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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 90 (Dezember 1911)
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Walden, Herwarth: Kunstkritiker mit und ohne
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Baum, Oskar: Die Rettung: aus einem unveröffentlichten Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0274

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und die „Neue Sezession“ kann sich glücklich
schätzen, ihn auf so leichte Weise über den schwe-
ren Zusammenprall mit Frankreich hinweggeholfen
zu haben. Nur ist er „andererseits doch recht
traurig, daß ein derart wahnsinniges Zeug von ge-
wisser Seite ernsthafter Betrachtung unterzogen
wird“. Der Stimmungsmacher betreibt seine Tä-
tigkeit zu seinem Vergnügen und wendet sich des-
halb „gegen diejenigen, die an ihre eigene Kunst
glauben und sie als Milchkuh betrachten . . möch-
ten. Sie verweisen gern auf das Beispiel Ferdi-
nand Hodiers, der sich auch .durchgerungen’“ (bis
auf das hat). Ja, der Hodler, früher ging es noch,
„Unter den alten manch’ recht Ciutes von scharfer
Beobachtung und feiner Stimmung, unter den neu-
en das formioseste und gequälteste Zeug, das man
sich nur denken kann. Diese abschreckenden, un-
glaublich häßlichen Gestalten mit schlotternden,
gänziich verzeichneten Gliedmaßen ähneln ebenso
wenig menschlichen Gestalten, wie jene hin- und
hergeschobenen, tonigen Farbmassen der Schwei-
zer Alpen“.

Natürlich beruft sich der Verehrer der schönen
Künste auf die blödsinnige Schrift eines Berner
Buncfesrichters, „der in klarer und sachverstäm
diger Weise die schädlchen Einflüsse beleuchtet“.
Der Berner Bundesrichter hat nämlich herausge-
funden, daß Hodler und seine Anhänger nur des
Gelderwerbs wegen so malen. Offenbar kaufen
heute die Leute die Bilder, die ihnen mißfallen,
lieber, als die Stimmungsbilder, die den Beifall des
Kichters finden. Der ist natürtich durchaus Ide-
aiist, völkischer Idealist und Kenner.

„Unselbständige Nachahmer hoffen als getreue
Gefolgsmannen einer Fiihrerschaft, die trotz oft ge-
rade fabrikmäßigem Betrieb mächtig und reich ge-
worden ist, zu Ausstellungen und Verkäufen zu-
gelassen zu werden. Aber diese Kunst hat im
Volk keine Wurzel. In ihren Werken ist meistens
kein Strich mehr richtig, weder in Form noch in
Farbe, es sind Gestalten, ungeheilt aus einer ortho-
pädischen Klinik entlassen“.

Hodler soll einen Holzfäller sogar in vierfacher
Auflage gemalt und für „einen derselben“ fünfzehn-
tausend Francs erhalten haben.

Wieviel Auflagen leisteten sich wohl die Her-
Ten Rafael, Tizian, Rembrandt und Rubens? Sie
wären allerdings nicht völkisch gesinnt.

Diese Idiotien iiber Malerei. diese Frechheiten
einem Genie gegenüber \wer<Jen nun durch den
Berliner Stimmungsbildner in unzähligen Provinz-
zeitungen verbreitet. Die Leser kommen „orien-
tiert“ in die Aussteilungen, die kunstverständige
jüngere Museumsdirektoren veranstalten. Was
hilft alle Reinheit wertvoller Menschen, wenn dem
Publikum vorher solch ein schmieriges Gewäsch
vorgesetzt wird. Dafür tritt der Verehrer der
schönen Künste um so lebhafter auf Kleist ein.

„Unser Theaterleben stand während der
Woche im Banne Heinrich von Kleists, des Großen,
den uns ein tragisches Geschick vor hundert Jah-
ren entrissen.“ (Wieder bis auf das hat.) Ergrei-
fende Trauerfeierlichkeiten. Geladenes Publikum.
„Auch an der stillen Grabstätte selbst fehlte es nicht
an mannigfachen Huldigungen fiir den Toten, der
unsterblich in seinen Werken weiterlebt. solange es
eine deutsche Sprache gibt.“ Nach hundert Jahren
wird es noch immer die deutsche Sprache geben,
der Stimmungsmaler wird sie noch immer als Milch-
kuh mißhandeln, aber den historischen Satz von
der stillen Grabstätte, den mannigfachen Huldigun-
gen und dem Toten, der unsterblich in seinen Wer-
ken weiterlebt: diesen Satz wird er dann über Fer-
dinand Hodler schreiben.

