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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 93 (Januar 1912)
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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Adler, Joseph: Humoristen
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Notizen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0302

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Mein Herz holt sich
Von deinem Munde Rosen.

Meine Augen Iieben dich an,

Du haschst nach ihren Faltern.

Was soll ich tun,

Wenn du nicht da bist.

Von meinen Lidern
Tropft schwarzer Schnee;

Wenn ich tot bin,

Spiele du mit meiner Seele.

Ludwig Ullmann habe ich das Qedicht An Je-
mand für sein Flugbatt geschickt:

Lieber Ludwig Ullmann. Es war Nacht, als
Ihr Brief kam, ich hate mich gerade aufgehängt,
konnte nur morgens den Baum nicht wiederfinden.
Ob das ein Glück für Ihr Flugblatt ist, kann ich
nicht beurteilen. Denn ich bin noch sehr angegriffen
von der Aufhängerei und von allem Drum und
Dran. Machen Sie die gute Stimmung für mich,
mir fehlt jede. Auch ist Berlin so langweilig, es ist
weder interessant zu leben, noch zu sterben, was
ich nun beides beurteilen kann. Ihre Karte war
mir eine Labung, so frisch geschrieben; wie Quell-
wasser sind Ihre Buchstaben, nicht etwa verwäs-
sert. Sie müssen immer von Wäldern dichten, das
wäre charakteristisch fiir Sie. Jedenfalls begleiten
Sie mich in den Prater, wenn ich nach Wien
komme. Ihre E. L. Sch.

Liebe Jungens, ich habe vor, regierender Prinz
zu werden. Müßten mir nicht alle Menschen Tribut
zahlen? Ich habe gestern Dr. Ernst R. W. Frank
geschrieben: Sire. Sie haben ganz recht empfun-
den, ich bin der Prinz von Theben. Sie wollen mir
eine Klinge zum Geschenk überbringen lassen. Ich
bitte Sie mir zweihundert Silberlinge, das sind auf
Deutsch zweihundert Mark, beizulegen, damit ich
ihrein Diener den ihm zukommenden Lohn entrich-
ten kann. Kann ich seinen Herrn höher schätzen?
Ich traue diesem Doktor zu, daß er meinen Brief mit
aflem Respekt erfüllen wird, er ist Nierenarzt, er
hat den Zug eines Bohemiens in sich, er behandelt
mit Vorliebe Wandernieren.

Soeben kam eine Dame aus Prag, ich soll in
ihrem Verein sprechen. Wo ich soviel umsonst
schreibe, muß ich doppelt so viel für mein Sprechen
beanspruchen. Willy Haas hat sie aus Prag zu mir
ins Haus gesandt. Ich habe tausend Mark verlangt;
für meine Liebesgedichte zweihundert Mark beson-
ders. Die Dame war ergriffen, aber sie will mit
ihrem Verein über meine Forderung sprechen. Auch
war ich äußerst pathetisch, zog meinen Königs-
mantel einige Male über die Schultern in Falten, in
wilde Falten. Ich spreche überhaupt nicht mehr
ohne Bezahlung, nur Bindewörter; könnt ich doch
eins finden, das mich binden würde.

Herwarth, Ludwig Kainer will meine Kalifen-
geschichte illustrieren, aber hier können wir uns
nicht besprechen, ob ich ihm vom Angesicht meines
Vaters Mohamed Pascha oder von Ached Bey
dem Kalifen, oder vom Fakir erzähle, immer kommt
ein anderes Gesicht dazwischen; so viel Bekannte
haben wir nun in Berlin. Und bei mir kann ich
keinen Menschen mehr empfangen, überall liegen
fußhoch norwegische Briefe an Euch. Aber mein
erlauchter Illustrator geht nach München, wir rei-
sen dann auch dorthin, einige Tage; übrigens hat
mir mein Freund Antoni aus München geschrieben,
der Prinz von Polen, mein Geist wär gestern im
Cafe Bauer in Galla allen erschienen. Ich war schon
immer neugierig, meinen Geist kennen zu lernen,
meinen Astralleib, er soll reich sein, ich werde
ihn anpumpen.

