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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 85 (November 1911)
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Walden, Herwarth: Die Wehen der Frau Wertheim
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Döblin, Alfred: Der Ritter Blaubart
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0234

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mals herausgab, und die der Herr dem Dichter-
Trebitsch zuerkannte. Sie ließ sich von ihm lite-
rarisch fördern, und der Doktor Landsberger „er-
löste“ dafür ihre Tochter. Man wird mir niemals
einreden können, daß sich ein reiches, schönes, jun-
ges Mädchen aus dem Fenster stürzt, nur aus Hy-
sterie. Auch die Hysterie muß erst erworben wer-
den. Vielleicht hatte sie der Doktor Landsberger
zu gut erlöst. Immerhin brachte ihm die Rolle sieb-
zigtausend Mark bar, die er sich von den Schwie-
gereltern dafiir bezahlen ließ, um die gespielte „Er-
lösung“ nicht noch literarisch verwerten zu müssen.
Oder wie er sagt, um seine Kosten zu decken. Er
verwandte deshalb nach Erhalt dieser Summe die
Angelegenheit „literarisch“. Vermutlich waren die
Kosten noch immer nicht gedeckt. Skandalöser
aber als diese absolut talentlosen und belanglosen
Romane des Landsberger bleibt die Tatsache, daß
die Herren Frank Wedekind und Georg Brandes
sie riihmen. Detn Dichter K a r 1 Hauptmann mag
es gestattet sein. Niemand kiimmert sich um seine
Meinung und er mußte sich revanchieren. Der Dok-
tor Landsberger fiihrte ihn — rrian erinnert sich —
als den „Dichter Hauptmann aus Schreiberhau“ in
Berlin ein. Bedenklicher wird die Sache bei den
andern beiden Kritikern. Herr Frank Wedekind er-
zählt zwar jedem, der es hören will, daß er grund-
sätzlich niemals Biicher liest, über die er sich kri-
tisch äußern soll. Er würde sie sonst vielleicht
nicht loben können. Er hat nun eben ein gutes Herz.
Aber ich würde es fiir eine Pflicht des Herrn Wede-
kind halten, der fortgesetzt und mit Recht gegen
die Vergewaltigung seiner eigenen Kunst prote-
stiert, daß er dem Publikum bei der Veröffentlichung
einer lobenden Kritik gleichzeitig mitteilt, wie sein
Mund übergeht, weil sein Herz so gut ist. Herr
Georg Brandes hat es zu einem beträchtlichen kri-
tischen Namen in Deutschland gebracht. Haupt-
sächlich deshalb, weil er zuerst journalistisch auf
Nietzsche und Ibsen aufmerksam machte. Er hat
auch „zuerst“ auf den Kritiker Paul Goldmann „auf-
merksam“ gemacht. Aus dieser Tatsache allein
dürfte sich seine Qualifikation zur Iiterarischen Kri-
tik ergeben. Die Herren haben sich hoffcntlich nicht
umsonst bemüht. Das (jute über das Schlechte
belohnt sich immer.

Die Deutsche Montagszeitung, an der der Dok-
tor juris Artur Landsberger in jeder Hinsicht sehr
stark interessiert ist (er soll mir keine Berichtigung
schicken, daß er „zurzeit“ kein Geld in dieser Zei-
tung stecken hat), die Deutsche Montagszeitung
wollte von ihm Aufklärungen über seinen Fall. Dok-
tor Landsberger ist so erschüttert, so empört, daß
er es vorzieht, sich selbst in seinem Blatt n i c h t
zu äußern. Er schickt vielmehr seinen großen
Freund vor, den satanistischen Dichter. Der schrieb
ihm einen Brief, „von dem er jeden beliebigen Ge-
brauch machen kann“. In diesem Brief rät ihm der
Satanist, nicht etwa gegen Frau Wertheim wegen
Beleidigung zu klagen, weil ihr dcr Paragraph 51
sicher sei. Aber, sagt der Satanist, der Doktor
Landsberger soll nicht den Mut verlieren, denn „die
besten Köpfe Deutschlands“ ständen zu ihm. Sie
w e r d e n noch kopfstehen, diese Besten!

Das sind die Beziehungen der Frau Wertheim
zur Litcratur. Und ihre übrigen Enthüllungen? Sie
behauptet von unzähligen Personen wahre und
vielleicht auch unwahre Tatsachen. Sie kompro-
mittiert, weil man sie kompromittiert hat. Ich sehe
den Unterschied nicht. Was gibt es an dem Herrn
von Fetter zu verteidigen, der sich Tausende schen-
ken läßt, um nicht zu „beleidigen“. Was an ihrer
Mutter, die die Tochter wegen der guten Partie ver-
schachert? Was an den Damen der Volkskunst-
ausstellung, die sich von Wertheims fünfzehntau-
send Mark schenken lassen, die sie selber haben,
um sich bei der Kaiserin billig beliebt zu machen?

