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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 81 (Oktober 1911)
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Dirsztay, Victor: Unser Photo, [1]: Originalbericht der Freien Neuen Presse
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Adler, Joseph: Von Sedan bis Budapest
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0204

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dazu bereit. Von seiner Mission zurückgekehrt,
teilte er unserem m-Korrespondenten in liebens-
würdiger Weise die Einzelheiten dieser interes-
santen Sitzung mit. Wir erteilen ihm hiermit
das Wort:

„Sie können sich vorstellen“, begann der
Herr Hofphotograf, „dass ich mich ob der
schmeichelhaften, doch recht schwierigen Mis-
sion, mit der ich Ihrerseits betraut wurde, et-
was befangen fühlte. Ich wollte hauptsächlich
um keinen Preis zudringiich erscheinen, — Sie
wissen ja, man wird bei einer solchen Gelegen-
heit off falsch verstanden —, und ich schmeichle
mir, dass mir dies auch keineswegs misslang.
(Dieser Passus blieb uns unklar. Anm. d. Red.)
Nun hören Sie also: Vorerst begab ich mich,
natürlich im Frack und mit dem Abzeichen der
Legion d’Odeur, die mir in so sinniger Weise
vom pontevedrinischen Grossfürsten verliehen
wurde, auf kiirzestem Weg in den Himmel. Dem
Pförtner, der die Kontrolle fner sehr rigoros
handhabt, stellte ich mich mit den schlichten
Worten: „Von der Presse“ vor, worauf er na-
türlich die obligaten drei Schüsse von sich gab,
und mich sofort vorliess. Wie strenge die Kon-
trolle hier gehandhabt wird, ersah ich daraus,
dass eine Deputatiön, der mit den ihnen immer
noch zu niedrigen Diskonto diskontenten Dis-
kontanten, ebenso aber auch die mit den teue-
ren Mehl-Conto ’mal contenten, ’mal aber auch
nicht contenten Malcontenten unbarmherzig ab-
gewiesen wurde, trotzdem die Herren mit auf-
gehobenen Hemden (Sollte da nicht ein Druck-
fehler vorliegen? Anm. d. Red.) um Einlass fleh-
ten. Der hohe Herr, der über mein Kommen
informiert und noch im Schlafrock war, emp-
fing mich mit gewohnter Liebenswürdigkeit, was
wohl nicht in letzter Linie auf die ausgezeich-
neten Verbindungen Ihres w. Blattes, die sie an
höchster und allerhöchster Stelle unterhalten, zu-
riick zu fiihren sein wird. Nachdem ich mich
vorgestellt, mindestens eine Sekunde geschwiegen
hatte und mich der hohe Herr durch eine An-
sprache auszuzeichnen noch nicht geruht hatte,
erlaubte ich mir nun an ihn die ganz ergeben-
ste Frage zu richten, ob er wohl geruht habe?
„Na“ lautete die kurze, aber äusserst liebenswür-
dige Antwort. Hierauf begann ich die Sitzung.
Bei dieser Gelegenheit erlaubte ich mir nun zu
bemerken, dass durch das überaus stark blen-
dende Licht, das von dem hohen Haupte ausging,
meine erste Piatte leider verdorben worden sei
und dass ich daher eine zweite einstellen müsste.
Hier unterbrach mich ein sinniger Einfall des
hohen Herrn. In aller Ruhe griff er nämlich
nach seinem Hauskäppchen und setzte es auf. So-
fort erlosch der störende Lichteffekt.

Hier muss ich nun gestehen, dass die äu-
ssersf ungünsfige Beleuchtung im Himme! eine
richtige Fixierung mir wesentlich erschwerte.
Durch geraume Zeit quälte ich mich mit der
Einstellung des Objektivs, als auf einmal mein
hoher Klient liebenswürdiger Weise also zu mir
sprach: „Aber lieber Herr Hofphotograf, bemü-
hen Sie sich nicht so sehr! Schon lange wollte
ich der Beleuchtungsmisere, die sich auch mir
durch allseitige Klagen der Bevölkerung kund-
gibt, abhelfen. Ihnen kann ich es ja sagen, dass
mir seinerzeit — hier ein kleiner Rechenfehler un-
terlaufen ist.“ Sie können sich vorstellen, wie
grenzenlos schmeichelhaft die nun folgende Mit-
teilung über die Intimitäten aus der Schöpfungs-
geschichte mich berührte, die Ihrem w. Blatte auch
die angenehme Gelegenheit verschaffen soll, na-
türlich bei diskreter Nichtnennung meines Na-
mens, einen sensationellen Artikel zu veröffent-

