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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 96 (Januar 1912)
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Mürr, Günther: Hamburg, [2]
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Soyka, Otto: Die Literatur Karl Mays
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0326

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Leben und Tod auch in deni Drängen,

Stoßen und Warten und Zur-Seite-Springen.

Hart bei einander Weinen und Singen.

Verzagen und Kettensprengen,

Prei-sein und Herrschen und Dienen.

Glauben, Zweifeln, Fluchen, Beten.

Erfrieren und andre Versengen.

Vorwärts Stürmen, am Alten hängen,

Die Schwangre neben einer, die ihr totes Kinti

beweirit.

Kaufleute, die von Geschäften reden,
und Verliebte, die sich ihre Liebe sagen.

Männer, die sich Unglück säten,

Kinder mit lachenden Mienen.

Greise, die kühn es noch einmal wagen,
über den Rossen des Glücks die Geißel zu

schwingen.

Kinder, die überall sich Unheil erspähten.

Augen voll Lachen und Augen voll Verzagen.
Neues Unglück und seliges Erinnern.

Seliges Hoffen und alte Verzweiflung.

Stirnen, die wenig Liebe und großes Hassen tragen.
Sehnen nach Ruhe, nach Leben rohe Gier.

Und wer atich an andere denkt in Haß. in Liebe
fühit nur für sich und meint
sich und sich, sich selbst.

Fortsetzung folgi.

Die Literatur Karl Mays

Von Otto Soyka

ln gewaltiger Menge bereitet Karl May die
Lieblingskost seiner Leser, über deren Nährwert
die Ansichten geteilt sind. Der Karl May-Roman
ist, mit dem Verstand und nicht mit den Nerven
aufgenommen, ein sehr einfaches Ding. Heid ist
der Schriftsteller selber. Er personifiziert tfie Ge-
rechtigkeit, das Deutschtum und das Christentum.
Umgeben ist er von einem kleinen Stab ebenso
guter Menschen, deren Aufgabe darin besteht,
Dummheiten zu begehen, durch die der Held in
kritische Situationen gerät. Ohne diese Situationen
könnte er seine Ueberlegenheit nicht in das rechte
Licht setzen; auch der Abwechslung halber sind
sie gut. Der Held verfolgt nun durch zweitausend
bis zehntausend Seiten die Spur eines Verbrechens
entsetzlicher Art. Eingestandene Hilfsmittel sind
ihm dabei seine eminenten Verstandesgaben und
eine sportliche Tüchtigkeit im Reiten, Schwimmen,
Schießen, die ihm ein respektables Einkommen
sichern würde, wenn er sie europäischen Wett-
kämpfen spielen ließe. Uneingestandene Hilfsmittel
sind die unerklärlichen, besonderen Sympathien
der Naturkräfte für seine Angelegenheiten. Er
merkt es nicht; aber Sonne, Erde und Ströme sind
mit ihm im Bunde, richten ihre Funktionen nach
seinen Bedürfnissen ein. Wüßte er es, so könnte
er sich viel Mühe sparen, denn im schlimmsten
Falle würden diese Bundesgenossen doch alles
allein besorgen. Kein Hahn geht los, kein Stein-
chen fällt, kein Zweig bricht, wenn seine Aktion
dadurch gefährdet würde. Aber alle Elemente
sind gegen seine Widersacher verschworen. Die
Sonne blendet sie, die Flußströmung hält sie auf.
ihre Waffen sind wertlos, und ihr Verstand unheil-
bar schwach. Das könnte dem Helden fast ge-
fährlich werden. Denn diese Leute haben auch
die Aufgabe, ihn vor allen drohenden Gefahren
zu warnen. Sie miissen fortwährend von ihren
Mord- und Raubabsichten sprechen, damit er es
rechtzeitig erlauschen kann. Wehe ihm, wenn sie
einen Umstand vergessen, einen Weg falsch be-
schreiben, einen Mordanschlag verschweigen. Er
wäre rettungslos verloren. Aber diese wackeren
Bösewichte vergessen nichts. Der schriftstel-
lemde Held braucht sich nur in der Laubkrone
eines Baumes zu verstecken, und kann sicher sein.
daß die Oesuchten kommen werden, um detn

