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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 76 (September 1911)
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Scheerbart, Paul: Kapitän Junker auf der Insel Tamuso: eine Seemannsgeschichte
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König, Moriz: „Mutter“ Natur
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0162

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setzten mich in ein kleines Boot und überliessen
mich meinem Schicksal. Ich ruderte und segelte
drei Tage und drei Nächte — geradeaus. In
der dritten Nacht sah ich in der Ferne ein hel-
les Licht — es wechselte die Farbe, und Schein-
werfer schossen aus dem Lichte heraus. Ei,
dachte ich, das ist ja wohl ein Leuch'turm. Wie
kommt der denn hier in die Südsee? Nun kann
ich mich aber sehr schwer kurz fassen.“

„Dann,“ sagte ich neugierig, „fassen Sie sich
länger. Der Leuchtturm in der Siidsee ist ja
sehr seltsam.“

„Hm,“ meinte er lächelnd, „es war aber gar
kein Leuchtturm.“

„Was denn?“ fragte ich hastig.

„Das wird Ihnen ja,“ versetzte er langsam
„so ganz alimählich schon klar werden.“

„So erzählen Sie weiter!“ rief ich unruhig.
Und Kapitän Junker sprach:

„Ich fuhr natürlich auf das seltsame Licht
zu. Und da merkte ich bald, dass da nicht nur
e i n Licht war. Es waren deren mehrere — und
es wurden immer mehr, je näher ich kam. Ich
näherte mich, um es kurz zu sagen, auf meinem
Boot einer kleiner — Lichtstadt. Lichtstadt! Sie
ahnen wohl, was das heisst.“

„Wie soll ich das ahnen!“ rief ich heftig.
„Stellen Sie sich lauter Gewächshäuser vor,“
sagte er, „alle aus Glas — sehr gross. Und
all das Glas bunt — wie die Fenster des Doms
zu Köln. Und setzen Sie Glastürme — auch
ganz bunte —• zwischen diese Glashäuser. Und
stellen Sie sich diese Glashäuser ganz hoch vor
— auf Hügeln und Bergen. Und die Türme
sind durch quergehende Brücken mit einander
verbunden — durch bunte Glasbriicken. Und
dann einen siidlichen Stemhimmel darüber —
mit dem Kreuz des Südens. So ungefähr ist
es gewesen. Diese Lichtinsel sah ich und fuhr
darauf zu. Von den Turmspitzen gingen Schein-
werfer aus — einer traf mein Boot. Ich war
entdeckt. Was darauf folgte, spottet jeder Be-
schreibung. Die Scheinwerfer drehten sich wie
Kreisel. Ich sah den Strand dicht vor mir und
hörte ein dumpfes Orgelbrausen. Und mit ei-
nein Schlage war alles Licht weg. Stockraben-
finstere Nacht überall. Nur die Sterne oben
leuchteten. Ich betrat den Strand.“

Er atmete tief auf, wischte sich den Schweiss
von der Stirn und blickte mit begeisterten Au-
gen zu meinem Fenster hinaus auf die weiten
Wiesen von Gross-Lichterfelde.

Uns waren die Zigarren ausgegangen. Wir
steckten sie uns wieder an. Nun wollte ich
natürlich wissen, was weiter geschah. Aber er
schwieg noch eine gute Weile.

Endlich fuhr er fort:

„Ich setzte mich auf den Dünensand. Da
war ich plötzlich von einem dunkelgrünen Schein-
werfer ganz dunkelgrün beleuchtet. Das Licht
verschwand, so rasch es gekommen war. In der
Ferne hörte ich etwas rascheln. Ich schrie: Hier
ist ein Schiffbrüchiger! Ich erzählte ganz laut
von der Rebellion auf meinem Schiff. Aber al-
les blieb ganz still. Ein paar Glaskanten blitz-
ten im Sternenlicht auf. Ich war sehr müde
und legte mich auf den Dünensand. Ich hatte
sehr kräftig gerudert und schlief gleich ein.“
Abermals machte der Kapitän Junker eine
längere Pause. Ich brachte ihm ein Glas Grog.
Da schmunzelte er so recht vergnügt.

