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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 74 (August 1911)
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Walden, Herwarth: Zeitgeschichten
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Fuchs, Richard: Die Lehrprobe des Mannes
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Nr. 75 (August 1911)
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Walden, Herwarth: Die Vinnen gegen den Erbfeind
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0145

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aufgeholfen werden, sodass der wunde Punkt
wenigstens durch den angrenzenden Eingang
mustergültig wird. Der Freund fordert die an-
deren Genreinden auf, sich von dieser bezw. An-
gelegenheit einmal durch Massenbesuch zu über-
zeugen „und sie werden erkennen, wie wohl-
tuend es ist, wenn auf diesen Stätten der R u-
h e seitens der V erwaltung gehörig gearbe i-
bet wird.“ So könnte wieder einmal seitens
einer Verwaltung die Bediirfnisfrage gelöst wer-
den.

Trust

Die Lehrprobe des
Mannes

Von Richard Fuchs

Das Scheinvolle der Frau ist noch vor der
Schönheit ihres Körpers die Seele des Geschlechts.

Als kleinste Wesen gehen wir zuerst den
intimen Weg des Weibes, als Knaben möch-
ten wir die Ehre gern verleugnen, während wir
Männer wieder die Gelegenheit allein benutzen
wolien.

Es liegt der Kultur daran, die Verlegen-
heiten der Menschen zu vermindern. Sp macht
sie aus einem sparsamen Prinzip der Entwick-
lung eine undurchdringliche Laune, um zwei
Menschen von unmöglichen Lasten zu befreien.

Das Weiblichste hatte in seiner unausgespro-
chenen Tiefe die Unbewucstheit vornehmer
Macht. Die Frauenbewegung, die darauf aus-
ging, ihm die treulose Oeffentlichkeit zu erzwin-
gen, war der normalste Unverstand, der je dem
Klassenhass der Männer nachgeahint sein mag.
Gegen den Trieb der Massen sind Anstands-
rücksichten nicht angebracht. Die organische
Welt bewahrt das Seltne in der Minderheit. Wenn
Frauenköpfe die Geistlosigkeit cler Männer noch
vermehren, müssen unter der preziösen Fachsim-
pelei die Lebenskräfte leiden.

Es wircl für die Männer selbst nötig sein,
den Begriff des Geistes von ihrer eignen Ge-
schlechtsvorstellung zu irennen und mit mehr Be-
scheidenheit von clen Tatsachen unserer Lebens-
regel Kenntnis zu nehmen.

Die Frau, deren Leibesschmuck der Mann
empfängt, ist von Anfang bis Ende die Einge-
weihte, nicht nur als Versprecherin unseres
Glückes, sondern auch als erste Ursache aller
Empfindungen fiir und gegen sie. Denn die
Frau erregt zu unserem oft ungenutzten Vorteil
beständig Liebe und Eifersucht nicht anders als
Abneigung und Verachtung in uns.

Der Mann besitzt selten die Frau, die er
innig liebt. Die Frau braucht den Mann ganz,
aber er ist ihr gleichgiiltiger.

Darurn wird der Mann eher ohne Frau sein
als die Frau ohne Mann.

Die Frau unterliegt ohne Schmerzen: die
überlegne Bildung ihrer Glieder kommt lächelnd
ihrem Dank zu Hilfe.

Der Mann wird mitunter seinen Standpunkt
haben müssen, aber die Frau ist immer in ihrer
natürlichsten Lage, so vielmal sich ihr Schön-
heitsort verlegen kann.

Das Rätsel der Frau ist die Erscheinung
einer Seele in einem unbewussten Körper, und
die veränderte Seele der Frau ist das neue Le-
ben ihres Körpers.

Die Frau geniesst das grössere Mysterium.

Wenn der Mann am Ende ssiner Kraft ist,
ahnt erst die Frau die Möglichkeit ihres Ge-
nusses.

