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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 84 (November 1911)
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Raphael, Max: Purrmann und Levi
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Dirsztay, Victor: Unser Photo, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0230

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rakter, die Stabilität zu suchen. Man wollte sejne
Sensationen bannen, kondensieren, konzentrieren,
man hielt sich mehr an Cezanne als an Renoir.
man arbeitete wieder mit der Linie, man zeichnete
wieder. Diese Tendenzen schienen für Purrmann
die fruchtbarsten Stileiemente zu enthalten, sie
schienen seiner Begabung und der Art seiner Sen-
sationen adäquat. Und mit großer Selbstdisziplin
nahm er seine Kraft in die Zügel, um die neuen
Prinzipien mit seinem Qeiste zu füllen. Was
Purrmann in dieser Epoche geschaffen hat, kormte
den Verehrern seiner Frühwerke vielleicht furcht-
sam erscheinen. Aber sie unterschätzen die un-
geheuren Dienste, die jhm dadurch verschafft
wurden. Seine Werke, die früher von Jugend leb-
ten, sind gehalten und gebändigt in ihrer Kraft.
Sie sind vornehm in Farbe und Zeichnung gewor-
den, sie sammeln und konzentrieren alles, was zu
sagen ist. Die Arbeiten sind mehr durchdacht, sie
sind berechneter, überlegter, gewollter. Aber hin-
ter diesem Raisonnement steht die gleiche frische
Kraft wie früher nur auf einer sehr soliden Qrund-
lage.

Ich glaube, Purrmann verdankt es seinem kla-
ren und immer wachen Intellekt, daß er sich auf
diesem Wege zur Konzentration seiner Sensatio-
nen den Einflüssen von Matisse fernhält. Er hat
sich an ihm orientiert, aber er hat nie mit ihm den
Schwindel getrieben, der in den Sälen des Inde-
pendants sich bemerkbar macht. Er hat ihm vie!
zu danken, aber er ist immer ganz er selbst ge-
blieben, er hat nicht mehr und nichts anderes
getan. als soviele begabte deutsche Künstler vor
ihm.

Ich könnte vieles von dem, was ich von Purr-
mann gesagt habe, bei Levi wiederholen. Auch
bei ihm ist das Streben nach Konzentration und
Stabilierung der Sensationen, das Suchen nach
den geeignetsten Ausdrucksformen. Daß zwei
Künstler von solcher Inteiligenz sich an den neuen
Stilformen bilden, beweist am besten ihre
Fruchtbarkeit und Notwendigkeit. Der Geist der
jungen Qeneration findet nicht mehr Platz zwischen
den Relationen von Natur und Persönlichkeit, von
Farbe; und Farbe, wie der Impressionismus sie für
sich genügend fand. Die neue Sensation hat vor
allem eine neue Forderung gestelit: die Forde-
rung nach dem geschlossenen Bilde. Der Impres-
sionismus war Naturpsychologie. Man , interpre-
tierte die Natur, mit der die gemaite Leinwand
nie die Beziehung verlor. Man ordnet innerhalb
des Naturausschnittes alles mit Beziehung auf die
Wirklichkeit und kiimmerte sich meistens nicht
weiter um eine Bildeinheit, als daß eine farbige
tiesamtharmonie zustande karn. Das lag in der
impressionistischcn Schaffensart begriindet, konnte
aber die jungen Kiinstler nicht hindern, darüber
hinauszugehen. Man unterwarf seinen Qeist nicht
niehr der Natur, nm sicli von ihr Gesetze zu hoien,
sondern dem Bilde. Man ging von detn Flächen-
format aus, auf dem man arbeitete und wol'lte zu-
nächst vor allem ein Equilibre in Linien, Farben
und Vaieurs erreichen. Darum gab jetzt die Biid-
einheit die Qesetze für die Verteilung der Massen,
für die Harmonisierung der Linien, für die Durch-
rechnung der Valeurs. Man ging damit einen
guten Schritt auf die Traditionen zuriick, entfernte
sich aber nicht von der Qrundlage der ntodernen
Sensibilität. Kurz, man wurde nicht im geringsten
akademisch, indem man alte und gesunde Kunst-
forderungen atifnahm, sondern rnan versucht neue
Bilder, neties Gleichgewicht und Verteilung der
Eläche zu schaffen, wie der Impressionismus eine
tteue Naturanschauung geschaffen hat. Levi, der
sich in seinen Stilieben besonders bemüht, inner-
halb der Konzentration seiner Sensationen . ein
neues Equilibre zu finden, eine persönliche Aus-
gleichung der Lirtien und der Valeurs, befindet
sich auf einem guten Wege. Man spürt auf jeder
Taiel seine Begabung und seinen selbständigen

Wiilen, der noch immer weiter danach strebt. sich
von allen Einflüssen zu einanzipieren.

