hauses ein
Preisausschreiben, um die bewährte und verlangte
Verschönerung der Fassade herbeizuführen. Adolf
Loos protestierte nach seiner Rückkehr auf das
Entschiedenste und er hatte den Erfolg, dass die
Wiener Architektenvereine einstimmig beschlos-
sen, sich nicht an der erwünschten Verschöner-
ung zu beteiligen. Aber das Stadtbauamt kann
es nun einmal ohne Neurenaissance und Orna-
mentik nicht aushalten. Es befahl dem Hausbe-
sitzer innerhalb einer bestimmten Frist und un-
ter Androhung einer unerhört grossen Geld-
strafe, die Fassade zu verschönern. Bei fort-
gesetzter Weigerung würde das Stadtbauamt
zwangsweise die Verschönerung von einem

beamteten Architekten vornehmen lassen. Ein
Kompromissverschlag von Adolf Loos wurde ab-
gelehnt. Das Stadtbauamt besteht auf seinen
Schönheitssinn: mit Gott für König und Neu-
renaissance. Die Frist ist abgelaufen, Adolf
Loos schwer erkrankt und das Stadtbauamt wird
nächstens mit der zwangsweisen Verschönerung
beginnen. So wirkt heute der Staat für die Kunst.
Wenn die Zensur irgend ein miserables Stück
verbietet, geraten die Interlektuellen ausser sich.
Gegenüber dieser unerhörten Vergewaltigung
eines Künstlers durch eine „ästhetische“ Behörde
schweigt man. Die Wiener Architekten wollten
zwar nicht verschönern helfen. Aber sie müss-
ten viel mehr tun. Sie wären verpflichtet, mit
aller Energie gegen eine derartige Bevormun-
dung aufzutreten auch wenn sie selbst ein Le-
ben ohne Ornamentik nicht leben mögen. Die
Schönheit zwangsweise aufputzen, das sollte selbst
ein Haus sich im Jahre 1911 nicht gefallen
lassen brauchen.

Karl Kraus, dieser grosse Künstler,
schrieb über den Fall Adolf Loos unter ande-
rem folgendes in der Fackel:

Ein Geher ist hier Adolf Loos und dar-
uni ein Aergernis den Leuten, die zwischen
Graben und Michaelerplatz herumstehen. Er
hat ihnen dort einen Gedanken hingebaut. Sie
aber fühlen sich nur vor den architektonischen
Stimmungen wohl und haben darum beschlos-
sen, ihm die unentbehrlichen Hindernisse in
den Weg zu legen, von denen er sie befreien
wollte. Die Miftelmässigkeit revohiert gegen
die Zweckmässigkeit. Die selbstlosen Hüter
dei Vergangenheit, die sich lieber unter dem
Schutt baufälliger Häuser begraben sehen als
in neuen leben möchten, sind nicht weniger
empört, ais die Kunstmaurer, die eine Gele-
genheit schnackiger Einfälle versäumt sehen
und zum erstenmal sehen, wie sie das Leben
als tabula rasa anstarrt. Das hätten wir auch
können! rufen sie, nachdem sie sich erholt
haben, während er vor ihren Fassaden be-
kennen muss, dass er es nie vermocht hätte.
Denn sein schöpferischer Mangel würde ver-
gebens an den Zierraten stümpern, während
sie ihm vielleicht auch den Respekt vor der
Notwendigkeit feuilletonistisch luxen könnten
und dann soviel zustande brächten, als ein
Gedicht von Heine ergibt, dem man die Reime
ausgebrochen hat. Jenem aber gebührt das
Verdienst, dass das Stehenbleiben der Wiener
einmal einer Angelegenheit des Fortschritts
gilt, class vor seiner Wirkung der Unterschied
zwischen der alten uncl der neuen Ideenlosig-
keit schwindet und die Kostgänger von Tra-
dition und Sezession zu einem übersehbaren
Verkehrshindernis verschmelzen, bis die Po-
lizei im Interesse des Bürgerfriedens und weil
es bei Strafe verboten ist, gewisse Flächen
nicht zu verschandeln, den Enthaltsamen zur An-
bringung von Ornamenten zwingt.

Die paar Menschen, die in Deutschland et-
was von Kunst verstehen und Einfluss haben,
müssen alles aufbieten, um einen Roheitsakt zu
verhindern, der an Adolf Loos und an der Kunst
verübt werden soll.

Trust

556
 
Annotationen