Darüberstehenden ahnungslos alles zu erzählen,
was ihn interessiert. Die Exaktheit ihrer Ge-
spräche vergißt keine Personsbeschreibung eines
Mitschuldigen, kein eigenes oder fremdes Ge-
heimnis. Der Bedrohte kann ruhig schlafen,

Es sind im Durchschnitt zehn Hauptver-
brecher, die er verfolgt. Sie werden stückweise
ausgerottet urid nach je zweihundert Seiten stirbt
einer. Nach der letzten Seite hat richtig auch der
letzte seine Strafe weg. Die Schwierigkeit liegt
in der Konservierung dieses Hauptschurken bis
zum Schluß. Bei seiner Mißliebigkeit im Natur-
bereich, die ihn detn Hunger, der Ertrinkungs-
gefahr, dem Ersticken aussetzt, bedarf es einer
eisernen Konstitution, um solange auszuhalten
Ferner ist es der Ueberlegenheit des Helden ganz
unmöglich, nicht in jedem Kapitel einmal die ge-
fährlichsten aller Feinde auf Onade oder Ungnade
in die Hand zu bekommen. Ihre ungeheuerlichen
Taten und Pläne schreien nach Rache. Nichts
könnte ihr fiir die Erhaltung der Spamiung so
kostbares Leben retten, wenn nicht der Schrift-
steller itn Christentum, wie er es versteht, ein
Wundermittel entdeckt hätte. Diese merkwürdige
Weltanschammg, die sich hier mit viel Getön und
sehr mit Unrecht christlich nennt, erlaubt es mtr.
den Gefangenen zu insultieren und ihm mebr oder
weniger schwere Körperverletzungen zuzufiigen.
Dann gibt man iliu seirter Schttrkenlaufbahn zu-
rück. Die Hinrichtungen werden zum Schluß von
der braven Natur vollzogen. Felsblöcke, reißende
Flüsse, scheuende Pferde, wilde Tiere besorgen sie
prompt und kostenlos. Der Verbrauch an diesen
ist kolossal. Der Held befleckt seine Hände nicht.
Er verschont den Feind. Die Schale seines Zor-
nes ist als Tropfenfläschchen konstruiert, in dem
ein Begriff von Nächstenliebe ttnd Güte als Ver-
schluß fungiert. Du sollst einen Hauptbösewicht
in deinem Roman nicht töten . . .

Gesichert ist das Leben des Helden durch
tnatich rührenden Zug seiner Gegner. So besitzen
alte die Leutchen, ob gelb, ob rot, ob weiß (si<j
variieren nur in der äußeren Farbe, nicht in der
Schwärze ihrer Seelen), eine naive Lust und
Freude an phantastischen Todesarten, Qualen und
Kämpfen, zu denen sie ihre Gefangenen heran-
ziehen. Denn dank der eigenen Güte und frem-
der Dummheit gerät auch der Held in Gefangen-
schaft, und die sieht bei den moralischen Quali-
täten dcr Gegenseite meist recht bedrohlich aus.
Hier erkennt man, wie der Schein trügt. Bei aller
Niedertracht dieser Herren Verbrecher kommen
ihre Gefangenen immer vie! besser weg, als jene
Armen, die das Unglück haben, in die Hände der
Gerechten zu fallen. Sie, die Bösen, schimpfen
höchstens. schlagen nicht einmal, beschränken
sich iiberhaupt auf ein Minimum ehrenrühriger oder
schmerzlicher Handlungen, während es auf der
Seite der Güte an Roheitsakten nie fehlt. Die
Schurken drohen nur. Nach der dritten Wieder-
holung solcher Gefangenriahmen weiß man aber.
was man davon zu halten hat, glaubt ihnen nicht
mehr und ist von ihrer Menschenfreundlichkeit
innerlich fest iiberzeugt. Sie töten nur Neben-
personen. Für anteilnehmende Leute ist ihr Vor-
gehen geradezu aufreizend. Wie oft möchte man
die Drohungen der Bösewichte unterbrechen: „So
bringt den Keri doch endlich um! Nach fiinf Seiten
ist er frei und belästigt euch in seiner zudringlichen
Weise weiter!“ Es wäre vergeblich. Sie lemen
das nicht nach fünfzig Romanen von vielen tau-
send Seiten.

