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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 82 (Oktober 1911)
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Walden, Herwarth: Aus Berlin
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Kurtz, Rudolf: Apotheose der Gebrüder Herrnfeld
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Blass, Ernst: Wirkungen
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Dirsztay, Victor: Unser Photo, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0214

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sicher besser gefällt, wodurch aber zugleich der
Stil gefallen ist. Die schwierigere Stilfrage stellt
der Chor. Und man stellt mit Entsetzen fest, daß
Max Reinhardt total unmusikalisch ist. Aber er
liebt die Musik, wie ein Laie oder ein schlechter
Dichter sie liebt. Ihm haben offenbar polyphone
Opernchöre imponiert. Er stimmt also in Sprach-
tönen ab. Der Chor spricht etwa „Orestes lebt“
tief, höher, noch höher, noch viel höher, noch hö-
her. Das Crescendo der Musik. Nur vergißt Rein-
hardt eins: der Tonfall jedes Menschen hat einen
ganz persönlichen Ausdruck. Das Psychische ist
in der Stimme nicht auszuschalten. Wenn hundert
Menschen dieselben Worte sprechen, so sprechen
sie eben einhundert Menschen. Nie w'ird die Vor-
stellung entstehen, daß e i n e Masse spricht. Um
diesen Effekt zu erreichen, hat man eben das so
bekannte und sehr beliebte Singen erfunden. Des-
halb ist Reinhardts Idee der Belebung der Sprach-
chöre ganz faisch und unmusikalisch. Das Un-
musikalische zeigt sich auch in der begleitenden
Musik. Sie klingt nach preußischen Chorälen auf
der Harmoniebasis von Ciassenhauern. Die Musik
zum Aeschylos miißte eben griechisch g e s t a 1 -
t e t sein. Dasseibe ist von den Kostüinen zu sa-
gen. Sie sind sicher sehr echt und sehr historisch
und wirken deshalb kitschig. Auch Kostüine müs-
sen gestaltet werden. Sie dürfen nicht natür-
lich sein, sondern künstlerisch. — Nur e i n wirk-
licher, großer Schauspieler spielte mit: Mary
D i e t r i c h , die Darstellerin der Kassandra.

Trust

Apotheose

der Gebrüder Herrnfeld

Ein beschauliches Qeniüt äußerte: ich kann
stundenlang nachdenken, warum die Qebriider
Herrnfeld so komisch sind. Qewiß: ihre Stücke
sind ja auch furchtbar komisch, aber das garan-
tiert doch nicht für die Unterhaltung. Ich habe Herrn
Schmasow zurn Beispiel in geschickter arrangierten
Possen gesehen: und ich bin über diese Portiers-
humore nicht aus dem Aerger herausge^ommen.
Wollen Sie nicht, lieber Freund, meine dunklen Ge-
fühle mir ins Bewußtsein heben? Wenn auch das
Thema ein wenig außerhalb Ihres geistigen Inter-
essenbezirkes liegt, lieber Gott, Sie haben doch
auch vor Lachen getobt.

Der Kritiker nahm das K.ompliment ernst und
kroch in sich hinein. Warum wirken die Gebrüder
Herrnfeld so komisch? Das Orientalische macht es
keineswegs, sonst hätte dich doch schließlich auch
Schildkraut unterhalten müssen? Mit einem Wort:
er störte ziellos in der Dunkelheit seines Gehirns
herum. Mit einem heimtückischen Blick aut' den
Frager rettete er sich endlich in ein verbindliches
L.ächeln und dozierte mit charmanter Ueberlegen-
heit:

Die Leistungen der Oebrüder Herrnfeld grei-
fen sozusagen über das rein Seelenschauspielerische
hinaus. An ihren Gestaltungen sind ihre Körperteile
in einem eminenten Stinne beteiligt. Nun ja, mein
Lieber, einige Schauspieler tnachen ihr Qliiiick mit
einein seelenvollen Gesicht, andere mehr mit einem
gelenkigen Hintern. Das Seelenvolie bei den Herrn-
felds Iiegt doch in den Extremitäten. Anton,
der Direktor, fährt mit der Hand zur Wange, zieht
den Kopf ein, rudert mit einem Beine heruin
Herrgott! an sich ist die Situation doch ertragbar.
Als wenn er sie exekutiert — ist es aus mit mir.