Der Mann ohne Geistesvermögen

Man merkt doch gleich, was eine Hauptstadt
ist. In den Provinzstädten verarbeiten die Berliner
Stimmungsbildner die Kunst, in den Hauptstädten
liefert die Redaktion sich selbst den Kitsch. Das
Feuilleton der MünchenerNeuestenNach-

richten erklärt endlich in seinem „Vorabend-
blatt“ den Bankerott seines Geistesvermögens, was
man schon seit Jahrzehnten wußte. Aber es ist
doch gut, wenn der Mensch sich ehrlich gegen die
Farbe bekennt. Den Ietzten Anlaß zur Anmeldung
des Konkurses gab Albert Ehrensteinmit
seinem Buch Tubutsch. Oskar Kokosch-
k a gab ihm zwölf Zeichnungen bei. Der Feuille-
tonredakteur erläutert, daß er ein Mensch sei, der
vermeint, „redlich seines Amtes mit Verstand und
Feder zu walten“. Durch Tubutsch wird er an sich
irre und „muß den Bankerott seines Geistesver-
mögens erklären“. Zwar muß er als redlicher
Mensch eingestehen, daß er nür die Erzählung
„Ritter Johann des Todes“ und das Gedicht „Wan-
derers Lied“ (es ist übrigens sogar „reif“ für den
Zeitgeist gewesen) aufzunehmen versucht hat.
„Aber das war schon eine so schwierige Arbeit
für mein Gehirn, daß ich mich garnicht erst an die
Geschichte des Herrn Karl Tubutsch heranwagte.“
Deshalb will er auch seine Feder erst garnicht wal-
ten lassen. „Soll ich erst versuchen, die Kunst
dieses jungdeutschen Literaturartisten zu charakte-
risieren? Was wären meine Worte! Ein Stammeln,
eine Wortlimonade. Das fühle ich nur zu deutlich.
Deshalb wiil ich allen Eigendünkel unterdrücken
und Hern Albert Ehrenstein selbst zu Worte kom-
men lassen.“ Das ist an Aermlichkeit und Ehrlich-
keit nicht zu überbieten. Aber warum iäßt man
bankrotte Redakteure redlich ihres Amtes walten?
Wo sie an ihrem Verstand und an ihren Federn ver-
zweifeln? Der Redakteur druckt also die Ge-
schichte vom Ritter Johann des Todes ab. Er ver-
spricht sogar, sich aufzuhängen. Was ja bei Ban-
kerotteuren gelegentlich vorkommt. Doch bevor er
sein Versprechen hält, druckt er schnell das Ge-
dicht Wanderers Lied ab. Und das gibt ihm neuen
Lebensmut. Er hofft, „daß sich ihm vielleicht doch
noch einmal das tiefe Mysterium dieser Ueberkunst,
die so hoch ist, daß sie sogar auf das Können ver-
zichten kann, erschließt.“ Das soll sich der Mann
nicht einreden. Er soll nicht am Grabe noch die
Hoffnung aufpflanzen. Aber so ist der Mensch.
Durch die Zeichnungen von Oskar Kokoschka wird
er zusehends mutiger. „Aber schließlich, was be-
deutet Albert Ehrenstein, wie tief steht er unter
seinem Buchausschmütker O. Kokoschka. Oder ist
dieser Künstler eine Dame? Ich bin höflich, ich ver-
neine die Frage.“ Und dieser Deutsche liigt nicht
einmal. wenn er höflich ist. Warum muß der Buch-
ausschmücker seinen Vornamen hinter dem O ver-
bergen, das nun der Redakteur der Münchener
Neuesten Nachrichten ausstoßen muß: „Leider kann
ich seine Zeichnungen hier nicht reproduzieren. Ich
muß mich damit begniigen, zu sagen, daß seine
Zeichnungen aussehen, wie Kratzereien eines von
der Furie des Genies gepeinigten ABCschützen.
Vorstellen wird sich hiernach diese Zeichnungen
freilich niemand können. Aber das ist ein Segen
meiner Unvollkommenheit. Ich be,wahre dadurch
meine vielgeliebten Leser vor schrecklichen Ge-
sichtern.“ Der Mann, A S heißt er, ist wirklich
ehrlich. Er hat in allem Recht. Mit dem Verstand,
mit der Feder, mit der Wortlimonade, mit dem
ABCschützen.