Als er den Grog langsam und bedächtig
ausgetrunken hatte, sprach er also:

„Als ich nun aufwachte, da stand die Sonne
schon ganz tief. Ich sprang auf — und sah,

dass da überall mächtige Glasgebäude standen
Die funkelten gar bunt und prächtig in der
Abendsonne. Wenn ich das beschreiben könn-
te! Das kann ich aber nicht beschreiben. Ich
bin ein einfacher Mann und froh, wenn ich im
gewöhnlichen Leben Worte finde. Ich schweige
sehr viel, höre am liebsten zu, wenn andere
reden.“

„Weiter! Weiter!“ rief ich heftig und schob
dein Herrn Kapitän die Zigarren zu, „erzählen
Sie nur, so gut Sie können. Waren die Glas-
paläste rund, eckig — in geschweiften Formen?
Wie waren die Türme? Jonisch — dorisch?
Oder — waren sie ganz im allerfeinsten Ge-
schmack? Hatten sie kuppelartige oder schalen-
artige Ausbuchtungen?“

„Da fragen Sie mich,“ sagte er langsam,
„einfach zu viel. Ich war einfach geblendet.
Aber jetzt kommt das Schönste! Ein kleiner Wa-
gen stand da vor mir. Und in dem Wagen
war ein Tisch gar sauber gedeckt mit den besten
Delikatessen darauf: Hummern, Schildkröten, Au-
stern und tausend Fischsorten, fürstliches Obst
und Konfekt und Roquefort — Burgunder und
Champagner dazu. Ich stieg in den Wagen,
setzte mich recht bequem hin, die Sonne ging
im Meere dunkelrot unter. Ich wollte nun zu-
langen da — setzt sich der Wagen in Be-

wegung und fährt ganz langsam auf prächtigem
Mosaikboden in schönen Kurven dahin. Ich
staune, denn ich weiss nicht, w e r mich fährt.
Ich denke: da werde ich wohl drahtlos diri-
giert werden. Ich trinke auf das Wohl der Gast-
geber und esse und fahre und trinke und fahre
— immerzu zwischen all den Glaspalästen hin-
durch. Oft wird mein Wagen von unsictubaren
Kräften höhergehoben — dann fahre ich auf ei-
ner höheren Terrasse. Ich lasse mir's gut
schmecken. Plötzlich, als es draussen dunkel ge-
worden ist, werden alle Paläste mit einem Schla-
ge wieder hell — in buntesten Farben strahlen
die Scheinwerfer, die Wände der Paläste sind
alle von buntem, leuchtendem Glas. Oh — viele
Formen! Viel Mosaikartiges. Viel Geschweiftes.
Aber lichtdurchlassend ist alles. Mir kommt die
Sache so vor, als wenn ich träume. Ich lasse
mir’s aber gut schmecken und fahre immerzu.“

„Na,“ sagte ich, „hören Sie mal, das nört
sich aber wirklich so an, als wenn Sie in der
Tat ganz herrlich und wunderbar geträumt hät-
ten. Wie lange fuhren Sie denn?“

„Ja,“ versetzte er lächelnd, „darum habe
ich mich bei den guten Weinen und den herr-
lichen Delikatessen nicht viel gekümmert. lch
fand auch ein paar Zigarren, steckte mir eine
an, wunderte mich über die ausserordentlich
feine Qualität. Da kommt aber ein eiserner Arm
von hinten herum — und an dem hängen neue,
gute, trockene Kleider. Ich ziehe mich gleich
um und . . . .“

„Ein herrlicher Traum!“ rief ich lachend.