Prinz von Theben, schrieb mir der Maler
Schmidt-Rottluff: Ich will Sie malen mit ihrem
schwarzen Diener Ossmann. Ich wollte, er
malte mich im Hintergrund seiner Handschrift,
mitten hinein. Lauter Schlangengrotten, Ur-
waldgewächse, Kokospalmen, menschengroße
Affenkörper. Man kann nicht durch seine
Handschrift in die Ferne blicken, man er-
stickt in dieser Handschrift. Er und Richard Deh-
mel trinken aus denselben dunklen Quellen. Ich
werde ihm Geschichten aus meinein Leben er-
zählen. Ihr wißt doch , mein hinterurwäld-
licher Urahn war Häuptling; seine Enkel
zogen dann gen Egypten und manche avancierten
zu Pharaonen. Dieser hinterurwäldliche Ahne ist
der einzige Mensch, der nicht von Affen stammt.
Ich habe noch unseren Stammbaum in ßlüte. Ihr
wollt es nicht glauben, aber der Maler mit ter un-
geheuren Handschrift wird mir glauben, daß ich
von der Ananas stamme. O, dieser berauscheude,
wilde Fruchtkopf mit dem Häuptlingsblattschmuck!
Ich habe noch nie davon probiert, nicht einmal ge-
nascht, aus Pietät, und dabei könnt ich meine
pflanzliche Abkunft auffressen, wie ein Menschen-
fresser.

Herwarth, weißt du, daß Lukas Cranach schon
die Venus von Siam als Kete Parsenow gemalt hat.
Also nicht ich alleine weiß, daß Kete Parsenow die
Venus ist, die wirkliche Venus. Ich sah die Venus
lächeln, ich spiegelte mich in den Thränen der Ve-
nus, ich sah die Venus tanzen, ich sah die Venus
sterben. Ich, ich, ich, ich kann mich kaum mehr
berühren vor Ehrfurcht.

Humoristen

Ja das sind so Sachen

Auch Mirza Spiral, der Diogenes aus Frank-
furt, warf mit seiner Laterne „humoristische
Schlaglichter“ auf das Marokkoabkommen. Dieser
Neuklassiker, dem diedeutsche Museim
Haushalt der „Lustigen Blätter“ als Mädchen für
Alles dient, verabscheut den Kongoneger, der in
der Not mit Vorliebe seinen Nächsten auffrißt. Das
soll grausam sein. Und überhaupt liegen — nach
der Mitteilung eines Missionars — die Verhältnisse
in der neuen Kolonie so, daß einem deutschen Dich-
ter darüber die Haare zu Berge stehn miissen.

Die Eingeborenen? Ja das sind so Sachen,
Genau beseh’n: dumm, dreckig, frech und roh,
Als deutsche Brüder, inein’ ich, nicht zum

Lachen

Und Bildung? ein erbärmliches Niveau.

Sie schreiben nicht und lesen keine Bücher,

Ihr einz’ges Kleid: ein dürft’ger Blätterschurz,
Sie leben nicht viel besser wie die Viehcher —
Doch was tut Gott? sie leben ziemlich kurz,
Dieweil die Gier nach leck’ren Delikatessen
Sie treibt sich gegenseitig aufzufressen.

Sie schreiben nicht und lesen keine Bücher. Aber
hierzulande gibt es Literatureingeborene, die sogar
Bücher schreiben. Und das ist auch grauenvoll.
Denn die Bücher sind, genau besehn: d u m m,
dreckig, roh und frech. Und das Publikum
treibt es, in der Gier nach Delikatessen, sie aufzu-
fressen. Auf hohem Niveau. Doch was tut Gott?
Die Bücher leben ziemlich kurz. Ihre Lektüre
wirkt schließlich auch auf das dickhäutigste Ge-
müt wie der Stich der Tsetsefliege. Aber sie kre-
pieren an ihren Opfern.