Frau Wertheim ist sicher verbildet und ge-
schmacklos. Aber ihre Umgebung nicht weniger.
Die Differenz zwischen Willen und Befähigung
wurde ihr zum Verhängnis. Durch das V e r -

h ä n g n i s hebt sie sich heraus. Sie hat in den
letzten Monaten die schwersten Wehen erlebt und
blieb unfruchtbar. Darum solite ihr die Oeffent-
lichkeit endlich die äußere Ruhe Iassen, die jeder
selbst für sich in Anspruch nimmt. Der Presse
wird man den Mund stopfen.

Trust

Der Ritter Blaubart

Von Alfred Döblin

Hinter der dünnen Birkenreihe, welche die
Stadt von Norden her umsäumt, zog eine wellige
Ebene nach dem Meere zu, wenig mit niedrigen
Kiefern und Strauchwerk besetzt. Kein einziger
Weg führte aus dem Durchbruch der Stadtmauer
nach dem Strand, der kaum zwei Stunden ent-
fernt ist; eine Kleinbahn fuhr in weitem Bogen
um die Einöde herum an das Wasser. In viel'en
Senkungen der Ebene stand der Sumpf, schwarz
und steif wie Leim; Ratten und Sumpftiere haus-
ten hier; öfter stieß ein Häher durch die dicke
Luft und schlug ein Weichtier an.

Wo sich die Hügelreihe am stärksten erhob,
ragten quadratische und unförmige Steinblöcke
scharf auf, Reste verwitterter Klippen. Das Meer
hatte sich friiher iiber das Land gestreckt; jetzt lag
die Ebene verstört und frostig da; Meer und Erde
wandten sich von ihr ab.

Diese Fläche war vor langen Jahren aui eine
sonderbare Weise in den Besitz eines Barons
Paolo di Selvi gekommen. Er war von einer
Weltreise durch den Sund in diese See gesteuert,
um in der Stadt den Vater seines ersten Boots-
mannes zu besuchen, der unter dem Aequator
dem Schwarzwasserfieber erlegen war. Er stieg
ans Land, sprühend von Laune, träumerisch, er-
oberungssicher. Breitschulterig ging er mit den
leicht gebogenen Beinen des Reiters über die An-
legebretter. Der Wind pfiff schari an dem Mor-
gen, und warf ihm die schiefsitzende Kapitänsmütze
mit einem glatten Sch'ag ins Wasser, so daß er
barhäuptig und lachend unter seinen Leuten stand,
die das böse Omen entsetzte. Seine Augen waren
etwas schräg gestelit, dicht an der Nase, die klein
und stumpf war und mit ihrer Wurzel tief einsetzte.
Die klaren hellgrauen Augen stimmten schlecht zu
dem Munde von mädchenhafter Weiche, zu der
Sanftheit seiner Stimme. Er ritt aui einem
schwarzen Hengst hinter einem Maultiergespann
den weiten Umweg nach der Stadt; zwei Truhen
schleppte man zu dem alten Marme, den er suchte,
eine mit Andenken und allem Nachlaß des Boots-
mannes, die andere mit, japanischer Seide, indi-
schen Perlen und Juwelen, mit sibirischem Pelz-
werk. Kaum zwei Stunden blieb er in der Stadt,
dann trabte er pfeifend und lachend allein zurück,
unbekannt der Gegend, den kurzen Weg durch
die Ebene. Es ist nichts bekannt iiber die Ge-
schehnisse in der Ebene an dem Mittag. Der
Baron muß schon am Eingang des Gebietes vom
Pferd abgesessen sein und sich allein durch den
Sand und Morast gemacht haben. Beim nächsten
Morgengrauen fand man den Vermißten besin-
nungslos auf der Klippc liegen. lang auf den
Rucken ausgestreckt, zwar über und über mit
Tang und Lehm bedeckt, aber das Gesicht eigen-
tümlich geschwollen, glühend, mit Bläschen, wie
verbrannt, auch an der rechten Hand und dem
Vorderarm löste sich die Haut in Fetzen ab. Man
lagerte den ohnmächtigen Mann auf eine Bahre,
trug ihn schräg über das Brachland auf die
nächste Chaussee, wo man einen Heuwagen re-
quirierte und in die Stadt fuhr. Die Wundflächen
heilten in einer Woche. Der Baron wußte nicht,

was ihm geschehen war. Nur die Krankenschwes-
tern berichteten, daß seine Augen gegen Abend
einen leidenden entsetzten Ausdruck annahmen,
daß er den rechten Arm zur Abwehr in die Höhe
hebe und trostlos wimmere. Ais er völlig genesen
war, schenkte er die Yacht seinem ersten Steuer-
mann, entließ seine Leute und zog in die Stadt.

