Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

DOI Heft:
Nr. 93 (Januar 1912)
DOI Artikel:
Sologub, Fëdor: Die weisen Jungfrauen
DOI Artikel:
Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0301

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
weinten lange. Je leuchtender d * - Morgenrot
strahlte desto blasser wurden ü.re VVangen.

Da sprach die weiseste aus Je Mitte der Jung-
frauen:

„Schwestern, Schwestern jetzt werden wir
nach Hause gehen, und danr dieser Nacht geden-
ken. Und woran werden v r uns erinnern? Wir
haben lange gewartet, -• und der Bräutigam ist
nicht gekommen. Abe: Schwestern, würden nicht
die unvernünftigen Jungfrauen, wenn sie mit uns
gewesen wären, auch dieselbe Erinnerung behalten
haben ?

„Wozu brauchen wir dann unsere Weisheit?

„Ist der Bräutigam jetzt nicht mit uns, —
weil er nicht zu uns gekommen ist, oder deshalb,
weil er genügend Zeit mit uns zugebracht hat und
von uns fortgegangen ist.“

Die weisen Jungfrauen wurden freudig und
hörten auf zu weinen. Sie füllten ihre Becher mit
Wein und schnitten die Brode auf, und sie aßen,
und sie tranken, und sie freuten sich. Und sie
«prachen:

„Der Bräutigam hat uns früh verlassen.

„Kurze Stunden war der Bräutigam mit uns, —
aber unsere Seelen sind mit Trost erfiillt durch die
kurze Zeit, die er mit uns zusammen war.“

„Der Bräutigam ist fortgegangen, aber er ist —
unser geliebter Bräutigam.

„Er liebt uns.

„Er hat uns goldene Kronen auf den Häuptern
zuriickgelassen.“

Nachdem die weisen Jungfrauen ihr freudiges
Mahl beendet hatten, standen sie vom Tisch auf.
An der Schwelle des hochzeitlichen Gemaches blie-
ben sie alle vier stehen, umarmten einander und
sandten dem verlassenden Bräutigam mit den
Händen winkend einen Abschiedsgruß nach. In
ihren Augen standen Thränen, ihre Gesichter iiber-
zog eine tiefe Blässe, und traurig lächelten ihre
Lippen.

Um die Zeit hatte das lärmende Festmahl ein
Ende genommen, und die sechs unverniinftigen
Jungfrauen kehrten nach Hause zurück. Die unver-
niinftigen Jungfrauen blieben an der Schwelle, wo
die weisen Jungfrauen weilten, stehen, neckten die
weisen:

„Ist der Bräutigam endlich gekommen?

„War Euer Festmahl mit dem Bräutigam lustig?

„Weshalb seid Ihr denn jetzt allein, und der
Bräutigam 'ist nicht zu sehen?“

Kurz war die Antwort der weisen Jungfrauen:

„Der Bräutigam ist fortgegangen.

„Wir haben ihn begleitet.

„Da, jetzt schimmerte noch zum letzten Mal
seine weiße Tunika durch die Bäume hindurch und
ist nicht mehr zu sehen.

„Der Bräutigam ist nach der Seite hin fortge-
gangen, wo die Sonne aufgeht.“

Die unvernünftigen Jungfrauen glaubten ihnen
nicht, sie lachten laut und sprachen:

„Ihr schämt Euch zu bekennen, daß der Bräu-
tigam nicht zu Euch gekommen ist.

„ Wie werdet Ihr es beweisen, daß er mit Euch
zusammen war?

„Zeigt uns seine Geschenke.“

Die weisen Jungfrauen antworteten:

„Er hat uns goldene Kronen geschenkt.

„Er hat sie selbst auf unsere Häupter gelegt.

„Seht Ihr denn nicht, wie das Gold unserer
Kronen über unseren Häuptern glänzt?

Die unverniinftigen Jungfrauen — fünf von
ihnen — lachten und sprachen:

„Es sind gar keine Kronen auf Euren Häuptern.

„Ihr verratet Euch selbst durch Eure Erfindung.

„Ihr habt wahrscheinlich im Traum den Bräu-
tigam zu Euch kommen sehen.

