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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 101 (März 1912)
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Mürr, Günther: Hamburg, [6]
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Ausstellung der Zeitschrift Der Sturm
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0370

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Hamburg

Von Günther Mürr

CaM

Helligkeit

fließt durch den ganzen hohen Rau-m.

Aus zahllosen gelben eiektrischen Bimen.
dicht über die firnißweiße Decke verstreut,
rieselt sie in Bächen, schmal und breit.

Nirgend läßt sie friedliche Dunkelheit.

Ruhe selbst wird zischender Schautn,
der sich ganz ihrem Willen gibt.

Brandend schwillt sie entlang am Sauiti
der spiegelbehängten Wände.

Sie tanzt äuf den Scheiben

und freut sich ihres Jubels, küßt die eigenen

Hände,

wiil selbst den grauen Traum

der Zigarettenwolken äffen,

den sie mit lachendem Glanz bedroht,

und sie durchtränkt ihn mit Licht.

Sie spiegelt in den glatten,

schneeweiß polierten Marmorplatten

der vielen. dünnbeinigen Tische.

den blanken Feuerzungen, jn dem Parkettboden.

Fin kaum merkliches Strahlenschwanken,

wüe ein Verneigen und Danken.

Hier herrscht ohne Streit
rm gelbseidnen Kleid
elektrischer Lichter Helligkeit.

Ein wirres Menschengewinnnei

in dem nächtlichen, gelben Lichterreich.

Cwig wechselndes Kommen und (Jehn
und Bleiben. Auch die Bleibenden sitzen

• nicht stilt,

biegen und wiegen sicli iti dem seltsamen

Hirnmel

Vorwärtsbeugen und Rücklehnen,
erregtes Sprechen und miides Oähnen.

Viele Gesichter, von Nachtluft bleich.
müde Blicke und Augen ganz schrili,

Hände. aus denen kranke Begierden sehen,
Haare, in denen Kaffeedunst sich fing.
Dazwischen das Eilen befrackter Kellner.

Weich und biegsam ist ihr Gang.

Ueber allem stehen
braune Schatten von Müdigkeit,
die zaghaft von Tisch zu Tisch,
vom Kommen zum üehen sich reiht.

Doch der Geigen Gekling,
ihr girrender Walzergesang,
ari Sehnsuch und Sinnlichkeit reich.
will alles Miide fortwehen.

Das schwillt und schmeichelt um: jedes Ding,
singt die kleinen Augen wieder weit,
kiißt die müden Sinne frisch,
streichelt die Wogen von Worteklang,
schwimmt durch sie hin, ein Fisch,
kost den Raum.

Viele Stimmen, die wechselnd erklingen,
hoch und tief, weich und rauh.

Manche wagt zag sich kaum hervor,
rnanche will über allen springen.

Knappes Befehlen, liebliches Einsingen.

Die runde Stimrne einer schönen Frau.

Das Schurren langsatn rutschender Tritte.
Manchmal ein Rascheln seidener Unterröcke
nnd gedämpftes Stampfen der Stöcke.

Klappern und Krellen von Tassen. Gläsern,
Tellern und Löffeln, das wie an diinnem Tau
von Platz zu Platz sich schwingt. Und der

ganze Chor

ist voll von zitternder Nervosität,

als litte er unter der aufpeitschenden Luft,

die aus seiner eigenen Mitte
sich aufschwingt und alles erfüllt.

Soviel Menschen sich in dent Zauber baden,

soviel Welten hält er umschlossen.

Alle Freuden und Leiden sind da.

Warten aufs Glück und Genießeo,

Müdigkeit vor der Liebe,

Ueberdruß an der Freude,

von Licbe und Leidenschaft überschiessen,

feine Züge, dem Geist ganz nah,

Augeri von Sinnlichkeit überflossen,
matt und kraflos hängende Wangen.

Hände mit Leidenschaft übergossen.

Viele Paare,

alle üestalten der Liebe in den Blicken.
Bewtinderung. Langweile, tastendes Prüfen,
gieriges Entkleiden bis auf den nackten Leib,
Schauder und Abscheu. Fliehen, Fangen.

Und das Wort,

laut gelacht oder kaum gesprochen,
frech, lustig, klagend, bittend, herrschsuchtstoli,
rntiß das Band von einem zum andern schlicßen.
Hüte, Stöcke, Schlipse, und Kragen,

Stiefel und Stiefelchen. Lustiger Zeitvertrelb

alles im Schauen einzufangen,

die Farben und Linien. Kleine Füßchen

in Strürnpfen von durchbrochener Seide

und engen Schtihen mit dett Blicketi zu streichein,

Eine blonde Frau tritt herein.

Wie ein Ruck eine knappe Stille.

Alle Blicke drehn sich ihn zu,

Ein großer Hut auf blonden Wellen.

Kein Dnft ntehr im Raum, als Sinnenwille.

Sie sinkt in einen Sfnhl.

