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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 2.1911-1912

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Nr. 84 (November 1911)
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Lasker-Schüler, Else: Briefe nach Norwegen
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Raphael, Max: Purrmann und Levi
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https://doi.org/10.11588/diglit.31771#0229

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Briefe naeh Norwegen

Von EIsc Lasker-Schüler

Lieber Herwarth, ich habe den Pitter Boorn
gemalen für den Sturm. Seitdem er sich den gan-
?.en Hiddenseesommer n+cht utn mich bekümmert
hat, sieht er gar nicht meiir aus wie ein Qroßfürst,
sondern wie ich ihn in der Katerstimmung ais
Langohr gemaien hab. Ich zeigte ihm sein Bild,
aber er weigerte sich das Cliche zu bezahlen.
Nun wende icb mich mit diesem Brief an seinen
Vetter. Bitte, Herwarth, mach du die Kommas;
der ist gebildet, er schrieb ein mathematisches
Buch über Qeburten und Todesfälle.

„Geschätztcr Herr. Sie sind doch der Johan-
nes, dem Peter Baum sein Kusin? Ich bin seine
Freundin Amandä und geh in die Knopffabrik auf
Arbeit, und bin nicht wie sie in die höhere Töch-
terschule gegangen in Elberfeid und das hoch-
deutsch macht mich Kopfjucken. Sie sind einer
von den Vornehmen und darum spenden Sie
wacker zwei Thaler für das Kliche Ihres Cusins
Peter; sonst kann seine Visage nicht abgekieckst
werden. Der Peter hat mir im Vertrauen in der
Lämmerstunde auf Ihnen aufmerksam gemacht,
Herr Johannes. Und icli griiße Ihnen freundlich
urrd schaffen Sie sich einen Bullenbeißer weniger
an und fiittern Sie Ihre Wachteln mit Teufels-
beeren, und trinken Sie sich einen Schoppen auf
mein Wohlsein. Ihre Amanda Wallbrecker, aus
Elberfeld Grüne Pumpe an der Klotzbahn 86.“

Lieber Junge, den ganzen Tag erwarte ich
den Qeldbriefträger, daß er nksht mit den zwei
Talern in Dein Bureau rennt. Ich hab nämlich vor.
in den Zirkus zu gehn und ein guter Platz kostet
drei Mark; und den Slaven will ich dazu ein-
taden, damit er sieht, daß es nicht nur Rindvieh
gibt auf der Welt, er ist nämlich verbohrt in sich.
Ich bin mißlaunt, die Menschen, die ich für Men-
schen hielt, sirrd auch keine Menschen; die Liebe
erdrosseln sie mit ihrern Ehrgeiz. Und die Liebe,
Herwarth, Du weißt doch, was ich von der Liebe
haite, wäre sie eine Fahne, ich würde sie erobern
oder für sie fallen. Qute Nacht.

Herwarth, denk mal, die zwei Taler sind ein-
getroffen urrd noch ein Abonnement auf den Sturm
dazu. Siehst du, ich bin ein Großkaufmann.
Stell mich an, Du wirst ia nie den Handel ver-
stehn, und ich möchte nicht warten, bis der Sturm
aües niedergefäilt hat. Ich hab meinem Pitter
Boom rroch ein Wörtchen zu seinem Qemälde dazu
geschrieben:

„Pitter, dat De so een dommer Moolesel böß,
nä, dat han eck nich gedacht. Wie kannst De
meck nu so eene alberne Karte schriewen ut Hid-
densee! Doför möss De bestraft wörn. Eck wörd
nu aJI Dinne Extravaganzen on Hokospokos on

Dinne ganze heelege Eaniilie en usse' Voriv-ärts
brengen, on Dinne Neegongen on Dinne Settlecb-
keetsverbrechen. Ook Dän artegen Bruder Hugo
wörd eck enttarven. Dat giöw eck Önk, dän
Sommer on dän Herbst en die Badeörter herörn-
tlanieren, on die Portemaries dän Lüten ut de
Mäntels kiebitzen, on eck sitt hier biem leeren
Kochpott. Van wäm häst De dann dat Geld all?
Völleecht van Ding Tante ut die Waffelbude oder
van die Riesendame? Die Erbschaft Dinnes Ur-
großvatters, däm Derektor on Professor vom
Oiympiaflohtriater häst De doch opgefreten on
Deck heemlich doför eene nüe Bochse on cenen
Schabbesdeckei gekauft? Qenau wie een V^astor
stehst De met der longen Piepe im Muhl vor die
Thöre van Dinne Fiila op die Groschenskarte on
de Hugo kickt ut därn Fenster wie Ding Hilfsprä-
deger. On ecne Eölsharfe steht ook op däm Dach;
wer speelt die? Dinne tröhe Amanda.“

Liebe Jungens. Cajus-Majus hat mir gesagt,
er habe Wiihehn Haas aus Prag zum „Qnu“ ein-
geladen. Im Cafe Austria findet der Cabaret-
Abend statt. Es wäre wirklich nctt, wenn Wilty
Haas käme. Er erinnert rnich an den Primaner.
den meine älteste Schwester gnädig, wie ihrc
Kleider mit den vielen Bändern, meiner zweiten
Schwester vererbte, bevor sie ins Pensionat kam.
Der hatte, wie der Prager Student, große, kluge
Augen und war kein Spielverderber und hieß
auch genati wie er.