Es ist eine neue Arbeitskraft und eine jteue
Energie, die in diesen Künstlern steckt. Nichts
rnehr von einem blöd-geniaiischen Draufloshauen,
bei dem der Kiinstler selbst.nie weiß, was heraus-
kommt, keine Malerei ä ,1a maniere de . . ., die
ebenso einfach wie schwindelhaft ttnd geistlos ist.
Als Laie kann man diese Energie kaum einschät-
zen. Man müßte noch dazu halten, daß ihnen aus
freiwilliger Wahl jeder Kontakt mit dem Publikunr
fehit.

M. R. Schönlank

Der Beitrag entstand inr Erühjahr zu Paris,
während gleichzeitig in Berlin (Salon Cassirer)
Bilder der beiden Künstler ausgestellt waren.
Die Berliner Kritik hat sie fast ausnahmslos ge-
schnitten oder verurteilt.

Unser Photo

Schluss

Herr von Angyal zuckte nervös mit den Elii-
geln, sah niich mit seinem Zwicker, der ihm ietzt
auf die Nasenspitze zu sitzen kam, strerrg an, und
gab folgendes Paradoxon von sich: „Es gibt auch
ekelhafte Menschen. Urtd Sie sind Einer!“
Sprach s und ließ mich tiiit meinetn Apparat stehen.
I rotzdem nun die kühn paradoxe Fornt dieses Aus-
spruchs zum tieferen Eindringen in seinen Sinn
reizte, konnte ich seirter Qedankeiirichtung doch
keinen rechten (jeschntack abgewinnen. Ich darf
ihnen bei dieser Qelegenheit eine kleine Unge-
schicklichkeit meinerseits nicht verhehlen. Als sich
nämlich tiach dieser paradoxen Aeußerung Herr
voit Attgyal zurn Qehen wandte, stieß ich wohl
infolge einer momentanen Unachtsamkeit mit mei-
nem Unterleib gegen seinen ausgestreckten rechten
Ftiß. Der Zusammenprall war ein so heftiger. daß
ich ein gutes Stiick wegfiog. Es ist wohl iiber-
flüssig zu bemerken, daß ich rnich wegen rneiner
Unvorsichtigkeit vielrrials entschuldigte und Herrn
Angyal frug, ob er sich nicht um Qottes Wiilen
weii getan habe. Er schien aber gar nichts ge-
spürt und gar nicht ungehalten zu sein. fch hatte
nuit, ich muß es gestehen, große Schmerzen und
auch Angst, daß sich bei rnir, durch tnein kleines
Malheur, am Ende gar die Anzeichen eirter leichten
Bauchfellentzüiidung einstellen könnten, doch
scheint, wie ich zu Ihrer Beruhigung mitteilen
kartn, jede Qefahr bereits geschwunden zu sein.
(rerade im rechten Augenblick nun, da ich meinen
Gercle beendet hatte, rief mich die Klingel in das
Empfangszimmer des Allmächtigen zurück. Als
ich ihm meine Erlebnisse erzählte und meiner Be-
fürchtung Ausdruck verlieh, ich sei im Begriffe,
eine Bauchfellentzündung zu bekommen, meinte
der hohe Herr aufmunternd: „Fahren Sie nur so
fort! Sie sind am rechten Weg! . .“ Dcr Sinn
dieser Bemerkung biieb rnir rätselhaft. Ueberhaupt
schien ritir der hohe Herr zerstreut und in Qedan-
ken noch imnter mit der jiingsten Telefonnachricht
beschäftigt. Auf meine untertänigste Frage nun,
wer ihn demi angerufen habe, rneinte er lächelnd:
„Es war die Effektenbörse Ihrer 1. Haustadt. Sie
müssen nämlich wissen, daß die Leute auf der Erde
bei ail ihren Wiinschen fortwährend meinen Nameti
im Munde führen. Da ich nun nicht ressortwidrig
vorgehen will, so ntuß ich jeden Moment zum Te-
lefott rennen, um mir alle Wiinsche meiner irdi-
schen Unter und Un Tamen“ wie er hier
feinscherzend bemerkte, — „anzuhören. Schon
den ganzen Vormittag habe ich keine Rtihe. Dertn
da sind doch die Gerichtsverhandlungen, ich werde
ununterbrochen zum Zeugett angerufen. Jeden
Moment schwören >die Leute bei meinem Namen
und was tut Gott? Sie schwören alle falsch. Und
um die Mittagszeit bin ich auch sehr beschäftigt!
Da gehen die Leute in ibrer Heimatsstadt am Korso