„Vergebens habt Ihr die ganze Nacht in langer
Weile zugebracht, -— lieber wäret Ihr auch mit uns
gekommen.“

Und die unvernünftigen fünf Jungfrauen ver-
ließen die Schwelle, sie lachten und beschimpften
die weisen Jungfrauen auf jede Art. Die eine aber

von ihnen blieb an der Schwelle zurück. Sie warf
sich zu Füßen der weisen Jungfrauen, küßte ihre
vom Morgentau bedeckten Füße, und sie weinte
sehr und sprach:

„Glückliche, glückliche weise Jungfrauen! Wie
beneidenswert ist Euer hehres Los! Mit Euch hat
der Bräutigam zur Tafel gesessen, den meine Augen
und die Augen meiner tollen Freundinnen nicht ge-
schaut haben. Auf Eure weisen Häupter hat er mit
seinen Händen goldene Kronen gelegt, die wie vier
prächtige Sonnen hell leuchten. Auf Euren Händen
lebt das Heiligtum seiner Berührung, auf Euren Lip-
pen — der bezaubernde Duft seiner Küsse. O, ich
Unvernünftige! O, ich Unglückliche! Ich möchte
zu Euren Füßen sterben und die Stufen mit Küssen
überschütten, auf denen der Bräutigam zu Euch
emporstieg!“

Die weisen Jungfrauen hoben ihre um diese
frühe Stunde zur Weisheit gelangte Schwester un-
por und küßten sie, und sie trösteten sie voller
Zartheit:

„Liebe Schwester, du hast auf unseren Häup-
tern Kronen gesehen, die die unvernünftigen Jung-
frauen nicht sehen konnten.

„Der Bräutigam ließ dir Weisheit und Einsicht
in das Geheimnis zu teil werden.

„Die Krone, die der Bräutigam auf seinem
Haupte trug, ließ er uns für die zurück, die von der
Unvernunft zur Weisheit käme.“

Mit zarten Fingern berührten die weisen Jang-
frauen ihr Haupt und nahmen von ihr die welken
Blumen der tollen Freudenorgie hinweg. Sie
sprachen:

„Jetzt haben wir dir, liebe Schwester, d;e
goldene Krone aufgesetzt.

„Wie leuchtend glänzt deine Krone in den
Strahlen der aufgehenden Sonne!

„Der geliebte Bräutigam, der dir diese Krone
geschenkt hat, wird auch selbst zu dir kommen,
wenn die Zeit dazu da ist.“

Eine nach der anderen wandelten die fünf
weisen Jungfrauen mit den goldenen Kronen, die
wie große Sterne leuchteten, auf der Treppe der
Hochzeitshalle und auf den Wegen des Gartens, und
traten auf die Stellen, die der Bräutigam
mit seinen Füßen berührt hatte. Die Augen voller
Thränen, im Herzen die Flamme des Trauers und
des Entzückens, gingen sie, der Welt die Weisheit
und das Geheimnis zu verkünden.

Deutsch von Eugenie Chmielnitzky

Briefe naeh Norwegen

Von Else Lasker-Sehüler

Lieber Herwarth und liebes Kurtchen, meine
religiöse Stimmung muß also einen Grund haben.
Ihr meint wohl, mich plagt die Reue? Die Sünde
ist mir erschienen, meint Ihr wohl, mit dem Fege-
feuer in der Hand, oder die Schlange hat doch
endlich Einfluß über mich gewonnen. Pfui Teufel,
Ihr traut mir zu, daß ich eine religiöse Stimmung
auf Pfählen baue, irgendwo in die Sinthflut hinein.
Ich habe Vertrauen zu meinen guten und bösen
Handlungen. Ich kenne keine Sünde, mag sein,
daß ich sie oft von außen her mit Süßigkeiten
mir greife, ich hab noch nie etwas davon
gemerkt. Lebe das Leben ja tableau-
mäßig, ich bin immer im Bilde. Manchmal werde
ich unvorteilhaft hingehängt, oder es verschiebt
sich etwas in meinem Milieu, auch bin ich nicht
mit der Einrahmung zufrieden. Einrahmungen sind
Einengungen, Unkunst, Grenzen, die sich kein Gott,
aber ein Gottdilettant zieht. Die runden Rahmen
haben noch etwas Kreisendes, aber die viereckigen,
neumodischen, sind so ganz menschlich aus dem
Kosmos getreten. Ich sehe also aus dem Bilde das
Leben an; was nehm ich ernster von beiden?

