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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 101 (März 1912)
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Döblin, Alfred: Der schwarze Vorhang, [4]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0369

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E. L. Kirchner Akrobaten / Originalholzschnitt

nahmslos, und begriff nicht, wie Menschen ungiück-
lich werden können, die doch ihres Willens und
ihrer Sinne mächtig wären. — Jetzt nun meinte er,
«nter dem Nachwirken dieses Freiheitsgefühis,
seine Herrschaft ilber die Mächte, die in seiner
Einsamkeit spielten, einen kurzen Augenbfick ver-
Joren zu haben, als er ihr Spiel zu toll werden dul-
dete; sie hatten ihn fortgerissen und unziemUche
Gewalt über thn geübt. Er mußte sie wfeder
zähmen.

*

Nun aber begann das rrnmer erneute Schwan-
ken, das Auf und Ab zwischen ausbrechendem Lan-
gen, Bezwingen, Mißtrauen, Verachtung und KäHe,

das unausgesetzte Durchstürzen von Willen und
Willen ihn ganz zu verderben. Ratlos stand er vor
dem zittemden Drängen, das ihn sich selbst ent-
fremdete, wünschte ein Ende.

Er faßte einen Widerwillen gegen den Schwer-
tertanz seines Daseins. Das sinnlose Hin und Her
lähmte ihn, fütlte ihn mit Haß gegen seine Ohn-
macht, die es nicht wenden konnte.

Die Schwäche seines Gedankenwillens erfuhr
er, als er vergeblich mit ihm den Willen seiner Be-
gierde zu zähmen suchte; er ließ es nun gehen. S%
aber rettete er sich. Er zog sich auf den kühlen
Hohn vor der machtvollen Unvernunft zurück. Der
Boden seiner Seele wogte und schwang nnmer-

während unter den Schritten der unheimlicheii
Mächte; schon lechzte ihr heißer Blick, schlug ihr
Atem mit Stöhnen, Angst und Gier in seine Träume,
Wangen und grauen Augen. Der Herrscher des
bedrohten Landes lag am Boden, spottete des
Ziehens und Rollens, unter dem sich die Erde zu
öffnen schien, nun nach ihm zu schnappen und ihn
herunter zu würgen.

Oft geschah sogar, daß einsam stolz, mit ver-
ächtlichem Mitleid lächelte, der eben noch ge-
weint hatte. Oft fühlte er sich ähnüch einem
mächtigen Herrscher, der sich auf weißen Wein
versessen hatte. Auf weiBen Wein.

h'ortsetzung folgf

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