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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 89 (Dezember 1911)
DOI Artikel:
Friedlaender, Salomo: Aerosophie., [4]
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Lasker-Schüler, Else: Briefe naeh Norwegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0268

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'Herr Klerker wendete sehre grofie, weiße, ruhige
Fratze nach der Villa hin; und Jan Eriksen gtaubte
zu sehen, wie er ihm die Zunge herausstreckte.

Und dann kam die Nacht, eine stockfinstere,
brütende Nacht, die Jan Eriksens Welt völiig ver-
aunkelte. Schlatlos wälzte er sich aut seinem
Sofa umher, entsetzt nn-d im Inn-ersten erschüttert.
Das Leben war piötzlich ein em-pörter Ozean ge-
worden, ein Erdbeben tobte irv den Dingen. Nir-
gends ein fester Halt . . . alles schwankte und
sank.

Eriksen knirschte mit den Zähnen und weinte.
Was wollten sie von ihm? Was wollten sie mit
ihm machen? Was wiirde morgen geschehen?
Nichts . . . Und irbermorgen? Nichts . . . Wie
glücklich war er in seinen alten, dreckigen Lum-
pen gewesen, die ihm so gut gepaßt hatten! Nun
aber war er hinausgeschiendert worden in den
öden Raum, in furchtbarstes Dunket un-d Schrecknis.
Blitzartig empfand er das Rätsei des Lebens, die
Mystik des Daseins.

Und als dann inmitten der nächtlichen Finster-
nis die zwölf metallenen Schläge der Stubenuhr
durch die staubschwere Ruhe des Zimmers dröhn-
ten, da fuhr er auf in Platzangst und Panik und
tastete wie seekrank umher in der Oede des Rau-
mes . . . bis er das Bündel seiner alten Kleider
fand, die den vertrauten Oeruch seines eigenen
lieben Körpers in sich trugen. Ja, sie paßten ihm
und beruhigten seine Haut. Und die Faust packte
den alten, treuen Stock. Der machte seinen
schwankenden Qang fester und sicherer! Und
ganz ieise öffnete Jan Eriksen die Küchentür ein
wenig und sprang lautlos ins Freie, wie damals,
als er das letzte Mal auf Diebespfaden ging. Er
nahm nichts mit aus diesem verrückten Hause —
nicht einmal einen Stiefel. Da draußen lag die
AHee und die Landstraße auf der zu wandern ihm
vom Schicksal bestimmt war — der lange- gerade
Weg, auf dem er gemächlich hingleiten konnte,
über rollenden Steinschutt und zwischen den zwei
Oräben . . .

Erst zwei Tage später, als man Jan Eriksen
nicht mehr zuerückerwarten konnte, bezog Klerker
wieder verwundert sein Haus. „Die Welt ist noch
nicht reif,“ sagte er kopfschüttelnd. Dann nahm
er eine Zigarre, die sein Vagabnnd übersehen hatte,
zwischen zswei Büchern hervor, wo sie als Zei-
ch’en gedient hatte.

Briefe naeh Norwegen

Von Else Lesk*»r-SebfHer

Lieber Herwarth und lieber Kurt. Manchmal sieht
Cajus-Majus aus durch das Tefephon wie ein Po-
saunenengel, namentlich zur Ausposaunenstunde in
der Dämmerung. Er sitzt mit zwei Flügeln an seinem
Schreibtisch, dabei füegt ihm so alles ins Fenster
herein, wie aus dem iiterarischen Schlaraffenland.
Immer gerad, wenn er eine ausgezeichnete Humo-
riade schreibt, komtn ich dazwfschen mit meinetn
verdammten Klingeln. Ich trage noch dazu ein
Glöckchen um den Ha!s. Ich kann direkt rnanchma!
ein Schaf sein. Was braoeh ich ihn zu iragen, ,)h
den Leuten meine Norwegischen Briefc gefallen?
Er wird immer jemand wissen, der streikt. Gestern
hat sich Dein Doktor stirnrunzelnd bei ihm beklaat
über s.ein Vorkommen in meinen Briefcn an Euch.
Da war ich ja nun platt. Ferner will sich ein Ur-
enkel Bachs das Leben nehmen, (er hat es Cajus-
Majus versprochen), falls ich ihn erwähnte in mei-
ner Korrespondenz. Schade um ihn, er hat ein ro-
siges glorreäches Lächein um den Mund. Er wird
sich nun in die Wellen des heiligen Antonius stür-
zen, weil eine Dichterin ihm ein Ständchen brachte
verwegen mitten im Sturm.

Lieber Kurt. Er drohte tnir gestern selbst.
Ist meine Antwort juristisch einwandsfrei? Mein
Herr. Sie wollen sich das Leben nehmen, falls
ich Sie rm Sturm erwähne, oder haben Sie vor,
mich indirekt auf die Idee zu bringen? Zumal
Sie annehmen konnten, daß ich nicht Sentimentai
bin, ich jedem seine Neigungen lasse, vor ailen Din-
gen mirs nicht auf so ein Menschenleben
ankomme. Aber bis jetzt kämen Sie fiir mich noch
nicht als Modell in Frage weder ais Portrait noch
als Karikatur. Zwar ist es mir schon gelungen aus
einer prüden Nttll ein Wort zu formen. Aber ge-
duiden Sie sich, seien Sie guten Mutes. Hoch-
achtungsvoU.