Beides. Ich sterbe am Leben und atme im Biide
wieder auf.

Hurrah!

Liebe Nordländer. Ich fühle mich ergraut, wie
der Tag plötzlich, bald ist es Nacht; soll ich wachen
oder schlafen. Lohnt es sich zu leben oder zu ver-
säumen. Alles sollte sich lohnen, auch das Nicht-
vorhandene. Ich weiß, irgendwo sehnt sich ein
Hadrian oder ein Pharao nach mir. Ist das nun
wahr oder ist das nicht wahr? Aber ich finde so
ein Gedanke lohnt sich. Allerdings, der Bürger
verliert nie etwas, mich kostet vielleicht so einen
Gedanken zu haben das Leben. Meint Ihr mein
Leben ist zu ersetzen? Lohnt es sich, mein Leben
zu ersetzen? Ich will diesen Gedanken von Euch
beantwortet haben. Aber ich sprach vom Hadrian,
ich sprach vom egyptischen König, der eine Pyra-
mide als Krone trägt, wir ziehen zusammen in den
Krieg auf Dromedaren. Ich sitze hinter ihm, an
seinem Rücken gelehnt, und meine Pfeile fliegen an
seinem Herzen vorbei in die Leiber der Feinde.
Nachts schminkt er meine Lippen mit seinen
Küssen.

Herwarth, Karl Kraus, der Dalai Lama, weilt
,in Wien, aber unten in Deinem Arbeitszimmer hängt
seine Hand in Marmor. Ich stand wieder vor dem
schwarzen Brett, darauf sie gespannt abwärts
greift, sie bewegte sich, als ob sie mir etwas er-
klären wollte. Diese Hand, eine sichere M'inister-
hand, eine gütige Diplomatenhand, eine züngelnde
Hand, sie kann ein Stadt anstecken. Meine Augen
tanzen um ihre Randung — Polka. Lieber noch
ringe ,ich mit dieser Hand zum Zeitvertreib. Sollte
dieser vornehmste Kampf unterlassen bleiben!
Ich träume oft in der Nacht von den Kriegen un-
serer Hände und staune, daß Du die seine noch
immer in der Frühe erhalten am Brett hängend vor-
findest. Sie lächelt sogar seit kurzem. Des Mi-
nisters Hand, eine ernste, mongolische Dolde, eine
Hand, jeder seiner Pfade endet. Was er wohl von
meiner ziellosen Hand aus Spiel und Blut denkt?

Lieber Herwarth, was ist das Leben
doch für ein eitler Wettbewerb gegen das
Aufschweben zur Ewigkeit. Ich bin erregt, ich
batte schon einige Male heute das Gefühl, ich muß
sterben. Wenn ich auch im Bilde lebe, Bild bin,
aber meine Eindunklung Dir gegenüber macht mir
schon lange Schmerzen. Wir können uns beide kaum
mehr sehen, Herwarth; alle die Leute, die uns wie-
der zusammenbringen wollen, sind nichts weiter als
Oelschmierer oder Terpentinwäscher, uns auf-
frischen wollen sie; über die echten Farben un-
echte, gezwungene schmieren. Fälschung! Ver-
kitschte Auferstehung! Man sollte Heber die Men-
schen, über die die Nacht kam, einbalsamieren. Es
klopft heute schon einigemale an meiner Tür, es
geschieht etwas Schreckliehes in der Welt, lauter
Fälschung, dafür geben die Leute ihr Geld aus.
Das sag ich Dir, ich wollte, ich besäße eine
Brücke, es müßte mir Jeder — Zoll bezahlen —
Brückenzoll. Da ich doch tot bin, hab ich mir we-
nigstens vorgenommen, reich zu werden.

Herwarth, vorher schick ich dir noch ein Ge-
dicht für den Sturm. Ich bin rasend verliebt in
Jemand, aber Näheres sag ich nicht mehr. So
k a n n es immer an Dich gerichtet sein.

Du bist alles was aus Gold ist
In der großen Welt.

Ich suche deine Sterne
Und will nicht schlafen.

Wir wollen uns hinter Hecken legen
Uns niemehr aufrichten.

Aus unseren Händen
Süße Träumerei küssen.

743
 
Annotationen