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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 80 (Oktober 1911)
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Walden, Herwarth: Aus der Heimat
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Die Spielereien einer Kaiserin
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0193

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Kochbuch. Für die Einführung hat es denselben
Wert. wie diese Programmschrift.

Eine persönliche Bekanntschaft veranlasste
micli, seit mehreren Jahren wieder einmal ein
Kiavierkonzert zu besuchen. Es ist alles noch
genau so, wie vor tausend Jahren. Der Saal
erstrahlt immer noch im „Glanz der Lüster“, auf dem
Podium stehen immer noch zahlreiche Stühle auf-
gestapelt, die die Konzertdirektion gelegentlfich
einmal wieder braucht, dieselben Musikkritiker
sitzen immer noch auf denselben Plätzen und
achten auf das Pedal und die Konzertierenden
spielen immer noch dasselbe Programm.

Frau Olga Wainstein-Muslina hat sich zwei-
feilos für das Konzert gut vorbereitet. Ihre
Technik ist konzertfähig. Zwar fühlt sie die Mu-
sik, die sie spielt, aber sie kann ihr Gefühl noch
nicht gestalten. Um dem Hörer ein Kunstwerk
durch das Klavier zu iibermitteln, muss der Spie-
ler unbedingt bewusst das Erlebnis des Kom-
ponisten begriffen haben. Er muss ihm in die
entferntesten Winkel nachgegangen sein. Wenn
der Spieler in der Musik ertrinkt, kann er na-
türlich nicht schwimmen. Er muss die Wasser
genau so teilen, wie es der Komponist tat. Das
eben ist die Schwierigkeit. Kaum ist die Furche
gezogen, schon wird sie überschäumt. Nie-
mand kann den Weg durch das rote Meer zei-
gen, man muss ihn wissen.

War Goethe musikalisch?

Wilhelm Bode hat über dieses Thema sechs-
hundertundfiinfzig Seiten geschrieben und da-
durch den zweiten Musikkritiker der B. Z. am
Mittag, einen Hauptmann a. D. (der erste ist
bekanntlich der Verfasser des Kochbuchs) end-
gültig überzeugt, dass Goethe musikalisch war.
Ich werde das Buch nicht lesen uncl bin trotz
der allgemein herrschenden gegenteiligen An-
sicht überzeugt, dass Goethe vielmehr von Mu-
sik verstanden hat, als sämtliche Musikkritiker
von Berlin zusammengenommen. Es ist einfach
ausgeschlossen, dass ein K ü n s 11 e r zur Mu-
sik kein Verhältnis hat. Kunst in ihren höch-
sten Aeusserungen ist für jeden künstlerischen
Menschen verständlich. Es bleibt ganz gleich-
gültig, durch welchen Sinn Erlebnisse von künst-
lerischen Persönlichkeiten vermittelt werden. Nur
durch den Magen geht es nicht.

Nochmals der Doktor Sabberer

Herr Doktor Anselm Sabberer fühlt sich ver-
pflichtet, triumphierend in dem einzigen ihm zur
Verfügung stehenden Blättchen festzustellen, dass
der Essay von Karl Kraus „Heine und die Fol-
gen“ nicht „gegangen“ ist und deshalb von Kraus
in seine Zeitsc'hrift Die Fackel aufgenommen
wurde. Zwar hat Karl Kraus diese „Feststel-
lung“ schon selbst vorgenommen. Die ganze
Art des Doktors ist so unverschämt ahnungs-
los, ist so niederträchtig verlogen und wider
besseres Wissen, dass man es sich ein für alle
Mal versagen muss, ihn abzuweisen. Es gehört
der Mut demokratischer Gleichmacherei dazu, einen
Autor als Phänomen zu preisen, und ihn als
Witzbold von Witzlingen in Stil Oskar Blumen-
thals witzlos behandeln zu lassen, wenn der Au-
tor den Nachdruck seiner Schriften nicht mehr
gestattet. Es gehört der Mut der Verleumdung
dazu, wenn ein Mensch, der sich angeblich mit
literarischen Dingen befasst, und allerdings im
Nebenamt, und sei es aus Existenzgründen, in
allen möglichen Provinz- und Familienblättern
herumschmiert, was er freilich in seiner „litera-
rischen“ Tätigkeit auch tut; wenn ein solcher
Mensch, der genau weiss, dass man von ernst-
haften künstlerischen Bestnebungen nicht leben

kann, mir unterstellt, dass ich aus „geschäftli-
chen“ Gründen für dieses Phänomen Karl Kraus
eintrete. Mit solchen Leuten diskutiert man nicht.
Herr Doktor Sabberer „findet kein Künstlertum
in Karl Kraus.“ Ich will das seinige entdecken,
nenne seinen Namen: Anselm Ruest und setze die
erste Strophe eines von ihm selbst verfassten Ge-
dichtes hin:

Nach glühem Tag

Ein leiser Rauch

Qualmend aus allen Dingen . .

In diinnen Säulen
Aufschwelend — wie Seelen
Entfärbter Bilder,

Verwallter Träume — —

Eine feine Asche
Den Abendwinden.

Verqualmt. Entfärbt. Vcrwallt.