lichen, warum es auf unserer Erde, besonders
im Winter so dunkel ist. „Ich weiss dies wie
gesagt recht wohl,“ fuhr der ersteGott nun fort,
„und nur durch die gegenteiligen Vorstellungen
der Vereinigten Petroleum-, Gas- und Auer-Licht
Actien-Gesellschaft, deren Actionäre bei der jet-
zigen miserablen Beleuchtung sehr viel (25) ver-
dienen (hier sind wahrscheinlich Prozente zu
verstehen, Anm. d. Red.) und darum stets treu
zu mir halten, liess ich mich von einer tief-
greifenden Reform des Beleuchtungswesens auf
der Erde abhalten. Nun stampfte der erste Gott
mit grosser Gewalt gegen den Boden und ich
muss gestehen, dass es entschieden heller
wurde. Ich muss hier bemerken, dass trotzdem
ich ganz in Bewunderung versunken war über
dieses seltene, von höchster Stelle vollbrachte
Wunder, das zu sehen ich das grosse Glück
hatte, mir die Tatsache doch keineswegs entging,
dass der Fusstritt, der dieses Wunder hervorrief,
leider gerade jene Stelle des Himmelsbodens traf,
wo sich derzeit mein Fuss sammt den dazuge-
hörigen Zehen gerade befand, und mir besagter
Tritt einen ganz erheblichen Schmerz bereitete.
Ich rief: „Au! Das tut weh!“, doch gab kei-
n e n Ton von mir. Hier nun kann ich einen
ganz reizenden Zug der Allgüte des hohen Herrn
auführen, der mich geradezu rührte. Als er
nämlich mein leidendurchwühltes Gesicht sah, —
ich bin nämlich sehr empfindlich, — sagte er
in neckischem Tone zu mir: „Der kleine Tritt
schmerzt wohl, mein Gutester?!“ und blickte
mich recht gütig an. Diese rosige Stimmung
hielt nun der hohe Herr auch fürderhin bei,
was meine Aufgabe nicht unwesentlich erleich-
terte. Bevor ich daran ging, die richtige Pose
zu stellen, geruhte sich der hohe Herr danach
zu erkundigen, wer zu Hause von Notabilitäten
denn gesessen sei, — er meinte natürlich, wer
m i r gesessen sei, — und ob ich auch Frauen-
portraits ausführte. Ich bejahte dies und bemerk-
te hieran anschliessend, dass namentlich was un-
sere Frauen betrifft, an Schönheit und Liebreiz,
mit dem ihrer guten Gestalt wegen so berühm-
ten Engeln es getrost aufnehmen könnten. Da
der hohe Herr bei diesem Thema eine Sach- und
Personenkenntnis verriet — er war nämlich über
die Verhältnisse unserer schönen Frauen in ei-
ner sogar das Durchschnittsmass s e i n e s All-
wissens übertreffenden Weise orientiert, — kann
ch über diesen Punkt seiner Ausführungen nichts
berichten, ohne meiner bekannten Verschwiegen-
heit etwas zu vergeben.

Viktor von Dirsztay

Fortsetzung folgt

Von Sedan bis
Budapest

Nur nicht wieder einen Krieg

Wir hätten, wäre die Schlacht von Sedan
nichi geschlagen worden, einen Grossen weniger
in den Reihen der besten Dichter unserer Zeit.
Einen jener, dessen meisterhafte Romane und No-
vellen in „langer Kette“ folgten, „mit ihrer glut-
vollen Leidenschaft, der Kraft ihrer Sprache und
der oft hinreissenden, düsteren Gewalt der Stim-
mung.“

Schmöcke und Literaturmakler bliesen dem
Schmied der langen Kette meisterhafter Romane
und Novellen, schmachtend unter ihrer hinrei-
ssenden Gewalt, zum 2. September, seinem 60.
Geburtstag, ein Freudenfeuer an, dass allens nur

man so rochte. Und gerade auf dem Schlacht-
feld von Sedan, dem furchtbaren Erntetag des
Todes, wurde in ihm, dem Richarcl Voss,
der Schriftsteller geboren.

