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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 84 (November 1911)
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Wolf, Hugo: Gedichte
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Scheerbart, Paul: Die Reise ins Jenseits: eine Spekulanten-Novelette
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0228

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Ermatten

Last mich die Dunkeiheit auskosten!

Halt stül des Herzens Hammergang,

Und deine Finger, woilustlang,

Entwinde meinem Haar:

Nun bin ich. lebio:»

Und sehe rneine Seeie rosten

Die Naclit steiit uni mein Grab voll Klag,

Sie weiß: ich iiebte ddch unsägiich —

Die Fahn am Tunn kreischt wild und kiägiich,
Dein Weinen sickert in diie Stiile —

Schlaf ein! Es wacht mein WHie.

Noch ist es lang bis Tag —

Orgie einer Sommernachf

Verlöscht mir die Lichter
Und laßt die Gesichter
Dem Dunkei sich gatten!

Im biinden Gewühle
Sind Betten und Stühle
Ntir Schatten.

Hörst du mich flüstern?

Die Teppiche knistern
Wie Feuerschüren.

Aus heimMchen Vasen
Duftfieberndes Rasen —

O reiches Verführen!

Hugo Woli

Die Reise ins Jenseits

Eine Spekulanten-Novelette von
Paul Scheerbart

Madame C. saß in Paris vor ihrem Schreib-
tisch und hatte das Telephon am Ohr und hörte,
ohne mit einer Wimper zu zucken, was man ihr
sagte.

Dann aber sprach sie heftig in den Apparat
hinein:

„Liebe Ameiie, tu mir den Qefalien ttnd laß
mich aus. Ich halte nichts von einem Unter-
nehmen, das Wissenschaft und Theater ver-
qnicken möchte. Du hast als Amerikanerin nichts
zu verlieren und zweifelios das Recht, hier in
Europa nur Spekulationsgeschäfte vorzubereiten,
einzuleiten ttnd zum lukrativen Ergebnis zu führen.
Ich aber habe ;einen wissenschaftiichen Namen,
und wir sind hier in Europa noch nicht so weit
wie ihr da drüben; wer zur Wissenschaft gehört,
hat bei uns einfach nicht das Recht, sich an
zweifelhaften Unternehmungen zu beteiiigen.“

Danach saß sie wieder und hörte, vas Amelie
sagte; diese schien auch sehr heftig zu sprechen,
denn Madame C trommelte mit dcn Fingern der
linken Hand immerzu auf ihrem Spitzentaschen-
tuch.

„Alles sehr schön,“ sagte dann Madame C.,
„aber ich verstehe nichts von Ultraviolett. Was
geht mich denn das Prisma an? Ich habe mich
mit Optik niemals beschäftigt. Glaube ja gern,
daß das Glas in Amerika eine größere Rolie spielt
als bei uns. Ich bin aber für nichts zu haben. Es
tut mir wirklich sehr leid. Suche dir doch einen
Mann. Es gibt ja so viele Wissenschaftler, die
eigentlich gar nichts zu tun haben — und fast für
jedes Unternehmen zu haben sind. Ich gehöre zu
diesen Wissenschaftlern leider nicht. Ich,verstehe
auch gar nicht, wie dein Theater ausehen soll. Ich
fiirchte, daß du etwas übereilt handelst.“

Wieder horchte sie mit dem Apparat am Öhr.
Aber sie schilttelte öfters den Kopf, und ihre
Augen sahen müde aus.

„Selbstverständlich,“ sprach sie dann hart iias
Telephon, „kenne ich den Nordamerika-Nebet. Ich

weiß auch. daß cr vor zwanzig Jahren, im Jahre
1891, entdeckt wurde — im Uitravloletten. Qewiß!
Aber daß ich deswegen an Geister glauben muß
—kommt mir ein wenig hitzig vor. Bei uns ist es
doch nicht so heiß. Aber, iiebe Ameiie, dti mußt
mich für einige Moriate entschuidigen. Mein Auto-
mobil steht vor der Tür. Ich verreise sofort, tmd
du findest miclt hier nicht mehr. Verzeihj mir,
aber ich kann nicht airders. Ich bin nervös. Ich
muß fiir meine Gesundheit etwas tun. Wo ich bin,
verrate ich nicht. Man muß tnich allein iassett.
Es geht nicht anders. Lebe wohl! Ich fahre iu
der nächsten Minute ab. Nochmals lebe wohl!
Viel Glück zu deinem Unternehmen! Wenn ich
mich - besser fühle, hörst du von mir.“

