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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 74 (August 1911)
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Walden, Herwarth: Zeitgeschichten
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Nr. 75 (August 1911)
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Die Vinnen gegen den Erbfeind
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0144

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Zeitgeschichten

Der Sänger mit dem Kronprinz

Herr Regierungsrat Zache hat ein Buch er-
scheinen lassen: Mit dem Kronprinzen durch In-
dien. Ich habe es nicht gelesen, werde es auch
nicht tun. Was aber der Hauptmann Dannhauer
vom Lokal-Anzeiger darüber zu berichten weiss,
das muss man gelesen haben. Umsomehr, als
ausgiebig „eingestreute“ Zitate aus dem Buch
des Sängers Zache das Werk selbst entbehrlich
machen.

„In geistvoilem Feuilletonstil bringt er das,
was er während der Kronprinzenreise gesehen
und miterlebt hat, zu Papier; dabei weiss er
aucli die oft nicht zu umgehenden Reisemiseren
mit köstlichem Humor in eine amüsante Be-
leuchtung zu rücken. Der Regierungsrat
Zache, sagt der Hauptmann Dannhauer, ist ein
Mann von vielseitiger Bildung und verfügt über
einen reichen Schatz allerdings nur wertvoller
Erfahrungen. Man braucht sich daher nicht zu
wundern, dass Herr Sänger Zache „zu den Pro-
blemen verschieclenster Art mit treffenden eigenen

Urteilen Stellung nimmt. Andererseits.“

Andererseits verfügt der Autor über eine schöne
Sprache. Er benutzt sie nach Mitteilung des
Herrn Dannhauer dazu, „Schilderungen beim An-
blick zuvor noch nie gesehener Herrlichkeiten
im Wunderlande Indien bis zu stimmungsvoller
Poesie zu steigern. Mit männlicher Kraft greift
da der Dichter in die Seiten. So bei dem zau-
berhaften Anblick des Sonnenaufgangs im sagen-
umwobenen Himalaja. . .“ Indien hat dem Re-
gierungsrat die harten Töne beigebracht. Der
Sonnenaufgang wird sogar schon in der sagen-
umwobenen Mark Brandenburg stimmungsvoll
empfunden. Wie zauberhaft muss da erst die
Poesie im Himalaja ausfallen. Aber „noch stär-
ker begeistert“ wurde Herr Zache, als er den
herrlichen Grabtempel aus blendend, wirklich
blendend weissem Marmor cles grossen Mogul-
kaisers Djihan erblickte. Dieser Grabtempel, man
sollte es nicht für möglich halten, erhebt sich
in einem friedenatmenden immergrünen Park.
Der Friede wurde zwar durch zahlreiche Pilger
häufig gestört.

„Doch gelang es unseres Wissens bisher
noch niemand, die h i e r g e w o n n e n e n
Eindrücke zu bringen, wie das der Verfasser
in den seinem Buche e i n v e r 1 e i b t e n
stimmungsvollen Versen tat, die er in
nachstehender Schlussstrophe ausklingen lässt:

„Schlaf deinen Schlaf in der Zypressen

F r i e d e n !

Im Rosenclufte finde deine R u h !

Träum deinen Marmortraum! Kein Weib

h i e n i e d e n ,

Mumtas Mahall, warcl j e geliebt wie du.“

Wen diese Eindrücke nicht für Indien ge-
winnen, soll sich dort gleich begraben lassen.
Der Zache dichtet, uncl der Marmor schweigt.

Der Herr Wovon man spricht

Er ineldet Neues aus Paris, wovon man
spricht. Pariser Künstler wollen Damenschneider
werden. Der Herr vom Lokal-Anzeiger emp-
fiehlt den Firmen Paquin und Worth sich ihrer-
seits der Malerei und Bildhauerei zu widmen.

„Auch sie empfinden ihrerseits diese Kün-
ste als reformbedürftig.