spazieren: was ich da angerufen werde! Ich soH
ntachen der eine soll zerspringen, weil die Pa-
piere v ron ihm steigen, der andere, weil er ein
60 • H.P;-Automobil hat. Und Nachmittag werde
ieli viel angerufen vom Gerbeäud, wegen den' Toi-
lctten, uricl auch weil sich manche so ansappen!
Sogar abends belästigt man rnich. Da sind doch
diese eleitden philharmonischen Konzerte itnd The-
atervorstellungen. Der bescheidenere Teil geht
hinein, um das Ende abzuwarten; die meisten aber
warten gar nicht, sondern schlafen g I e i c h ein.
Da heißts dann: „Qott wie fad!“ Wissen Sie, wenrt
■es nach diesen Leuten ginge, müßte ich den ScWag
tiir Budapest reservieren. Urtd dann gibt
es doch leider eine Menge Telepho-
nieren außer den Anitsstunden. Wenn so ein
Schnupfen in die Stadt kommt, schreit doch ein
jeder wohierzogene Mensch: „Helf Gott!“ 'U'nd
was mir doch die Börse auf die Nerveit geht!“

Ich, der ich seinem Ideengange mit dem größ-
ten Interesse gefolgt war, erlaubte mir hier meine
Teilnahme durch ein verständnisvolles Schmun-
zeln Atisdruck zu verleihen. Da klingelte es wie-
der heftig am Telefon. Der erste Qott schaute
zornig auf seine Patent-Sonnenuhr. „E s feh len,
da Sie da sind, natürlich einige Miniiten auf 2 h,"
sagte der hohe Herr, mich mit strengem Blick mu-
sternd. Ich fattd diese Bemerkung sehr nett, da
sie von dem regen Interesse sprach, mit dem mein
hoher Klient den Kern rneines Wesens zu erfas-
sen geruhte, und ich besonders auch den 1 e b e n s-
f r o h e n H u m o r, der aus diescm Appercu leuch-
tete, dankbar bewunderte. „Leider habe ich bis
Mittag Amtsstunde,“ sagte der erste Qott, ver-
drossen und eilte pflichtbeflissen zum Telefon.

Da ich angestrengt lauschte natürlich nur.
um Ihrem g. ßlatt einen recht interessanten Be-
richt zukommen lassen zu können, - hörte ich den
hoheit Herrn deutlich folgendes sagen: „Sie haben
ganz recht. Es ist wirklich ein ekeihafter Mensch'!“
Dabei nannte er zu meiner größten Verwunderung
meinen Narnen. Nun muß ich gestehen, daß niich
das Gehörte im ersten Augenblick nicht nur mcht
angenehm, sondern geradezu unangenehnt be-
rührte. Vom Apparat zurückgekehrt, verkiindete
der hohe Herr als Antwort auf nteine fragende
Miene, indem er jedes Wort feierlich betonte, das
l'olgende Machtwort: „PONEM, NOMEN, OMEN!"
Dies blieb tnir nnklar. (Wir glauben, diese Worte
stammen aus einem verschollenen Zitat atis dem
Alt. Testament.: Deuteronomii. Mosis IV. Lib. 2.
Cap. Vers. No. 117. Ab. d. Anm. d. Red.)

Ich hielt es nun an der höchsten Zeit, meinen
Abschied zu beschleunigen tind war gerade bei der
Himmelstüre angelangt, a!s ich plötzlich cin ztern-
lich schmerzhaftes und mir wohlbekanntes Qefühi
hinterrücks verspürte utrd zugleich ein gutes Stück
aus der Himmelspforte hinausflog.

Im Qanzen erfreqt tiber den so g e 1 u n g e -
n e n Besuch, trat ich mit bestem Schwunge den
Riickflug an. Leider mußte ich dtesesmal unver-
richteter Dinge abziehen. Doch hoffe ich bestimmt
in Bälde meinen Besuch zu (erneuern und eine
schöne Photographie mitzubringen, umsomehr als
das geschilderte, geradezu intim zu nennende Ver-
hältnis zu meinem hohen Klienten, und der schöne
Empfang, der mir da oben zuteil wurdc, sowie auch
dic iibrigen, Ihnen geschiiderten Erlebnisse mir
zeitlebens eine schöne und liebe Erinnerung bleiben
werden. ! ! !“

Wir aber hoffen zuversichtlich, daß die Ad-
ministration unseres Weltblattes die erste sein soll,
die sich schon zu Weihnachten deni Wohlwoilen
seines verehrten Leserpublikums mit eineni authen-
thischen und wohlgelungenen Konterfei des ersten
Qottes zu empfehlen in der angenehnten Lage sein
wird!

Viktor von Dirsztay

Verantwortlich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

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