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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 97 (Februar 1912)
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Walden, Herwarth: Die Woche
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Rimbaud, Arthur: Arthur Rimbaud: ein unveröffentlichter Brief
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Blümner, Rudolf: Erinnerung an Herman Bang
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0330

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Die Woche

zeues vom Tage

Qeheimrat Lautenburg, der bekanntlich
zu den eifrigsten Hörern des Herrn Pro-
fessors Max Dessoir gehört. benutzt die
Universitätsferien zu einer Reise nach
Spanien.

Aus der B. Z. am Mittag

Karl Rößler, der Autor der Fünf Frankfurter,
erzählte einem Interviewer der W. T. B., daß Ba-
ron Henry von Rothschild, der selbst
schriftstellerisch tätig ist, nach dem
Besuch der berliner Aufführung des Stückes, ge-
äußert habe, dieser Rößler ist der erste Mensch,
der mit meiner Familie ein Qeschäft ge-
macht hat, wobei er allein verdient.

Aus der B. Z. am Mittag

Kunstchronik. Der Landschaftsmaler
A r e n z in Düsseldorf feiert morgen seinen acht-
zigsten Qeburtstag. Er ist Schüler von Oswald
Achenbach.

Aus dem Berliner Tageblatt

Qerhart Hauptmann über August Strindberg:
Qerhart Hauptmann hat auf eine Frage der Stöck-
faolmer Abendzeitung seine Ansicht über August
Strindberg ausgesprochen. „Der Dichter schreibt
über den großen Schweden: August Strindberg ist
fiir mich eine der markantesten Persönlichkeiten
unserer Epoche . . . das germaniscfae Qeistes-
leben wird stets mit ihm rechnen.“

Lyrik des Tages

„Heinrich Schüler, einer der trefflichsten Ken-
ner Brasiliens, der ein viertel Jahrhundert lang
seine Erfahrungen in diesem Lande selbst gesam-
melt hat, tritt nun mit einem gediegenen Werk
vor uns hin.“ Der brasilianische Gesandte in
Brüssel hat dem Buch „ein warmes Geleitwort ge-
widmet“. Dem Buchkritiker der B. Z. am Mittag
wird es sofort infolgedessen ganz warm und echt
ums Herz: „Ja, bei der Schilderung des Mate oder
Parnatees weht uns die eigene Poesie der Campos
aus einem echt brasilianischen Liebesliede an, das
folgendermaßen lautet:

„Dort, hinter jener Serra,

Ist ’ne höhere Serra noch,

Dort, da weilet ja mein Liebchen,

Dort, da weilet ja mein Schatz,

Chamarita', gut getanzet,

So ein Bursch mit einem Mädel,

Schön’res gibt es überhaupt nicht,

Sag’ die Welt auch, was sie wolle!“

Auch Brasilien scheint sich schon eine eigen-
artige Lyrik zu leisten.

Ein Herr Wolff rühmt in der B. Z. am Mittag
die Uebertragung der Ballade aus dem Biwak von
Kipling. Sie stammt „von einem unserer form-
gewandtesten Poeten, Marx Möller“. Man erfährt
folgendes über das Buch: Der englische Dichter
zeigt sich in diesen Balladen von einem warmen,
echten Patriotismus . . . das ganze ist getragen von
einem prächtigen Rhythmus und einer eigenartigen
Klapgmelodie .... eine Poesie sui generis ist es
ja allerdings .... recht brutal zuweilen, voll Ver-
langen nach den grobsinnlichsten Qenüssen des Le-
bens, ohne aber doch ganz lyrischer Zartheit ent-
kleidet zu werden. (Wenn die Leute bei Kipling
wenigstens die Lyrik anbehalten, werden die grob-
sinnlichsten deniisse nicht zu brutal vor sich gehen.)
. . . . Auch ein natürlich wenig diskreter Humor
kommt in den Balladen zur Qeltung.