Wie die Entbindung vor sich ging, erzähit
er in anschauerlicher Weise:

„Eines Oktobernachmittagis ging ich zum
letztenmal über einen Teil des Schlachtfeldes, es
war tiefe Herbststimmung: welke, lautlos von
den Zweigen herabsinkende Blätter; welke, vom
Frost braun gebrannte Blätter; Nebelgeriesel und
die Sonne bereits machtlos, den dichten Dunst
zu durchbrechen. Der Abend brach herein —
ein unaussprechlich schwermütiger, dunkler, stern-
loser Abend, an dem die Welt alle Hoffnung
auf Licht hinter sich zu lassen schien. Ich ging
durch das zerstörte Bazeilles und dann über die
Wiesen der Maas zu. Ich d a c h t e an das Er-
lebte; und wie ich über alles so recht n a c h -
d a c h t e , ward ich mir plötzlich bewusst, dass
ich mich nicht mehr jung fühlte, dass ich in
diesen Herbstwochen ein anderer Mensch gewor-
den war, ein sehr ernster, sehr trauriger Mensch.
Was ich in jener Nacht g e d a c h t habe, ge-
staltete sich später zu einem Büchlein, welches
ich ,Nachtgedanken auf dem Schlachtfeld von Se-
dan’ nannte.

Niemals zuvor hatte ich mir träumen lassen,
in mir könnte ein Schriftsteller stecken — auf
den Schlachtfeldern von Sedan wurde er in mir
geweckt.“

Wie sagt doch schon Schiller so treffend?
„Der Krieg hat kein Erbarmen“.

T anz der Kritik um die Wiesenthal

Der Walter Turzsinsky:

Im ,Theater in der Königgrätzerstraisse', das
sich den Herren Meinhard und Bernauer, Direk-
toren des Berliner Theaters, u n t e r s t e 111 hat,
tanzt Grete Wiesenthal in einer neuen Pantomi-
me von Hugo von Hofmannsthal: ,Das fremde
Mädchen’, eine Mischung von Eugene Sue und
Edgar' Allan Poe.

Viele Zeitungsschreiber verlieren sich jetzt
immer tiefer in „Mystik“. Ihr Erinnerungsver-
mögen schrumpft zu ein paar Notpfennigen der
Phrase zusammen. Turzsinsky erklärt das „frem-
de Mäclchen“ als eine Mischung v o n S u e und
P o e , ein anderer siehf darin „e i n t r i s t e s
Ding im Balzacstil,“ das der Wiesenthal
keini' Gelegenheit gibt, ihre Kunst zu „entfal-
ten“. Nach Turzsinsky wäre in dem Nachtstück,
dem „fremden Mädchen“, durch die Unklarheit
seiner Absichten ein Hohlraum geblieben, wenn
Grete Wiesenthal nicht in der Lage wäre, alle
Lücken des Inhalts und der Form mit den
Schätzen ihrer Kunst zu fiillen.

So sind sie sich auch über die — doch augen-
fällige — Kunst der Wiesenthal nicht mehr im
Klaren, und man dichtet ihr Fähigkeiten an, die
schon die Grenze des Akrobatischen um mehr
als einen Zoll überschreiten.

Die Künstlerin tänzte Liszt’s zweite Rap-
sodie. „Dieses weitausholende Tongemälde, das
wie ein heisser, sonnendurchleuchteter Wind über
Ungarns Pussta weht. Die Wiesenthal nimmt
nun dieses brausende Tongefüge in ihre schlan-
ken Arme und hebt es auf wie einen glitzernden
Smaragd, tanzt über die breiten Wogen der Me-
lodie mit kleinen, festen Schritten und fühlt sich
schön und stark im Schreiten.“ Mit dem brau-
senden Tongefüge in den Armen, tanzt sie über
die breiten Wogen der Melodie. Also. J. A-

Verantwortlich für die Schriftieitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

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