„Sie sind mit den Erzeugnissen der „Ex-
pressionisten“, wie man sie zeitweilig ja auch

in Berlin zu sehen bekommt, vom ästhefi-
schen Standpunkt unzufrieden uncl haben sich
vorgenommen, eine bildende Kunst zu schaf-
fen, in der man die dargestellfen Gegenstände
wenigstens halbwegs erkennen kann. Man kann
gespannt sein, was die Kunstschneider und die
Schneiderkünstler der staunenden Mitwelt be-
scheren werclen.“

Wenn diese witzigen Bemerkungen den Ex-
pressionisten nichts schaden, werden sie sogar
die Kunstkritiken des Lokal-Anzeigers überleben.

Um Verbreitung wird gebeten
Sehr ernste Warnung!

Entleiben Sie sich niemals, unter keinen Um-
ständen! Nur der Dummkopf glaubt, dass er
nach dem scheinbaren Erschiessen, Hängen usw.
tot sei.

Der Aufgeklärte, Kluge, Vorsichtige weiss
längst, dass man sich iiberhaupt nicht tot ma-
chen kann. Nur die Hiille ist tot. Dies gilt
auch für die, welche im Kriege fallen; sie sind
nicht tot, und können es nicht sein, weil ein
Tod den Naturgesetzen zuwider ist. Was in-
wendig steckt, der Geist, der Dirigent, der
Befehlshaber, der Herr und Bewohner des Ge-
häuses, muss bewusst (ganz real) weiter leben.
Er nimmt alie guten und bösen Eigenschaften,
die er sich im Erdenleben erworben hat, und
alle Erinnerungen von Jugend auf mit hinüber
ins ewige Leben. Dort wird er gefragt, was
er g e t a n, was er gelernt, wie er sein Erden-
leben geniitzt hat.

Wer seine Hiille, sein Gehäuse selbst tötet,
muss für seine schlimme und feige Tat s o -
fort eine angst - und qualvolle Jen-
seitsleidenszeit antreten, die das Erden-
Iteid tausendfach verschärft, und die Füunderte
von Jahren dauern kann.

Ein Menschenfreund

Diese äusserst ernste Warnung wird in Bad
Schandau durch Tausende von Zetteln mit der
Bitte um Verbreitung verhreitet. Man hat clas
längst gewusst: Menschenfreunde sind überhaupt
nicht töt zu machen.

Der Saalbesitzer als Erzieher

In den öffentlichen Tanzlokalen Berlins wird
zu unschön und zu unanständig getanzt. Der
Vere'n der Berliner Saalbesitzer ist dagegen und
tut das einzig richtige: er ruft eine Protestver-
sammlung ein. Die Saalbesitzer sind durchaus
entrüstet. Besonders über das „schöne Geschlecht,
das in Sommerlokalen durch Beugen und Schie-
ben nicht nur hässlich und ungraziös, sondern
auch im höchsten Grade unanständig wirkt“. Da
der Verein sich durch „Selbsthilfe“ nicht mehr
zu helfen weiss, wendet er sich in seiner Not
verzweiflungsvoll an die Polizei. Die Polizei
soll das Beugen und Schieben verbieten. Schliess-
lich will der Saalbesitzer cloch für das Geld
seines Publikums wenigstens etwas anständiges
und graziöses zu sehen bekommen. Man ist
doch schliesslich nicht zum Verclienen Saalbe-
sitzer. Das „schöne Geschlecht“ könnte doch
allmählich auch wissen, dass. die Kunst kein
Vergnügen isf. Welch Glück, das die „Män-
nerwelt“ das Beugen uncDSchieben nicht auch
noch auf den T a n z ausdehnt. Vielleicht, weil
sonst schon genug gebeugt und geschoben
wird. Die Polizei wircl den Saalbesitzern bei-
springen, die „zulässigen Bewegungen fest-
legen.“ Bei Widerstand wird einfach geschos-
sen. Für Trommeln und Pfeifen sorgen die

Herr/n Saalbesitzer und der heilige Krieg für
die Sittlichkeit kann mit allen Apparaten losgehen.

