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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 100 (März 1912)
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Mombert, Alfred: Das ist die Nacht. Das ist der Tag
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Lasker-Schüler, Else: Gedichte
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Döblin, Alfred: Der schwarze Vorhang, [4]: ein Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0356

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Und es erglänzt mem wehes weißes Haut)t
Als Eisfirne —

Und Jetzt — jetzt ist Emer da,

■der wiJl den Vorhang zur Seite ziehn.

Und jetzt — jetzt weine ich
aus ungeheuren Augen,
wie kein Mensch weint.



Das ist der Tag. Der ewige Tag.

Eine Sonne seh ich ruhn auf schwimmender

Insei.

Und bei ihr ruht

mein Saitenspiel. Und mein Lorbeerkranz.

Alired Mombert

Aus dem Band „Der Denker" mit Eriautmis des Dichters
veröffentiicht

Gediehte

Von Else Lasker-Schüler

Nun schlummert meine Seele —

Der Sturm hat ihre Stämme gefälit
O, meine Seeie war etn Wald.

Hast du mich weinen gehört?

Weil deine Augen bang geöffnet stefan.
Sterne streuen Nacht
In mein vergossenes Blut.

*k\-(

Nun schlummert meine Seele
Zagend auf Zehen.

O, rrteine Seeie war ein Wald,

Paimen schatteten,

An den Aesten hfng die Liebe.

Tröste meine Seeie im Schltmuner.

*

Bän Uebslied

Aus goldenem Odem
Erschufen uns Himmel.

O, wie wir uns liebe« . . .

Vögel werden Knospen a» de« Aestea,

Und Rosen flattern auf.

Immer suche ich nach deinen Lippen
Hinter tausend Küssen.

Eine Nacht aus Qold,

Sterne aus Nacht . . .

Niemand sieht uns.

Kommt das Licht mit dem Qrün,
Schlummern wir;

Nur unsere Schulter spielen noch wie Falter.

*

Siehst du micfa

Zwischen Erde und Himmel?

Nie ging einer über meinen Pfad.

Aber dein Antlitz wärmt meine Welt,

Von dir geht ailes Blühen aus.

Wenn du mich ansiehst,

Wird mein Herz süß.

Ich tiege unter deinem Lächeln
Und lerne Tag und Nacht bereiten,

Dich hinzaubern und vergehen lassen,

Immer spiele ich das eine Spiel.

Der sehwarze Vorhang

Roman

Von AJfred Döblin

Fortsetzung

Ihn uberschwemmten soiche Gedanken. Aber
es gab eine Qrenze für diese Überlegenheit: wo
die Hose aufhörte, begann die Befremdung. Jo-
bannes staunte, als er jählings bei seinen lächeln
den Beobachtungen auf diese zweite Seltsamkeit
stieß: Warum trägt ein Teii der Menschen Röcke?
Es ließ sich schwer denken, was es mit den lang-
röckigen, ungeschorenen eigentlich für eine Be-
wandtnis hatte. Sie waren auch Menschen, aber
veränderte. Wenn Johannes seine Tante mit prü-
fender Aufmerksamkeit betrachtete, so war sie, ab-
gesehen von ihrem behaglichen Fett, überhaupt
runder iiberall als er, und schaute auch mit so
lammäßigen Augen in die Welt. Aber dann die
Röcke: das war das Wesentliche. Er zweiielte
nicht daran, daß die Frauen Beine haben, so daß
sie etwa diesen Mangel vor den Männern ver-
stecken wollten; denn das sieht man ja an den
Mädchen, aus denen doch die Frauen wachsen;
auch kann man Hire Füße noch jetzt deutlich beim
Gehen sehen, und die beiden Füße müßten doch
irgend woran befestigt sein. Es Ueß sich aber dann
vernünftigerweise nicht einsehen, warum sie keine
Hosen tragen. Er mühte sich lange vergebens.

Schließlich war er beim Betrachten des weib-
lichen Tuns auf den Qedanken gekommen, daß die
Röcke vielieicht zweckmäßig für Beschäftigungen
der Frauen seien, damit die Markttaschen nicht so
sehr ihre Knie scheuerten, oder damit die Kinder be-
quem auf ihrem Schoße sitzen könnten. Er rieb
sich die Hände, als er nach Eriangen der Einsicht,
daß die Vermeidung der Reibung durch die Röcke
wohl unwesentlich und auch die Erhöhung der
kindlichen Bequemlichkeit nicht viel betrüge, hin-
terlistig und mit einem Gewaltstreich annahm, daß
die Sache wohl überhaupt unerklärlich sei oder
höchstens als ein alter überlieferter Irrsinn,
Wochenlang freute er sich iiber diese Erkenntnis
und hiitete sie gnt.

*

Dazwischen wuchs seine Neigung zu dem jün-
geren Kameraden. Er schmückte utid ordnete das
Zhnmer, wenn der Freund ihn besuchte, erwartete
ihn mit Herzklopfen und ließ kaum die feirien blut-
warmen Hände des Freundes, wenn er neben ihm
saß, los. Seine Innigkeit war grenzenlos geworden,
aber nie wagte er es mehr, ihn zu küssen. Er trug
ihn auf seinen starken Armen durch das Zimmer
und in den Qarten hinaus, drückte ihn scheu an
sich, und wiegte den lachenden in der blauen Luft

Aber er trug ihn nicht lange so, weil eine rät-
selhafte Schwäche durch seinen Arm ging, wäh-
rend er den liegenden Freund betrachtete, und er
fiirchtete, ihn fallen zu lassen.