Eigentlich wußte der Kritiker nun nicht wei-
ter. Die höfliche Frage in den Ziigen seines Qegen-
iiber speicherte eine rasende Wut in ihm auf. Aber
er hielt an sich. Sie haben mehr Spekulatives er-
w'artet, mein Lieber, rnehr Beziehungen auf das
Weltganze. Gott, wenn es weiter nichts ist! Der
Kritiker ließ ein grinsendes Lächeln unter den Tisch
falten und entäußerte sich aller Verachtung in

I

einem meisterhaft ausgeführten Räuspern. Dann
begann er:

AIso der Ernst, der kiinstlerische Ernst hebt
die Leistungen der Gebrüder Herrnfeld auf jenes
hohe Niveau. Ihre Persönlichkeit ruht rnit dem
gleichen Ernst in ihren verrückten Situationen, wie
des Tragöden Seele in seiner pathetischen Gebärde.
Sie sind imnier das ganz, was sie vorstellen. Sie
sind nicht nochmütig. Sie empfinden die Vorgänge
als Attacken auf ihren eigenen Körper. Sie trans-
pirieren unter dem seelischen Druck ihrer Verhält-
nisse. Man hat die Empfindung, jeden Abend wer-
den ihre privaten Existenzen von einem ulkigen
Regisseur aufeinander losgelassen, verwickelt,
durcheinander gehetzt und nach kräftigeni Umher-
schwenken wieder befreit. Wie gesagt, sie schwit-
zen dabei, aber der Zuschauer hat das Vergnügen.
Sehen Sie, dieser künstlerische Ernst, dieser . . . .

Nun war der Kritiker nicht mehr aufzuhalten.
zur Kunst steht, und dessen Adern leichteres Blut
durchfließt, ist jeden Augenblick bereit, einiges Bit-
tere über den Lebensernst zu äußern. Er ruiniert
unser Dasein. Kein laichtes, heiteres Einatmen der
Qeschehnisse, sie sollen mit gepanzerter Faust er-
wartet und auf ihre Soiidität gepriift werden. Ein
Freund erzählte mir gestern zwei Stunden von Pa-
ris. Es soll dort anders sein. Bine dünnere, geistig
weniger verpestete Atmosphäre. Viel Leichtfertig-
keit, wo der Deutsche metaphysich angeregt wird.
Eine Stadt, meinte er. wo jeder Kitsch in Leucht-
farben strahlt, annehmbar und erfreulich. Dann
sinkt er von der Seele, ohne eine Spur zu hinter-
lassen. Eine freundlichere Qelenkigkeit des Qeistes
herrscht dort. Eine gefälligere, freundlichere Qe-
lenkigkeit.

Rudolf Kurtz

Wirkungen

Duell

In Rudolstadt fand ein Duell statt zwischen
zwei Gymnasiasten, von denen der eine getötet
wurde .Ein Schriftleiter hat, ergriffen und unter
der Ueberschrift „Spiel mit dem Leben“, eine Be-
trachtung veröffentlicht, in der er (ergriffen) den
Gymnasiasten Unreife und Spiel mit dem Leben
vorwirft. Ungefähr. Oegenseitiges Totschießen,
so blickt es durch seine Betrachtungen durch,
bieibt Sache ernster, gereifter und ausgewachsener
Männer. Nur diese haben das Recht, sich in das
L.eben zu verrennen . . . bis zu einem Aufgeben
des Lebens.

Wenn Gymnasiasten sich duellieren in friiher
Verwirrung, im Heißsein, im Dumpfsein; in
Schmerzzerstücktheit; in Inbrunst, Oipfeln, Tränen-
Seligkeit - dann darf nur der von Unreife sprechen,
der bei Ausgewachsenen von Dummheit spräche.
Nur der.

Ein Schriftleiter denkt immer an „Unreife“,
wenn er hört, einer hat Schopenhauer, Nietzsche,
Wilde gelesen.

Ein Engel

Herr Fritz Engel gibt in einer Würdigung zu
verstehen, er sei der Ansicht, das Bumßige an
Sudermann sei nicht kiihl ertiiftelt. Sondern viel-
mehr gradezu innerste Natur dieses Dichters sei
dies Bumßige. Ungefähr so Herr Engel.

Nach dieser eine Spalte tiefen Erwägung
schreibt er, von Sudermann: „Ich sehe ihn . . .
gegeniiber dieser widerwärtig Jitterarischen
Zeit‘ . . .“ Dann nennt er Kompliziertheit, Inner-
lichkeit, Seele Schlagworte — und setzt sie in
Anführungsstriche. So Herr Engel.