Was bedeutet aber eine solche Erzählung für
den Leser, der willig auf Verstandskritik verzich-
tet hat? Ein Spaziergang in der besten der Wel-
ten, ein Aufenthalt im Schlaraffenland befriedigter
Geffihle und Gefühlchen. Die gute Sache siegt.
die Sympathie wird befriedigt, das Mütchen ge-
kühlt. Zahllose angenehme Empfindungen drängen
einander, überstürzen sich, macben sich den Rang
streitig. Es wäre wirklich unbescheiden, mehr zq
fordem. Das bißchen Wahrscheinlichkeitskredit,

das der Leser freiwillig eingeräumt hat, trägt ihm
reichlich Zinsen. Störend bleibt vielleicht alkiit
die Selbstgefälligkeit des Autors, das Wohlbe-
hagen, mit dem er sich in seiner Prachtrolle be-
spiegelt. Dafür ist das auch jene Rolle, in die
sich der Leser hineinzudenken hat; die einzige
ihm anpaßbare Rolle, die eines europäisch gebilde-
ten, christlich denkenden, deutschen Mannes. Sie
ist das einladende, bequeme Lager, auf dem man
sich nur niederzulassen braucht, um sich den
opiumartigen Genüssen der Spannungslektüre hin-
zugeben. Je besser die Rolle, desto höflicher ist
diese Zumutung an den Leser.

Soll man einen modernen Kreuzzug etwa in
der Form der Antialkoholbewegung gegen diese
Art Literatur predigen? Der Schriftsteller er-
zielte mit ganz geringen Mitteln den stärksten Er-
folg. Er hat, was von wenigen Größen der Lite-
ratur widerspruchslos zugegeben werden kann.
die Summe angenehmer Empfindungen bei seinen
Zeitgenossen wirklich und fühlbar vergrößert.
Einer widerstandsfähigen geistigen Konstitution ist
dabei kaitm ein merkbarer Schaden zugefügt wor-
den. Nur allzu bildsame und unkritische Geister
laufen Gefahr, einer Literaturvergiftung zu unter-
tiegen, deren Krankheitsbild sich in Vergrößerung
von Geschmack und Urteil zeigt. Das Gift ist
mit Maß genosseri unschädlich und für viele sehr
schmackhaft. Das Gute iiberwiegt also bei wei-
tem. Der Schriftsteller verdient Dank, nicht als
Kiinstler oder Erzieher, sondern als Schöpfer
eines eigenartigen Mittels zum Genuß.

Preisrätsel

Man hat auf verschiedene Dichter geraten. Die
meisten vermuteten, daß die zitierten Verse von
dem alten Herrn Traeger im vollen Besitz seiner
Jugendfrische geschrieben seien. And-ere rieten
auf Stettenheim in altersschwacher Stunde. An-
dere auf den bewährten Rudolf Presber. Auch Lud-
wig Fulda wurde viel genannt. Je eine Stimme er-
hielten: Hugo von Hofmansthal (Jedermann), der
Turnvater Jahn, eine hochgestellte Persönlichkeit,
Fürst Bülow, Theodor Körner (Aus dem Nachlaß),
Wilhelm Jensen, Hugo Salus, Theodor Suse, Mar-
tin Greif, Generalmajor Keim.

Niemand hat richtig geraten. Alle diese ge-
nannten Dichter und verschiedene ungenannte ha-
ben einen neuen Kollegen erhalten. Der Verfasser
der Verse heißt Hartkopf und ist Vorsitzender des
Kegelklub „Glück auf!“. Das Gedicht steht
in der Vereinszeitung Nummer 4, Jahrgang 1912.

Verantwortiich für die Schriftleitung
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Notiz

Wir vertegen am I. Februar dteses Jahres Rei-
daktion und Verlag der Wochenschrift Der Stuna
von Hatensee nach Berlin W 9, Potsdamer Straße
18, eine Treppe. Ferasprech-AnschtaS Amt Lhtzow.
Wlr bttten, von dteser AdressenJÜHtenm* Kenatnls
/. u nehmen.

Veriag Der Storm


 
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