Wie ein Dichter des Tags sich den Sturm
denkt:

Sturm, umbrause mein Haus!

Treibe die Träume hinaus.

Die Träume, die träge machen,

Ich will ihrer lachen!

Sturm, du duldest sie nicht,

Machst alles klar und licht!

Ich brauche wohl nicht ausdriicklich zu erkiä-
ren, daß diese Zeitschrift mit diesetn Oedicht nichts
gemein hat.

Klara Bliithgen pflegt, wie sie mitteilt, folgendes
zu antworten, wenn man sie um den Vortrag eines
ihrer „herrlichen Qedichte“ bittet: Ihre üedichte
seien sehr e r n s t und würden woltl schwerlich in
die Stimmung hineinpassen. „Aber man wideriegt
mich liebenswürdig, daß eben diesen Qedichten eine
soiche Wucht innewohne, daß sie die Stimmung
schafften, der man sich — ach nur zu gern! — an-
passe.“ Solche Bitten „schlagen der Dichterin im
privaten Kreise nach einem wunderbaren Diner
aus der behaglichen Nachtischstimmung heraus, an
ihr Ohr.“ Dann ist es aber aus mit der Behaglich-
keit. Trust

Arthur Rimbaud:

Ein unveröffentlieher Brief

Charleville, den 25. August 1870
Sehr geehrter Herr,

Sie sind gliicklich, denn Sie wohnen nicht in
Charleviile!

Meine Vaterstadt ist die idiotischste unter den
kleinen Provinzstädten. Deswegen, sehen Sie,
habe ich keine Illusionen mehr. Weil sie neben
Meziöres liegt, — einem Städtchen, das man nicht
findet — weil in ihren Straßen zwei- oder drei-
hundert Infanteristen umherlaufen, gestikuliert
diese glückliche, philiströse Bevölkerung wie Rauf-
boide, ganz anders als die Belagerten von Metz
und Straßburg! Sie sind schrecklich, diese pen-
sionierten Grünkramhändler in Uniform. Es ist
großartig, wie das Schneid hat, die Nö'tare, die
Qlaser, die Steuereinnehmer, die Tischler und wie
ail diese Schmerbäuche vor den Toren Mezieres
ihren Senf dazugeben; mein Vaterland erhebt sich!
. . . Lieber wäre mir, es bliebe sitzen; nur nicht
aufregen! Das ist mein Grundsatz.

Ich bin heimatlos, krar.k, wütend, dumm, vor
den Kopf gestoßen. Ich träumte von Sonnen-
bädern, von endiosen Spaziergängen, von Ruhe,
von Reisen, von Bohemeleben, kurz: ich hoffte
auf Zcitungen, auf Bücher . . . Nichts! Nichts!
Die Buchhändler bekommen gar keine Bücher zu-
geschickt, Paris spottet schon recht über uns: kem
einziges neues Buch! Das ist der Tod! So muß
ich mich, was Zeitungen anbetrifft, an den
„Courrier des Ardennes“ halten, dessen Besitzer,
Herausgeber, Direktor, Chefredakteur un.d ein ein-
ziger Redakteur A. Pouillard ist! Diese Zeitung
faßt die Ziele, die Wiinsche und die Ansichten der
Bevöikerung zusammen. Das ist eine eigene Note!
. . . Nicht wahr? . . . Man ist verbannt in sei-
nem Vaterlandü!