Sie iegte den Aparat weg, ttnd dann kam ihr
alter Diener Jaques. Nem sagte sie:

„Ich bin sechs Monate hindurch verreist. Sa-
gen Sie das aüen Besuchern tind attch am Teiephon.
Lassen Sie attch das Teiephon aus diesem Zimmer
herausnehmen. Sie wissen ja Bescheid.“

Der alte Jaques verbeugte sich schweigerrd
tmd ging wieder fort. Madatne C. steckte sich
eine Zigarette an und ging iangsam hinaus auf die
große Verattda, vort der man in den großen schat-
tigen Park sehen konnte.

Aber die Amelie — Mißtres Corning war
furchtbar wütend.

„Wenn das kein Mißerfolg ist,“ schrie sie,
„dann gibt's iiberhattpt keine Mißerfofge.“

Und dann sprach sie heftig zu dem Herrtt, det-
das Gespräch ebenfalls gehört hatte.

Der Herr hieß Mister Pitt.

Er iieß Mißtres Corning ruhig sich austoben.
Sie sagte zurn Schiusse:

“Sie hört das Gras wachsen — diese berühmte
Frau! Mit den berühmten Frauen kann man augen-
scheinlich noch weniger anfangen als mit den un-
berühmten. Diese Frauen sclüeben uns aile gieich
Dinge unter, an die man noch gar nicht gedacht
hatte. Wir woüen doch nicht den Kinematogra-
phen Konkurreriz machen. Hier in Europa denkt
man imtner, wir hätten drüben gar keine anderen
Interessen als die Geldinteressen. Es steht hier
doch wahrhaftig mehr auf dern Spiel.“

„Wir brattchen aber,“ sagte Mister Pitt ruhig,
„die Anerkennung vort wissenschaftiich gebiideten
Kreisen. Anders können wir nicht auf einen Erfoig
rechnen. Wir wollen uns auch nicht gieich mit den
Spiritisten in Verbindung setzen. Das fördert unser
Ansehen nicht im tnindesten.“

„Nicht gleich?“ rief Mißtres Amelie, „wollen
Sie damit sagen, daß es später doch geschehen
könnte?“

Mister Pitt wackelte mit seinem großen Kopfe
hin uod her und sagte gar nichts.

Mißtres Amelie jedoch fuhr fort:

„Ich dächte, daß die Spiritistin gar nicht für
uns in Frage kommen können. Unsre Methode ist
doch eine ganz andre. Wir wissen, daß im Ultra-
violetten unzählige Dinge sind, die t'ür unser Auge
einfach unsichtbar bleiben — und trotzdem auf der
photographischen Piatte sichtbar sind. Der Ame-
rika-Nebel ist ebertda entdeckt worden. Im gan-
zen Kosrnos können wir noch viele Sterne und
Nebei entdecken, die für unser menschliches Auge
ewig unbemerkt ibleiben urtd demnach von uns
entdeckt werden könnten — eben im Ultraviolet-
ten — auf der photographischen Platte.“

„Das hab ich schon öfter gesagt!“ erwiderte
Mister Pitt mit hochgezogenen Attgenbrauen.

„Gut,“ fuhr Mißtres Corning fort, „dann gehen
wir aber doch auf streng wissenschaftiichem Wege,
wenn wir jetzt folgern, daß auch auf unsrer Erde
unsägiich viele Dinge sein könnten, die wir nur auf
der photographischen Platte im Ultraviolett ent-
decken — nicht aber init unsren Augen sehen kön-
jien. Voiiä! Wenn da jetzt nicht das Reich des
Jenseits fiir uns da ist, so wird es nie fiir uns da
sein. Und nimmt mir meine alte Freundin, die
jetzt leider berühmt ist, übel, daß ich diese ganz

korrekte Schlußfofgerung ms groSe Publikum tra-
gen wiil? Es ist unglaublich! Dem großen Publi-
kum gegenüber muß man doch Konzessionen ma-
chen. Man muß ihm doch so gegenübertreten, wie
ibm sonst entgegengetreten wird — etwas roman-
haft — etwas marktschreierisch, wenn man wiil!
Aber - doch immerhin temperamentvoll. Darum
haite ich test an dem Titel: Die Reise ins Jenseits.“