Herwarth, Loos ist kein einfacher Gorilia er
ist ein Königsgorilla. Er fragte tnich, ob er sich
auch mal wieder selbst begegnen würde im Sturm?
Weißt du schon, er trägt vorübergehend einen
Backenbart, der wirkt milde bei ihm, zur
Schonung seiner reinert Gesichtszüge. Die meisten,
die Bartbast tragen, wollen darnit Männlichkeit mar-
kieren, oder breite Mäuler oder lange Kinne über-
wältigen. Adolf Loos erzählte mir Geschichten
aus den afrikanischen Wäldern, seine Augen blick-
ten voll ernster Anmut. O, er ist gütig und das
ist Gotteigenschaft, das höchste was man von einem
Menschen sagen kann.

Liebe Kinder, ich habe Karin Michaelis geant-
wortet: Karin. Ich werfe zuerst ein Sternchen in
das K deines Vornamens und griiße dich! Deine
Bücher sind verschiedenfarbene Tauben, weiße
blaue, aber auch rote, dämonische Tauben und
goldene und silberne Wirbelwindtauben sind dar-
unter. Deine Bücher setze ich darum nicht in den
Bücherschrankkäfig. Tino von Bagdad.

Herwarth, du kannst folgendes im Sturm ver-
öffentlichen:

Unter biinder Bedeckung Heinrich Manns,
reichte der Abbe Max Oppenheimer den Kritikern
Miinchens das Blut Kokoschkas.

Abbe Maler Oppenheimer muß heute meine
Zeifen empfangen haben: Lieber Max Oppenheimer.
Ihre ostentative Kleidung hat mir Freude gemacht
dem eingefleischten Publikum gegenüber. Es lag

nicht nur Mut, auch Geschrnack darin. Ich ging dop-
pett gerne mit Ihnen nach München in Ihre Bilder-
ausstellung, aber es hingen nicht Ihre Bilder an den
Wänden, sondern Iauter Oskar Kokoschkas. Und
da mußten Sie gerade mich mitnehmen, die Ihr Ori-
ginal kennt. Hielten Sie mich für so kritiklos -
oder gehören Sie zu den Menschen, die Worte,
Gebärden des Zweiten anzunehmen pflegen, darin
sie verliebt sind? Sie sind. nehme ich an, in Ko-
koschka verliebt und Ihre Bilder sind abgepflückte
Werke, darum fehlt ihnen die Wurzel. Das Bild
Heinrich Manns hat mir ausnehmend gefallen w'ie
eine giänzende Kopie und ich sah in seinen Farben
und Rhythmen außer dem Schriftsteller auch den
Maler Oskar Kokoschka, nicht S i e. Steckt etwa
Max Oppenheimer in Kokoschkas Bildern?
Man kopiert doch ehrlich in den Museen die alten
Meister und setzt nicht seinen Namen darunter.
Kokoschka ist ein alter Meistes, später geboren,
ein furchtbares Wtmder. Und ich kenne keine
Rticksicht in Ewigkeitsdingen, Sie sollten auch pie-
tätvoller der Zeit gegenüber sein. Bin Ihnen sonst
ehrenwörtlich wie immer gut gesinnt. Max Oppen-
mer, Heber Abbe
7. Dezember 1911

Else Lasker-Schüier

Wer zweifelt an seinen Urwüchsigkeit? Er
nirnmt gern seine erste Gestalt an als bäurischer
Engel.

fch ging heute in Begleitung meines Dienst-
mädchens durch die Friedrichsruherpeterbaum-
straße in Halensee an den Bahnschienen entlang.
Mefn Dienstmädchen ist mein Galleriesonntags-
publikum zu halben Preisen. Ich kann mich nie so
recht, nebenj ihr gehend, meiner Gedanken freueti
oder daran zu Grunde gehn, sie bringt inich immer
aus meinen Inspirationen. Sie tut nämlich nur so,
in Wirklichkeib ist ihr alles langweilig, aber sie hat
sich schon an den Rhythmus der Bahnlinien meiner
Sprache gewöhnt, wenn auch mit Hindemissen;
manchmal entgleist sie, doch imtner kommt sie über
mich hinweg zu ihrem Schatz: an ihn denkt sie
irdisch, unterirdisch, sie wiihlt, wenn ich ihr vom
Himmlichsten erzähle. Warum habe ich ihr von
St. Peter Hille erzählt, vom Angesicht Stefan Ge-
orges? Welches Ausnahmeglück es für mich be-
deuten würde, in sein Angesicht eine lange Stunde
blicken zu dürfen, und noch einige Menschen
möchte ich wohl- betrachten, wie die 'Gottwerke
alter Dome und Tempel. „Nur St. Peter Hille konnte
man nicht anblicken, er war unsichtbar, er war efne
Sonne, die anblickte.“ Ich erzählte sicher ohne
Pathetik, ich sprach wie zu einem Kind und denn-
rioch schäme ich mich seitdem vor dem Geschöpf;
so habe ich mich in der Schule schon geschämt
meiner schönsten Geschenke wegen; die Welt
ist angefüllt von Dienstmädchen und Knechten (von
armen und reichen, von gebildeten und rohen); der
Deutsche verwechselt immer Roheit mit Urwuchs;
und doch würde mich eine Kartoffelknolle eher
verstehn wie so ein urwüchsiger Mensch. lch hasse
die Liebe unter den AlltäglicHin, wenn der Prcnhet
noch lebte, ich würde an ihn einen Hirten-
brief schreiben, daß er die Liebe verbiete.
St. Peter Hille war Aesthet. Lieben diirfen
sich Tristan und Isolde, Carmen und Escamillo,

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