„War aber keiner!“ sagte Kapitän Junker
lächelnd, „das wird Ihnen nachher schon ganz
klar werden.“

„Wenn Sie mir,“ sagte ich da, „nur mehr
von diesen Glaspalästen erzählen könnten. Ka-
men Sie nun ins Innere? Kamen die Gastge-
ber zum Vorschein? Im Innern der Paläste
muss es ja noch herrlicher gewesen sein — so
ganz von Lichtwänden und Lichtkuppeln um-
geben. Welche Fülle von elektrischem Licht muss
auf dieser Insel verbraucht werden. Natürlich
müssen überall doppelte Glaswände sein — für
Licht, Kühlung und Erwärmung. Das wirkt ja

alles wie ein Farbenrausch. Der Weinrausch
scheint mir ziemlich iiberflüssig dabei.“

„Im Innern,“ sprach Mister Junker langsam,
„bin ich nicht gewesen. Der Weinrausch war
jedenfalls nicht so böse. Aber zuletzt kam aus
einer Luke vorn — ein Glas heissen Grog!“
„Das,“ rief ich, „hätte ich nach allen diesen
Genüssen nicht getrunken.“

„Ich aber,“ sagte der alte Herr wehmütig,
„war nicht so schlau; ich trank es doch. Und
nach meiner Meinung war ein Schlafmittel in
dem Grog.“

„Oh!“ rief ich traurig.

„Ja,“ fuhr er fort, „als ich aufwachte, war
ich auf einem französischen Kriegsschiff. Man
sagte mir, ich sei von einigen Herren abgelie-
fert — des Schiffsarztes wegen — der sollte mich
aufwecken. Das war ihm denn auch nach vie-
len vergeblichen Bemühungen gelungen. Ich er-
zählte, was mir passiert sei. Aber niemand
glaubte mir. Vierzehn Tage später bemerke ich
im Roten Meer, dass auf dem Rücken meines
funkelnagelneuen Anzuges etwas knistert. Ich
fühle hin und bemerke Papier, schneide das Fut-
ter auf und sehe ein Kuvert, auf dem steht: Du
warst auf der Insel Tamuso. Ich glaube, dass
das Wort Tamuso auf der vorletzten Silbe be-
tont wird. Drei echte deutsche Tausendmark-
scheine waren in dem Kuvert. Glauben Sie jetzt
noch, dass ich geträumt habe?“

„Nein,“ rief ich, „aber da müsste man doch
eine Expedition ausrüsten und nachsehen, ob da
Missionare oder Seeräuber hausen.“

Mister Junker erhob sich langsam und reich-
te mir die Hand, schüttelte sie kräftig und sagte:

„Sie werden schon veranlassen, dass die Ex-
pedition ausgerüstet wird. Aber — ich fahre
mit, damit ich den freundlichen Gastgebem die
drei Tausendmarkscheine zurückgeben und den
Schreiber jenes Zettels zur Rede stellen kann —
weil er Mister Junker geduzt hat.“

Wir schüttelten uns nochmals die Hände.

„Mutter“ Natur

Von Moriz König

„Wer hat dich, du schöner Wald
Aufgebaut so hoch da droben?.

Also, da wären wir. Ich schnaufe vor Ver-
gnügen. Ein paar Hügel strecken die runden
grünen Köpfe herauf. Wir stehen auf einem
steinigen Wege. Heuduft. Buchenwald in Front.
Der Traum der Stadt-Woche — erfüllt. Ah —
ah!

„Aber das ist doch schön, das ist doch
prachtvoll! “ rufe ich verzweiflungsvoll meiner Be-
gleiterin zu.

Die gute, brave Seele ist entzückt. Sie fin-
det es wirklich so. Aber ich schäme mich im
erschreckenddeutlichen Gefühl, dass ich sie be-
trüge. Mit der Natur. Ich denke gerade her-
aus. Ich kann die Fiktion der herrlichen Natur
nicht länger aufrechterhalten.

Ich blicke mich um. Die Landschaft hat
sich seit zwanzig Jahren nicht im Geringsten
verändert. Da liegt sie, unverkauft, wie ein
schlechtes Bild. Kein Pinselstrich geändert. Noch
immer bereit, Oberschullehrern Themen für die
Schüler zu geben, denen auf Ausflügen die Exi-
stenz der „Natur“ bewiesen werden soll. „So

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