„Ich auch!“ versetzte Mister Pitt, „es war ja
meine fdee. Jetzt brauchen wir nttr die Wissen-
schaftler. Sonst wird unser Unternehrnen nicht als
votlwertig erkannt. lch sehe im iibrigen nicht ein,
warum wir im Aeußern nicht dett Kinematographcil
Konkurrenz machen sollen. Wir locken Neugierige,
Provinzler und Fremde. Namentiich die letzteren.
Diese brittgen uns den Erfolg. Wir können fünf-
tna! teurer sein als alie Kinematographen, wir wer-
den bekannt werden — und aües wird gut werden.“

Mißtres Corning ging erregt im Zimmer attf
tind ab und sagte schiießlich kleinlaut:

„Soiiten wir nicht doch vieHeicht erst vorher
Experimente machen? Es wäre doch mögiich,
daß wir Erfoige hätten.“

„Seibstverständiich,“ sagte Mister Pitt kiihi,
„körtnten wir das! Aber wir haben doch keiti
Geid, und erst unser Separat-Kabinett — genatint:
Die F?eise ins Jenseits — kann uns Geid einbringe«.
Dann können wir ja später ganz ruhig experimen-
tieren. Augenblicklich ist cs aber durchaus nötig,
wissenschaftiich interessierte Kreise zu gewinnen.
Ein Wissenschaftler muß den Vortrag ausarbeiten.
Ich bin bereit, den Vortrag zu haiten. Und dann
werden im dunkein Raum optische Dinge vorge-
führt das U'ltraviotette wird auf der Platte ge-
zeigt — in geheimnisvoller Dunkelheit. Btitae
zucken dazwischen. Man verweist auf unsere Ex-
perimente, die da kommen werden. Man spricht ia
der Dunketheit mit tiefer Stimme von den Geisterii
des Jenseits — von den Geistern, die uns um-
geben —, und die wir doch nicht sehen können -
obschon wir sie bemerken könnten — auf der pho-
tographischen Platte — itn Ultraviolett. Dann
Lichtzucken! Knistern in den Ecken. Einer wird
rausgetragen, — Ohnmachtsanfail einer alteu
Dame. Schaueriich tiefe Stimme wieder im Hinter-
grunde. Tiefernst alles. Zuletzt noch ein Toten-
kopf bläuiich beieuchtet —, na — eine spiri-
tische Sitzung kaitn wahrhaftig nicht wirkungs-
voller seih. Oder — glattben Sie, daß wir die
spriritistische Konkurrenz nicht aus dem Feide
schlagen?“

Maßtres AmiMie setzte sich imd fing an zu
weinen, und dann sagte sie schluchzend:

„Das ist ailerdings Jahrmarkt. Schlimtnste
Forrrt des Jahrmarktes. Und so soll die glänzendste
Idee unsrer Zeit — veralbert werden? Es ist eirt
Skandal!“

„Ja,“ sagte Mister Pitt, „ohne Geid ist uichts
zu rnachen. Wir miissen mit den Wölfen ztt heu-
len verstehen. Dttrch dieses etwas theatraliscit
anmutende Arrangement wird doch der wahre
Wert der Idee nicht itn mindesten tangiert. Die
wirkliche Reise ins Jenseits bleibt uns doch immer
noch; wir müssen doch mal diese Reise antreten.“

Mißtres Amelie lächelte und sagte, mit detn
Kopfe wackelnd:

„Allerdings! SLe haben Recht. Der gute Kern
kann gar nicht angefressen werdett. Wir wolien
einen Wissenschaftier suchen. Wir werden schon
einen finden.

Nach vier Wochen wurde ein kieiner Saion
auf dem Boulevard Beaumarchais eröffnet. Den
Besuchern des Salons standen die Haare ztt Berge.
Aber gut besucht war der kieine geschmackvoü
eingerichtete Raum an jedem Abend. Und an
jedetn Vormittag experimentierte Mißtres Corning
mit wissenschaftlichem Eifer. Die berühmte Ma-
dame C. ließ nichts von sich hören und sehen.

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