Trust

Die Spielereien einer
Kaiserin

Max Dauthendey, den wir lieben, dessen
Name uns einfällt, sooft von neuer Gedichtschrei-
bung geredet wird, hat den Fuss aufs Theater ge-
setzt. Schwerlich mit Glück. Undramatik ist nicht
dadurch entschuldigt, dass ein Stück statt „Drama“
„Fiinf Akte und ein Epilog“ heisst. Ich vermisse
die Idee, den Problemknoten, das Epigramm.
Alles ist Aufzählung von Fakten, Aneinanderreihung
von Bildern ohne rechte Organisierung. Den
Neuklassischen, so hier ein „Gebild“ vermissen,
wird man mal bestimmen dürfen. Immhin ergreife
ich Dauthendeys Partei; denn Kurioses und Furi-
bundes geht hier vor sich, Schmutz und Pracht
werden entfaltet, Menschen handeln menschlich.
Mein Eindruck war — wofern diese Metapher
mich nicht schädigt — ein Zopfgeflecht dreier
Vorstellungsreihen. Die erste: Stürme der Lie-
be; die zweite: Kino, Melo, Staatsaktion; die
dritte: Zerrbilder, Freudiana, Wunscherfiillungen.
Katharina, das Dragonerweib, wird, durch Schön-
heit, heisses Blut ,Listen, Geliebte des Feldmar-
schalls; nach mancherlei psychologischem Zick-
zack dann Gattin des Zaren; schliesslich, von
Machtlust immer strotzender, Russlands regieren-
de Kaiserin. Wie im Märchen; von Stufe zu
Stufe — aber aufwärts. (Warum hat Danthen-
dey seinen herrlichen knabenhaften Tagtraum auf
ein Weib übertragen? Auch den Schriftsteller,
der, in der Absicht, Künstlers Erdenwallen zu
schildern, als Romanhelden statt eines Dichters
einen Maler wählt, finde ich weniger sympa-
thisch.) Komisch-schaurig, grotesk, traumhaft ist:
wie Katharina, als der Zar sie nackt am Fen-
ster ihrer Kemenate stehen sieht, ihm, statt ent-
setzt zu sein, die Zunge zeigt; wie sie dann
während seiner bewegten Liebesfragen (ihr han-
delt sich’s um eine Krone) Aepfel frisst; wie,
im Höhepunkt des Machtrausches — der Zar
ist tot, man rief sie zur Kaiserin aus, der Ge-
liebte hält sie in seinen Armen —, neben dem
umschlungnen Paar eine grosse Schiefertafel auf-
ragt, mit dem ungeschlacht hingehauenen Krei-
dejambus: „Ich lieb dich heut wie immer, Men-
schikoff. — Katharina I.“ Die Akt-Ueberschrif-
ten („Das Taschentuch“, „Die Witwenhaube“,
„Am Kaiserinnenbett“ und so) erinnern an We-
dekinds „Musik“; gewollter Revolver, beabsich-
tigte Hintertreppe. Auch: Selbstironie — als Ro-

mantismus politisch zu billigen, auf dass clie
„harmonischen“ Schauten platzen. . . Sogar eine
Allegorje bewandelt die Bretter, die aber (für
Feinschmecker!) sich nachher als Automat her-
ausstellt: der Tod, ein hagrer Pierrot in schwar-
zer Maske. . . Dazu eine Hofnärrin, ein Mohr,
ein Mord; Goldgeschirr, Faustschläge, Türken-
gefahr; Popen, Wodka, Zar Peters übertriebne
Nase — in buntem Tempo umtaumelt das alles
die zart-wilde Katharina, die hinreissend empor-
steigt.

Die Schauspielerin Tilla Durieux, berückend
und feurig, mit kupfergelben Haarflechten, samt-
nen Raubtieraugen, purpurnen Nasenlöchern, be-
zwang rnich. Herr Hartau, der Zar, verdient ei-
ne Eins. Herr Emil Lindner, mit dem Mienen-
spiel der Verhaltenheit, erinnerte mich an Herrn
Kayssler. K. H.

Gedichte

Von Paul Zech

Der blinde Bettler im Gewitter

Die Gärtner warfen ihre Grabgeräte
Erschrocken in das krause Zittergras
AIs ein Gewitterzug das kühle Nass
In jähem Schwung breit auf die Erde säte.

Wie Schluchzerbäche wühlten sich die Fluten
Tief in das kurzgeschorene Rondell.

Und die uralten Bäume schrieen hell
Unter des Sturmes blank gezognen Ruten.

Am Springbrunnenbecken aber, das schneeweiss
Sich abhub von dem Schwarz der Taxuswände,
Schritt angstverstört ein blinder Bettelgreis.

Und suchte fingernd die verlorene Spur,

Bis ihm in die emporgereckten Hände
Mit voller Wucht ein dünner Blitzstrahl fuhr.

Regenimpression

Schwarze Wolkenberge ragen
Scharfgezackt am Horizont.

An der Häuser Fensterfront
Hör ich schon den Regen schlagen.

Alle Welt rauscht wie ein Meer.

Und mein Herz schwimmt stumpf daher
Bis es ganz in Nacht gebogen
Aufschluchzt wie die windgeschnellten Wogen.

Briefenach Norwegen

Von Else Lasker-Schüler

Schluss

Liebe Jungens

. Höxter ahnt was von meiner Schwärmerei
zu Hassan, er hat mir zwei Ansichtspostkarten
der egyptischen Lunaausstellung mitgebracht. Auf
dein Kamel der einen Palmenlandschaft sitzt
mein Sultan. Wo ihn die Diebin wohl hinge-
schleppt hat? Hast Du übrigens von der
Zeichnung, die Höxter von mir gemacht hat,
ein Cliche anfertigen lassen, Herwarth? Sie
kommt doch in den Sturm? Ich bin darauf
wirklich der kriegerische Prinz von Theben, da-
für ist die Sphinx im Vordergrund ein richtiges
Weib. (Ich schreib sonst kein Wort mehr für
den Sturm). Höxter und ich sitzen heut ganz
allein im Vorgarten des Cafes, wir knobeln in
 
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