Wenn diese Zeit litterarischer wäre, so hätte
Herr Engel allen Grund, sie fast so widerwärtig
zu finden, wie sie ihn dann finden würde. Aber
sie ist nur aus der Engelperspektive gesehn litte-
rarisch. Ernst Blaß

Unser Photo

PortsetzMng

Ich machte mich nun daran die Pose zu stel-
ien. Der hohe Herr cntschied sich auf mein Drän-
gen dafiir, sich stehend, die rechte Hand in der
Brusttasche aufnehmen zu lassen, damit, wie ich
mir als K ii n s 11 e r zu bemerken erlaubte, seine
trotz eines gewissen Embonpoints noch recht
aristokratische Gestalt voll und ganz zur Geltung
käme. Ich konnte rnich nicht enthalten auch
noch darauf hinzuweisen, daß gerade diese
Pose bei mciner hohen Kliente! bevor-
zugt werde und daß er in dieser
Stellung auch einem der einflußreichsten Mitglie-
dern unserer Haute Finance frappant ähnlich sähe,
was den hohen Herrn angenehm berührte und sicht-
lich schmeichelte. Da ich aber nicht nur die
gesellschaftliche Stellung des Allmächti-
gen, sondern auch seine charakteristische Persön-
iichkeit, namentlich seine wunderwirkende Kraft,
auf meinem Portrait betont wissen wollte, ersuchte
ich ihn, — im Gegensatz zu meiner irdischen Klien-
tel, die dies absolut nicht vermag — nicht nur den
rechten, sondern gleichzeitig auch den linken Fuß
vorzustellen, was immer mit großen Schwierig-
keiten verbunden ist. Aber auch dieses Wunder,
daß ich noch nie sah, vollbrachte der hohe
Herr mit spielender Leichtigkeit. (Das müssen
wir schon selbst für ein bedeutendes Wunder hal-
ten. Anm. d. Red.) Er schien sich jedoch daraus
ein Vergnügen zu machen, mir bei dieser Gelegen-
heit wieder, und zwar diesrnal mit beiden Füßen
ein Trittchen zu versetzen, was mir, da es sehr
schmerzte, sofort auffiel. Natürlich versäunrte ich
es nicht, dieses Zeichen seiner guten Laune und
einer mich im höchsten Grade ehrenden Intimität,
mit freudiger Genugtuung entgegenzunehmen. Ich
kann hier nun eine spaßhafte Bemerkung des hohen
Herrn anführen. Er fragte mich nämlich, ob ich
denn bei guter Gesundheit sei. AIs ich geschmei-
chelt bejahte, meinte der hohe 'Herr: „Das habe
ich mir gleich gedacht, denn Sie machen ja sehr
viel Bewegung. Sie gehen mir nämlich fort-
während atif die Nerven!“ Als ich mich von
meinem Krachlampf larigsam erholt hatte und die
früher geschilderte Stellung, bei der ein jeder An-
dere s i c h e r 1 i c h umgefallen wäre, zuwege ge-
bracht hatte, kiingelte es heftig am Telephon. Der
erste Qott begab sich eilig zum Apparat, wobei ich
wieder Gelegenheit hatte, seinen Amtseifer zu be-
wundern. Ich will es nicht unerwähnt lassen,
daß, während mein hoher Klicnt seine Agenden
versah, die, wie er meinte, ihn längere Zeit in
Anspruch nehmen dürften, — ich die Bekanntschaft
einiger Engeln machte. lch kann der Wahrheit
gemäß konstatieren, daß diese ihrem guten Rufe
vollauf gerecht werden und sehr brav, ja s e 11 e n
a n s t ä n d i g sind. Die meisten sind zwar nicht
sehr musikalisch, singen aber den ganzen Tag im
Chor mit. Nur wenige faulenzen oder lustwandeln
in auffallender Weise herum. Ich mußte nun be-
fiirchten, daß mein hoher Klient indessen seine
Agenden erledigt haben und bereits meiner harren
dürfte. Da kam mir ein hochbetagter alter Engel
entgegen mit einer Karte, in der mich der hohe
Herr benachrichtigte, daß er augenblicklich noch
beschäftigt sei, und mich erst in einer halben
Stunde erwartete. Der Ueberbringer dieser Bot-
schaft, offenbar ein höherer Funktionär der Kabi-
nettskanzlei des Allmächtigen, schien vom ersten
Augenblicke unserer Begegnung an, eine besondere
Sympathie für meine bescheidene Person an den
Tag zu legen. Indem er mir unaufhörlich in herz-
licher Weise die Hand drückte, erzählte er mir
ganz gerührt, wie viel Gutes und Schönes er von
mir bereits gehört habe, und erklärte mich für einen
geborenen Charmeur. schiuß foigt

Viktor von Dirsztay

Verantwortiich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

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