Zuerst bewohnte er ein Haus im Süden der
Stadt, ganz im Freien liegend; viele Singvögel um-
gaben ihn; er pflog mit keinem Menschen Ver-
kehr. Nach einigen Monaten zog er an die Stadt-
mauer in eine ganz alte Wohnüng, die einen wei-
ten Blick auf die dunstige Heide gewährte. Auf
der Stadtmauer spazierte und saß der völlig ver-
änderte unzugängliche Mann oder ritt die Chaussee
langsam nach dem Meere zu. Bis er nach fast
Jahresfrist frühmorgens durch die Straßen der
Stadt ging, auf dem Marktplatz nach einem Bau-
meister fragte, und diesen mit leiser Stimme be-
auftrag'te, ihm in der Heide auf der höchsten An-
höhe um die Klippe herum ein Wohnhaus zu
bauen. Dcr Baumeister brauche sich nicht zu be-
eilen, sagte er, indem er die Arme verschränkte;
es solle ein Schloß werden, heimlich und weit-
läufig, mit vielem festlichen Schmuck; denn er
wolle in sechs Monaten seine Gemahlin heim-
fiihren.

So zogen die Wegebauer in die Heide, stampf-
ten von der Chaussee einen sicheren Nebenweg
nach der Klippe. Die Maurer fuhren lärmend an;
sie planten den Hügel ab, gruben die Pfeiler ein
und umbauten den Felsen, der sich bis zum ersten
Stock des Hauses erhob und frei in die Zimmer
ragte, — ein weites gedehntes Gebäude aus
grauetn Kalkstein, mit bunten Kirchenfenstern,
zierlichen Türmen. Mitten in der Einöde erhob
sich das Schloß, ein Gelächter der Bauleute, ein
Kopfschütteln der Städter.

Knapp einen Monat, nachdem die Wände,
Zimmer mit Kostbarkeiten erfüllt waren, führte der
Baron eine fremde, junge Frau in sein Schloß. Sie
erschien eininal im Theater der Stadt, die Portu
giesin, ein braunes kindiiches Wesen, das nicht vom
Arme des Mannes wich; der lachte wieder wie
früher und bezauberte alle. Sie tanzten an dem
Abend im Bürgersaal. Dcr Baron spitzte seinen
Mund und pfiff irn Tanz; er strich den braunen
Vollbart und zeigte spottend die Brendnarben auf
seiner rechten Hand. Das zweite Mal, daß man
von der Portugiesin hörte, war eine Woche später,
als ein reitender Bote nachts vom Schloß her
jagte, 'dem Arzt die Tiire einschlug, ihn nach der
Heide schleppte an die Leiche der jungen Frau.
Sie lag mit blaurotem Gesicht im Nachtkleide auf
dem dunklen Korridor vor ihrem Zimmer. Neben
ihr brannte noch die Kerze, mit der sie wohl aus
dcr Türe gestürzt war. Der Baron folgte dem
Arzt mit starren Augen; keine Frage beantwortete
er, keine Miene verzog er. Aus den Worten einer
schluchzenden Zofe hörte der Arzt von dem alten
Herzleiden der fremden Frau; er knöpfte seinen
Pelz zu; sie war einer Lungenemboline erlegen.

Nach drei Wochen erschicn der Baron wieder
in der Stadt; man lud ihn zu den Gesellschaften
ein. Oft und öfter ritt er in die Stadt, er fuhr
zur Jagd, beteiligte sich an Kampfspielen und Ren-
nen, saß abends beim Wein und erzählte von
seinen Fahrten und Abenteuern. Lange Zeit sah
man ihn lustig, schwärmend und träumerisch, mit
den Soldaten und Seeleuten der Stadt, er fuhr
eines Märztages mit zweien von ihnen wieder in
See. Es kam nach einem halben Jahr etwa ein
Brief von ihm an bei dem Verwalter seines
Schlosses, daß die Wohngemächer grün auszu-
schlagen und grüne Läufer zu legen seien, und
daß im Damenzimmer Orchideen gesetzt werden
sollten.

Rund acht Monate nach seiner Abfahrt kehrte
er zurück. Wieder fiihrte er eine junge frernde
Frau auf sein Schloß. Diese hat kein Städter ge-
sehen. Eines Morgens lag sie in schwarzem Reit-

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