Der Marin, der die Frau geniesst, erfährt
sein Glück nur durch das ihrige.

Wir glaubten, dass Wollust das Ziel der
Männlichkeit wäre, aber sie gehört sogar in
höherem Grade zum Eigentum der Frau als ihr
Genuss des Partners.

Es gibt auch für den Mann eine Stufe der
Entwicklung, wenn er einsehen lernt, dass er
auf ciie Geschlechtsfreiheit der Frau eifersüch-
tiger bedacht sein muss als auf die seinige.

Dass die Frau in der Umarmung des Man-
nes die Naturgegensätze unmittelbar geniesst, ist
derselbe Vorzug, cler auch ihren schnelleren Ver-
stand und ihr reizbares Gewissen entwickelt hat.
Der Mann glaubt die Frau zu überraschen, aber
der Weg des Mannes ist schon körperlich in
der Frau.

Die Aufnahmefähigkeit der Frau, welche clrin-
gender als die Hingebungskraft des Mannes
ist, lässt sie nahezu ungehemmt den Mann rei-
zen, v/ährend dessen körperliche und geistige
Kräfte organisch begrenzt sind.

Das Geschlecht ist die Genialität des Weibes.

Die Artistik bildete den Glauben aus, dass
dieses geniale Geschlecht keine inneren Hinder-
nisse zu besiegen habe. Aber das Originalweib
hat nicht nur die Unfähigkeit des Mannes, son-
dern auch dessen höchste Fähigkeiten zu über-
winden.

Sein Trieb begehrt den Mann, um sich selbst
zu geniessen. Das Bedürfnis des Mannes wäre
allein unzureicheiid, die Frau zu befriedigen.
Der Mann muss, um das reife Weib zu erken-
nen, sich selbst schon überwunden haben.

Das Weib ist das Wesen, das in äusserer
Beziehung von jüngster Jugend an frei und
glücklich' zu nennen ist.

Das männliche Genie, das von gleicher Ur-
sprünglichkeit uncl unbegrenzter Wirkung zu
sein scheint, ist nicht inneren, sondern ledig-
lich äusseren Widerständen ausgesetzt. Der Cha-
rakter des Geistes ist freie Innerlichkeit und Ab-
geschicssenheit gegen sein eignes Geschlecht. Der
Stil ist die Einsamkeit des Mannes und des
Mannes einzige Schönheit.

Geistlose Unbedingtheit braucht die Täu-
schung des in seinen Trieben gebundenen Wei-
bes. Der an den Geist gebundene Mann schafft
das Ideal der Volikommenheit des Weibes.

Der Mann trägt allein die Verantwortung
für die Nachkommenschaft.

Dass sich die Frau bei jedem Geburtsakt für
beide Geschlechter opfert, sieht die Zahl der den-
kenden Männer nicht als das Wesen des Erden-
gliickes an.

Man muss sich vor allen kulturschädlichen
Uebertreibungen hüten. Der Mann bezahlt nicht
einmal. sondern tausendmal für die Erhaltung
des physischen Lebens.

Wenn das Geschlecht durch gesetzlichen Kauf
zwischen zwei Menschen verschleudert wird, zeigt
sich die Lebensenttäuschung zweimal deutlich im
Gesicht.

Der unmodernen Ehe fehlen die elastischen
Grenzen, die sich hochentwickelte Wesen in ero-
tischer Zucht der Liebe angewöhnen.

In jeder Ehe rächt sich, was vor ihr ver-
heimlicht wurcle. Der sichere Besitz, dies ängst-
liche Gefühl verratner Natur, erfüllt die Phan-
tasie. mit Misstrauen. Wer aber immer seine
Position im Auge zu behalten hat, verliert den
Anreiz zu neuen Rechten der Lust.

Die abwechslungslose Ehe fällt wie eine
Krankheit auf Mann und Frau. Durch die Un-

vollkommenheit, die in aller unbezweifelten Herr-
schaft liegt, wird sie ins Unorganische hinunter-
gezogen.