Die Hitze

Auch der Königin Elisabeth von Rumä-
nien v/ar es zu heiss. Sie äusserte ihre Ansicht
hierüber „einem anwesenden Mitarbeiter des Bu-
karester Tageblatts“. Der Mitarbeiter war so ent-
zückt, dass er die Königin bat, einen Aufsatz
übet „Todesfälle infolge Hitze“ zu schreiben. Die
Königin von Rumänien, die als Carmen Sylva
durch ihre Dichtungen schon manches Buka-
rester und Berliner Herz entzückte, gab diesem
Ansinnen nach uncl schon ist die B. Z. am
Mittag „in der Lage“, einen königlichen Beitrag
zu veröffentlichen. Die Königin empfiehlt, bei
der Hitze von Obst und Wasser zu leben und
vor allem keinen Alkohol zu trinken. Sie
schiiessf ihre „bemerkenswerten“ Ausführungen
also:

„Kaffee ohne Zucker isUauch sehr gut, mit
Eis darin und ganz schwach. Auf Wohl-
geschmack nach deutschen Begriffen muss man
in solcher Zeit verzichten, und man wird ge-
sund bleiben und clurchaus nicht sterben. Kal-
ter Kaffee ist ein grosses Gut bei der Hitze,
nur nicht stark, sondern mit irgendeinem
sprudelnden Gewässer und Eis verdünnt. Bit-
te, beachtet, was ich sage. Denn ich spreche
aus vierzigjähriger Erfahrung und h a b e
einen Band R h e i n w e i n I i e d e r ge-
schrieben, woraus man ersehen kann,
dass ich meine deutschen Gefiihle
nicht verloren oder vergessen, sondern nur
beobachtet und studiert und Schlüsse ge-
zogen habe. In allen Ausschankstätten soll-
te man kalten Kaffee und kalten Tee servie-
ren, aber b e i 1 e i b e nicht kalte Milch_ Die

kann augenblicklich Tod herbei-
führen, was ich auch erlebt hab e.“

Der letale Ausgang ist hoffentlich nur ein
Uebersetzungsfehler. Ich ziehe Eiskaffee auch
dem Rheinwein vor. Aber lieber Rheinwein fass-
weise, als Rheinwein-Lieder bandweise. Die sind
bei keiner Temperafur zu vertragen.

Bezw®

„Ein Freund unseres Blattes“ beklagt sich in
der B. Z. am Mittag über die Berliner Fried-
hofsverhäitnisse, die dringend „Abhilfe erhei-
schen“. Nur der Kirchhof in der Bergstrasse
entwickelt sich. „Inmitten herrlicher parkähnlicher
Anlagen mit altem Baumbestand sind die Be-
gräbnisstätten belegen, in lauschigen Gebüschen
stehen Vogelschutzhäuschen, in den Alleen laden
gediegene, weisse Ruhebänke ein, über das
vergängliche Diesseits nachzudenken. Ueberall
ideale und praktische Zwecke miteinander ver-
bunden.“ Das Ideale sind die Ruhebänke und
das Praktische das Nachdenken über das ver-
gängliche Diesseits. Aber der Freund unseres
Blattes ist mit den praktischen Zwecken ohne
den idealen, wie man will, noch nicht ganz ein-
verstanden. „Ein besonders w u n d e r Punkt
ist die Anlegung bezw. Nichtanlegung von Toi-
letten auf den Friedhöfen. Meistens sind
sie garnicht vorhanden. Auchindieser Be-
ziehung ist der Sophienkirchhof mustergültig,
Er wird es aber noch mehr werden, wenn das'
alte baufällige Verwaltungsgebäude durch ein
neues ersetzt und der angrenz.ende Eingang
mit einem dem herrlichen Garten entsprechen-
den Portal versehen sein wird.“ Soweit
man verstehen kann, wird der bezw. Nicht-
anlegung von Toiletten, soweit sie garnicht vor-
handen sind, durch ein entsprechendes Portal

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