Und gewissenhaft schließt er seinen Kunstbe-
richt mit der Moral von der Geschichte. Er be-
spricht das Buch nicht etwa, wie er sagt, urn sein
Unverständnis an den Pranger zu stellen. „Sondern
um einmal in eine der ticfen Ritzen hineinzuleuch-
ten, die im Boden unserers Kunstlebens klaffen.“
S e i n e s Kunstlebens wäre redlicher gesagt.
„Aber die Sucht nach Originalität, das verhäng-
nis volle Mißverständnis, als sei Kunst ein Gegenpol
von Natürlichkeit, Klarheit und gefälliger Schönheit,
läßt die armen Gemüter (ob kranken Sinnes oder
mit der spekulativen Absicht auf Bluff ist ohne
weiteres nicht zu entschciden) sich zu dem Irrsinn
verleiten, das Unkorrekte und Impressionistische
genialer Skizzierung, was sie bei großen Künst-
lern fanden, gewaltsam und systematisch zu einer

neuartigen Kunst auszubauen.“ Wie können Albeft
Ehrenstein und Oskar Kokoschka nur auf so ver-
hängnisvolle Mißverständnisse kommen. Vielleicht
versuchen sie es doch einmal mit dem Rezept des
Lebensmüden A S: Mit Natürlichkeit, Klarheit und
gefälliger Schönheit. Nun weiß man doch wenig-
stens, wie man es den Münchener Neuesten Nach-t
richten Recht machen kann. Heiter ist die Kunst.
Sonst tritt der Ernst des Lebens an den Redakteur
heran.

Trust

Die Rettung

Von Oskar Baum

So ging ich und ging voll unfreundlicher Ge-
danken und ohne Ziel, kam wieder in die beleb-
teren Gassen, sah mit Neid einen Haufen erhitzter,
lachender und sehr gesprächiger Leute aus dem
Theater strömen und auf einen großen Platz in
Griippchen sich teilen. Ich glaube, es war ein Haß,
den ich gegen diese heimkehrenden Paare und
kleinen Gesellschaften zusammengehöriger Men-
schen empfand.

Ari einer Straßenecke hielt ein Wachmann ein
Mädchen an. Ich stand nicht zu weit davon und sah,
wie das Mädchen sich aufgeregt wehrte, und wie
er sie doch mit sich führte. Ihre schäbige Eleganz
tat mir leid. Aber mich t'aßte ein Schrecken, als
der Mann mit dem Mädchen die Straße herab auf
mich zukam. Rasch wich ich in eine Seitengasse
und zitterte wie eine Verbrecherin. Von wem
wiirde ich nun recht bald erfahren, wie man zum
Fluß kommt?

Was fiir ein schwaches Nachtleben in dieser
Stadt war! Die Schritte der vereinzelten Bumm-
ler hallten weithin durch die ausgestorbenen Gas-
sen. Die Straßenbahn stellte den Verkehr ein, und
es war noch gar niclit Mitternacht. „Können Sie
mir sagen, wo da die nächste Brücke ist?“ fragte
ich mit katneradschaftlicher Unbescheidenheit im
Ton zwei ältliche Kokotten, die sehr nobel an mir
vorbeirauschten .

„Wie?“ Sie sahen rnicit .*,n. Die eine war be-

sonders häßlich, aber nur im Gesicht. Die Ueppigkeit
der Gestalt hatte bei beiden Kraft und Form. „Ich
habe driiben zu tun,“ warf ich ohne Zögern hin,
„und ich finde hier in der Stadt noch nicht gut.“

„Sie sind bestellt?“ fragte die eine etwas
kleinere und miusterte mich mit schlecht verhohle-
nem Spott, indern sie ihre Freutidin in die Seite
stieß.

„Ja,“ sagte ich unschuldig.

„Wir werden sie ein Stückchen führen,“ ver-
sicherte die andere, „aber Sie müssen uns sagen,
wohin Sie wollen, die Brücken sind weit ausein-
ander; da ist es nicht egal, wie man geht.“ Ich
gab mit vieler Sicherheit eine umständliche Orts-
beschreibung, die so ziemlich auf alle Gegenden
der Welt gepaßt hätte.

„Ah, ich weiß schon,“ nickte die eine und nannte
der andern einen Gassennamen. Wir gingen. Ich
merkte bald, daß sie mich einen Umweg fiihrten
und dabei vorsichtig aus mir herauszuziehen such-
ten, durch welche Vermittlung ich hierher gekom-
men und hier so rasch bekannt geworden sei, und
was das für ein Trick wäre, sich so teuer und doch
beinahe wie verheiratet zu kleiden. Ich tat sehr
offenherzig, narinte Namen, Beträge, verriet Ab-
machungen und hörte von ihren Schulden und mage-
ren Einkünften und ihrer geizigen Quartiersfrau.
Am Eck einer langen, eleganten Straße, die, wie sie
sagten, zum Quai führte, behauptete ich, schon Be-
scheid zu wissen und bedankte mich. Sie ließen
mich aber nicht los; sie wollten noch durchaus
wissen, was für Schminke ich gebrauche und was

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