*

Die Dumpfheit des Kindesalters, brütende,
lallende Traumhaftigkeit mit ihren trüben, verhäng-
ten Horizonten, ihrer greisenhaft stummen Ohn-
macht und Schrecknis, mit ihren Schauern und Qe-
spenstern, denen der verlassene willenlos hingege-
ben war. sank langsam. — Rätselhafte, unfaßbare
Menschen waren die Frauen, und fast kaum Men-
schen, sondern zarter, erlesener, unmerklich ähn-
lich seinem Freunde, — und noch mehr: gleichsam
die Blume vom Weine Mensch. Vielleicht litten
sie noch inniger unter der stilien Erbschuld und
mußten sich ganz verhülien, weil sie sterben wür-
den wenn jemand ihr Qehehnnis erriete und in
Blick oder Wort es ausspräche. Vleiieicht sagt
nichts anderes die Lehre von der Erschaffung des
Weibes, als daß der Mannesmensch nur ein vor-
läufiger Versuch Qottes war, als er den Menschen
bilden wollte, nur sein Rohstoff, das Weib zu
schaffen.

Zu.m. Zerbrechen fein sind sie nun unter
Tiefe ihres Sündgefühis geworden und schwinden
wohi auch ieicht und freudig darunter hin. Wie
goldene iockende Woiken schwimmen sie am Him-
mei der Mannesmenschen; ja sie sind ein sicht-
barer Beweis für das Dasein Gottes. So überschhig
sich in dem unruhigen, verschiossen umher gehen-
den die Verehrung, die, ihm das Zartfrerode ein-
flößte, mit dem seine träumerrden Wünsche schal-
teten.

Er betrachtete sich seibst fast mit Schauern,
daß er eines jener Wesen zur Mutter gehabt hatte,
und wie tnnig erhob es sein Dasein, daß er still
unter ihnen gehenund sie betrachten durfte, die
ahnungslosen, die ihres Wertes nicht bewußt das
Leben durchsetzten.

Er legte manchmal unter dem Baume solcher
VorsteLlungen einen bebenden Ton in seine Stim-
me, wenn er mit seiner schwarz gewandigen, pral-
len Schaffnerin sprach, daß diese über solchen
Ernst erschrak oder dert Kopf schüttelte. Eine un-
willige Schamröte stieg ihm ins Qesicht, wenn sie
ihn bediente; ihn empörte diese Rohheit des ge-
meinen Denkens, diese pobeihafte Herabwürdigung
des Höheren, — ja er dachte schon daran, die
Schaffnerin zu bitten, ins Kloster zu gehen, er woll-
te sich einen Hausdiener nehmen.

Aber niedergeschlagen sah er ein, daß damit
doch nur eine kleine Hilfe geschehe, daß er vor der
Trauer flüchte, vor der großen Not, unter der die
Erauen ahnungslos iitten. Später wollte er alle
Frauen über ihre ewigen Rechte und Vorzüge auf-
klären, nun endfich Wandei in himmetschreienden
Mißständen zu schaffen.

Und er duldete es weiter, wenn auch mit blu-
ternder, zaghafter Qreisenstimme:

Tante ihm Kaffee vorsetzte. Aber indem er ihn
langsam schluckte, sah er mit finsterer Ahnung und
stiller Zustimmung schon in der Ferne, wie auch
ihn das Qrobe, Qemeine in Elend zwingen würde,
gleich der runden Frau, die ihres Elends unbewaßt,
lächelnd und freundlich vor ihm stand. Denn alle
Schuld rächt sich auf Erden. Vielleicht auch, und
das schien ihm am wahrscheinlichsten und gerech-
testen, nahmeti die Fraüen selbst Rache an ihm.

Er pflegte und zog sich immer wieder die grü-
nen Wicken mit den weichen, dünnen Härchen, <Üe
er gem liebkoste und mit seinem warmen Atem
anhauchte. Es beglückte ihn, etwas Eremdes und
aus sich heraus wachsendes auf Tod und Leben zn
besitzen. Mehr verlangte er aber nach dem war-
men lebendigen Fell seines toten Hundes, an den
er sich oft mit Lust erinnerte. Ein jäher Einfall
trieb ihn einmal beim Qedanken an das lose, zer-
fressende Fell dazu, das modernde Tier auszu-
graben.

Er wachte auf unter dem aufzuckenden Einfall
das Fell zu sehen, und sein Tier war ihm gegen-
wärtig.

Während des Grabens wuchs unter dem üblen
Geruch, der aufzusteigen begann, erst die Span-
nung in wflder Weise; dann lief er voll Ekel und
halb ohnmächtig fort und schüttelte sich.

Am liebsten saß er still äm Qarten, schaute ei-
nem Fink zu, der auf einem niedrigen Baum nistete.
Dann legte er auch sanft u#d fühlend die Wange an
eine Birke, schloß die Augen und seine Hand strei-
chelte nach einiger Zeit langsam seine eigene heiße
Wangenhaut Wenn er sich von seiner Bank er-
hob, mit blöden Augen gegen den grauweißen
Himmel blinzelte und sich reckte, so lag in den
Armbewegungen des verschlafenen etwas von
dem gewaltigen Anziehen und vernichtenden Um-
schließen einer Umarmung.

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