Die Entbehrung sonniger Macht entblättert
auch die freie Ehe.

Sie wird unter der Sitte bürgerlich, ja sie
verbietet, dass sich eins von ihnen in Abhän-
gigkeit bringe.

Damit ist v/ieder ein seltner Fall spiele-
risch verdorben.

Es wäre natürlicher, wenn statt des freien
Kindes des Lebens der ewige Mann der Beschä-
mung ausgesetzt würde.

Wenn die Hetäre ein achtbares Besitzrecht
am Mann übte, würde sie ein Interesse am
Mann haben und die Eigenart und den Takf
des Mannes nicht entbehren müssen, die in sei-
nem aufrichtigen Gehorsam münden und die so
entschieden zum Genussrecht der Frau gehören.
Immer verhindert des Mannes schuftiges Ge-
schäft seine innere Erhebung, dies Zweimal-Ge-
schaffene eines Wesens, das seine Freuden aus
einem originaleren Leben schöpft.

Solange die Alleinbesitzende die Privatwirt-
schaft war, bestand ein Recht des Mannes auf
die Frau und die Frau befand sich zu ihm
im Verhältnis der gliicklichen Sklavin. Sie war
das Weib cler Erzväter. Sobalcl wir in Zeiten
sozialer Irrungen uns Massenbetrieben nähern,
ist der Mann im Joch und die Frau ohne Mann.

Die Frau ist jetzt entweder als Grossarbei-
terin abhängiger als vorher ocler sie ist als Gut
des Kapitalisten freizügig. In keinem Fall be-
steht eine Gewähr, dass männliche Moral sie
nicht für vogelfrei erklären könnte.

Die Bewegung der Kultur vermöchte nicht
mittelmässiger fehlzugehn, als wenn auf die Hälf-
te Sklaverei und die Hälfte Menschenfreiheit nun
der ganze Fiuch gegenseitiger Abhängigkeit folgte.

Diese Gefahr ist aber durch die glückliche
Ungleichheit cler Geschlechter von vornherein aus-
geschlossen.

Tatsächlich gelangt die Frau durch den Lie-
besgenuss zur sittlichen Freiheit und der Mann
durch denselben Naturweg zur sittlichen Gebun-
denheit.

Die Welt der Fi'au braucht nur den Ge-
schiechtsverkehr, um Rasse zu bekommen. Die
Unpei'sönlichsten erzielen diese wesentliche Wir-
kung tadellos, inclem sie den Mann die Stim-
mung für sie machen lassen.

Der Mann von heute will wohl der Lie-
besuntertan der Frau, aber kein ehrlicher Gei-
stesuntertan sein. In Wahrheit müsste er sich
auch an Geist der Frau unterlegen fühlen.

Denn die Frau lernte in der Zeit ihrer Ge-
schichte reichliche Grüncle, um die Liebe zu ei-
ner Angriffswaffe zu schleifen.

Es war ein interessanter Gedanke, der in
der alten Welt auftauchte, dass alle Frauen ein-
mal geschlechtlicher Freineit opfern sollten.

Diese Zeremonie hat sich in Europa rasch
verweltlicht. Unsere Damen, von Illusionen we-
niger abhängig als von ihnen gewünscht wird,
können sich bereits besser beherrschen als un-
sere Herren.

Bei der von Natur Begabten kann deshalb
nicht von Preisgebung gesprochen werden, weil
sie sich hingibt, um anzuziehen oder abzu-
stossen. Dagegen kann die Alitägliche, wenn sie
den Mann geschenkt bekommt, was der häufig-
ste Fall ist, für ihre höhere Entsagung füglich
Forderungen erheben.

Trotzdem ist jeder Mann prostituiert, der
bezahlt hat, ohne den lebendigen Wert des We>-
bes zu empfinden.

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