Im Nu sind die Kellner tim sie. Das mattrosane

Kleid

läßt dem Suchen einen gelben Halbschuh,
den schmalen Knöchel

und vom Bein eine feste Linie in durchsichtigen

rosa Geweben.

Es zeichnet die Schenkel und schrniegt sich fein
tind stramm um sie,

als wollt es die Zeit auskosten, sfe zti unt-

schlingen.

Der Fttß schwippt in erregendem Schweben.

Aus großen blauen Augen

bebt ein Begehren tiud hüllt alle ein.

Das Jacket zeigt verhtillend eine Schulter,

Brüste;

Draus wächst ein weißer Hals voll schöner Ruh.
Die nackten Arme schwellen von jtingem

Fleisch.

Die Hände weich und weiß und klein,
liegen lässig.

Der breite Mund öffnet sich zttm Lachen,
starke Zähne, schneeweiße,

Und iiber der Weiße die gierigen Lippen,
rot wie das Blut französischer Reben.

Sie steht auf mit graziösem Biegen,
dehnt ihren Körper und läßt den Rattm.

Nachtblick auf die Binnenalster

Der Himntel hängt sternlos, schmutzig-schwarz,

ein dunkles Nichts,

iiber dem steinumnrauerten, viereckigen Fluß-

becken.

Von der graden steinernen Briicke
laufen scharf anr Wasser lichtiiberpunktete

Straßen

senkrecht zu denr queren, breiten Fahrdamm

voll Lichts.

Die weißen Bogenlampen schmieden drauf eine

lielle Fläche entpor.

Kaum sieht das Auge,

wie Nebel in die fliehenden Straßen dahinter

die Arrne recken.

Viel bunte Lichter treiben ins Dunkel, das

sie hassen.

manche helle Lücke.

Das Wasser schwillt um die Pfeiler, plätschernd
klatschend sprichts zum Wind.
der fast entschlafen ist, nrüd von des Tages

Necken.

Dichl bei der Briicke regt es rürvde FaJten,

atr die sich kleine, dunkle Streifen passerr,
ein weiches Biegen, Delrnen und Strecken.
in schwachen, dunkeivioletten Schein getaucht.
Weiter fort nur noch ein schwarzes Gekräusel
und dann Glätte, so wie Quecksjlber auf Glas.
Das ist nicht Wasser rnehr, was da kaum

merklich sich baucht.

Da liegen auf dem Wasser lichterne Decken,
dünn, wie Silberpapier.

Poliertes Blei, fast silberheli,

von warmern Atem überhaucht,

scheint so, wie hier sich immer neue Garben

Lichtstreifen übers Wasser schieben zu lassen.

Manchmal ein rötlich blauer Ton

und wie von sonnenausgesogner Seide, weiß-

lich blaue Stücke.

Zwisciien die lichten Fläctien drängen sich

dunkein Gesichts

die, deren Töne im Schwarz erstarben.

Dort von rechts über’s ganze Wasser hän
drückt sich ein breiter, trüber, roter Fluß.
daneben noch einer, schmaler, voll trüber Tiicke;
beide so voll fast, wie Mohn,
mrr daß Nebel drüben säumen.

Die stumpfen das Grell
mid triiben’s mit grauem Gruß.

Einsame Dampfer ziehn zwei schwarze Striche

binter sich,

gleiten, Lichtbiindel, über dem Spiegel.

Am Bug das blutrote und griine Siegel der

Lichter,

ein heflgelber Streifen vor ihnen her.

Und alle Farben leicht bewegt

von dem träumenden Wind,

dessen zitternder Fuß das Wasser leise regt.

Oh. dieser seltsame Glanz,

Die lichten Farbenstreifen,

ganz still und glatt an einander gereiht.

In allen der seltsame Schein.

Alle vereint durch die leichte Nebelschicht.
Verzaubert bin ich irn Bann des trübklaren

Lichts.

In rneine ganze Seele bricht’s,
gegen das Dtinkel sieghaft ficht’s.

•drängt hinaus das schrnutzig-schwarze, dunkle

Nichts.

Verantwortlkh für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

>usstellung
Zeitschrift Der Sturm

Der blaue Reiter
Franz Flaum
Oskar Kokoschka
Expressionisteu

Tiergartenstraße 34 a

Eröffnung am 12. März, mittags 2 Ubr

Die Ausstellung ist täglich von

10 bis 5 Uhr (auch Sonntags) geöfhiel

Karte I Mark / Dauerkarte 2 Mark

Schluß der Aussteilung am 10. Mai

Vortragsabend von Rudolf Blümner

Am 17. März. abends 8 Uhr, Irägt Rudolf
B I ii m u e r Dichtungen von Hans Christian An-
dersen / Peter Altenberg / Gotthoid Ephraim
Lessing / Heinrich von Kleist / Lafontaine /
T^aul Scheerbart vor. Der Abend findet im Archi-
tekteivhaus, Wilhelmstraße 92-93, statt.

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