Ich bin mit dem Auto ins Cabaret gefahren.
ich fiihle micli ernstlich krank. Aehnlicii wie Kän-
guruh hört sich „Qnu“ an. Aber interessant war
es dort, tausend Menschen kamen und imrner
wieder tausend, die Einlaß begehrteri, und da war
kein Platz mehr zu finden. Ich erkiomm die
Biihne und setzte mich in einen erhabenen Sessel.
Mit meinem Kolossalsaphir am Finger, (höherer
blauer Qlasscherben), präsentierte ich Leo den
Siebenundzwanzigsten. Das meinte atich Cajus-
Majus. Alsbald begann die Lyrik.

Herwarth, Knrtchen, Zeppelin konunt wieder
iiber unserm Haus vorbei. Ich sitz eingeschlafen
am Schreibtisch, wird plötzlich die Erde aufge-
rollt — modernes Qewitter, die Weit geht unter,
ich hab keine Zeit mehr die Koffer zu packen.
Wahnsinnige Stimmung in der Luft; Meer rauscht
über unsern Dächern und Häusern — wo ist
Himmel geblieben, wo wiil der Wallfisch da oben
hin gemächlich durch die Wolkenfluten. Adieu,
adieu, ich lauf rasch hinunter auf die Wiese.

Else

Heute nur ein paar Neuigkeiten!

Erstens: Dr. Alfred Döblin hat sich als
Qeburtstagsheifer und noch für „ailes“ niederge-
lassen. Auf seinem Schild in der Blücherstraße 18
am Halleschen Tor steht geschrieben, daß er Ober-
arzt am Urban war. So eine Reklame!

Z w e i t e n s: Leonhard Frank hat wieder
einen himmelbiauen Mädchenleib gemalt, nun
glaube ich wirklich an seine Satanerie.

Drittens: Scherl will mich für die Ver-
breitung der Garteniaube in Tripolis anstellen.
Ich wohne bei Enver Bey im Krieg.

Viertens: Der unvergleichliche Baron von
Schennis war gestern Nacht wieder im Cafe.

Fünftens: Alle Jungfrauen Berlins hat
PoLret eingeladen zu seiner Ausstdlung bei Qer-
son. Die sammelten sich, eine Mauer zur rechten
und linken des Durchgangs. Zwischen blond und
schwarzem Frauenhaar, ein Spalt der noch zu
haben war, sah ich die Mannequin wtmdersam.
Sie war nicht in der Stadt geboren, man wußte
nicht woher sie kam.

Sechstens: Das Caf6 und alles was drum
und dran iiegt, Berlin und Umgegend, grüßt Euch
Möwen!

HörE nar, Kokoschka wird steckbrieilich ver-

folgt in der nenen, freien Presse; er wirkte doch
immer schon rührend, fing er von der Villa an zu
simuiieren, die er seinen Eltern schenken würde.
Er aß sich nur immer objektiv satt aus dem Ideal-
zweck. Tut mir wirklich leid! Werm er mich
attch nicht leiden mag. So bin ich .ia gar nicht!
Ein Modell. ein Holzhäuschen. soll er in der Nacht
vom fünfzehnten auf den sechszehnten Oktober ein-
fach gestohlen haben. Ich schneide Euch hier seiu
Biid aus, es ist dilettantisch gezeichnet und gerade

seine charakteristischen Verbrecherzüge sind gemil-
dert. Ob er sich auch in einer guten Pension ver-
steckt hält, dfe fiir ihn sorgt? Rattke, der Ober vom
Cafe, bei dem er hier in Berlin gewohnt hat, meint
auch, wenn er nur gut wo gepflegt wird.

Purrmann und Levi

Die Auslese, die ich in den Salons des Ar-
tistes halten konnte, war gering und wäre beschä-
mend im Vergleich zu anderen Ländern, sollte dä-
mit die deutsche Kunst in Paris erschöpft sein.
Aber auch hierin folgen die Deutschen dem Ge-
samtrhythmus der Aussteliung. Wie von den
Franzosen Matisse nur mit einem Bild vertreten
ist, während Picasso, Bracque, Devain ganz fehlen,
so haben sich auch die begabtesten jungen Deut-
schen aus persönlichen oder aus sachiichen Qrün-
den ferngehalten. Von ihnen will ich reden. Zu-
nächst von Purrmann und Levy.

F(ans Purrmann war in Deutschland be-
reits ein geschätzter und von der wirklich auto-
ritativen Kritik anerkannter Künstler. Es waren
Maler — also Kenner, die seine Sachen in den
Sezessionsausstellungen kauften. Man liebte an
seinen Bildern die jugend'liche Kraft, die einen ge-
borenen Maler erkennen ließ, die instinktive Un-
bekümmertheit, die aus Begabung nie daneben
hieb, man bewunderte die Fülle, die ein unbestrit-
tenes Talent ausschüttete. War das Publikum
auch oft stupefakt, die Kenner spannten ihre Er-
wartungen aufs Höchste.

Purrmann seinerseits erkannte, daß er auf
diesem Wege mit seinem Temperamente zu wirt-
schaften dahin kommen würde sich auszugeben
oder im giinstigsten Falle sein Leben lang mehr
oder minder gute Malerei zu liefern. Er fühlte das
Bedürfnis, seiner Begabung einen festen und so-
iiden Boden zu sichern, von dem aus sie rationeli
arbeiten und zu einer sich immer vervoHkommen-
den Kunst gelangen könne. Er orientierte sich an
den neuen Bestrebungen der französischen Ma-
lerel, die sich um Matisse konzentrierten und die
darauf ausging, hinter dem flüchtigen Reiz, den
die Impressionisten mit bewunderungswürdigei
Meisterschaft gegeben hatten, den wahren Cha-

*7f
 
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