Glücklicherweise habe ich ihr Zimmer — Sie
erinnern sich doch der Erlaubnis, die Sie mir ge-
geben haben —. Ich habe die Hälfte Ihrer Bü-
cher mitgenommen. Ich habe mir den Diable ä
Paris genommen. Sagen Sie mal: hat es jemals
etwas idiotischeres gegeben als Grandvilles Zeich-
nungen? — Ich habe bostal l’indien und Robe des
Nessus, zwei interessante Roimane. Was soll ich
Ihnen sonst mitteilen? . . . Ich habe alle Ihre
Bücher geiesen, alle. .Vor drei Tagen begann ich
mit den Eprenols, dann mit den Glaueuses, — ja,
ich habe diesen Band noch einmal geiesen — das
war alles! . . . Mehr nicht; ihre Bibliothek,
imeine letzte Rettung, war erschöpft! . . . Dann
erwischte ich den Don Quichotte; gestern sah
ich mir zwei Stunden Iang die Wälder Dore’s an:
jetzt habe ich nichts mehr! — Ich sende Ihnen
Verse; lesen Sie sie, morgens, bei Sonnenschein,
wie ich es getan habe: Sfe sind nicht mehr Leh-
rer jetzt, hoffe ich! . . . —

.... i Dieser Teil ist zerrissen] .... Louis*
Silfert kennen iernen wollte, als fch Ihnen' ihre
letzten Verse lieh; ich habe mir soeben Auszüge
aus ihrem ersten Gedichtband, Rayons perdus,
vierte Auflage, verschafft. Ich habe da ein sehr
schönes Qedicht; Marguerite:

Moi j’etais ä l’ecart, tenant sur mes genoux
Ma petite cousine aux grands yeux bieus sidoux:
C’est une ravissante enfant que Marguerite
Avec ses cheveux blonds, si bouche si petite
Et son teint transparent . . .

Marguerite est trop jeune. Oh! si cjetait ma fille,
Si j’avais une eniant tete blonde et gentille,
Fragile creature en qui je revivrais,

Rose et candide avec de grands yeux indiscrets!
Des iarmes sourdent presque au bord

de mes paupiere

Quand je pense ä l’enfant qui me rendrait

si fiöre,

Et qite je n’aurai pas, que je n’aurai jamais;

Car I’avenir, cruel en celui que j’aimais,

De cette enfant aussi vent que je desespöre

Jamais on ne dira de tnoi: c’est une mere!

Et jamais un enfant ne me dira: maman!

C’en est fini pour moi du cdleste roman
Que toute jeune ä mon äge imagine.

— Ma vie ä dix-huit ans compte tout un passe.

— Das ist ebenso schön wie die Klagen der
Antigone avv,uq/ij des Sophokles. — Ich habe die
Fetes galantes von Paul Verlaine. Es ist recht
bizarr, recht possierlich; aber wirklich anbetungs-
würdig. Manchmal nimmt er sich große Fref-
heiten, zum Beispiel:

Et la tigresse epou / vantable d’Hycranie
ist ein Vers aus diesem Band. — Kaufen Sie sich,
ich rate es Ihnen, Bonne Chanson, einen kleine«
Qedichtband desselben Dichters: er ist soeben bel
Lemerre erschienenp icli habe ihn nicht gelesen;
hier kommt rrichts her; aber viele Zeitungen be-
urteilen es sehr gut.

Auf Wiedersehen, schicken Sie mir eineo
fünfundzwanzig Seiten langen Brief — post-
lagernd! — Recht bald!

A. Rimbaud

P. S. Bald Andeutungen über das Leben, da»
ich za fiihren gedenke nach . . . den Ferien . . .

[Adresse:]

Monsieur Q. Izambard

29, rue de l’Abbaye des Pr6*
Douai (Nord)

I» Eile

* * *

Veröffentlicht mit Erlaubnis von Paterne Berri-
chon und der Nouvelle Revue frangaise. Der
Dichter schrieb diesen Brief 1870, im Alter vob
fünfzehn Jahren, dreizehn Monate vor Beginn seic
ner Beziehungen zu Verlaine.

Übergang aug dem Französischen von Jean Jacques

Erinnerung

an Herman Bang

Von Rudolf Blümner

Den Zünftigen graute. Weil Herman Baag
am 28. November 1907, abends zwischen acht und
zehn Uhr in Herwarth Waldens Verein für Kunst
(der die Heimatkunst so gar nicht fördert) eine
neue Kunst schuf, die sich nicht gleich so ins Fach
stellen ließ.

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