Unstimmigkeit im Hause Uilstehi

„Den schwerblütigen Ernst zu verbannen und
u n s dafür die Wohltat herrlichen Lachens zu

schenken, hat Norbert F a 1 k ans den Literatur«»
der Völker des Abend- und des Morgenlandes
gleichsam einen Extrakt von Fröhlichkeit heraus-
öestilliert“. Den Umschlag des lustigen Buches
ziert ein übermütiges Bild.

,JEin derb fröhlich grinsender Narr mit der
Schellenkappe betrachtet durch eine Lupe
allerlei sich höchst wichtig gebärdendes Volk,
das in eingebildeter Würde vor ihm ednher-
stoiziert. Selbst der König mit Krone und
Szepter fehlt nicht. Aber die Abzeichen des
Königtums helfen dhm nichts — winzig klein
wird er unter der L u p e des großen Gleich-
machers Humor — w i n z i g k 1 e i n.“

Unter einem Vergrößerungglas.

Aber so leiclit läßt sdch der schwerblütige,
widerstandsfähige Ernst nicht verbannen. Je mehr
die beliebten Nur-Humoristen sich mühen, ihn zum
bettelarmen Eckensteher des Lebens herabzu-
drücken, desto befreiender und wohitätiger
wirkt er.

Im „Buch des Lachens“ sind die Seichtesten
aufgboten, d;es Lebens Tiefstes zu überbrückem
„Wir treffen da einen engeren Landsmann, den Ber-
liner Adolf Glaßbrenner, dessen Humor mit Spree-
wasser genrischt ist, aber dadurch nicht nüchter-
nerwurde; im üegenteil!“
v e r wäs s e r t e r

„Rosegger und Ganghofer, die alpeniändischen
Humoristen, haben sich eingefunden, der ge-
mütliche Johannes Trojan und, Eduard Pötzl,
der Wiener Lokalhumorist, über den ma»
sich totlachen kann. Und von den
Neueren und Neuesten kommen alle zu Wort,
die Witz und Laune mitbringen, Ernst von
Wolzogen, Fritz von Ostini, Georg Hermann
(mit einem ulkigen Kapitel aus seinem „Ku-
binke“), Hans Brennert, Roda Roda, Karl
Schönherr, der diesmal garnicht tragisch
auftritt, Ludwig Fulda, Rideamus, der lustige
Frechling“ —

Nur drei Wochen vor dieser „Würdigung“ hat
Herrn Rideamus ein anderer Kritiker Ullsteins an
derselben Stelle eine Schelle unter die Kappe
geschlagen.

„Der vorausgegangene Akt von Rideamus, wenn
ich recht berichtet bin, schon früher ander-
wärts gespielt, wäre nicht der Rede wert,
wenn er nicht in der faustdicken, klobigen Ero-
tik dieses Schriftstellers, der heute unbegreif-
lich viele Leser hat, so unsympathisch wäre,
daß man ihn zurückweisen miißte.“

Was ist mir Rideamus? Ich will nur lieber
hundert Jahre in Trauer und Schwermut leben, al 5
mich an einer Skizze Pötzls tot-
1 a c h e n.

J. A.

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Notizen

Die Nummer 92 der Zeitschrift „Der Sturm“
wurde auf den Bahnhöfen wegen der Aktzeich-
n u n g von Ludwig Kainer nicht zum Verkauf
gestellt. Sie ist durch die Buchhandlungen, Kioske
und direkt durch den Verlag „Der Sturm“ zu be-
ziehen.

Der Originalholzschnitt von M a x P e c h -
s t e i n in dieser Nummer ist vom Künstler drei-
farbig handaquareiliert und signiert worden. Die
numerierte Auflage (einhundert Exemplare) aui
schwerem Papier ist zum Preis von d r e i M a r k
für das Exemplar nur d«rch den Verlag „Der
Sturm“ zu beziehen.

Vtrlag Der Stura

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